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Apokalypse in La La Land

Review: Lana Del Rey – Lust For Life

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Ein Mann hält seine leicht zerzauste, blondhaarige Freundin schützend im Arm, um sie beide herum eine schmutzig rosa weiße Bettdecke gelegt. Im Hintergrund die stille Verwüstung von Woodstock: schlafende Menschen, Schlamm, leere Flaschen, undefinierbarer Abfall. Eine Schmetterlingsfahne, orange- und zitronenfarben: beinahe trotzig hebt sie sich gegen den Schmutz ab. 1969, der dritte Tag des Woodstock-Festivals: „Peace and Love“. Mitten im Vietnamkrieg, nach den Kennedymorden, Rassenunruhen und der Ermordung Martin Luther Kings, im Jahr der Mondlandung, schien die Welt für einige wenige Tage ein bisschen in Ordnung zu sein. Ein Zufluchtsort voller Musik.

Heute erscheint mit „Lust For Life“ Lana Del Reys viertes offizielles Studioalbum. Ganz wie die zwei Liebenden auf dem inzwischen ikonischen Woodstockfoto ist es ein Manifest für die Lust am Leben.

Lana Del Rey klingt immer noch ihrem eigenen Genre und darin erfindet sie sich stets neu. Inmitten eines immer düster werdenden Amerikas hebt sich Lanas Musik hervor, trotzig wie der Schmetterling im Woodstockfoto, standhaft wie die zwei Liebenden. „Coachella (Woodstock In My Mind)“, inspiriert von den Spannungen zwischen Amerika und Nordkorea, strotzt nur so vor Sehnsucht nach Veränderung. Coachella als blasses Abbild einer einst so hoffnungsvollen, kraftvollen Bewegung. Was ist daraus geworden? Lana betet für etwas Besseres – mit einer Led Zeppelin-Referenz: „I’d trade it all for a Stairway to Heaven“. Sie sehnt sich nach einer Gesellschaft voller Liebe. Fernab der professionalisierten Geldmaschine, die sich hinter dem Deckmäntelchen „Coachella-Festival“ verbirgt. Der amerikanische Traum ist längst am Ende. Seine Seifenblasen rinnen zerplatzt zu Schmierwasser an Amerikas Händen hinab.

Lana Del Rey wird vielfach mit Don Draper, dem innerlich zerrissenen und dabei so uramerikanischen Protagonisten der Serie „Mad Men“ verglichen. In der Folge „Babylon“ fragt Don, auf der Jagd nach einem israelischen Tourismus-Account, Rachel Mencken um Rat. Diese erklärt ihm das Dilemma des amerikanischen Traums, wie Matt Brennan für IndieWire schreibt: “They taught us at Barnard about that word, ‘utopia’. The Greeks had two meanings for it: ‘eu-topos’, meaning ‘the good place,’ and ‘u-topos,’ meaning ‘the place that cannot be.’” Lana Del Rey scheint zu wissen, was ihr, oder gar unsere, Utopie ist: “I think happiness is the ultimate life goal. I think it’s the only thing that’s important. There are no mechanisms in place for routes to happiness, that’s the whole fucking problem.”, erzählte sie der britischen ELLE. Ihre Musik ist der Versuch eines Pfades dorthin. Ob wir dort ankommen, eine ganz andere Frage.

Der Album-Opener „Love“ betont ihre düstere, dramatische Seite und feiert – mit einem Hauch Selbstironie – die Idee des jung und verliebt Seins: „To be young/ and in love“. Wir hören einer reiferen Lana zu, die der Melancholie dennoch nicht vollständig entrinnen mag. “I made my first 4 albums for me, but this one is for my fans and about where I hope we are all headed”. Sie nimmt ihre musikalische Vergangenheit mit in die Zukunft. Eine versteckte Hommage an die Beach Boys gibt es auch: „Don’t worry, Baby“, singt sie. Alles wird gut. Der Titelsong des Albums, „Lust for Life“ (feat. The Weeknd), flacht im Vergleich zum Rest ein wenig ab. Lana Del Rey ist eine der wenigen Künstlerinnen, die ihre Songs problemlos allein tragen können. The Weeknd, trotz seines Spitznamens „Starboy“, kann hier nicht mit Lanas royalem Charisma mithalten. In „13 Beaches“ hören wir Echolotsignale, die Musik pulsiert wie Wellen. Ein treibender Triphop-Beat schürt die Sehnsucht nach dem Alleinsein und der dunklen Welt zu entschwinden. „Cherry“ ist dagegen atemlos im Angesicht der Gefahr. Liebe unterliegt wieder dem Motiv des Destruktiven: „I fall to pieces when I’m with you“. Die Zeile „Cherries and wine“ weckt Assoziationen zum Lee Hazelwood/Nancy Sinatra-Klassikers „Summer Wine“. Diese banal erscheinenden Aneinanderreihungen schöner Wörter stehen in starkem Kontrast zu Flüchen: „bitch/fuck“.

White Mustang“ greift mit einer weiträumig angelegten Klaviermelodie und Streichern die Freiheit ihres „Ride“-Kurzfilms auf. Unschuld gepaart mit Freiheit. Der weiße Mustang als klassisch amerikanisches Symbol. Lana pfeifend auf dem Highway ins Unbekannte, ganz wie Sal Paradise, der Protagonist aus Jack Keruacs Klassiker „On The Road“, auf der Suche nach dem Heiligen Gral Amerikas. Passenderweise trägt Lana den Schriftzug „Paradise“ auf ihrer Handkante tätowiert. „Summer Bummer“ folgt dicht und düster. Eine unheilvolle Atmosphäre umfängt den Song. Es herrscht Gewitterstimmung – sofort fühlt man schwere, tiefgraue Wolken über sich. Trotzdem hat sie die Kontrolle: Zeilen wie „Be who you wanna be“/ „Wrap you up in my daisy chains“ sind brutal und schön zugleich. Lana Del Rey wickelt uns in einen schwülen Sommertraum ein, während sie von einer unheilvollen Affäre singt. „Groupie Love“ erschien vor wenigen Tagen zeitgleich mit „Summer Bummer“ und verliert im direkten Vergleich. Die zweite Kollaboration mit A$AP Rocky scheint nicht zwingend notwenig. Der Song wirkt wie fiebrige Nachwehen des Vorangegangenen. „In My Feelings“ trägt ebenfalls eine gewitterdichte Atmosphäre in sich. Mit einem sehr einprägsamer Refrain singt sich Lana, auch stimmlich, bis zur Spitze ihrer „fucking feelings“. Besonders prägnant ist die Zeile „Get that cigarette smoke out of my face“: Lana Del Rey ist aufgewacht, will ihre Umgebung klar sehen, kokettiert nicht mehr. “I think it would be weird to be making a record during the past 18 months and not comment on how [the political landscape] was making me or the people I know feel, which is not good.“, sagte sie der britischen ELLE.

Präsident Donald Trump ist einer der Menschen, auf die Lana Del Rey anspielt. „God Bless America – And All The Beautiful Women In It“ ist ein butterweiches, beinahe beruhigendes Stück. Fernes Sirenengeheule schlägt jedoch Alarm. Romantische, gezupfte Gitarrenklänge beschwören das Bild einer idyllisch kitschig leuchtenden Urlaubspostkarte herauf. Eine Hymne als ironische Anspielung auf Trumps Umgang mit Frauen? Lana Del Rey schlüpft hier in die Rolle der Priesterin „Take me as I am“, verlangt sie, nehmt Weiblichkeit ernst. Schließlich soll sie schon mit Hexenzaubern gegen Trump aktiv geworden sein. In „When The World Was At War We Kept Dancing“ schwingt sie trotzig dem Weltuntergang entgegen – „Is it the end of America?“. Doch was steckt im Tanz? Kraft und Leidenschaft. Vielleicht ist dies das Gegengift, nach dem wir suchen. Denn den amerikanische Himmel bedecken längst pechschwarze Gewitterwolken. „Beautiful People With Beautiful Problems“ schenkt uns ein Duett mit Stevie Nicks. Die mystische Frontfrau Fleetwood Macs, die allen großen weiblichen Künstlerinnen, die nach ihr kamen, den Weg ebnete. Mit ihrem Charisma, ihrem Talent und ihrer Weiblichkeit ist sie der weise Gegenpart zu Lanas Jugendlichkeit, die „fairy godmother“, wie sie das V Magazine kürzlich taufte. Ein Schlaflied aus dem All: „Blue is the color of the planet from the view above/ Long live our reign/ Long live our love“. Die Welt geht unter, die Zuflucht scheint außerhalb der Erde zu liegen.

Mit Spannung erwartet wurde die Kollaboration mit Sean Lennon für „Tomorrow Never Came“: Sie beschwört die Vergangenheit, träumt sich in die Rolle der „L.A. lady“ aus Elton Johns „Tiny Dancer“. Kann sie doch nicht John haben, gibt sie sich mit Sean Lennon zufrieden. In gewisser Weise spiegelt sich hier das Coachella-Motiv von vorhin wider: Wir sehnen uns nach etwas Größerem, nach einer heilen Welt, und schaffen es nur noch, blasse Abbilder zu kreieren. Was nicht bedeutet, dass Sean Lennon hier obsolet sei, betont Lana Del Rey: „I didn’t want him to think I was asking him because I was namechecking them. Actually, I had listened to his records over the years and I did think it was his vibe, so I played it for him and he liked it. Sean Lennon ist genau der richtige für diesen Song. Wie Lana ist er ein Suchender, denn für ihn gab es kein „Tomorrow“ mit seinem Vater. Fabulierte dieser noch „Tomorrow Never Knows“, sitzt Sean Lennon im heutigen Amerika und betrauert ein Morgen, dass nie gekommen ist. Während in der Antarktis die Eisschollen wegbrechen, sitzt Lana Del Rey im „H“ des berühmten Hollywood Signs und blickt auf La La Land. Wird alles gut? Oder doch nur weiter betäuben?

Heroin“ klingt zunächst nach The Velvet Underground, ist aber vielmehr eine Referenz zum Frank Sinatra-Klassiker „Fly Me To The Moon“ und greift erneut das Motiv der Flucht ins All auf. „Change“: Ausnüchtern lautet die Devise. „I’ve been thinking it’s just someone else’s job to care“: Lana Del Rey, die in der Vergangenheit für ihre, oft missverständlichen, Äußerungen zum Thema Feminismus kritisiert wurde, sorgt sich hier um die gesamte Gesellschaft. Gibt zu, dass sie selbst der (politischen) Lethargie verfallen war. „Get Free“ bildet den Abschluss – und was für einen: „This is my commitment, my modern manifesto“. Sie ist vorsichtig optimistisch, scheint voranschreiten zu wollen: „I live my own life, and now I do/ I wanna move/ Out of the black, into the blue“. Wieder eine Referenz, dieses Mal auf Neil Youngs „My My, Hey Hey“. Stimmlich wesentlich eindringlicherer als die Frontstimme verstärkt der Backgroundgesang ihre Botschaft, als wolle Lana Del Rey sichergehen, dass auch der letzte Hörer in der hintersten Ecke des im tiefsten Amerika liegenden, neonerleuchteten Diners sie erhört.

Priesterin Lana. „Lust for Life“ wohnt eine Sehnsucht inne, die uns nach den Sternen der Utopie greifen lassen will. Im Angesicht des Weltuntergangs, mit der schmutzigen, weiß-rosa Decke umwickelt. Es mag sein, dass wir geboren sind, um zu sterben („Born To Die“). Das hindert Lana Del Rey jedoch nicht daran, das Leben mit Lust zu leben. Vergänglich ist es ohnehin.

„Lust for Life“ auf Amazon.

www.lanadelrey.com
https://www.facebook.com/lanadelrey/

 

Eleni Blum

"The only truth is music" (Jack Keruac)

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