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Über neue Produzenten, enges Zusammenarbeiten und Zelda-Konzeptalben

Chvrches im Interview, Teil 1: „Es ist gut, sich ein bisschen aus seiner Komfortzone zu pushen.“

Gerade ist „Love Is Dead“, das dritte Album der Chvrches erschienen. Neue Tourdaten gibt es auch (06.11. Köln, Live Music Hall und 07.11. Berlin, Tempodrom, Vorverkauf ab dem 01.06.). Zeit für unser bereits drittes Interview mit den sympathischen Schotten, hier Teil 1:

depechemode.de: Glückwunsch, das dritte Album ist fertig! War es harte Arbeit oder gar ein zäher Kampf nach dem zweiten Album?

Martin Doherty: Es war harte Arbeit, aber kein Kampf. Es war sehr fruchtbar, wir fühlen uns, als hätten wir jeden Inch von dem, was wir machen, erkundet. Dabei sind viele, viele Songs entstanden, aus denen wir dann diese für das Album herausgesucht haben.

Was war der größte Unterschied zu den beiden Vorgängern?

Iain Cook: Die ersten beiden Alben haben wir ja im kleinen Studio in Glasgow aufgenommen, dieses Mal sind wir – aus verschiedenen Gründen – nach New York umgezogen. Einer der Hauptgründe war, dass wir dieses Mal mit verschiedenen Produzenten arbeiten wollten. Wir haben zwar immer noch ein paar Songs selbst produziert, wollten aber auch mal ein paar Kollaborationen ausprobieren.

Martin: Der Sound hat sich aber auch nicht zu stark verändert, es klingt immer noch sehr nach uns.

Wie kamt ihr zu der Entscheidung, externe Produzenten zu nutzen? Denn die letzten beiden Male, als wir uns getroffen haben, wart ihr noch der Überzeugung, keine zu benötigen.

Martin: Bräuchten wir eigentlich auch weiterhin nicht. Aber wir waren dieses Mal offen für die Perspektive, auch mal mit anderen Menschen zu arbeiten. Wir haben ein paar Leute ausprobiert, in den meisten Fällen hat es nicht funktioniert. Aber bei einem – Greg Kurstin – hat es sich fast so angefühlt, als ob er ein Bandmitglied wäre. Es fühlte sich so an, dass er uns in dem stärkt, was wir tun, dass er eine intensivere, fokussiertere Version von uns hervorbringt.

Iain: Außerdem ist sein Studio wie ein Traum von einem Synthie-Museum. Massen von wunderschönen, klassischen Synthesizern.

Also gab es auch im elektronischen Setup Veränderungen?

Martin: Ja. Der Aufnahmeprozess dauerte ja lange. Wir haben musikalisch und kreativ so viele Dinge ausprobiert – und dort war alles jederzeit bereit. Er hatte außerdem auch wirklich tolle, verschiedene Drumkits und ein Klavier im Studio, alles Dinge, die wir früher nicht greifbar hatten. Wenn wir da z.B. die Idee hatten, ein Klavier zu verwenden, mussten wir uns erst ein Studio dafür suchen, das die Möglichkeit bot. Und hier war alles innerhalb von zehn Sekunden bereit. So wurden die Livedrums letztlich ein entscheidender Teil der Albumaufnahmen.

Euer eigenes Alucard Studio habt ihr also dieses Mal nicht genutzt? Habt ihr es überhaupt noch?

Lauren Mayberry: Ja, es ist noch da. Wir haben gesagt, lasst uns das mal in New York ausprobieren, wenn es nicht klappt, können wir immer noch zu Hause in Glasgow aufnehmen. Aber es war spannend, das zu nehmen, was wir haben und es wachsen zu lassen. Um nicht wieder die gleiche Platte zu machen, sondern ein paar Sachen anders anzugehen. Es ist gut, sich ein bisschen aus seiner Komfortzone zu pushen. Man muss ja nicht gleich seine ganze Identität aussondern. Na ja, und bei uns im Studio war es auch recht eng und dunkel [grinst].

Iain: Wir haben letztlich die Alucard Studios nach New York umgesiedelt.

Wir haben bisher jedes Mal über das Thema Balance gesprochen, zwischen euren poppigen, leichten Sounds und den mitunter recht dunklen Inhalten. Ich denke, der Kontrast ist dieses Mal sogar noch größer geworden.

Martin: Das sehe ich auch so. Und das ist auch absichtlich so. Wir wollten dieses Mal die Kanten von beiden Seiten der Band schärfen. Sehr eindeutig sein. Wenn wir auf dem einen Weg sind, dann voll und ganz in diese Richtung. Und wenn wir auf dem anderen sind, ebenso. Wir haben uns das Recht erarbeitet, dass unsere beiden Seiten koexistieren können. Das ist unser ambitioniertester Versuch bisher, und ich bin vollauf zufrieden damit.

Ich mochte immer schon diese Art Konflikt, das ist etwas, an dem ich mich bei Musik besonders erfreue. Etwas, was Bands wie Depeche Mode oder The Cure so gut hinbekommen.

Lauren: Es fühlt sich an wie ein Destillat aus allem, was wir tun. Ich mochte immer schon diese Art Konflikt, das ist etwas, an dem ich mich bei Musik besonders erfreue. Etwas, was Bands wie Depeche Mode oder The Cure so gut hinbekommen. Diese unglaublich melodischen Momente, die die Songs antreiben – und gleichzeitig diese schrägen, ungewöhnlichen, makabren Details im Hintergrund. Das mag ich, im Leben ist es ja auch nicht nur hell oder dunkel, gut oder böse.

Denkt ihr manchmal darüber nach, wie viele der Hörer sich wohl für die Texte interessieren?

Martin: Ich denke, es ist nicht sehr hilfreich, beim Musikmachen schon über die Hörer nachzudenken. Erstmal macht man die Musik für sich selbst. Und die, denen die Musik dann gefällt, folgen einem. Die anderen können halt etwas Anderes hören.

Lauren: Unterschiedliche Menschen hören auf unterschiedliche Bestandteile der Musik. Ich zum Beispiel habe schon immer auf die Texte geachtet. Vielleicht, weil ich dazu am unmittelbarsten eine Verbindung herstellen konnte. Und dann natürlich erst recht, nachdem ich selbst mit dem Schreiben von Songs angefangen hatte. Vieles von der Musik, die ich höre, ist sehr poetisch und lyrisch. Aber andere Leute werden eben von der Melodie zuerst gepackt. Man sollte all diese Teile so gut hinbekommen, wie man kann. Ich hatte nicht unbedingt gedacht, dass unsere Musik von der Art ist, wo auf die Texte geachtet wird, aber mittlerweile habe ich mitbekommen, dass sich viele doch damit beschäftigen.

Ihr bekommt also die Reaktionen der Fans auf die Themen, die ihr in den Songs ansprecht, mit?

Lauren: Wenn Songs für mehrere Personen die gleiche Bedeutung haben, ist das auch die Stärke guter Texte. Wenn man eine Welt kreiert, in der die Leute sich verlieren können. Ich denke, inhaltlich ist dieses Album etwas mehr politisch engagiert. Obwohl es für mich immer noch eine sehr persönliche Platte ist, in der es darum geht, wie ich Dinge verstehe und verarbeite, mit Konflikten und auch Frustration umgehe. Ich bin gespannt, wie die Reaktionen auf dieses Album ausfallen. Ich habe versucht relativ direkt zu sein, ehrlich zu beschreiben, was ich sehe. Aber andererseits auch Bilder zu benutzen, um die Story effektiver zu erzählen. Es ist manchmal ein spaßiges Puzzle, unterschiedliche Wörter für die gleiche Sache auszuprobieren und zu sehen, wie der verschiedene Klang wirkt.

Der Song „Graves“ ist der vielleicht politischste Song auf dem Album. Ich musste dabei an ein Einstein-Zitat denken: „Die Welt wird nicht bedroht von den Menschen, die böse sind, sondern von denen, die das Böse zulassen.“

[alle nicken betroffen]
Lauren: Ja, da kommt wohl eine Menge der Frustration [in den Texten, Anm. d. Red.] der Platte her. Wenn man dasitzt, überall diese Lieblosigkeit sieht und liest und grübelt, was man unternehmen soll. Ich war früher idealistischer, als ich es jetzt bin. Ich weiß nicht, ob das an der Welt liegt oder ob man da einfach herauswächst… Aber auch wenn einiges an der Platte deprimierend klingen mag, ist da auch eine Menge Hoffnung drin. Mit dem Albumtitel ist es so, dass wir damit Gespräche und Diskussionen auslösen wollen. Über diesen Titel haben wir sicherlich mehr gesprochen als über die anderen zuvor [die Männer nicken].

Ich habe gelesen, dass ihr dieses Mal alles zusammen gemacht habt und bei den Aufnahmen immer zusammen wart. Gab es dadurch mehr Diskussionen, sowohl über die Musik, als auch über die Texte?

Martin: Ja, da war dieses Mal von Anfang an mehr Zusammenarbeit. Was gut und positiv ist. Wir haben auf dem zweiten Album damit experimentiert, mehr getrennt zu arbeiten – auch um produktiver oder schneller zu sein. Wir wollten da eben auch das Momentum des ersten Albums nutzen, schnell dem Druck des zweiten Albums entgehen. Das hatte auch etwas für sich, aber dieses Mal hatten wir es uns verdient, das Tempo herunterzufahren und zurückzukommen zu der ursprünglichen Energie und Freude, von Anfang an zusammen an etwas zu arbeiten.

Iain: Letztendlich haben wir dann auch nicht wirklich langsamer gearbeitet, es kamen nur in der gleichen Zeit dreimal so viele Songs heraus [lacht]. Wir hatten so eine bessere Chance, die wirklichen Momente einzufangen.

Martin: Es ist auch so: Wenn du heute einen Song schreibst und dein Album hat ein Veröffentlichungsdatum in fünf Monaten, kommst du irgendwann zu einem Punkt, wo du an dem Stück Musik nicht mehr herumbasteln oder -experimentieren kannst. Wenn man aber ein Album über ein ganzes Jahr hinweg aufnimmt, kann ich heute einen Song schreiben, und der kann sich im Verlauf von neun Monaten komplett verändern. Denn ich habe mit diesem Stück dann neun Monate gelebt, es von allen Seiten und in allen Varianten gehört, über jeden Aspekt theoretisiert. Diese Menge an Raum, Zeit und Perspektive habe ich als sehr wertvoll empfunden. Denn in der Vergangenheit waren wir uns gegenüber oft gnadenlos. Was auch gut ist, aufgrund der Energie, keiner konnte uns stoppen. Aber dann kommt der Punkt, wo man sagt: Das ist Album Drei, wir sind es uns und allen Beteiligten schuldig, dass wir jeden Knopf, jede Straße in Ruhe ausprobieren.

Also wart ihr letztlich ungezwungener?

Martin: Ja, wir waren so eng zusammen wie nie, aber mit sehr gesunden Kommunikationswegen.

Lauren: Ja, wir hatten eine Airbnb-Wohnung um die Ecke vom Studio, wo wir mit Greg gearbeitet haben. Ich habe sehr schöne Erinnerungen daran, wie ich nach der Studioarbeit des Tages die Straße entlang spazieren konnte, während ihr Jungs Videospiele gespielt habt. Aber die Türden standen jederzeit offen, und man konnte immer mit einer Idee hereingesprungen kommen und fragen: Wie wäre es damit?

Iain: Das war unglaublich fruchtbar.

Lauren: Eigentlich ist es ein Wunder, dass ich am Ende nicht Texte über „Destiny“ oder „Final Fantasy“ geschrieben habe. Oder ein Konzeptalbum über „Zelda“. [alle lachen]

Über die Begegnung und Arbeit mit Dave Stewart und noch vieles mehr könnt ihr in Kürze in Teil 2 unseres Interviews lesen.

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Über die Begegnung und Arbeit mit Dave Stewart und noch vieles mehr könnt ihr in Kürze in Teil 2 unseres Interviews lesen.

www.chvrch.es
www.facebook.com/CHVRCHES

Thomas Bästlein

Thomas Bästlein schreibt (früher unter dem Spitznamen Addison) seit Anfang 2007 für depechemode.de. Hauptberuflich arbeitet er im öffentlichen Dienst. Du kannst Thomas online bei Facebook treffen.

3 Kommentare

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  1. klasse interview, klasse album, klasse band.

    vor allem wonderland ist der hammer.

    live hatten sie leider am sonntag pech. die einzige regenstunde erwischt und das direkt vor liam gallagher, auf den alle anderen gewartet hatten. naja, beim nächsten mal werden die umstände besser.

  2. Tolles Album

    Das Album klingt wirklich gut und es sind tolle Songs darauf. Es klingt mir aber teilweise (gerade Miracle) extrem nach Hurts. Trotzdem tolles Album.

  3. klasse interview, freue mich schon auf die fortsetzung!

Kommentare sind geschlossen.

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