Ja gut, das Sommerloch. Das gibt’s irgendwie fast immer, auch so musikveröffentlichungstechnisch. Im Juli kam ganz wenig raus, in der zweiten Augusthälfte zog es dann merklich an. Wir fassen mal zusammen. Mit Desperate Journalist, Julien Bracht, Freindz, Billie Eilish, Ider, Stigma, Deafheaven, Chvrches, Drangsal und Halsey.
Wir steigen ausnahmsweise mal mit Gitarrenmusik ein. Doch Post-Punk hat ja auch unter unseren Lesern einige Anhänger. Und den setzen die Vier von Desperate Journalist auch auf ihrem vierten Album äußerst gekonnt um – und packen eine gehörige Portion Dream Pop dazu. Die Londoner lassen auf „Maximum Sorrow!“ natürlich nicht nur die Gitarren kreisen, die Band um Sängerin Jo Bevan hat auch ein klares Gespür für eingängige Melodien. Da können einem schon namhafte „The“-Bands (Cure, Smiths …) in den Sinn kommen. Und Siouxsie And The Banshees (dank Jos Stimme).
Wer aufmerksam unsere Seiten liest, dem ist der Name Julien Bracht vielleicht schon einmal aufgefallen. Das ist doch der eine von … richtig, Lea Porcelain. Nun haben die im selben Jahr ihr zweites Album veröffentlicht, Julien war aber damit offensichtlich nicht ausgelastet. Darum hat er gleich noch eine Soloplatte aufgenommen. Auf „Now Forever One“ lässt er seiner elektronische(re)n Seite freien Lauf. Die (größtenteils) instrumentalen Tracks unterstreichen sein Händchen für den Aufbau von Atmosphäre, nur eben hier in technoider Form, egal, ob die Tracks entspannt dahinfließen oder doch den Clubbanger in sich führen.
Man fragt sich ja mittlerweile fast am Anfang eines jeden Jahres, mit welchem neuen Projekt Aydo Abay wohl dieses Mal um die Ecke kommen wird. 2021 gab es gleich drei davon. Mit Beatsteaks-Drummer Thomas Götz und Songwriter/Produzent Matthias Sänger hat er als Freindz ein beschwingtes Album aufgenommen. Diese „High Times In Babylon“ verbreiten mit ihrem Indie-Rock/Pop, mit flotten Gitarren, krautigen Synthies, markantem Drumming, Orgeln, Klavier, Bläsern und Streichern bei leicht psychedelischer Schräglage gute Laune.
Billie Eilish, derzeit wohl größter Popstar der Welt, ist vor ein paar Tagen gerade mal 20 geworden. Das sollte man nicht vergessen. „Happier Than Ever“, Album Nummer Zwo, ist also immer noch die Platte eines Teenagers. Und damit in ihrer Tiefe und Vielseitigkeit verblüffend bis (streckenweise) großartig. Auch wenn das Debüt bei weitem nicht erreicht wird, dafür sind unter den 16 Tracks dann doch ein paar mittelmäßige zu viel. Aber die guten Stücke wie „Oxytocin“, „I Didn’t Change My Number“, „Billie Bossa Nova“ oder „NDA“ sind dafür Weltklasse.
Das zweite Album von Megan Markwick und Lily Somerville, die sich IDER nennen, wird hier und da als ihr Berlin-Album bezeichnet. Auch wenn solche Städtebeschreibungen bei Musik mitunter seltsam klingen. Vielleicht ist es diese lässige Scheißegaligkeit in den Stimmen der beiden Engländerinnen. Das und die cool abgehangenen Beats in Verbindung mit schlauen Texten machen „Shame“ jedenfalls zu einem echten Hörvergnügen. Allerdings einem viel zu kurzen.
Apropos kurz. Dass Kristian Jabs sein erstes Album unter dem Namen Stigma „Too Long“ genannt hat, ist auch nicht auf die Menge an Musik zurückzuführen. Ganze sieben Tracks hat das – die sind allerdings oft recht lang, wodurch man doch bei über 39 Minuten landet. Zu lang sind sie aber keineswegs, denn die düstere Stimmung, die der mal instrumentale, mal mit Gaststimmen verstärkte Trip Hop aufbaut, braucht diesen allmählichen Songaufbau. So lange Massive Attack dermaßen spärlich neue Musik veröffentlichen, trösten Platten wie diese. Etwas.
Nachdem die Herren von Deafheaven mit ihrem Black Metal Himmel und Hölle taub gespielt haben, wechseln sie für „Infinite Granite“ fast komplett das Genre. George Clarke singt gefühlvoll und meist eher sanft, Gitarren und Schlagzeug lärmen nicht, sondern folgen den, huch, Melodien – und Synthies gibt’s noch obendrauf. Das ist schon noch (Post-)Rock an vielen Stellen und vor allem in hinteren Teilen der gerne epischen Songs, aber eben ohrenschmeichelnd statt trommelfellzerstörend.
Was es zu „Screen Violence“, dem starken vierten Album der Chvrches, zu sagen gab, könnt ihr hier nachlesen. Kleine Ergänzung: Im Herbst erschien das Album noch einmal als „Director’s Cut“ mit drei zusätzlichen Songs. Ein ausführliches Interview mit Lauren Mayberry gibt es in Kürze bei uns.
Apropos ausführliche Gespräche: Ein ebensolches haben wir traditionell auch mit Max Gruber geführt (ebenfalls in Bälde bei uns nachlesbar). Dort erzählt er (u. v. a.), ob er mittlerweile eine „Exit Strategy“ für seine Drangsal gefunden hat. Auf seinem dritten Album zieht er jedenfalls seinen längst unverkennbaren und einzigartigen Stil konsequent durch. Brillant getextet, ohne Schmerzgrenzen durchkomponiert und auf eine gnadenlose Eingängigkeit hinproduziert. Diese Art von Musik geht hoffentlich nie kaputt. Hut ab vor solchen Künstlern!
Game Of Thrones meets Mutterschaft. Und das sind nur die Assoziationen nach Betrachten des Plattencovers. Dazu einer der besten Albumtitel des Jahres: „If I Can’t Have Love, I Want Power“. Faszinierend, und dabei haben wir noch gar nicht über die Musik an sich gesprochen. Die beeindruckt nämlich auch. Ashley Frangipane bzw. Halsey hat sich von Trent Reznor und Atticus Ross einen saftigen Sound für ihr viertes und bislang bestes (und grammy-nominiertes) Album produzieren lassen, auf dem sie zeitgemäße – und erfolgreiche – Popmusik in der intelligenten Version abliefert.
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