Nachdem im vergangen Jahr ein Vierteljahrhundert Wave Gotik Treffen gefeiert wurde, stand in diesem Jahr irgendwie eine Art Bandflaute an. Es schien als wären die wirklichen Highlights 2016 auf den Bühnen der Stadt vertreten gewesen und in diesem Jahr eine Art Fragezeichen über der Bandliste. Keine Frage, Skinny Puppy als Headliner auftreten zu lassen, ist ein riesiges Plus, sieht man die Kanadier doch viel zu selten und auch ein Peter Heppner weiß zu gefallen – aber die wirklichen Perlen vermisste man 2017. Das schlug sich auch in der allgemeinen Meinung der Besucher wieder, es herrschte ein breites „Ja, irgendwie fehlt was“, was nicht heißen soll, dass es ein gähnend langweiliges Festival gewesen wäre. Spaß ist, was man selbst draus macht und alle Bands kann man sich sowieso nicht angucken.
Donnerstag, 01. Juni 2017
Neben Lesungen, dem Viktorianischen und dem Steampunk Picknick, ganz vielen spannenden Führungen und freiem Eintritt in Leipzigs Museen, gab es in diesem Jahr eine ganz witzige Aktion im Rahmen der am Donnerstag stattfindenden Eröffnungsveranstaltung in der Moritzbastei. Aber dazu später mehr. Nach staufreier, aber baustellengeplagter Anreise in den Osten, hieß es „Beeilung bitte“, denn Christian von Aster und auch Lucy van Org wollten in der Moritzbastei eine Lesung halten. Beim Wollen blieb es nicht und so konnte bei einem kühlen Getränk unter anderem der Geschichte von der Mitternachtshüpfburg gelauscht werden. Wirklich nervig war die unglückliche Locationwahl: Mehrere Türen und die Desorientierung vieler WGT-Gäste führten an jenem Abend dazu, dass man sich während der Lesungen wie auf dem städtischen Hauptbahnhof fühlte. Das sollte im kommenden Jahr überdacht und verbessert werden, sonst wird man weder den Autoren noch dem Zuhörgenuss gerecht.
Frisch belesen ging es dann rüber in die Veranstaltungstonne, wo Daniel Myer, Boris May und Co. alias Electro Allstars die Anwesenden mit ihrem Konzept überzeugen wollten. Jeder der Künstler bot dabei einen oder mehrere seiner Lieblingssongs dar. Erinnerte ein bisschen an „Sing meinen Song“, machte aber definitiv mehr Laune als VOX zu gucken und sollte dringend im nächsten Jahr fortgeführt werden. Persönliche Highlights waren ein Dan van Hoyel (Harmjoy) mit „Sunglasses“, der eine creepy Performance ablieferte und ein Adrian Hates, der wie kein anderer „Sweet Dreams“ sang. Auf „Never Let Me Down Again“, das von allen gemeinsam gesungen wurde und alle inkludiert an dieser Stelle neben oben bereits genannten auch Dennis Schober und Dirk Ivens, hätte wohl verzichtet werden können wie auf alle Depeche Mode-Cover von Electro-Bands, ist an dieser Stelle und aufgrund der aktuellen Tour von Dave Gahan und Co. wohl zu verzeihen.
Im Anschluss ging es für uns noch eine Runde auf die Karl-Liebknecht-Straße, Leipzigs Barstraße Nummer Eins, um mit Freunden noch ein paar Drinks zu schlürfen. Für viele andere wird der Abend wohl mit der sich an die Electro Allstars anschließenden Party geendet sein, was für den Eröffnungsabend auch nicht der schlechteste Plan gewesen ist.
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Freitag, 02. Juni 2017
Ausschlafen an Pfingsten ist möglich? Für manche sicherlich schon, für uns eher nicht und so machten wir uns in den Mittagsstunden auf ins Haus Leipzig, um noch einmal Herrn von Aster zuzuhören. Da wir etwas außerhalb einen Schlafplatz bei einer lieben Freundin gefunden hatten und das Straßenbauamt so ziemlich alle Wege von ihr aus in die WGT-Stadt gesperrt hatte, wurden aus 12 Kilometern schnell eine Art Weltreise. Wie auch immer eine derartige Blockade möglich sein kann, wirklich durchdacht war sie nicht, genauso wenig wie die Umleitungen für Ortsunkundige, die irgendwo im Nichts im Stadtteil Stötteritz aufhören. Baustellen während des WGT kennt man ja schon, aber das war in all den Jahren wirklich eine logistische Meisterleistung im Minusbereich.
Rechtzeitiges Erscheinen sichert die besten Plätze oder wie war das nochmal? Jedenfalls ist im Haus Leipzig ob der Parkplatzsituation rechtzeitiges Erscheinen anzuraten. Langsam füllten sich alle Plätze der Location mit Litaraturinteressierten. Dass der Saal bis auf wenige Plätze gefüllt war, konnte auch Herr von Aster im Nachgespräch kaum glauben und blieb wie immer bescheiden, indem er kommentierte „Ich dachte, dass vielleicht nach mit jemand sehr spannendes liest und nicht, dass alle wegen mir da sind“. Falsch gedacht, denn in Anschluss an dessen Lesung leerte sich das Haus Leipzig erst einmal. Ging es am Vortag noch um die Mitternachtshüpfburg bei der grumpy Gruftis nächtlich im Geheimen ihren Spaß suchten, stand am Freitag das Tagebuch einer Elfe auf dem literarischen Speiseplan. Und die hatte so einiges über das Pärchen, dass sie beobachtete zu erzählen.
Eine meiner Lieblingslocations ist die Sixtina, in der es nicht nur hervorragenden Absinth zu trinken gibt, sondern auch eine kuschelige Atmosphäre. Schade ist, dass seit zwei Jahren die Konzerte nicht mehr im Innenhof stattfinden, sondern auf den Innenraum verlegt wurden. Dort ist es zwar gruftig düster und perfekt, um sich zu einem abendlichen Umtrunk zu treffen, eine brilliante Konzertlocation wird die Sixtina aber nie werden. Der Sound hat sich im Vergleich zum Vorjahr verbessert, die Boxen knirschten nicht mehr so, aber an der Bühnenausleuchtung muss noch gearbeitet werden. Genug der Kritik, Versus aus Dresden haben ihren Job nämlich wirklich gut gemacht. Mit zwei hübschen Wodka Ahoi verteilenden Damen im Gepäck und jede Menge von Krischan Wesenberg (Rotersand) produzierten neuen Songs aus dem kürzlich erschienenen Album „Freakwaves“ im Gepäck sorgte das Trio (an diesem Abend nur als Duo vertreten) für ordentlich gute Laune. Über einen André Steinigen, der sich von einer hübschen Rothaarigen auf der Bühne im Prunkstuhl sitzend die Schuhe ausziehen lässt, lässt sich streiten und ich glaube, da müssen noch einmal Gespräche über das Thema „Geschmack“ geführt werden, ansonsten der bisher beste Auftritt, den ich von Versus gesehen habe. Lag wohl aber auch am Statement gegen Homophobie in „Love 2 Go“. Da hätte ich mir noch einen Nils Upahl (Beyond Obsession) gewünscht, der den Song mit den Dresdnern performt, war anscheinend organisatorisch nicht möglich, da Beyond Obsession am gleichen Tag in er Moritzbastei spielen durften.
Und da sind wir auch gleich beim Thema: Beyond Obsession in der Moritzbastei. Perfekt gewählte Location für das Trio um Nils Upahl. Mit ihrem neuen Bandmitglied Eladi Ferrer im Gepäck und ordentlich Nebel starteten die Synthpopper in den Konzertabend. Sonnenscheinchen Nils trug leicht verschmierte schwarze Schminke und Glitzer im Gesicht und hat sich in den letzten anderthalb Jahren wirklich zu einer Rampensau entwickelt. Ich habe vor Jahren mal geschrieben, dass er schüchtern und verloren auf der Bühne wirkt – jetzt ist davon nichts mehr übrig und der blonde Sänger hat seine Zuschauer nicht nur bei „Tokyo Underground“ im Griff. Das scheint auch Keyboarder André Wylar bemerkt zu haben, denn mehrfach sah man ihn breit aus seiner Instrumentenecke grinsen. Ob das jetzt am Publikum, an der Freude über seinen Sänger oder wegen der Tatsache war, dass die Band auf dem Wave Gotik Treffen spielen durfte, kann an dieser Stelle nur gemutmaßt werden. Weniger Nebel wäre durchaus wünschenswert gewesen, aber das ist Kritik auf hohem Niveau. Bis zum letzten Platz war die Veranstaltungstonne gefüllt und niemand hat es bereut an diesem Abend Beyond Obsession zu lauschen. So geht frischer Wind im Synthpopbereich!
Kaum aus der Moritzbastei raus, stellten wir fest, dass es das Sommerwetter immer noch wirklich gut mit uns meinte. Brütend warm empfing uns die Außenwelt im Innenhof der Bastei. Also schnell ab ins Auto und ins Alte Stadtbad fahren. Schwimmen kann man dort zwar auch nicht und das nächstgelegene Gewässer war auch überfüllt aufgrund des Stadtfestes, das auch am Augustusplatz tagte, aber Kite sollten dort spielen und die machen bekanntlicherweise so gute Laune, dass man seine Umwelt gern um sich herum vergisst. Ein brechend volles Stadtbad empfing uns und gefühlt drei Mal so heiß wie draußen war es im Publikumsbereich. Die Schweden gaben alles, aber auch kühl blaues Licht, die gewohnten Laser und die wundervolle Stimme Nicklas Stenemo trugen nicht zur Abkühlung oder Ablenkung von der Hitze bei. Da half nur die Flucht auf die Toiletten und kaltes Wasser über die Arme laufen lassen, um im Anschluss von etwas weiter hinten weiter zu lauschen. Nach der Hälfte des Konzertes mussten wir dann aber trotzdem gehen, sonst wäre mindestens einer von unserer Runde dem Kreislaufkollaps erlegen. Bevor es dann zu Amanda Palmer in die Agra ging gönnten wir uns noch ein Eis aus der gegenüberliegenden Tankstelle. Motivationseis sozusagen.
Eine kurze Autoreise zur Agra, dem Security-Menschen freundlich nicken und auf dem Parkplatz das Auto abstellen – und ab zu Amanda Palmer und Edward Ka-Spel. Das Aushängeschild der Dresden Dolls und der Mann von den Legendary Pink Dots zogen überraschender Weise weniger Publikum als angenommen und so blieb die Agra halb leer. Für mich kein Grund zur Traurigkeit, blieb doch so genügend Platz um sich zum ersten Mal an diesem Tag zu setzen und die Beine auszustrecken. Frau Palmer hatte mit technischen Problemen ihres Pianos zu kämpfen, weshalb sich der Auftritt eine unendlich lange Weile nach hinten zog. Gut für die Fotografen, konnten sie doch so in Ruhe Bilder machen. Als es dann endlich los ging, waren die Anwesenden schon deutlich ihren Müdigkeitserscheinungen unterlegen. Die schwerfällige bis depressive Musik von Palmer und Ka-Spel führte auch nicht zu spontanen Tanzanfällen bei den Gästen. Hier und da bewegte sich jemand im Takt der Musik, das war aber auch das höchste der Gefühle. Vermutlich lag die Energielosigkeit auch ein wenig daran, dass vor allem Songs der Dresden Dolls und Co. erwartet wurden, statt Songs aus dem gemeinsamen Album „I Can Spin A Rainbow“, von dem wohl die wenigsten zu wissen schienen.
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