Wenn der Kopf einer groรen Pop- oder Rockband seine Autobiographie verรถffentlicht, dann hat das in der Regel einen der folgenden Grรผnde: Entweder sind die kommerziell erfolgreichen Jahre vorbei und das Bankkonto muss gefรผllt werden, es wird schmutzige Wรคsche mit den Bandkollegen, dem Management, der Ex-Partnerin oder sonst wem gewaschen, das Rentenalter steht unmittelbar bevor und man zieht Bilanz oder man hat einfach was zu erzรคhlen aus der Welt von Sex, Drugs and Rock’n’Roll.
Letzteres ist bei der nun vorliegenden Autobiographie Bernard Sumners („New Order, Joy Division und ich“, Hannibal Verlag, 336 Seiten) definitiv gegeben. Ok, schlieรen wir den ersten Begriff einmal aus. Sumner wird abgesehen von der ausfรผhrlichen Schilderung seiner Kindheit nicht sonderlich privat. Seine Ehe und die zwei daraus entsprungenen Kinder werden nur am Rande erwรคhnt. Dafรผr bekommt der geneigte Leser die volle Breitseite des Lebensgefรผhls im rauen Norden Englands, der ausklingenden Punk-รra, der Geburt der elektronischen Tanzmusik und von ein paar Jungs, die einfach nur Musik machen wollten, nie ans groรe Geld dachten und unbeabsichtigt Popgeschichte schreiben, geliefert.
Bernard Sumner scheint es ehrlich zu meinen mit seinen Lesern. Der Arbeiterklassen-Kindheit im grauen Manchester kann er trotz des schwierigen Umfelds, des fehlenden Vaters und einer schweren Erkrankung der Mutter viel Positives abgewinnen. Zur Musik findet er erst in spรคteren Teenagerjahren. Als sich dann schicksalshaft durch eine Annonce am Schwarzen Brett eines Plattenladens Ian Curtis und wenig spรคter das Label Factory Records mit Barney und seinen Kumpels finden, ist Joy Division geboren. Man ist sehr nah dran am Innenleben der Band und doch so weit weg von den Problemen, die Frontmann Ian Curtis belasteten und schlieรlich in den Freitod getrieben haben. Die Grรผnde sind Sumner jetzt, Jahrzehnte spรคter, wohl klar. Damals hat er die Dramatik offenbar nicht erkannt.
Das Ende von Joy Division ist der Beginn von New Order. Fรผr die verbliebenen Bandmitglieder stand ein Aufhรถren nie zur Debatte. Mehr zufรคllig und widerwillig wurde Bernard Sumner zum Frontmann und Sรคnger. Der kommerzielle Erfolg der neu sortierten Combo sollte den der Ursprungsband noch deutlich in den Schatten stellen. Die Entwicklung des Synthesizers, die aufkommende Dance-Music mit dem Entstehen von Acid House direkt vor der Haustรผr in Groรbritannien beeinflussten den Stil von New Order maรgeblich.
Blauรคugig und naiv ist Bernard Sumner schon immer gewesen. Trotz ausverkaufter Welttourneen, Alben und Singles in den Charts รผberall auf dem Globus, sind die Mitglieder von New Order nie reich geworden. Das Geld floss in ein Fass ohne Boden: den Hacienda-Club in Manchester. Einer der wohl legendรคrsten Mega-Clubs des Landes, der รผber mehrere Stockwerke mehr als 1.500 Leute fassen konnte, hรคtte fast den finanziellen Ruin der Betreiber, nรคmlich die einzelnen Bandmitglieder und Labelchefs, bedeutet. Gekรผmmert hat es Sumner und seine Kumpels wenig. Man war schlieรlich irgendwo auf der Welt auf Tour und hat jeden Abend nach den Shows bis zum frรผhen Morgen durchgefeiert. Das muss wahrlich exzessiv gewesen sein. Barney stand auf der Grenze zum Alkoholiker oder hatte diese bereits รผberschritten.
Das Aus fรผr Hacienda, der groรe Krach mit Bassist Peter Hook, die musikalischen Nebenprojekte wie Electronic mit Johnny Marr und Bad Lieutenant und die Wiederentdeckung der Liebe zu New Order nehmen das letzte Drittel des wirklich lesenswerten Buches ein.
Auch wenn die deutsche รbersetzung oftmals arg rumpelig und gestelzt wirkt und es eine Schlussredaktion angesichts der vielen Buchstabendreher und Grammatikfehler nicht gegeben zu haben scheint, ist dieses Buch nicht nur fรผr alle Fans von Joy Division und New Order eine Pflichtlektรผre, sondern auch fรผr alle Freunde der elektronischen Musik im Allgemeinen, die die Geschichte nicht nur aus Dรผsseldorf und Detroit, sondern eben auch aus Manchester aus erster Hand erzรคhlt bekommen wollen.
Bestellen bei Amazon:
New Order, Joy Divison und ich
Als Kindle-Version:
New Order, Joy Division und ich: Die Autobiografie
ich hoffe, in der deutschen รbersetzung heiรt es nicht auch stรคndig joy devision.
das buch ist aber – zumindest im englischen original echt lesenswert. die geschichte von joy division hat man inzwischen zwar schon bis zum erbrechen oft gelesen, gesehen und gehรถrt. danach wird es aber richtig spannend! new order sind ja in weiten teilen sehr unerforscht. รผber peter hook zieht er erst sehr spรคt und relativ kurz her, das hatte ich nach dem streit sehr viel schlimmer befรผrchtet. warten wir nun auf das neue album und hoffentlich auf eine ausgedehnte europa-tour.