Seit ich in den Online-Musikjournalismus eingestiegen bin, habe ich mich immer für die Hintergrundfiguren rund um die Veröffentlichungen meiner Lieblingsmusiker interessiert, die dem Produkt, das wir Fans am Ende bekommen, etwas Wichtiges hinzufügen.
In diesem Sinne habe ich im Laufe der Jahre Persönlichkeiten wie Anton Corbijn (Fotograf von Depeche Mode und vielen anderen Musikgrößen), Gareth Jones und Mark Saunders (Produzenten und Mixmaster von Depeche Mode und Erasure u. a.) interviewt.
Vor etwa acht Jahren hatte ich die Ehre, bei der Promotion für Vince Clarkes damals neu gegründetes Mini-Plattenlabel (VeryRecords) und seine Veröffentlichungen mitzuhelfen. Neben den Künstlern, deren Alben in den letzten Jahren dort erschienen sind, habe ich auch mit Mat Smith Kontakt aufgenommen, der – wie ich – Freelancer ist – die Leser von Electronic Sound und Clash kennen ihn gut – und als Publizist für VeryRecords arbeitet bzw. eine Reihe von Pressestücken für Vince Clarke, Erasure und Sunroof verfasste. Er schrieb auch die Cover-Notizen im Booklet der neuen Cowboy-Deluxe-Ausgabe.
Neben seiner journalistischen Arbeit hat er auch sein eigenes Projekt „Mortality Tables“, das gerade ein neues Minialbum auf Kassette und als digitaler Download veröffentlicht hat.
Letzten November, bei der Uraufführung des Soloalbums von Vince Clarke in London, hatte ich das Vergnügen, Mat persönlich kennenzulernen, und wir unterhielten uns angeregt über unsere gemeinsame Leidenschaft für Musik. Da ich weiß, wie wichtig ihm dieses Projekt ist, bin ich auf ihn zugegangen und habe ihm ein paar Fragen dazu gestellt.
Doch dann kommt das Leben, oder besser gesagt der Tod, dazwischen. Ich wollte das nicht als billige Masche abtun, aber ein trauriges Ereignis hat mich tatsächlich gezwungen, das Interview, das ich länger als drei Wochen mit meinem Freund und Kollegen Mat Smith, der hinter dem Projektnamen Mortality Tables steht, geführt habe, zu ändern. Nun, da das besagte Label in den Urlaub geht, und bevor ich das Gleiche tue, möchte ich Sie auf dieses spannende musikalische Projekt („The Engineer“) und das Interview mit dem Mann dahinter aufmerksam machen.
dm.de: Erzähle kurz etwas darüber, wie dein Interesse zur Musik erweckte. Hattest du eine musikalische Ausbildung, hast du ein Instrument gelernt? Erinnerst du dich noch an die erste Platte, die du dir gekauft hast?
Mat Smith: Ich wuchs in einem Haus auf, in dem ständig Musik zu laufen schien, entweder im Radio oder in der Stereoanlage meiner Eltern. Meine Mutter hörte viel ABBA. Das war nichts Außergewöhnliches, im Gegenteil. Wenn ich bei Freunden zu Besuch war, schien der Fernseher immer eingeschaltet zu sein, was mir seltsam vorkam. Meine Familie entschied sich für Musik, und seitdem habe ich mich mit Musik umgeben.
Ich versuchte, Blockflöte zu spielen, ein Instrument, das die meisten von uns als Kinder lernten. Eines Jahres schenkten mir meine Eltern eine blaue Blockflöte zu Weihnachten. Ich konnte keine einzige Note spielen. In der Schule lernte ich kurz die Grundlagen der Notenschrift, vergaß sie aber sehr schnell wieder. Zu Beginn des Musikunterrichts in der High School interessierte ich mich mehr dafür, Klänge aus dem wirklichen Leben auf dem Casio-Keyboard aufzunehmen und diese für Kompositionen zu verwenden. Nicht lange danach fing ich an, samplebasierte elektronische Musik auf meinem Amiga 500 zu machen.
Das erste Album, das ich besaß, war „Human Racing“ von Nik Kershaw. Ich bekam es in dem Jahr, in dem es veröffentlicht wurde, zum Geburtstag geschenkt, zusammen mit einem tragbaren Sanyo-Kassettenspieler. Ich habe das Album ständig gespielt. Der Kassettenspieler war nach zwei Wochen kaputt, aber ich habe immer noch die „Human Racing“-Kassette, und sie klingt für mich immer noch unglaublich.
dm.de: Wann hast du dir die elektronische Musik entdeckt? Und wer war der erste Elektro-Künstler, der dich in die Welt der elektronischen Musik eingeführt hat?
MS: Mein Vater ist dafür verantwortlich, dass ich mir die elektronische Musik entdeckt habe. Es gab drei Schlüsselerlebnisse, die alle mit der Zeit zusammenhingen, in der ich mit meinem Vater zusammen war.
Das erste war eines Abends, als meine Mutter in ihrem Restaurant arbeitete und mein Vater auf mich aufpasste. Ich spielte im Wohnzimmer mit Lego, und im Fernsehen lief Gary Numans „Cars“. Dieser Auftritt hat mich völlig in seinen Bann gezogen.
Das nächste Mal fuhr ich im Auto meines Vaters herum, während er seinem zweiten Job als Schuldeneintreiber nachging. Ein Arbeitskollege hatte ihm zwei Tracks vom OMD-Album „Architecture & Morality“ auf eine Kassette aufgenommen. Die Songs waren „Joan Of Arc“ und „Maid Of Orleans“, und wir hörten sie uns immer wieder an.
Das dritte war das „Non-Stop Erotic Videotape“ von Soft Cell, das er eines Tages von der Arbeit mitbrachte. Das war für einen Fünfjährigen ziemlich überwältigend, und ich kann mir nur vorstellen, dass er nicht wusste, was es war. Es war definitiv nicht für ein Kind in meinem Alter geeignet, aber rückblickend erinnere ich mich nicht an die Bilder, sondern nur an die Musik.
Ich schulde meinem Vater also sehr viel dafür, dass er meinen Musikgeschmack in einem sehr frühen Alter geprägt hat. Er war auch derjenige, der eine Kassette mit „The Innocents“ von Erasure mit nach Hause brachte und sie mir schenkte. Er hatte keine Ahnung, was er an diesem Tag begonnen hatte.
dm.de: Wann hast du damit begonnen, für Mute Records und deren Künstler journalistische Texte zu schreiben? Was war dein erster Artikel für Mute und über welchen Künstler, welche Veröffentlichung?
MS: Im Jahr 2003 begann ich einen Blog namens Documentary Evidence zu starten, der sich auf meine persönliche Mute Records-Sammlung konzentrierte. Ich schrieb einfach über die Veröffentlichungen aus einer meist nicht-musikalischen Perspektive und erklärte, was für eine besondere Bedeutung die für mich haben. Diese Art von Rezensionen schreibe ich auch heute noch für Electronic Sound. Ich interessierte mich auch sehr dafür, die Geschichten bestimmter Veröffentlichungen oder Künstler zu erzählen, und das brachte mich dazu, Leute zu interviewen, die Musik über Mute veröffentlichten oder irgendwie mit dem Label verbunden waren. Ich bin von Natur aus neugierig und wissbegierig, und das scheint zu bedeuten, dass die Leute gerne mit mir reden und sich mir öffnen.
Von da an begann ich für Clash zu schreiben, dann für Electronic Sound und einige andere Seiten. 2017 wurde ich gebeten, eine Podiumsdiskussion mit Anton Corbijn, Daniel Miller, Paul A. Taylor und Steve Claydon (Add N To (X)) im Rough Trade East in London über die visuelle Identität von Mute zu leiten. Der erste schriftliche Mute-Auftrag, den ich erhielt, war das Schreiben einer Pressebiografie für Chris Carters „Chemistry Lessons Vol. 1“. Ich konnte nicht glauben, dass man mich darum bat, und ich konnte nicht glauben, dass ich dafür bezahlt wurde, für das Label zu schreiben, das ich so sehr liebte. Das Team von Mute mochte, was ich gemacht habe, und seitdem habe ich noch ein paar weitere Aufgaben bekommen, ebenso wie das Team von BMG, das sich um das Erasure-Reissue-Programm kümmert, und Erasure selbst.
dm.de: Hat das VeryRecords-Label von Vince Clarke und die damit verbundene Promotion dir irgendeinen Anstoß für dein eigenes Projekt gegeben, das du „Mortality Tables“ genannt hast?
MS: Indirekt, ja, aber vielleicht nicht so, wie du es erwarten würdest.
Meine Aufgabe bei VeryRecords war es, die Pressemitteilungen zusammenzustellen. Es war das erste Mal, dass ich hinter den Kulissen einer Veröffentlichung gearbeitet habe, wo ich oft schon involviert war, bevor das Album gemastert war oder das Artwork überhaupt in Betracht gezogen wurde. Ich sprach also schon sehr früh mit den Künstlern – Reed & Caroline, Alka und Brook -, in der Regel dann, wenn Vince das Gefühl hatte, dass das Album so weit fertig war, dass ich es mir anhören und mit den Künstlern Kontakt aufnehmen konnte.
Es dauerte eine Weile, bis mir das klar wurde, aber der Prozess der Zusammenarbeit mit den Künstlern beim Schreiben einer Pressemitteilung wurde zu einer Zusammenarbeit – zwischen uns allen und zwischen meinen Worten und ihrer Musik. Ich war nicht nur ein Autor, sondern Teil der kollektiven Bemühungen, diese Musik in die Welt zu bringen. Das Gleiche habe ich mit Nick Hooks Label Calm + Collect gemacht und an Veröffentlichungen von Gareth Jones, Spiritual Friendship und anderen mitgearbeitet.
Als ich 2019 mit der Gründung von Mortality Tables begann, stellte ich mir das Projekt als eine kreative Gemeinschaft von Mitwirkenden vor. Man kann definitiv eine Linie zwischen dem und den Ideen ziehen, die sich während meiner Arbeit mit VeryRecords und seinen Künstlern herausbildeten. Ich habe mich auch sehr von Vince inspirieren lassen, der nicht das Gefühl hatte, sich nur auf die Musik konzentrieren zu müssen, deren Veröffentlichung die Leute von ihm erwarten würden. Dieses Gefühl der Freiheit, das Daniel Miller auch bei Mute einbrachte, hat direkt zu dem geführt, was Mortality Tables geworden ist. Ich wollte etwas, bei dem ich mit Leuten arbeiten kann, die sowohl Klangkunst als auch Bilder machen. Es musste eine künstlerische Breite haben.
Ich wollte, dass Mortality Tables wie eine Galerie ist, mit einem Portfolio von Künstlern aus ganz unterschiedlichen Disziplinen. Deshalb hat Neil Coe das erste Coverbild so gestaltet, dass es wie die Beschreibung eines Kunstwerks an der Wand einer Galerie aussieht.
dm.de: Der Name vom Projekt bezieht sich auf die Arbeit der Versicherungsmathematiker, die die statistische Wahrscheinlichkeit der Auszahlung von Lebensversicherungen messen. Du machst so etwas in deinem alltäglichen Berufsleben, oder?
MS: Ja, das ist richtig. Ich arbeite mit Versicherungsgesellschaften in der ganzen Welt zusammen, und das schon seit über zwanzig Jahren. Ich finde viele Parallelen zwischen der Welt der Versicherungen und der Welt der elektronischen Musik und der Art von Menschen, mit denen ich in beiden Jobs zu tun habe.
Die Geschichte besagt, dass ich eines Morgens einen Freund in einem Café in Bloomsbury in London traf. Er betreibt ein Plattenlabel, das eine weitere wichtige Inspiration für Mortality Tables ist. Er möchte anonym bleiben, ist aber insofern aktiv beteiligt, als er alles genehmigen muss, was wir machen wollen. Ich nenne ihn den kreativen Berater.
Ich traf mich also mit ihm und er hatte eine LP von einer seiner Veröffentlichungen dabei, die er mir geben wollte. Er fragte mich, ob ich eine Tasche hätte, in die ich sie stecken könnte, und ich griff in meinen Rucksack und holte eine Tragetasche heraus. Sie stammte vom Institute and Faculty of Actuaries und war mir ein paar Jahre zuvor von einem Aktuar geschenkt worden. Der Creative Consultant sah die Tasche mit dem Logo und der lateinischen Aufschrift (‚e peritia ratio‘ – ‚Vernunft aus Erfahrung‘) und fragte, was das bedeute. Ich antwortete: „Das sind alles Sterbetafeln und so ein Scheiß“. Der Name blieb hängen.
An diesem Morgen erstellten wir unser erstes Sterbetafel-Produkt. Es heißt FORKTALK und ist ein Gespräch zwischen zwei Freunden. Wir veröffentlichen die Details unserer Gespräche nicht. Sein Eintrag im Katalog der Sterbetafeln lautet MTP0.
dm.de: Dave Clarkson, der überwiegend in elektronischer und experimenteller Musik tätig ist und Wonderful Beasts, ein Klangkunst/Elektronik-Musik-Duo, bestehend aus dem anonymen Xqui und Carl Knott (boycalledcrow, Spacelab) waren deine ersten Künstler, oder? Wie bist du mit denen in Kontakt gekommen?
MS: Die Veröffentlichung, die Mortality Tables von etwas Konzeptuellem zu etwas „Realem“ machte, war „Two Meditations For Freya“ von Goodparley (dessen Name sich inzwischen in Please Close Your Eyes geändert hat). Das war im Jahr 2022. Es signalisierte, was ich mit Mortality Tables erreichen wollte: Ich würde Ideen entwickeln und sie jemandem zur Beantwortung vorlegen.
Dieses Konzept ist in den ersten beiden Jahren von Mortality Tables beibehalten worden. Ich bringe eine Idee ein und wähle jemanden aus, der sich daran beteiligt. Bei der letzten Zählung waren es mindestens fünfzig Personen, die mit mir zusammengearbeitet haben. Und es geht nicht nur um Klangprojekte – Mortality Tables umfasst Klang, Kunst und Worte. Und eine Versicherung.
Aber alle kreativen Regeln sind dazu da, um gebrochen zu werden, und ich habe meine eigenen Regeln 2023 mit der Veröffentlichung von Dave Clarksons „Ghosts Of Christmas Past (Music From Vintage Toys)“ gebrochen. Ich hatte mit dem Konzept dieses Albums nichts zu tun, also ist das wohl ein bisschen so, wie wenn Mortality Tables sich wie ein traditionelles Plattenlabel verhalten würde, was eine Beschreibung ist, die ich nie verwenden möchte. Das Gleiche gilt für Andrew Brenza und Alkas „pod“ und boycalledcrows „Kullu“. Aber alle diese Veröffentlichungen gab es nur aufgrund einer früheren Zusammenarbeit, und so habe ich mich damit angefreundet, diese Projekte zu veröffentlichen. Ihr werdet in den nächsten Jahren noch ein paar solcher Projekte von Mortality Tables sehen.
Um deine Frage zu beantworten, wie ich Künstler finde: Das ist eigentlich ganz einfach. Jeder, der mit Mortality Tables zu tun hat, ist jemand, über dessen Musik ich bereits geschrieben habe. Wie ich einen Künstler für ein bestimmtes Projekt auswähle, hängt meist davon ab, ob ich eine Idee habe, die zu dem passt, was der Künstler normalerweise macht. Einige der schönsten Projekte sind jedoch jene, bei denen der Künstler weit außerhalb seiner üblichen Tätigkeit arbeitet.
dm.de: Nach Künstlern wie Andrew Spackman, Rupert Lally, Simon Fisher Turner und Veryan hast du vor zwei Jahren ein merkwürdiges und experimentelles Stück veröffentlicht, unter dem Titel „On Mortality, Immortality & Charles Ives“. Bei dem Stück handelt es sich um ein Spoken-Word-Stück, bei dem du das Manifest der Mortality Tables vorliest: „Im Leben ist unsere einzige wahre Gewissheit der Tod.“ Diese von Gareth Jones aufgenommene Erzählung wurde dann an Vince Clarke geschickt, der eine musikalische Antwort auf den Text aufnahm, die den Soundtrack zur Veröffentlichung bildet. Wie bist du auf diese, ein bisschen absurde Idee gekommen?
MS: Ich hatte ein Exemplar des Buches von Alex Danchev mit dem Titel „100 Artists‘ Manifestos – From The Futurists To The Stuckists“ (100 Künstlermanifeste – von den Futuristen bis zu den Stuckisten) in der schottischen Nationalgalerie für moderne Kunst im Jahr 2021 gekauft. Ich las die Manifeste von Gruppen wie den Surrealisten, Dadaisten und Situationisten wie Kurzgeschichten, und es war eine wirklich tiefgreifende Erfahrung. Nach der Veröffentlichung von „Two Meditations For Freya“ fragten mich die Leute, was es mit Mortality Tables auf sich hat, und so schien es mir ganz natürlich (und überhaupt nicht absurd), ein Manifest zu schreiben.
In erster Linie sollte es mir helfen zu verstehen, warum ich das tue, und dann beschloss ich, es auch allen anderen zu erklären. Daraufhin bat ich Gareth, meine Erzählung aufzunehmen. Gleichzeitig wandte ich mich an Vince und einen anonymen Klangkünstler namens venoztks, um begleitende Klangstücke zu erstellen.
Der Hörer kann selbst beurteilen, ob es ihm gelingt, zu erklären, worum es geht, oder nicht. Es erklärt jedoch, warum der Komponist und Versicherungsmathematiker Charles Ives für die Entwicklung der Mortality Tables so wichtig ist. Tatsächlich war das zweite Produkt der Sterbetafeln, das zur Verfügung gestellt wurde, eine Postkarte mit einer Abbildung von Ives vor einer Sterbetafel aus dem Jahr 1874, dem Geburtsjahr von Ives. Dieses Werk war eine Zusammenarbeit mit Savage Pencil, der viele der Blast-First-Hüllen illustriert hatte.
dm.de: Die am 16. Juni erschienene, auf 40 Kopien limitierte Kassette „The Engineer“ ist ein Wohltätigkeitsprojekt für die Alzheimer-Krankheit mit Vince Clarke, Penelope Trappes, Chris Illingworth, Barney Ashton-Bullock, Lara Jones, Simon Fisher Turner, Hattie Cooke, Gareth Jones, Veryan und anderen. Der Titelheld ist dein Vater, oder? Hast du deshalb den Vatertag als Veröffentlichungsdatum ausgewählt? Erzähle uns ein bisschen über dieses Projekt!
MS: Die Titelfigur, der Ingenieur, ist meinem Vater nachempfunden. Dieses Projekt liegt zehn Jahre zurück, wahrscheinlich sogar noch länger, lange bevor „Mortality Tables“ eine Idee war.
Ich schrieb eine Kurzgeschichte, in der ich versuchte, meine Gefühle über meinen Vater zu verarbeiten, als er sich dem Ruhestand näherte. Er lebte für die Arbeit, hatte keine Hobbys oder Freunde, und ich stellte mir vor, wie er mit dem Gedanken kämpfte, mit der Arbeit aufzuhören. Ich war wütend, als ich das Buch schrieb, aber ich hatte auch Angst um ihn. Es ist zwar Fiktion, aber sie ist in seiner Realität verwurzelt. Sein tatsächlicher Ruhestand unterschied sich sehr von dem, was in der Geschichte geschieht. Im Jahr 2018 wurde bei ihm Alzheimer diagnostiziert, und deshalb spenden wir alle Einnahmen von „The Engineer“ an die Alzheimer-Gesellschaft. Leider ist er kurz nach der Veröffentlichung von „The Engineer“ verstorben.
Als ich die Geschichte in meinem Blog veröffentlichte, bot mir ein Elektronikmusiker namens Laica (Dave Fleet) an, eine von der Geschichte inspirierte Musik zu komponieren. Er komponierte ein wunderschönes Stück, aber das Projekt wurde nie vollendet. Ein paar Jahre später hatte ich eine andere Idee, bei der jemand die Geschichte erzählte und ein Musikstück unterlegte. Auch diese Version kam nie zustande, aber mir gefiel die Idee, jemanden zu bitten, die Geschichte zu erzählen. Daraufhin habe ich Barney Ashton-Bullock gefragt, ob er es machen würde. Er hat eine brillante Sprechstimme, und sie war perfekt für diese Geschichte.
Es war Gareth Jones, der die Idee vorschlug, verschiedene Künstler auf verschiedene Abschnitte der Erzählung reagieren zu lassen. Er sagte, das sei ein bisschen wie das surrealistische Spiel „Exquisite Leiche“ („Cadavre Exquis“). Ich betrachte Gareth als meinen spirituellen Guru. Er hat eine Art, Ideen freizulegen und einen von Hindernissen zu befreien, die nur da sind, weil man sie selbst aufgestellt hat. „The Engineer“ würde in dieser Form nicht existieren, wenn Gareth nicht gewesen wäre.
Von da an ging es darum, die Mitarbeiter auszuwählen und sie zu bitten, auf einen bestimmten 30-sekündigen Abschnitt der Erzählung zu antworten. Niemand hat die ganze Geschichte gehört, und niemand hat darum gebeten, die ganze Geschichte zu hören. Die Reihenfolge, in der sich die Künstler bereit erklärten, Ja zu sagen, bestimmte, welchen Abschnitt sie bekamen. Die einzige Regel, die ich ihnen gab, war, dass ihre Tonantwort genau dreißig Sekunden dauern musste.
Es gibt zwei Ausgaben von „The Engineer“. Bei der einen handelt es sich um eine digitale Datei, die die Erzählung und die Klangreaktionen kombiniert. Die andere ist eine Kassette, die die Erzählung und die Antworten voneinander trennt. Das bedeutet, dass die einzige Möglichkeit, Vince Clarkes Antwort ohne Barneys Erzählung zu hören, die Kassette ist, die inzwischen ausverkauft ist.
dm.de: Barney Ashton-Bullock (der Schöpfer von Andy Bells „Torsten“-Projekten), Vince Clarke, aber auch Reed Hays, Alka und Gareth Jones kennen die meisten von unseren Lesern, aber wer sind die anderen Mitwirkenden?
MS: Auch hier handelt es sich bei allen Beteiligten um Personen, über die ich bereits geschrieben habe. Als ich die Liste der Mitwirkenden aufstellte, war es mir wichtig, eine gewisse Vielfalt zu erreichen. Viele der Künstler hier sind also elektronisch, aber es gibt auch Künstler, die alles von Pop bis Sound Art abdecken. Das war beabsichtigt.
Ich wollte auch eine Vielfalt an Texturen. Deshalb habe ich Charlotte Keeffe, Chris Illingworth von GoGo Penguin und Luce Mawdsley aufgenommen. Wenn man alle 29 Klangreaktionen zu einem einzigen Stück zusammenfügt, klingt es wie ein verdammtes Durcheinander. Als die Antworten über einen Zeitraum von 30 Monaten eintrafen, wurde mir klar, dass die ausufernde, chaotische Qualität der Alzheimer-Krankheit meines Vaters ähnelte – Ideen entstehen, werden schnell vergessen, bevor sie sich entwickeln, und werden dann durch etwas anderes ersetzt. Das war überhaupt nicht geplant, aber jetzt kann ich sehen, dass es eine unterbewusste Idee war, die von dem Moment an vorhanden gewesen sein muss, als Gareth vorschlug, viele Künstler einzubeziehen.
dm.de: Welche Pläne, Ideen kursieren derzeit in deinem Kopf? Wird das etwas Journalistisches sein, oder eine weitere Mortality Tables-Veröffentlichung?
MS: Ich schreibe immer, und im Moment habe ich ein paar große Sachen in Arbeit, darunter etwas für ein Label, für das ich schon ein paar Stücke gemacht habe.
Was Mortality Tables angeht, so werden nach der Veröffentlichung von „The Engineer“ alle Aktivitäten bis zum Sommer pausieren. Wir haben in etwas mehr als zwei Jahren eine große Anzahl von Produkten veröffentlicht, und ich brauche eine Pause. Später im Sommer werden wir mit Season 03 von LIFEFILES zurückkehren, einem fortlaufenden Projekt, bei dem Künstler auf meine wirklich einfachen Feldaufnahmen reagieren.
Außerdem werden wir eine Single von Please Close Your Eyes, ein Album von Andrew Spackman und die vollständige Version von Andrew Brenzas und Alkas „pod„-Kollaboration veröffentlichen. Ich habe an einem von mehreren Projekten gearbeitet, die von Charles Ives inspiriert sind: „Central Park: A Picture-In-Sounds„, das im Oktober als „Partitur„ zusammen mit einigen zusätzlichen Aufführungen des Stücks veröffentlicht wird. Wir werden mit der Arbeit an einem anderen groß angelegten Projekt namens „The Impermanence Project“ beginnen.
Andere Dinge werden geschehen. Andere Dinge werden nicht passieren.
Weitere Informationen zu den Veröffentlichungen von Mortality Tables findet ihr unter diesem Link:
Mortality Tables
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Ich möchte diesen Artikel mit einer persönlichen Botschaft von Mat Smith beenden, der die Leser und Musikhörer bittet, wenn möglich die Alzheimer-Stiftung zu unterstützen, die den Erlös der im Interview erwähnten Kassettenveröffentlichung erhalten hat. Ihr könnt eure Spende direkt an alzheimers.org.uk überweisen.