Was fällt einem zu Hameln spontan ein? Genau, die Sache mit dem Rattenfänger, der Flöte und den entlockten Kindern. Auch heute noch wirkt das Städtchen verschlafen und liegt friedlich im niedersächsischen Gefilde. Hin und wieder sieht man schlecht geparkte Autos, Damen in Jogginganzügen vorm lokalen Supermarkt und wenn man sich Mühe gibt sogar den Fluss. In unserem Fall sah man noch ein bisschen mehr, nämlich die Rattenfängerhalle (Klar, dem Stadtwahrzeichen muss in der Namensgebung gehuldigt werden, auch wenn er Kinder entführt hat und das auch noch aus fragwürdigen Motiven…), die Sumpfblume, das Papa Hemingway und ein Schiff, auf dem Lesungen stattfanden.
Durch den Stau äußerst spät in der Zeit liegend, schaftten wir es am Freitag gerade noch rechtzeitig zum Beginn von Ostfront in die Rattenfängerhalle und schon beim Betreten wurde klar, dass sich die Veranstalter äußert viel Mühe gaben. Noch nie habe ich so viel niedliche Deko und detailverliebtheit bei einem Festival gesehen. Die Rattenfängerhalle, der Bereich, in dem es Getränke gab und auch die Sitzeecke im Flurbereich waren mit allem möglichen Kleinkram von Spinnenweben bis alten Tischchen und Decken dekoriert. Großes Daumen hoch an dieser Stelle! Ostfront selbst hämmerten ihre NDH-Songs in die Köpfe des Publikums und während der gruselig geschminkte Sänger sich mal wieder auf seine Bandkollegen setzte und spätestens da der Rammsteinvergleich in den Kopf schoss, nickte die Masse im Takt mit. Optisch auf jeden Fall ein Highlight, musikalisch werden sie mich immer wieder an Till Lindemann und Band erinnern.
Und schwupp, suchten wir uns den Weg über den Mittelaltermarkt ( Erklärt mir jemand bitte, was ein Mittelaltermarkt bei einer Veranstaltung zu suchen hat, auf der weitestgehend andere Musikstile vorherrschen? Witzig!), der einem Asia-Restaurant gegenüber lag. Vorbei an beleuchteten Kürbissen und allerlei lieblicher Deko und Ständen bahnten wir uns unseren Weg in die nicht weit entfernte Sumpfblume, stolperten noch in Autor Christian von Aster und seine entzückende Begleitung, die ihn anhielt pünktlich zu seiner Lesung auf dem Schiff zu erscheinen und trafen dann in der Sumpfblume ein. Mitgerissen von ein paar Freunden ging es dann zu Folk Noir, die dürften wohl niemandem hier bekannt sein, denn die Band wartet maximal mit einem E-Piano auf. Und trotzdem sollte man der Band allein schon wegen der Stimme von Livy Pear eine Chance geben. Einfach zauberhaft was das Mädchen da macht und auch ihre Bandkollegen sind zuckersüß. Zum einen hat man da Oliver S. Tyr, der allerlei Witze riss und der dem einen oder anderen Festivalgänger von Faun bekannt sein dürfte und einem einzigartig talentierten Stephan Groth an der Drehleier ( was der Mann für Töne aus dem Teil holen kann ist der absolute Hammer!) versetzten sie mit Drummer Alex Schulz das Publikum in dieser etwas kleineren Location in Mitträumstimmung.
Weiter ging es dann mit M.I.N.E.. Kennt ihr nicht? Kennt ihr doch… Zumindest den Sänger! Stichwort: The Great Commandment. Ich hoffe, jetzt hat es bei euch allen KLICK gemacht, denn M.I.N.E. haben Herrn Meyn von Camouflage am Mikrofon. Äußerst empfehlenswert, auch wenn ich glaube, dass der gute Mann mit seiner Brille aussieht wie ein grimmiger Versicherungsvertreter. Ernste Mine und ich glaube auch mit der Lesbarkeit seiner Texthilfe kämpfend sag und spielte sich die Band in die Herzen der Zuschauer. Einige tanzten wie alkoholisierte Waldelflein am vorderen Bühnenrand und spätestens bei den Camouflage-Songs am Ende grinste der ganze Saal. Herr Meyn übrigens auch und er kann sogar richtig breit Grinsen, wenn man ihn lässt. Weniger die Stirn kräuseln, mehr lächeln und dann gibt’s beim Gothic Meets Klassik auch ganz viel Liebe vom Publikum. (Anmerkung der Redakteurin: Mein Herz hat der bebrillte Sänger übrigens im Nachgang des Konzertes gewonnen als er lächelnd und entstresst zwei meiner Kollegen den Weg wies und sie sprichwörtlich ans Pfötchen nahm. Sympathiebarometer gaaaaanz weit oben!)
Nach einer Nacht im Nachbarort Fischbeck im Hotel mit den niedrigsten Decken, die ich jemals erlebt habe, starteten wir in den Samstag. Wieder auf nach Hameln und da der Fotokollege noch ein paar Promofotos schießen sollte, war nichts mit „Ausschlafen“, stattdessen gab es Glühwein aus der Thermoskanne und Fotos, die sich durchaus sehen lassen können. Den musikalischen Tag sollten Legend eröffnen und wer meinen Beitrag vor einigen Tagen über das Konzert in Dormagen gelesen hat, weiß bereits, dass es sich hierbei um famose und ultra-sympathische Isländer handelt. Soll ich jetzt die Lobeshymne auf Sänger Krummi und das ganze Songwriting, die Arrangements, die Dramatik in den Stücken und seine unter die Haut gehende Stimme noch einmal halten oder geht ihr endlich auf das nächste Legend-Konzert? HINGEHEN! Wirklich! Sänger Krummi beschummelte sein Publikum übrigens ein wenig als er erklärte, dass der nachfolgende Song „Midnight Champion“ heute zum ersten Mal gespielt werden würde. Das hatte er nämlich in Dormagen schon verkündet. Tse, Krummi, das nächste Mal feilen wir nochmal an der Kreativität der Ansagen.
Gefolgt wurde der Auftritt der Isländer in der Sumpfblume von Torul. Achtung: Lobeshymne zwei folgt jetzt! Nachdem Sänger Jan die Band im Frühjahr verlassen hatte, konnte man sich in Hameln von den Live-Qualitäten seines Nachfolgers überzeugen, der Maj heißt. Stimmlich kaum ein Unterschied. Wie auch immer Mastermind Torul Torulsson das gemacht hat und wo auch immer er Maj hergezaubert hat, der Kerl ist ein Geschenk des Himmels. An der Bühnenperformance und den wiederkehrenden Gesten könnte das Kerlchen noch ein wenig arbeiten und auch die dezente Aufregung war ihm anzumerken, aber er hielt sich nicht nur solide, sondern großartig. Herzchen in den Augen bei den vornhemlich weiblichen Anwesenden bestätigten übrigens, dass er auch optisch ein passender Nachfolger für den charismatischen Jan Jenko ist. Alles richtig gemacht, Torul!
Eine Lesung von Christian von Aster später, der auf dem Boot Piratengeschichten zum Besten gab, fanden wir uns im Gastronomiebereich der Sumpfblume wieder, schnatterten mit Freunden und trafen auf einen Vasi Vallis, der noch nicht ganz in Auftrittslaune war, dafür aber zu Scherzen aufgelegt und in Interviewlaune schien. Die Kollegen, die am Vortag von Mr. Camouflage geführt wurden, klopften an diesem Spätnachmittag an die imaginäre Tür des Griechen und entlockten ihm Antworten auf spannende Fragen. Eine Kaffee später mussten wir dann feststellen, dass wir bei She Past Away nichts sehen würden. Einlassstop herrschte zwar nicht, der Konzertsaal platzte aber aus allen Nähten und so entschlossen wir uns lieber noch gemütlich ein weiteres Heißgetränk zu uns zu nehmen. Whispers In The Shadow hatten ebenso viel Andrang und so fanden wir uns in Lesung Nummer zwei eines Herrn von Aster wieder, der im überfüllten Raucherzimmer der Sumpfblume Gruselgeschichten vortrug. Der Mann liest so gut und hat so tolle Geschichten auf Lager, dem kann man nicht nur zwei Mal am Tag, sondern tagelang zuhören.
Nach einem weiteren Weg über den Markt nahmen wir schon einmal Plätze im Papa Hemingway ein, denn der dortige Konzertbereich war miniklein und NamNamBulu wollte ich auf keinen Fall verpassen. (Ich glaube, der Herr Fotograf möchte mich für diesen Ausflug immer noch steinigen ;) ). Ein grinsender Vasi Vallis ließ sich zwei Tonnen mit Tischplatten als Ablage für sein Instrument hinstellen, Sänger Henrik grinste ebenso und so konnte das Konzert pünktlich beginnen. Ein leicht betrunkener „Ash von Heimataerde“ (so die wörtliche Vorstellung des Herrn) fragte mehrfach im Publikum nach ob denn alle „namnambulu-geil“ wären. Schmunzelfaktor hoch 100 und ja, wir waren namnambulu-geil. Trotz Aufforderung seitens Henrik traute er sich nicht auf die Bühne, nur um dies später während unserer Abwesenheit um den Headliner Zombie Boy zu sehen noch nachzuholen. Glitzernd hat er dann die Veranstaltung verlassen und ich hoffe er ist beim nächsten Auftritt seiner musikalischen Mitstreiter ( ja, die haben damals zur selben Zeit angefangen) wieder mit dabei.
Ab zu Zombie Boy, der mit seiner Band bestehen aus Herrn Riggs ( den man von Rob Zombie kennt) seinen ersten offiziellen Auftritt hatte. Die Gitarren dröhnten, das tätowierte Etwas ging auf die Bühne und ich bin mir nicht sicher ob er nur nervös war oder sich sichtlich unwohl fühlte. Wäre ich doch lieber bei Ash und NamNamBulu geblieben, denn der Saal leerte sich bereits nach dem ersten Stück. Fette Gitarren, dünne Stimme und gruselige Optik reichen eben nicht, wenn man nicht nur die extra angereisten Mädels aus der ersten Reihe beglücken will. Textliches Highlight war ein Song, der komplett aus „Yeah Baby, Yeah Baby, Yeah!“ bestand. Tiefgründige Zeilen am späten Abend… Immerhin sorgte der Auftritt von Rick Genest aka Zombie Boy für ausreichend Gesprächsstoff und PR, obwohl an dieser Stelle angemerkt sein soll, dass er froh sein sollte, sein Debüt nicht in den Staaten gegeben zu haben.
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