Von Patrick Friedland und Martina Meyer
Drei Jahre Wartezeit fanden endlich ein Ende: Exakt 1098 Tage mussten die rund 12.500 Besucherinnen und Besucher auf das 16. Amphi Festival am Kölner Tanzbrunnen warten, dem großen bösen C sei Dank. Schon mal vorab: Das Warten hat sich gelohnt.
Kleinere Ärgernisse wie verlängerte Wartezeiten an den Getränkeständen lächelten eigentlich alle weg. Zu groß war die Freude, endlich wieder in unmittelbarer Nähe zum Rheinufer gemeinsam feiern zu können.
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Schon am Freitagabend gab es zwei wunderbare Möglichkeiten, sich perfekt auf ein dunkelbuntes Wochenende einzustimmen. Diorama betörten auf dem „Ship of Rebels“ mit gewohnt harmonischen Klängen, beim offiziellen Amphi-Eröffnungsevent, dem „Call The Ship To Port“, sorgten hingegen S.P.O.C.K, Welle:Erdball und nicht zuletzt die Tribute-Band Forced To Mode für beste Stimmung. Letztere bedienten Gelegenheitshörer mit einigen der größten Hits von Depeche Mode, aber auch Die-Hard-Fans mit Raritäten wie „Get The Balance Right“ oder „Any Second Now“. (PF)
Den frühen Startschuss um 11 Uhr am Samstag zum eigentlichen Festival setzten Chemical Sweet Kid vor schon recht ordentlich gefülltem Gelände an der Hauptbühne. Im weitesten Sinne lassen sich die drei Franzosen wohl unter „Industrial Rock/Dark Rock“ klassifizieren, gerade den immer zahlreicheren Fans von Lord Of The Lost dürfte der energetische Sound des Trios aus Metz gefallen. Ein paar Showelemente wie eine Dampfpistole gab es auch noch, lediglich beim abschließenden Twisted-Sister-Cover „We’re Not Gonna Take It“ verhob sich Frontmann Julien Kidam doch ordentlich. Es passt eben nicht jede Stimmlage zu jedem Song, den guten Gesamteindruck schmälerte der Abschluss aber nur ein wenig. (PF)
Es folgten Nachtblut aus Osnabrück. Deutschsprachiger Dark Metal, stimmlich irgendwo zwischen Till Lindemann und Auswurf, lyrisch irgendwo zwischen Blutengel und Neuer Deutscher Todeskunst. Herz, Schmerz, Seele, Tod …eben die gewohnten Themen mit den gewohnten gefühlt 20 immer gleichen Vokabeln. Da passte das abschließende Prinzen-Cover „Alles nur geklaut“ fast schon zu gut ins Bild. Absolute Geschmackssache, zumindest den Fans in den vorderen Reihen hat es aber gefallen. Gleiches bei Stahlmann, wenngleich sich langsam, aber sicher der überdachte Bereich unter den „Pilzen“ vor der Mainstage zunehmend füllte. Pure Neue Deutsche Härte, halt mit dem einen oder anderen mitreißenden Club-Hit wie „Schwarz“ oder „Süchtig“, originell ist aber anders. (PF)
Dann wurde es Zeit für einen ersten Abstecher ins Theater. Alienare, die Elektroniker mit Vorliebe für die Farbe neongrün, erspielten sich sicherlich neue Fans. Wer Acts wie Faderhead mag, wird mit den treibenden Beats und dicken Basslines sicher einiges anfangen können. Gewissen Humor bewies Sänger T. Green ebenfalls. Als das Publikum bei „Move“ mit seinem unterdurchschnittlich komplexen Ein-Wort-Refrain nicht laut genug einstieg, kam der süffisante Kommentar: „Einige haben noch ein bisschen Schwierigkeiten mit dem Text im Refrain. Deswegen wiederhole ich ihn nochmal!“ Machte Laune, gerne wieder. Vor dem Theater bewegten sich die Menschen mittlerweile zunehmend dorthin, wo Schatten war. Wenngleich das Thermometer im Vergleich zum Sonntag „nur“ 27 Grad zeigte, wurde die direkte Sonneneinstrahlung immer stärker – und das hat der Goth meist ja so gar nicht gerne. (PF)
Im Schatten konnte man dann auch den äußerst praktischen Amphi-Beutel leeren, den ich zuvor an einer der Trinkwasser-Stationen aufgefüllt hatte. Nur kurz an dieser Stelle, da ich wirklich sehr häufig danach gefragt wurde: Es gab es die Beutel in begrenzter Stückzahl kostenlos an Eingang und Merch-Stand. Mit dem Löschwasser im Gepäck wurde es natürlich alles, nur nicht ruhig, als Letzte Instanz dann pünktlich die Bühne betraten. Wasser oder Bier trinken? Oder doch lieber die Feuer entzünden? Diese Fragen stellten sich für die Violin-Rocker erst gar nicht. Kurzerhand die Texte auf das feiernde Publikum abgestimmt, lief das Bier, gemeinsam mit dem Schwitzwasser der eingeheizten, tanzenden und singenden Masse, die sich unter dem Sternwellenzelt eingefunden hatte, in Strömen. Bisher nicht so richtig in meinem Beuteschema enthalten, möchte ich dennoch festhalten, dass ich hier in den Genuss einer großartigen Live-Performance gekommen bin. Um es mit einem Songtitel zu sagen: Ehrenwort. (MM)
Nach der obligatorischen Umbaupause ging es auf der Hauptbühne mit Solar Fake weiter. Aus persönlichen Gründen fehlte leider Keyboarder André Feller, der jedoch würdig von Aesthetic-Perfection-Mann Elliott Berlin vertreten wurde. Der Rest war, ich sage es mal so, original Solar Fake, allen voran Frontmann Sven Friedrich, der die zahlreich erschienenen Synth-Pop-Anhänger*innen schmunzelnd „zum Amphi 2020“ begrüßte. Trotz der beiden entfallenen Festival-Jahre positiv gestimmt, nutzte er die Gelegenheit zur Live-Präsentation von „This Pretty Life” vom 2021er-Album „Enjoy Dystopia“, und machte damit alles richtig. Es gibt eben nichts daran auszusetzen, wenn das Publikum durchweg singt, tanzt und eine ausgiebige Party feiert. Die Stimmung war einfach toll und auch das wundervolle Paradoxon, geboten durch den kleinen Text-Hänger bei „Under Control”, sorgte für jede Menge Spaß bei allen Beteiligten. Ein rundum gelungenes Konzert, das sich zum einstündigen Sonnentanz anbot. Trotz Sonnenbrille kaum die Künstler erblinzelt, keimt der Wunsch, solch eine Party noch einmal in einer Halle zu erleben. Hierzu bietet sich förmlich das E-Tropolis Festival an, das am 24. September 2022 in Oberhausen stattfinden wird – da sind Solar Fake mit dabei (MM).
Viele hätten zeitgleich gerne auch die Show von Empathy Test verfolgt. Doch wie ein bekannter ehemaliger Fußballprofi schon einmal sagte: Wäre, wäre, Fahrradkette – oder so ähnlich. Es kam zum ersten Einlassstopp des Wochenendes. Und da zu diesem Zeitpunkt selbst akkreditierten Pressevertretern seitens der Security kein Einlass gewährt wurde (was später geändert wurde), ging es für mich in Richtung Schiff. Wegen der nahezu komplett ausgebliebenen Regenfälle in den Vorwochen war der Wasserstand so niedrig, dass die MS RheinEnergie, Heimat der Orbit Stage, am anderen Rheinufer anlegen musste. So ging es mit dem Shuttlebus rüber, die Fahrt würde zumindest der Fahrer sicher gerne vergessen. In einer schmalen Straße kollidierte unser Bus vorne rechts mit einem Baustellengerüst – nach einem lauten, scheppernden Geräusch war der Außenspiegel Geschichte. Das erlebt man auf einem Festival wahrlich nicht alle Tage. (PF)
Doch genug der Nebenschauplätze, schließlich soll es hier um Musik gehen. Durch die für viele zu weite Entfernung zu den anderen Bühnen am Tanzbrunnen war es leider sehr leer, als The Foreign Resort die Bühne enterten. Mit dem wunderschönen „Dead End Roads“ ging es los, die Dark Wave und Postpunk verschmelzenden Dänen um Sänger Mikkel B. Jakobsen ließen weitere tolle Songs ihrer Alben „New Frontiers“ und „Outnumbered“ folgen. „She Is Lost“, „Flushed“, „Landslide“ – alles Hits. Für Schmunzeln sorgte das schlohweiße Shirt des Frontmanns mit der passenden Aufschrift „Goth on vacation“, er selbst kommunizierte in überraschend gutem Deutsch mit den rund 200 Fans, die jedes Stück verdientermaßen abfeierten. Am Ende wurden, wie man es von Auftritten The Foreign Resorts kennt, die Effektgeräte aufgedreht – wer keine Ohrenstöpsel trug, hätte sich spätestens nach dem lärmigen „Dark White“ welche herbeigewünscht. (PF)
Immerhin etwas voller wurde vor dem nachfolgenden Auftritt der Tribute-Band Joy Division Undercover. Optisch hat das Quintett mit den Postpunk-Pionieren aus Manchester nichts zu tun, in Sachen Klang kann man aber einfach nicht näher ran kommen. Stimmlich wie instrumental war es eine Offenbarung, was die Niederländer hier boten. Sänger Erny Green gab zudem sein Bestes, auch die Gesten und Bewegungen Ian Curtis‘ originalgetreu zu imitieren – eine äußerst schwierige Aufgabe, bedenkt man, was den viel zu früh verstorbenen Frontmann zwischen 1978 und 1980 zu eben jenen Gesten und Bewegungen zwang. Gespielt wurde eine runde Mischung aus Songs der zwei Kult-Alben „Unknown Pleasures“ und „Closer“ sowie der Compilation „Still“. Etwas verrückt: Beim abschließenden „Transmission“ sprang ein nur noch mit Schuhen und einem kurzen Latexrock bekleideter Mann aus dem Publikum auf die Bühne – die Band ließ sich davon aber nicht ablenken, die Security verrichtete ihren Job und im Publikum wurde sowieso getanzt, getanzt, getanzt – „to the radio“. Im November spielt das Quintett Konzerte in Hamburg und Oberhausen, allen Fans von Joy Division kann ich einen Besuch wärmstens ans Herz legen. (PF)
Zurück zur Mainstage, es war nun schon kurz vor 18 Uhr: Praller Sonnenschein und immer noch 27°C. Eigentlich Zeit für eine Pause, doch wollte ich Mesh und Mono Inc. auf keinen Fall verpassen. Wie praktisch also, dass auf der Met-Insel im Brunnen noch ein schattiges Plätzchen frei war. Dass man hier Abstriche beim Ausblick machen müsste, war klar, doch was war da mit dem Sound los? Mesh laut zu hören, ist ein Vergnügen. Leise, nun, kann man machen. Doch das leider eintretende Sound-Wirrwarr aus forte und piano war ganz schön nervig. Schade, dass selbst das Club-Highlight „Born To Lie” dadurch zur Nebensache wurde. Andererseits verschafften mir die widrigen Umstände etwas Zeit, ein wenig mit tollen Menschen zu plaudern. Auch schön. Weiterhin, bei köstlichem Wikingerblut zu Gast auf der Insel, luden dann Mono Inc. zum Lauschen ein. Mit eingepegeltem Sound und dem Opener „Louder Than Hell” begann die multifunktionale Festlichkeit. Mit dem Cover von „Hallelujah” ging es zwischenzeitlich doch recht gefühlig zu, während die Dark-Rock-Interpretation von „Passenger” im Anschluss wiederum zum Abfeiern animierte. Eine Glanznummer des Abends benötigte jedoch keinerlei Gesangseinlage von Martin Engler oder Katha Mia. Gemeinsam mit Carl Fornia wirbelten sie zum Soundtrack von „Das Boot“ mit den Sticks über die Trommeln und sorgten für eine begeisterte schwarze Traube, die sich über den Platz ausbreitete. Mit der Nummer brachte die Band selbst den „Wanderverkehr” kurzzeitig zum Erliegen, denn auch Nicht-Mono-Fans verschoben den Shopping-Rundgang gern um ein paar Minuten, um zu schauen, was denn dort auf der Bühne passierte. (MM)
Deutlich elektronischer ging es auf der zweiten Bühne zu. Frozen Plasma zogen nicht nur ihren mit den Jahren gewachsenen Fanstamm an, sondern sicherlich auch schon einige Fans von The Birthday Massacre, die aus Angst vor einem späteren Einlassstopp den Weg ins Theater antraten. Beim Auftritt von Vasi Vallis und Felix Marc ging es emotional los. Zu Beginn rührte das gelb-blaue Friedenszeichen bei „Warmongers“ und Felix rief ein lautstarkes „Peace, Love and Unity“ in die Menge. Am Ende war mit dem Dreierpack, bestehend aus dem Trans-X-Cover „Living On Video“, „Murderous Trap“ und „Tanz die Revolution“ aber nur noch ausflippen angesagt und die Stimmung kochte insbesondere im vorderen Drittel des bestens gefüllten Theaters. (PF)
Nach Mono Inc. hieß es hurtig sein, hatte ich doch bereits im Vorfeld beschlossen, unbedingt zur Orbit Stage zu laufen, wo She Past Away sicherlich nicht auf meine Ankunft warten würden. Im Nachhinein war das, unter dem Zeitdruck, der Verlegung des Liegeplatzes und der Wärme, vielleicht nicht die allerbeste Idee. Gemeinsam mit einem Freund und Kollegen wurde die Wanderung zur MS Rheinenergie dennoch ein angenehmes Unterfangen, konnte man sich doch ein wenig austauschen und ein frisches Lüftchen genießen. Pünktlich auf die Minute angekommen, war es tatsächlich auch ganz fein, dass es sich bei dem türkischen Dark-Wave-Duo nicht gerade um zwei Rampensäue handelt. So ging es bei Sänger und Gitarrist Volkan Caner und Doruk Öztürkcan am Keyboard eher etwas gediegener zu, sodass mein schlechtes Gewissen, sich nach Erwerb eines kühlen Softdrinks der Performance sitzend zu erfreuen, nicht ganz so groß war. Souverän lieferten die beiden ihre Vielzahl an Club-Hits ab und bewiesen einmal mehr, ihr musikalisches Potential auch auf großen Bühnen darbieten zu können. Doch von spannungsvollem Abriss, von dem man nur schwerlich sein Auge nehmen kann, ist hier nicht unbedingt zu sprechen. Trotz Klimaanlage schweißgebadet, ging es vor dem Fußmarsch zum kostenlosen Messeparkplatz und der anschließenden Heimfahrt noch einmal zu den Toiletten, die übrigens auf dem Schiff und dem gesamten Festivalgelände nach mädchenmoderater Wartezeit einen sauberen und guten Gesamteindruck hinterließen. Aber jetzt: Ab dafür, Energie für Tag zwei sammeln. (MM)
Im Theater stieg derweil die Vorfreude ins Unermessliche. Endlich war es wieder so weit. Die Band mit dem ultimativen Wiedererkennungswert in Sachen Artworks (lila-schwarz ist einfach eine herrlich stilvolle Kombi) und der sicherlich niedlichsten Sängerin der Szene stand endlich wieder auf einer nordrhein-westfälischen Bühne. Fünf Jahre nach ihrer letzten Tour in unseren Breitengraden machten sich The Birthday Massacre auf den weiten Weg von Toronto nach Kontinentaleuropa. Leider dauerte es noch ein wenig länger als geplant, technische Probleme sorgten für eine Verzögerung von knapp 20 Minuten. Dann aber kam das Sextett auf die Bühne. Und wie fett war bitte dieser Sound? So lieblich TBM meist auf Platte klingen, das hier war einfach nur brutal. Dicke, peitschende Drums, Gitarren so schnittig wie Kettensägen und flächige Synthies kreierten eine mächtige Industrial-Rock-Wand. Mittendrin: Sara „Chibi“ Taylor mit ihrer Mischung aus glockenklarem Engelsgesang und vereinzelten Growls. Immer wieder suchte und fand sie den Blickkontakt mit einzelnen Fans, warf ihnen Luftküsse zu, formte Herzchen mit ihren Händen, streckte die Zunge raus und hatte einen Mordsspaß. Das Publikum ebenfalls, neuere Songs wie „Stars And Satellites“ oder „Fascination“, der Titelsong der aktuellen LP, trafen auf Klassiker wie „Red Stars“ oder „Blue“, eine gut ausgewogene Setlist. Zum Glück konnte auch ein wenig überzogen werden, um die durch den verspäteten Beginn verlorene Zeit wieder rauszuholen. Das Problem nur: Um 22.10 Uhr war es trotzdem vorbei. Und man fragte sich nach diesem großartigen und lautstark bejubelten Auftritt einmal mehr, warum diese Band, die in Deutschland so innig geliebt wird, so selten hier tourt. (PF)
War sonst noch was? Ach ja, es gab da ja noch einen Mainstage-Headliner. Ronan Harris tat Ronan-Harris-Dinge, feuerte ein typisches VNV-Nation-Partyset ab, maulte Fans an, die es wagten, die Show mit ihrem Handy zu filmen und interagierte wie schon beim letzten Amphi-Auftritt 2017 mit einem Fan, der mit einem Einhorn-Steckenpferd rumalberte. Ein kleines nettes Déja-Vu. In Sachen Setlist gab es nichts Besonderes zu vermelden, wer eine der unzähligen Shows von VNV seit dem Erscheinen der „Noire“-LP im Oktober 2018 verfolgte, konnte ahnen, was ihn/sie erwartet. Ronan Harris ist eben eine feste Szene-Größe, der weiß, wie er ein Festivalpublikum zum Tanzen bringt – und war deswegen einmal mehr eine gute Wahl als Headliner. Dann hieß es aber endgültig, den Heimweg anzutreten. Schließlich erwartete uns noch ein interessanter langer zweiter Tag. Wer wollte, konnte noch bis 4 Uhr in der Früh zu verschiedenen DJs tanzen – wir allerdings zogen es vor, am Sonntag ausgeschlafen um 11 wieder am Tanzbrunnen einzukehren. (PF)