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Interview der Woche

Boris Blank: „Ich bin Jäger und Sammler.“

Wir wollen euch ab jetzt alle ein bis zwei Wochen mit einem interessanten Gespräch – dem Interview der Woche – erfreuen. Das werden manchmal Interviews aus unserem wachsenden Archiv sein, aber oft natürlich auch ganz aktuelle Konversationen. Wie diese hier, die wir vor kurzem mit Yello-Mastermind Boris Blank anlässlich seines neuen Soloalbums „Resonance“ führten.

Berlin, Winter 2024, MSM-Studios. Hier bekommt eine kleine gebannte Runde im perfekten Sound Auszüge aus Boris Blanks neuem Album auf die Ohren. In Anwesenheit des Meisters persönlich. Der Dolby-Atmos-Mix der Studiowizards Stefan Bock und Stefan Zaradic spielt bei diesem Werk eine zentrale Rolle und ist in seiner Rundum-Brillanz beeindruckend.

Wie diese Musik, die Blank im Auftrag eines vom Schweizer Star-Architekten Mario Botta entworfenen Züricher Thermalbades kreierte, und die nun natürlich für die musikalische Weiterverwertung noch einmal überarbeitet wurde, aus allen Winkeln hypnotisch in Ohr und Kopf des Hörers fließt – da kann man schon erahnen, wohin für manche Soundästheten zukünftig die Reise gehen wird. Am Folgetag stand uns dann ein ausgesprochen charmanter Boris Blank persönlich Rede und Antwort:


depechemode.de: Was denkt man denn, wenn man so eine Anfrage von einem Thermalbad bekommt?

Boris Blank: Zum Ersten: Ist das was für mich? Ist das nicht zu oberflächlich, zu unbedeutend? Und der zweite Gedanke war, wie kriege ich das hin, dass ich da nicht zwischen Kitsch und Esoterik oszilliere? Wie lasse ich diese keltischen Harfenklänge oder diese Panflöten irgendwie links liegen? Und kann ich mir das mit dieser Musik, dieser DNA, von Boris oder von Yello, leisten, so etwas zu machen? Das war dann immer mehr eine Herausforderung. Ich wurde dann auch eingeladen, als dieses Bad noch nicht gebaut war, sondern erst die Mauern standen. Da habe ich gesehen, wie immer noch Archäologen am Werk waren, in diesen alten römischen Grundmauern, die da vor mehr als 2.000 Jahren gestanden haben sollen. Diesen verschiedenen Thermen, wo das 37 Grad heiße, sulfathaltige Wasser wie aus Löchern aus der Erde kommt. Das hat mich schon fasziniert, zumal eben auch der Architekt weltbekannt ist. Mario Botta, ein sehr liebenswürdiger Mensch, ich habe den getroffen und dachte: Doch, das ist was, man muss das probieren. Ich war auch angetan von den Ideen, die das Thermalbad oder die für diesen Erlebnisteil verantwortliche Agentur hatten. Ein Solebad, wo in der Mitte so eine Liegeinsel war, für 10-15 Leute, und an der Decke wurden wunderschöne Filme mit Wasser, Steinen, dem Universum projiziert. Dazu noch zwei Stockwerke Wintergarten mit exotischen Pflanzen, Schmetterlingen und so. Das konnte man immersiv beschallen, mit Dutzenden Lautsprechern in allen Räumen. Stefan Bock und Stefan Zaradic von MSM München haben das dann möglich gemacht. Technisch hätte ich keine Idee gehabt, wie man da die Sounds an all diese Lautsprecher einzeln adressiert. Total faszinierend.

Was dann noch aus diesem Ding entstanden ist, war dann in diesem Solebad, das total schwarz, absolut dunkel war. Da konntest du in 1,20 Meter tiefem Salzwasser floaten, und an diesem Himmel, der aus tausenden LED-Pünktchen bestand, sah das wie ein Universum aus. Ein Stück war etwa 15 Minuten lang, da wurde ich angefragt von der Firma Framestore, einer Post-Production-Firma in London, die machen Effekte für James Bond und all diese Sachen. Die wurden wiederum von der NASA angefragt, ob sie einen Trailer machen würden für diese James-Webb-Space-Telescope-Geschichte, die im Sommer vor einem Jahr in den Orbit geschossen wurde. Dann habe ich die dreiminütige Essenz von diesem Stück herauskopiert und natürlich noch ein bisschen bearbeitet. Das hat denen sehr gut gefallen, und wir waren quasi im Geschäft. Am Schluss, in der letzten Woche, in der sie es hätten abliefern müssen, hatten sie dann nicht genug Zeit dafür, und so kam das zu meiner Enttäuschung nicht zustande. Ich habe dann aber ein Video dazu gemacht, wollte sehen, wie das ausgesehen hätte, wenn die NASA es bekommen hätte. Ich bin heute noch stolz, mit diesen Leuten überhaupt kommuniziert zu haben. Das Video hat auch eine kleine Ironie drin, damit man ein bisschen lächelt, wenn man es sieht.

Ja, das ist sehr niedlich mit diesem Astronauten. Bei deiner Musik und auch bei der von Yello hat man schon immer das Gefühl, dass sie sehr filmisch aufgebaut ist. Du hast ja auch schon Soundtracks gemacht. Gab es schon mal die Idee, so einen richtigen Science-Fiction-Blockbuster zu untermalen?

Was das Problem ist bei mir: dass ich das nicht gelernt habe. Dieses Scoring, das muss man lernen. Ich habe so eine kleine Schulung gemacht in Zürich. Wo ich einen Score gemacht habe, da hat mich ein Music Editor aus Los Angeles ein bisschen gelehrt, was wichtig ist. Erstmal der Aufbau, die Choreographie muss stimmen, der Spannungsbogen muss stimmen, es muss immer eine Überlappung zur nächsten Szene geben … Aber wirkliches Scoring beherrsche ich gar nicht. Ich mache Musik und bin bis jetzt gar nicht unzufrieden, dass die Musik, wie ich sie mache, sehr oft gebraucht und angefragt wird. Dann sieht man es in einer Szene, die speziell für den Song abgestimmt ist. Das finde ich besser, wenn die Szene nach der Musik kommt. Ich bin kein Scorer, das können die Herren Williams und Zimmer besser.

Anders gefragt: Hast du dann beim Schreiben der Musik filmische Bilder oder Vorbilder im Kopf?

Nein, an sich nicht. Das kommt mit der Arbeit. Ich arbeite wie ein Maler. Das hat der Dieter [Meier, Blanks Partner von Yello, Anm. d. Red.] immer schon gesagt. Die leere Leinwand ist der Anfang eines Stückes. Ich habe nie ein Konzept, kann keine Noten schreiben, verstehe nichts von Partituren. Ich bin Jäger und Sammler, ich habe sehr, sehr viele Patterns, viele ungewöhnliche Sounds, in tausenden von Ordnern gesammelt. Jeder Ordner hat einen Namen, in jedem Ordner gibt es Stimmungsbilder von Klängen. Das Gedächtnis in diesen Ordnern ist wie das eines Eichhörnchens, das die Nüsschen vergräbt. Dann fange ich an mit irgendeinem Klang, der mir gefällt. Dann kommt der Nächste dazu, der Übernächste, und es ergibt sich sozusagen wie ein Patchwork, bis dann eine Kontur, ein Umriss entsteht, der mich hineinzieht – und jetzt sehe ich, ah, in diese Richtung könnte das Stück eine Entwicklung nehmen. Dann geht es weiter, bis diese Klangbilder zu einem Stück werden. Und oftmals bin ich total überrascht, was da am Schluss entsteht. Oft bin ich natürlich in diesen Stimmungen gefangen, das ist schon eine Art von Bildwelten, die da musikalisch entsteht. Aber wie ich immer wieder von vielen Leuten gehört habe, sind das völlig unterschiedliche Gefühle, die die Leute da spüren. Ich könnte sagen, ich finde, das ist Paris 1952, eine Dame kommt, es regnet und man hört … [klopft eine Melodie nach]

In dem Zusammenhang musste ich beim Hören tatsächlich an ein paar frühe Yello-Sachen denken – das passt gerade hierzu. Diese Stelle bei „Claro Que Si“ – „Take it All“, „The Evening’s Young“ und „She’s Got a Gun“ – war immer eine meiner liebsten Yello-Sequenzen.

„She’s Got a Gun“ ist ebendieses … [klopft erneut die Melodie und pfeift eine weitere dazu]

Genau. Daran erinnert das neue Album ein bisschen von der Atmosphäre her.

Ja klar. Das war ja immer auch ein bisschen der Fall bei Yello, dass es Instrumentals gab, wo Dieter keine Idee hatte. Dann ließen wir das als Instrumental. Und ich war auch immer darauf erpicht, dass ich den Raum habe, neben den Texten und Gesängen von Dieter auch meine Welt pur zu belassen. Im Prinzip ist „Resonance“ eine Yello-Platte. Nur ohne Dieters Stimme, das ging nicht mit dem Thermalbad. Und dann haben die Badegäste immer wieder gefragt: Kann man das kaufen? Daher kam die Idee, das auch als Platte herauszugeben. Da findet Dieter jetzt halt nicht statt, dafür ist schon vieles vorbereitet für ein weiteres Album von Yello. Da habe ich schon einige Stücke im Köcher.

Trefft ihr euch dann regelmäßig, oder telefoniert ihr?

Ja klar. Dieter ist bald 79 und arbeitet immer noch viel. Er hat viele Geschäfte auf dem ganzen Planeten zu laufen. Das war immer gut, so konnte ich in Ruhe arbeiten. Wenn er dann kam und die Stücke hörte, hat er sehr schnell einen Text oder eine Figur als Protagonisten gefunden, die dann durch diese Klangwelten schritt. Und dann ging er wieder, was auch gut ist [lacht].

Das heißt, wenn du an einem Stück bastelst, entscheidest du nicht sofort, das ist jetzt ein Stück, was du solo benutzt, und das ist etwas für Yello?

Es gibt schon Sachen, wo ich denke und auch sage, das ist ein Stück, was ich so lassen will, wie es ist. Das sind die einzigen Berührungspunkte bei mir und Dieter, wo manchmal die Fetzen geflogen sind. Ich denke natürlich, wenn ich so ein Klangbild habe, hier oder hier könnte ein Refrain sein, hier ein Vers. Und Dieter ist dann oft beleidigt, wenn ich sage, nein, Dieter, nicht an dieser Stelle. Aber man findet sich dann schon. Er war ja früher auch ein Punksänger. Es gibt ein Stück namens „The Lorry“ [auf „Claro Que Si“], da hört man immer noch seine Punk-Reminiszenzen. Wie er da geschrien hat [verzieht das Gesicht] – ich war immer ein eher sensibler Mensch. Aber wir haben uns immer gut unterhalten, haben guten Humor und Ironie. Wenn wir zusammenkommen, gibt es nach kurzer Zeit schon Gelächter, wir verstehen uns sehr gut. Wir sind auch altersmilde geworden. Es fliegen keine Stühle mehr, sondern Zuckerwürfel.

Du bist ja auch jemand, der viel visuell denkt, was man an den Videos sieht. Hast du da auch an Filme gedacht? Ich finde ja, dass „Defying Gravity“ an „Inception“ erinnert.

Genau. Das hat meine Tochter auch gesagt. Und den Film kannte ich gar nicht. Ich habe ihn jetzt gekauft, aber noch nicht angeschaut.

Wer mir noch in den Sinn kam bei diesem Album …

Depeche Mode? [grinst]

Nein, Jean-Michel Jarre. Der hat im letzten Jahr das Album „Oxymore“ herausgebracht.

Das muss ich mir noch anhören, das hat mir gestern der Olaf Zimmermann [von den Elektro Beats auf radioeins] auch gesagt. Ich muss mir das aufschreiben. Er [Jean-Michel Jarre] ist ein rührender Mensch, ich habe ihn in Berlin kennengelernt. Er kam auf mich zu, rief „Boris! Boris!“ und umarmte mich, als würden wir uns schon Jahre kennen. Wir haben dann auch ein Stück Musik zusammen gemacht, irgendwie ist das eine Seelenverwandtschaft. Sicher habe ich auch „Oxygen“ rauf und runter gehört, er war ja früher da als Yello. Das kann sehr gut sein, dass da gewisse Sachen im Hinterkopf reflektieren. Es gibt auch Sachen, die nach Pink Floyd klingen, deren Vibraphon gefällt mir unglaublich gut. „Ummagumma“ ist … wow! Es gibt sicher auch heute noch Sachen, die im Unterbewusstsein abfärben. Was gut ist. Wenn etwas gefällt, das kann ja auch eine Reminiszenz an etwas sein, das einem am Herzen liegt. So entstehen auch in der klassischen Musik viele Sachen, die sich gegenseitig befruchten. Auch in der Literatur oder der Kunst. Wenn ich Maler wäre, wäre wahrscheinlich Kandinsky etwas, das mich absolut faszinieren würde. Diese Vielschichtigkeit, diese Transparenz in seinen Gemälden, das ist faszinierend.

Das mit Jarre fiel mir ein, weil er auch das mit diesen umherschwirrenden Sounds gemacht hat und mir im Interview sagte, dass er Dolby Atmos für die Zukunft hält. Und an sein voriges Album „Amazonia“ musste ich beim längsten Stück deines Albums denken, bei „North of Eden“.

Das war das Stück für den Wintergarten. Da liegen die Leute in diesen Körben, mit Pflanzen rundherum. Da dachte ich, das muss wie eine ethnologische Reise rund um den Planeten sein. Das war so zum Chillen, das ist kein Stück in dem Sinne, eher eine Klangkulisse.

Andere Stücke gehen schon eher in die poppigere Richtung. Die beiden „Vertigo Heroes“-Teile zum Beispiel. Musstest du da viel machen, um die fürs Album umzuarbeiten?

Schon. Fürs Thermalbad mussten die Stücke geloopt werden können, das musste ich natürlich reduzieren. Ich habe dann die Essenz zum Tragen gebracht und auch ein bisschen nachgeholfen in der Dramaturgie der Stücke.

Was mir auch sehr gefiel: dass immer wieder als Wasser als Thema auftaucht, ob in den Stücken, in der Stimmung – oder im Titel wie bei „Respiro di Mare“. Was mich ja sehr anspricht, weil bei mir, sobald ich Wasser sehe, immer der Blutdruck nach unten geht und ich mich entspanne. Beruhigt dich Wasser auch so?

Wasser ist mein Element! Schon als ich ein kleiner Junge war, hat man Wasserratte zu mir gesagt. Ich schwimme drei-, viermal in der Woche einen Kilometer, mache viel Sauna und Dampfbäder. Wasser ist ganz, ganz wichtig für mich. Ohne dieses Element könnte ich gar nicht leben. Dieses Gefühl, diese Sehnsucht, der Horizont. Wie du schon sagst, das beruhigt total. Auch Berge haben etwas Wunderschönes, was der Seele guttut. Überhaupt schöpfe ich meine Kreativität eigentlich ausschließlich aus der Natur. Ich zeige dir mal ein Bild [sucht in der Fotobibliothek auf seinem Smartphone]. Das ist übrigens ein Haus, das wir uns in der Toskana geleistet haben, das ist auch sehr beruhigend da. Da werden wir jetzt hingehen, und ich werde mir zwei Lautsprecher mitnehmen – nur zwei [lacht], das darf nur ich hier laut sagen – und da unten ein paar Monate musizieren.


Boris Blank zeigt noch ein paar weitere Bilder, vom Hund, der ihn auf Trab hält, von Berg- und Seenlandschaften, die ihn inspiriert haben – und von ihm, nachdem ihm eine Drohne (selbst gesteuert) fast die Nase abgesäbelt hat. Mit diesen und anderen Anekdoten endet unser Gespräch. Wir sind gespannt, was diesem ewig kreativen Kopf in Zukunft noch einfallen wird – und empfehlen einstweilen „Resonance“, am besten unter Kopfhörern oder auf einer guten Anlage.

Boris Blank – Resonance kaufen:

Artwork des Album "Resonance" von Boris Blank
Foto: Universal Music

www.instagram.com/boris_blank_yello

Thomas Bästlein

Thomas Bästlein schreibt (früher unter dem Spitznamen Addison) seit Anfang 2007 für depechemode.de. Hauptberuflich arbeitet er im öffentlichen Dienst. Du kannst Thomas online bei Facebook treffen.

1 Kommentar

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  1. ...oh yeah.

    …ich war zur premiere in münchen. bis dato waren meine ‚first listenings‘ zu yello stets zu hause unter kopfhörern. hätte nie gedacht, dass ich das mal mit anderen yello-fans, nebst dem anwesenden künstler, erleben darf. das interview spiegelt den abend sehr treffend. seit über vierzig jahren schafft es herr blank zu begeistern, man ist im nu wieder gefangen und ergriffen, wie damals mit siebzehn. das ist die eigentliche kunst. chapeau. ich hab mir immer mal ein album von ihm gewünscht, ohne die zwänge hits zu liefern im verbund mit gesang und gastmusikern. check, herr blank. punktlandung. nach dem event stand ich als erster im foyer zum autogramme einholen und hätte gerne noch länger mit ihm geplaudert, doch hinter mir scharrten ca. 300 andere mit den hufen. bin froh, dass er sich mittlerweile unters volk traut und freue mich aufs kommende yello-album…mit lieben grüßen ;) an dieter meier.

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