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Holygram im Interview: „Wir haben keine Angst davor, einen Popsong zu schreiben.“

Sie haben eines der besten Debütalben des letzten Jahres (bei uns Album des Monats November) aufgenommen, sie waren mit OMD und VNV Nation unterwegs, und sie gehen in den nächsten Tagen auf Headliner-Tour (die Daten findet ihr unten) – Grund für ein Gespräch mit den Jungs von Holygram:

Berlin, Columbiahalle. Holygram supporten heute VNV Nation. Es ging (aus Gründen, für die die Band nichts kann) ein wenig drunter und drüber im Vorlauf, aber dann klappt es doch noch mit einem Gespräch mit Sänger Patrick Blümel (dem sich zwischenzeitlich noch Gitarrist Marius Lansing und Bassist Bennett Reimann anschließen). Eine sehr reflektierte Band, die Ruhe für ein Interview keine Dreiviertelstunde vor ihrem Auftritt hat – Hut ab!

depechemode.de: Ihr macht ja eine recht post-punkige Musik. Mit allem, was da noch so hineinspielt, 80er, New Wave, Kraut, Shoegaze – wie kommt man dazu als, ich sage mal, Newcomer?

Patrick Blümel: Wir haben nicht gesagt: Wir gründen jetzt eine Band, die Post-Punk, Shoegaze, New Wave und Kraut macht. Das war nicht die Prämisse, sondern wir waren fünf Musiker, die Bock hatten, etwas Neues zu machen, das nicht unbedingt vergleichbar mit dem ist, was wir alle vorher gemacht haben. Aber natürlich haben wir alle das mitgebracht, was wir vorher gemacht haben. Der Schlagzeuger hat vorher in einer Psych-Band gespielt, steht auf Krautrock und hat halt dieses motorische Spielen an den Drums mitgebracht. Daraus hat sich irgendwie der Sound entwickelt. Und an einem gewissen Punkt muss man leider heutzutage für sich entscheiden: Wie wollen wir es labeln, damit man irgendwie Leute erreichen kann, die das vielleicht gut finden? Da haben wir gesagt, okay, was passt am besten zu uns? Und haben dann diese vier Begriffe gewählt: Post-Punk, Wave, Krautrock und Shoegaze. Um die Bandbreite irgendwie auch abzudecken, die wir haben. Uns nicht nur auf einen Bereich festzulegen, der uns sicherlich nicht repräsentieren würde.

Was sind für euch diese „Modern Cults“, die den Albumtitel ausmachen?

Patrick: Wir haben mit der EP schon angefangen, uns mit dem Thema Großstadt auseinanderzusetzen. Was ist eigentlich die Welt, in der wir leben? Wir kommen ja teilweise aus dem Psychedelic-Bereich, dort beschäftigt man sich häufig mit eher amerikanischen Themen. Die Wüste, die Eindrücke, die da auf einen wirken. Wir haben uns gefragt, was könnte ein Thema sein, eine Welt, die uns umgibt, die wir authentisch rüberbringen können? Das war die Großstadt, in der wir leben – in dem Fall Köln. Die Frage ist: Was treibt Menschen in die Städte? Was suchen sie möglicherweise in den Städten? „Modern Cults“ ist unser Versuch, da eine Antwort zu geben. Welche Erwartungen hat man, wenn man irgendwohin kommt? Berlin ist ja das beste Beispiel. Berlin hat so viele Menschen aus der ganzen Welt angezogen und tut das auch immer noch, hat Erwartungen in all diesen Menschen geschürt. Und die Menschen haben sich dann diesen „Kulten“ angeschlossen. Ob das jetzt ein musikalischer Kult ist – ich komme irgendwohin, kenne da niemanden, das Erste, was ich mache, ist vielleicht, in einen Club zu gehen. Da schließe ich mich einer Gruppe von Menschen an, die das Gleiche gut finden, was ich gut finde. Das war so die Idee dahinter.

Marius Lansing: Man versucht, Verbindungen zu schaffen. Das macht halt häufig auch die Musik. Wenn man den gleichen Musikgeschmack hat oder auf die gleiche Technoparty geht.

Patrick: Um die Einsamkeit zu überwinden. Dieser Moment, du bist in einer Riesenstadt, in der Millionen Menschen leben, aber du bist erstmal alleine.

Marius: Manchmal sucht man ja auch diese Einsamkeit. Da macht Patrick mit den Texten den Spagat – wieviel Einsamkeit braucht man, muss man sich nehmen? Aber wann wird das vielleicht auch negativ? Generell geht es viel um Kommunikation. Die findet in der ganzen Gesellschaft statt, aber genauso auch mit dem Partner. Da geht es auch darum, wie viel Platz brauche ich jetzt für mich und wie viel Platz finde ich in der Gesellschaft?

Ein großes Thema ist ja auch die Entfremdung.

Was ist, wenn ich nicht mehr diese Orte habe, an denen ich mich verstecken kann vor dem, was irgendwie da draußen ist?

Patrick Blümel

Patrick: Klar. Städte verändern sich so stark. Gerade in Köln ist es auch so. Wenn man Musik macht, kriegt man das ja verstärkt mit, dass Kultureinrichtungen zugemacht werden. Die Orte, zu denen du gehst, die dein Leben bestimmen, weil du da Konzerte gesehen hast – die Orte verschwinden. Und damit verschwindet auch ein Fixpunkt in deinem Leben. Das ist ein Thema, das wir in „Hideaway“ verarbeiten. Was ist, wenn ich nicht mehr diese Orte habe, an denen ich mich verstecken kann vor dem, was irgendwie da draußen ist?

Ihr habt in Köln also auch das Thema Gentrifizierung.

Patrick: Absolut. Ich wohne in Köln-Ehrenfeld, da ist das ein großes Thema. Und das versucht die Platte – nicht plakativ, wir wollen da nichts anprangern oder so – auf einer gewissen Ebene auch zu thematisieren.

Marius: Eher auf eine subtile und individuelle Perspektive.

Patrick: Die Texte sind auch so offen gehalten, dass man auch vieles anderes darin sehen kann. Wenn ich für mich eine bestimmte Bedeutung darin sehe, versuche ich jedoch nicht, diese aufzudoktrinieren. Jeder bringt seine eigene Geschichte mit und kann seine eigenen Dinge da wiederentdecken.

Ihr versucht ja den Spagat zwischen düsteren, verzerrten, echolastigen Sounds und einer ziemlichen Eingängigkeit.

Patrick: Wir haben gerade schon darüber gesprochen. Wir sehen uns durchaus auch als Popband und haben keine Angst davor, einen Popsong zu schreiben. Für mich ist das kein großer Widerspruch, wenn ein düsterer Song durchaus einen eingängigen Refrain haben kann. Bestes Beispiel sind The Cure. Für den Außenstehenden sind The Cure immer eine Gothic-Band, düster, aber The Cure sind alles andere als eine düstere Band. Da gibt es natürlich Alben wie „Pornography“, die sind einfach kaputt, aber dann gibt es halt so viele Popsongs. Das haben wir uns auch immer so ein bisschen als Ansporn genommen, dass wir keine rein traurige, depressive Band sein wollen. Jeder Mensch hat so viele Emotionen in sich. Es gibt keinen Goth, der immer nur traurig ist. Insofern sind in all unseren Songs so viele Aspekte verarbeitet, man hat das Kaputte, das Schöne, das Positive – so wie das Leben halt ist.

Marius: Manchmal macht es auch richtig Spaß, traurig zu sein.

Patrick: Manchmal macht es glücklich, traurig zu sein.

Marius: Wenn wir „Hideaway“ spielen, versinke ich manchmal in der Atmosphäre des Songs, und das fühlt sich für mich schön an.

Patrick: Diese Musik kanalisiert ein Gefühl, lässt einen für den Moment darin verharren, holt einen aber dann auch wieder heraus. Das ist ja das Wichtige bei Traurigkeit, dass man eben nicht in einer Depression endet oder in einem tiefen Loch, sondern dass man diese Gefühle hat, sie zulässt, aber dann auch immer wieder rauskommt.

Wo wir gerade The Cure hatten – wen würdet ihr denn noch so als Inspiration nennen? Da könnte man ja Einige aufzählen.

Patrick: Könnte man, ja. Wir gehen nie an unsere Songs so heran, hey, heute schreiben wir mal den New-Order-Song oder den The-Cure-Song. Wir hören so unterschiedliche Musik. Wenn wir mit VNV Nation auf Tour sind, was da im Auto läuft, ist so unterschiedlich. Manchmal hast du einen Moment, du hörst einen Song denkst, hey, das ist so ein geiles Feeling gerade, warum machen wir nicht mal etwas, das so ist? Aber das hat am Ende nichts mit der Band zu tun, die du gerade hörst, sondern mit dem Vibe, den man da gerade empfindet.

Marius: Das kann auch ein Schlagzeugbeat sein oder ein Sound. Aber wir denken meistens erst, nachdem wir den Song geschrieben haben, darüber nach, was uns da eigentlich inspiriert hat.

Ihr habt mit Maurizio Baggio produziert, der auch The Soft Moon produziert hat. Kam das aufgrund der anderen Bands zustande?

Patrick: Genau. Wir haben für die Platte jemanden gesucht, der auch so ein bisschen den Blick von außen reinbringt. Die EP davor haben wir ja komplett selber gemacht. Wir wollten jemanden, der einen Schritt weiter geht, uns dabei hilft, einen Schritt weiter zu gehen. Das Album ist jetzt natürlich nicht komplett anders geworden, aber da ist schon etwas Neues durch Maurizio reingekommen. Wir wollten nicht The Soft Moon werden, aber wir fanden den Sound, den er da mitkreiert hat, auch für uns passend. Wir wollten unseren Livesound einfangen. Bei der EP merkt man, das ist eine Studioaufnahme, beim Album wollten wir mehr die Dynamik, den Noise, die man auf unseren Shows erlebt, einfangen. The Soft Moon sind eine geniale Liveband und schaffen das auch, diese Energie auf einem Album zu transportieren, da spielt Maurizio eine große Rolle.

Ich finde, man hört euch Fünf auch gut einzeln heraus. Es gibt Songs, da ist die Gitarre dominanter, dann hat man immer wieder diese Basslinien, woanders ist es elektronischer oder das Schlagzeug ist stärker – wie entscheidet ihr, was bei einem Song prägendes Merkmal wird?

Bennett Reimann: Ich weiß nicht, das ist so eine intuitive Sache, über die man nicht weiter nachdenkt. Man guckt, was gerade wichtiger für den Song ist.

Patrick: Ich denke auch. Es ist ja ein fließender Prozess, wie so ein Song entsteht. Mir ist am Ende gar nicht mehr so bewusst, bei welchem Song die Gitarren mehr im Vordergrund stehen oder die Synthies. Für mich ist das natürlich, so wie die Songs sind.

Bennett: Das ist auch eine subjektive Sache, wer was von einem Song wie wahrnimmt.

Das stimmt. Das Cover – wer hatte die Idee zu diesem Mann, der da so in den Nebel hinein oder aus ihm heraus schwebt?

Wir sind eine Band, die sich gern in Nebel hüllt, was ja auch so ein Klassiker aus den 80ern ist.

Patrick Blümel

Patrick: Nebel spielt bei uns eine große Rolle. Wir sind eine Band, die sich gern in Nebel hüllt, was ja auch so ein Klassiker aus den 80ern ist. Wenn man die Platte aufklappt, hat man eine nebelverhangene Stadt vor Augen. Die Idee dahinter ist dieser Moment, wo ich das erste Mal in eine Stadt komme, die ich nicht kenne. Dieser Typ, der vor einer noch ungewissen Zukunft steht, den repräsentiert das Cover. Das ist von einem finnischen Künstler, Ville Andersson heißt er. Wir haben das Bild gesehen und fanden direkt, dass es perfekt für die Platte ist.

Die Bonus-CD ist auch sehr gelungen. Wie seid ihr auf die Remixer gekommen, das sind ja jetzt Künstler, die man zum Teil erstmal googeln muss?

Patrick: Das sind Künstler aus unserem Umfeld. Die Idee dahinter war, eine Community zu bilden. In der Musikszene dümpelt jeder so vor sich hin und versucht, den großen Hit zu landen. Uns war es wichtig, Bands mitzunehmen, die für uns wichtig sind, uns auf unserem Weg begleitet haben. Wir wollten auch schauen, wie sehen die eigentlich unsere Songs? Jeder Remix ist erstmal eine Herausforderung an einen selber. Man gibt etwas ab an jemanden und der kann damit machen, was er will, so frankensteinmäßig. Das hat sehr gut funktioniert, wir sind echt sehr happy darüber. Und es ist eine Möglichkeit, Bands, die man noch nicht so auf dem Schirm hat, bekannter zu machen.

Wie hat sich das eigentlich ergeben, dass ihr schon mit so großen Namen wie OMD und VNV Nation getourt seid bzw. tourt?

Patrick: Ronan hat uns auf der Tour mit OMD in Hamburg gesehen und fand uns anscheinend so gut, dass er uns dabei haben wollte. Wir sind natürlich glücklich darüber. Auch weil man so zeigt, welche Bandbreite das Genre haben kann. Nicht nur elektronische Musik, auch Gitarrenmusik. Und das funktioniert gut zusammen, wenn man sich darauf einlassen möchte.

Ich finde das immer gut, wenn die Supportband nicht den gleichen Stil hat.

Patrick: Genau. Das machen ja viele eher so, dass sie die Kopie zum Einheizen mitnehmen.

Zum Schluss immer die Frage, was gerade so im Tourbus rotiert.

Bennett: Drab Majesty und Dive höre ich da immer gerne.

Patrick: Ich komme gerade aus Köln mit dem ICE und habe Die Wilde Jagd gehört. Die finde ich super.

Bennett: Und Rendez Vous aus Frankreich, die sind auch sehr cool.

Vielen Dank für das Gespräch!


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P.S. Und hier noch die versprochenen Tourdaten:

  • 08.02. Nr. z.P. Bielefeld
  • 09.02. Rockpalast, Bochum
  • 10.02. LUX, Hannover
  • 15.02. Reithalle Strasse E, Dresden
  • 16.02. Urban Spree, Berlin
  • 20.02. Logo, Hamburg
  • 28.02. Backstage, München
  • 01.03. Moritzbastei, Leipzig

www.holygram.band
www.facebook.com/holygram.official

Thomas Bästlein

Thomas Bästlein schreibt (früher unter dem Spitznamen Addison) seit Anfang 2007 für depechemode.de. Hauptberuflich arbeitet er im öffentlichen Dienst. Du kannst Thomas online bei Facebook treffen.

2 Kommentare

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  1. so ist das

    also ich finde es klingt nett :)

  2. Feines Interview

    … mit einer sehr vielversprechenden Band, danke dafür. Ich freue mich auf das Hannover Konzert am nächsten Sonntag.

Kommentare sind geschlossen.

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