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Röyksopp im Interview: „Ideen müssen nichts kosten. Ideen sind frei.“

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Zwei Teile „Profound Mysteries“ haben uns in diesem Jahr schon begeistert. Da konnten wir uns die Gelegenheit doch nicht entgehen lassen, Svein Berge und Torbjørn Brundtland persönlich dazu zu befragen.

Der Interviewer bedankt sich zunächst für die Möglichkeit, Oslo zu besuchen (hier könnt ihr den Bericht nachlesen), um die Präsentation des ersten Teils der Alben mit den kunstvollen Videos der Bacon-Group sowie die Señores Röyksopp bei der DJ-Arbeit zu erleben. Die beiden fanden den Abend im Frühjahr auch sehr schön, auch sehr speziell. Doch nun, nachdem die Videobildschirme aller Zoom-Teilnehmer eingerichtet sind, zu den Fachfragen. Dabei gibt Svein gern die ausführlichen Antworten, während Torbjørn eher mit der Aura eines Zenmeisters zuhört und nur gelegentlich etwas einwirft.

depechemode.de: Wann habt ihr angefangen, dieses ganze Ding zu planen, das jetzt die „Profound Mysteries“ darstellt?

Svein Berge: Die Idee, mehr als „nur“ ein Album zu machen, stammt tatsächlich schon ungefähr von 2009, rund um „Junior“ und „Senior“, als wir darüber sprachen, ein Doppelalbum aufzunehmen. Wir hatten da aber noch nicht den Mut und entschieden uns dazu, es aufzuteilen.

Torbjørn Brundtland: Man empfahl uns damals, das [Doppelalbum, Anm. d. Red.] nicht so zu machen. Leute von der sogenannten „Industrie“.

Wir wollten dieses erweiterte Universum erschaffen, das wir „Profound Mysteries“ nennen.

Svein Berge

Svein: Aber so, wie wir es dann aufgeteilt haben, hat es sich künstlerisch ausgezahlt. Doch daher stammt die Idee, (mindestens) ein Doppelalbum aufzunehmen. Und die hat dann so vor sich hin geköchelt. Es ist sehr zeitraubend, diese Menge an Musik zu machen. Für uns müssen alle Tracks zusammenpassen. Es soll sich nicht wie eine Sammlung von Tracks anfühlen, sondern wie eine umfassende Erfahrung. Das kostet Zeit, wenn man so wählerisch ist wie wir. Wir wollten dieses erweiterte Universum erschaffen, das wir „Profound Mysteries“ nennen, mit den erwähnten Videos, den begleitenden Artefakten und Visualisierungen.

Torbjørn: Es fühlt sich an, als wäre das alles schon lange ein Teil von uns, diese „Larger-Than-Life“-Doppelalbum-Sache. Die konkrete Idee entstand vor ein paar Jahren, eine Weile vor der Pandemie.

Habt ihr von Anfang an diese begleitenden Videos, Artworks, Artefakte etc. vorgehabt?

Torbjørn: Ja, wir wollten eine starke visuelle Präsenz. Wir wollten nicht, dass sich alles auf ein paar Fokustracks konzentriert, für die man ein Musikvideo dreht. Wir wollten zeigen, dass da keine Füller drauf sind, dass kein Stück für uns mehr wert ist als andere. Es sollte alles Teil eines Ganzen sein und eine Art visueller Sprache entwickeln. Wir haben vielleicht sogar den Begriff „Worldbuilding“ verwendet.

Svein: Es ist auch eine gemeinsame Entscheidung, die daraus resultiert, wie wir in der Vergangenheit Alben aufgenommen haben. Wir denken, dass wir nie Füller gemacht haben, dieses „drei Singles und dann noch ein bisschen anderes Zeug dazu“. Wir haben unsere Tracks immer gleichwertig behandelt. Das ist von bestimmten Leuten aber nicht so aufgefasst worden. Jetzt wollten wir das klar herausstellen: Wir machen keine Singles! Klar haben manche Stücke einen größeren kommerzielleren Anschein, aber sie sind für uns als Künstler genauso viel wert wie ein Sieben-Minuten-Instrumental.

Es ist toll, für jeden Track einen kurzen (manchmal sehr kurzen) Film zu sehen und sich daraus seine eigenen Gedanken zur Bedeutung zu bilden. Das sind ja sehr unterschiedliche Filme – habt ihr denn immer die Idee des jeweiligen Regisseurs verstanden?

Dann liegt es an dir und deiner Vorstellungskraft, es in einen Zusammenhang zu bringen und eine Bedeutung für dich zu finden.

Svein Berge

Svein: Nein [lacht]! Das hat uns auch besonderen Spaß bei dem Projekt gemacht. Es ist mehr eine Herausforderung. Wenn wir dir einen Instrumentaltrack vorspielen, zum Beispiel „There, Beyond The Trees“, dann hast du als Hörer erst mal nicht viel mehr als den Titel. Dann liegt es an dir und deiner Vorstellungskraft, es in einen Zusammenhang zu bringen und eine Bedeutung für dich zu finden. Wir mögen diese Idee. Das ist es, was „Profound Mysteries“ ausmacht. Das Mysterium, das Rätsel. Für das Bacon-Projekt haben wir ein paar dogmatische Regeln für die Regisseure aufgestellt: Ihr könnt machen, was ihr wollt, ihr habt alle das gleiche Budget, es muss mehr als 20 Sekunden lang sein, es muss einen Teil des Tracks enthalten (welchen, ist euch überlassen), und es kommen selbstverständlich keine rassistischen oder irgendwie anders gearteten Verunglimpfungen vor. Das war alles. Was herauskam, war sehr interessant, auch für uns – und sehr lohnenswert. Einige der Filmemacher haben versucht, etwas [mit ihrem Film] zu provozieren, andere haben eher versucht, das Gefühl zu verstärken, was sie schon in der Musik gespürt haben.

Seid ihr mit allen Ergebnissen glücklich? Wurden manche Filme mehr diskutiert als andere?

Svein: Ich bin sehr glücklich damit. Bei den Budgets, die wir hatten – nicht, dass wir jetzt Geizhälse wären – lagen die Ergebnisse weit über meinen Erwartungen. Ich bin besonders glücklich mit denen, die eher eine großartige Idee haben als einen hohen Produktionswert. Zum Beispiel mag ich den Film zu „Unity“ sehr, den mit dem Performer auf der Straße.

Ah, der fallende Mann.

Svein: Genau. Das hatte ich so vorher noch nicht gesehen. Als ich das zum ersten Mal mit dem Track dazu gesehen habe, dachte ich: Was?! Aber das ergibt alles Sinn zusammen.

Torbjørn: Es ist schön, über Bacon zu sprechen und darüber, wie viel man mit einem begrenzten Budget erreichen kann. Wenn ich so philosophisch werden darf: Ideen müssen nichts kosten. Das sollte man im Gedächtnis behalten, wenn das Leben mal schwer ist. Ideen sind frei.

Svein: Es geht auch viel um Inhalt versus Form. Der alte Witz: Wenn du „Waterworld“ mit Kevin Costner drehst, aber keine gute Story hast, wird es schrecklich. Es mag viel kosten und beeindruckend aussehen, mit Helikoptershots über dem Wasser, aber es ist nur Müll. Um nochmal auf mein Beispiel „Unity“ zurückzukommen: Das mag nicht die ganz hohen Produktionswerte haben, aber es hat mit Sicherheit eine gute Idee. Ich möchte noch ergänzen: Ich mag auch „Let’s Get It Right“ sehr. Das ist gut für meinen Kopf.

Ich konnte den Mann mit dem Jo-Jo nicht aus dem Kopf bekommen, aus dem Film zu „Impossible“. An dem Abend mit eurem Event konnte man den Screen mit diesem Film die ganze Zeit von der Tanzfläche aus sehen.

Torbjørn: Das ist natürlich Sisyphos.

Svein: Genau. Ich bin überglücklich darüber, wie gut all diese Filmemacher sind und was sie abgeliefert haben. Wir sind jedem von ihnen sehr dankbar.

Ihr habt über die Grundregeln für die Filme gesprochen. Gab oder gibt es Anweisungen für die verschiedenen Vokalisten eurer Songs?

Torbjørn: Manchmal. Wir haben keine feste Arbeitsweise. Es hängt alles mit der Gesamtidee von Kreativität zusammen. Wir machen es uns nicht einfach, haben da keinen Prozess, dem wir folgen. Sondern wir lassen die Interaktion laufen. Manchmal haben wir viele Anweisungen, manchmal gar nicht. [lacht]

Svein: Wir brauchen eine Übereinkunft, dass wir das zusammen machen. Sehr oft schreiben wir den Text und die Melodie, aber da gibt es meistens Teile, bei denen Optionen bestehen, wo wir [die Interpreten] fragen: In welche Richtung soll es gehen, was denkt ihr? Oft haben wir eine bestimmte Idee, wie etwas ausgedrückt werden soll. Manchmal wissen wir einfach, dass der Performende es in die oder die Richtung bringen wird und wir uns zurücklehnen und es bei einer Zigarre genießen können. [lacht]

Ihr habt Performer, mit denen ihr schon gearbeitet habt. An erster Stelle natürlich Susanne Sundfør. Ihr kennt euch ja schon einige Jahre. Ich bin seit „The Brothel“ ein großer Fan von ihr und war sehr froh, dass sie gleich mehrfach auf euren neuen Alben vertreten ist. Wie war es, wieder mit ihr zu arbeiten, und habt ihr sie und ihre markante Stimme manchmal schon vorher beim Songwriting im Hinterkopf?

Svein: Ja und ja und ja, denke ich. Sie ist schon beim Schreiben in unseren Köpfen, denn sie hat dieses … Ich denke, es ist seltsam, dass sie nicht schon viel größer ist.

Das sage ich auch seit Jahren.

Svein: Jeder der sie schon mal live gesehen hat, weiß, sie ist live genauso gut wie auf Platte. Sie ist einer dieser Menschen, die ohne jede Vorbereitung loslegen und abliefern können. Wenn wir also bestimmte Songs schreiben, kommt Susanne ab und zu vorbei. Wir versuchen, sie an Stellen zu packen, wo man sie nicht erwarten würde. Gleichzeitig nutzen wir aber auch das Level an Melancholie und Verzweiflung in ihrer Stimme. Sie hat da diese Glaubwürdigkeit in ihrer Stimme, so dass ich ihr glaube, dass sie Schmerzen leidet. Wir lieben Susanne einfach als Künstlerin und als Mensch.

Wie kamt ihr zu Alison Goldfrapp?

Svein: Das ist eine etwas andere Geschichte. Wir haben sie ein- oder zweimal kurz getroffen, 2001 oder so. Aber als wir jetzt wieder mit ihr gesprochen haben, stellten wir fest, dass es da so über die Jahre eine Art beiderseitige Anerkennung gab. Und nun bot sich die Gelegenheit, etwas zusammen zu machen. Und Junge, hat sie abgeliefert! Sie ist so eine großartige und lustige Person. Das war fast einfach für uns, mit lauter so talentierten Leuten zu arbeiten. Mit Alison ist es so, dass sie alles dafür tut, um einen Song so gut wie möglich hinzubekommen. Keine Abkürzungen, kein „Das reicht schon so“. Wir denken genauso, das passte sehr gut. Das war einer dieser Momente, wo man jemanden kennenlernt und derjenige sich als genauso herausstellt, wie man es sich erhofft hat.

Es gibt auch Songs, auf denen du, Svein, ein bisschen singst. „Let’s Get It Right“ kann man sogar als Duett bezeichnen, mit Astrid S.

Svein: [lacht] Ja, das kann man. Wir haben immer mal wieder gesungen. Und wir wollten den Song als Duett haben. Wir nutzen meine Stimme da als so eine Art Setup für das, was kommt. Das ist ein Trick aus dem Hip-Hop. Busta Rhymes hatte immer eine Art Sidekick, Spliff Star hieß er. Der rappte die erste Strophe, und wenn dann Busta Rhymes in der zweiten Strophe dazukam, klang der so richtig gut. Das ist bei uns nicht ganz dasselbe, aber so ähnlich. Ich bin der Durchschnittstyp, der die Stimmung setzt, und dann kommt Astrid dazu und hebt die Stimmung an.

Das erste der neuen Alben – das rote – ist stärker elektronisch gehalten, das zweite – das gelbe – hat mehr akustische Instrumente wie Drums, Streicher, Wurlitzer usw. Habt ihr die Songs auch danach aufgeteilt?

Svein: Sie wurden mit dieser Idee arrangiert, ja. Wir wollten, dass der erste Teil sich um unsere Rückkehr dreht, eine allmähliche Rückkehr. Der erste Teil ist introspektiver, mehr die Erfahrung für eine Person unter Kopfhörern. Wogegen das Gelbe, das Zweite, mehr Präsenz hat, offener ist. Die Instrumentierung ist einladender.

Torbjørn: Wie die alte Redewendung sagt: Du kannst kein Wurlitzer mit nur einer Person spielen. [lacht]

Svein: Eine alte Weisheit der amerikanischen Ureinwohner. [grinst]

Wenn man sich das Artwork, die Booklets und eure Homepage mit Aufmerksamkeit ansieht – da muss noch ein grünes Album kommen, oder? [zum Zeitpunkt des Interviews war das noch nicht bekannt]

Torbjørn: Es scheint so. [grinst]

Svein: Ich kann es weder bestätigen noch dementieren [grinst noch mehr]. Es würde seltsam aussehen, wenn da nicht noch irgendetwas käme.

Torbjørn: Es war ein Designfehler [lacht]. Nun müssen wir schnell zurück ins Studio.

Letzte Frage: Ich habe gehört, dass für nächstes Jahr vielleicht auch Konzerte außerhalb Norwegens anstehen?

Svein: Das hoffen wir. Die Welt ist in einem seltsamen Zustand, aber wir wollen das wirklich gerne.

Vielen Dank für das Gespräch!

PS: Und hier noch eine kleine Vorschau auf Teil 3 der „Profound Mysteries“:

„Röyksopp – Profound Mysteries II“ bestellen:

profoundmysteries.royksopp.com

www.facebook.com/Royksopp

Thomas Bästlein

Thomas Bästlein schreibt (früher unter dem Spitznamen Addison) seit Anfang 2007 für depechemode.de. Hauptberuflich arbeitet er im öffentlichen Dienst. Du kannst Thomas online bei Facebook treffen.

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