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Neues Album

Review: Lana Del Rey – „Chemtrails Over the Country Club“

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In diesen Zeiten sind wir wohl alle aufrichtig dankbar, dass zahlreiche Künstlerinnen und Künstler nach wie vor aus ihren kreativen Quellen schöpfen. Lana Del Rey, seit 10 Jahren ganz oben in der Musikwelt unterwegs, arbeitete für „Chemtrails Over the Country Club“ erneut mit Co-Writer Jack Antonoff (Lorde, Taylor Swift, Adele uvm.) zusammen.

Auf ihrem 7. Album ist LDR mit einer erfrischend neuen Dringlichkeit in ihrer Stimme am Werk. Sie klingt kraftvoller und näher, was wohl auch daran liegt, dass sie ihre Stimme häufiger unter den gewohnten Effekten hervorholt und dabei ein beeindruckendes Repertoire preisgibt. Selten hat man ihre Stimme so zentral im Mix gehört. Die Reise geht, wie so oft in Lanaland, durch Amerika, dieses Mal ins Herz des Landes. Kennen wir West Coast und East Coast aus LDR’s Feder inzwischen recht detailliert, geht es in „Chemtrails“ auf die Reise ins Countryland. LDR sagte selbst im Interview Magazine: „It’s funny, the record was Midwestern-sounding before I even went to the Midwest.“ Das bleibt auch im Sound nicht verborgen und holt eine spannende Seite Lana Del Reys zum Vorschein. Weniger melodramatisch, dafür atmosphärisch mit Fokus auf ihrer Stimme und ihren Lyrics. Bruce Springsteen nennt sie nicht umsonst, die aktuell beste Songschreiberin im Musikbusiness. Mit ihrem 2020 erschienenen „Violet Bent Backwards Over the Grass“ brachte sie ihre die Welt der Poesie erstmals in Form eines Gedichtbandes zu Papier, ein Kontext, den es hier miteinzubeziehen gilt.

White Dress„, der Album-Opener, ist herausragend. Lana singt teilweise in einem von ihr selten gehörten extrem hohen Register. sehr „breathy“/“whispery“ (in Ermangelung einer passenden deutschsprachigen Übersetzung). Der Song reflektiert ihr 19 Jahre altes Ich, aber in ihrer Stimme klingt eine neue Kraft und Dringlichkeit, weniger melodramatisch, mehr Country als auf vergangenen Alben. Sie klingt näher, direkter und wacher. Mit weniger Effekten als beispielsweise auf ihrem 1. Album „Born to Die“. Zugleich ist LDR wie gewohnt sehr atmosphärisch und mit Fokus auf ihren Lyrics unterwegs. Es wird deutlich, dass dies ein bedeutsamer Song für LDR ist. Sie hat über 10 Jahre und 7 Alben im Musikgeschäft hinter sich und blickt auf eine Zeit zurück, in der sie kellnerte und The White Stripes hörte.

Chemtrails Over The Country Club„, die erste Singleauskopplung, besingt eine neu gewonnene Freiheit, LDR klingt reifer und grübelt über Gott nach „There’s nothing wring with contemplating God“ während sie „Chemtrails Over The Country Club“ beobachtet. Dadurch entsteht ein überzeichnetes Bild, ein Kommentar, zu einem (sehr kleinen und elitären) Teil der amerikanischen Gesellschaft, die in ihrer Country Club-Blase lebt und Muße hat, sich über Gott und Verschwörungstheorien Gedanken zu machen. LDR scheint sich (und ihre Schwester Chuck Grant, Regisseurin und Fotografin zahlreicher LDR-Videos und Bilder) durchaus mit einzubeziehen. Mit ihrem „little red sports car“ bricht sie regelmäßig und unvorhergesehen aus ihrer Blase aus und träumt zugleich vom „white picket fence“, dem Inbegriff amerikanischen Vorstadt-Daseins. Lana Del Rey ist „just wild“.

Tulsa Jesus Freak“ ist groovier als gewohnt und fügt sich gut in den Klangteppich des Albums ein. Wir hören sie von einem Mann singen, der ein kleines Alkoholproblem hat („Keep that bottle at your hand, my man/ Find your way to my bed again“. Der Fokus auf den amerikanischen mittleren Westen lässt sich mit einer kürzlich in die Brüche gegangenen Beziehung erklären: LDR’s Ex war Polizist in Tulsa und Teil der Reality-Serie „Live PD“. LDR klingt selbstbewusster und greift mit „I ain’t no candle in the wind“ ein Motiv und eine Hommage an ihre Freundschaft zu Elton John aus vergangenen Songs wie zum Beispiel „Mariner’s Apartment Complex“. Sie spielt mit leichter Ironie („Sing me like a Bible hymn“) und man stellt sie sich in einem weißen Mustang („White Mustung“ aus dem Album „Lust for Life“) durch den mittleren Westen der USA zu fahren. Alles in weiches Licht getaucht, als würde die Natur sich selbst einen Retrofilter überziehen. LDR kokettiert trotzdem mit Sarkasmus: „We’ll be white-hot forever“ – weiß, (scheinbar) christlich und extrem „hot“. Zudem könnte das grelle „white-hot“ auch eine Anspielung auf einen ironischen Heiligenschein sein.

Auf der an Stevie Nicks erinnernden Ballade „Wild at Heart“, bekommen wir ein selbstbewusstes Statement. LDR bereut nichts, gibt uns ein Edith Piaf „Je ne regrette rien“-Gefühl. Der Song ist voll dunkler Rauheit (If you love me/ you’ll love me/ ‚Cause I’m wild/ wild at heart“). Sie wendet sich ab von der Glorifizierung L.A.s, die wir gut von vergangenen Alben kennen: „I left Calabasas, escaped all the ashes“ oder „The cameras have flashes, they cause the car crashes“. Ihr breites stimmliches Repertoire schenkt uns einen Song, der auch für das Serienfinale von Mad Men passend gewesen wäre.

Dark But Just a Game“: Hintergrund des Songs ist Party, die LDR und Jack Antonoff gemeinsam mit St. Vincent besuchten und auf der LDR erlebt, wie sehr eines ihrer Idole am Ende ist. „I think it’s interesting that the best musicians end up in such terrible places.“ I thought to myself „I’m going to try my best not to change because I love who I am“. „I said „Jack, it’s dark.“ And he said „Well, it’s dark – but it’s just a game“. Laut Antonoff sei das so typisch Lana. „Fly down the rabbit hole and smile in the same breath“. Angesichts dieser Realisation, schwört sich LDR, in diesem Spiel nicht die Kontrolle zu verlieren und sie selbst zu bleiben. Sie ist vom Ruhm desillusioniert. In „Not All Those Who Wander Are Lost“ sinniert sie über das Suchen, untermalt von sachten Gitarrenklängen, mit einem großartigen Chor aus ihren eigenen Tonspuren. Fast als würde sie sich selbst zu singen. „Yosemite“: right reasons, sie ist nicht mehr so fragil, sondern widerstandsfähig. trotz „television static“, hat sie der Orientierungslosigkeit entkommen können. Die Desillusionierung vom Ruhm hat ihr die Möglichkeit gegeben, ihren Platz zu finden, an dem sie sich mit den richtigen Leuten umgeben wohl fühlt.

Let Me Love You Like a Woman„: Lana erinnert sich an ihre Wurzeln, das „small town girl“ aus Lake Placid und hat inzwischen genug von L.A.: „I only mention it ‘cause I’m ready to leave LA/ And I need you to come (And I want you to come)/ I guess I could manage if you stay“. LDR benutzt zudem den Imperativ, sie weiß was sie will: „Take you to infinity/ Let me …“. Trotzdem ist da immer noch das Bittende in ihr, wenn sie „Let me“ sagt. Ihre Vision ist jedoch nicht mehr von Destruktion geprägt, sie lässt die Romantik überwiegen und träumt von der Unendlichkeit. Es gibt eine sehr hörenswerte Live-Version des Songs, mit unglaublichen Background-Sängerinnen, auf YouTube (Live on „Late Night With Jimmy Fallon“), bei der man sich wünscht, mit im Raum gewesen zu sein.

Breaking Up Slowly„, eines ihrer bislang stärksten Duette. Das Zusammenspiel aus Lanas Stimme mit der wunderbar kratzigen, souligen Nikki Lane, die sich selbst als „First Lady of Outlaw Country“ bezeichnet, bringt beide Stimmen nur noch besser zum Vorschein, als sie es solo bereits sind. In „Dance Till We Die“ zollt LDR ihren Idolen Tribut, die mittlerweile Freundinnen geworden sind, Joni Mitchell, Joan Baesz, Stevie Nicks und Courtney Love. Ein Stück voller „Wir-gegen-den-Rest-der-Welt“-Romantik, klingt zunächst wie ein typische LDR-Ballade, überrascht aber mit einem wunderbar bluesigen Stilbruch ab Minute 2:45. „For Free„, das Joni Mitchell-Cover liefert uns einen Kommentar zu ihrem Dasein als Superstar, das im Duett mit Zella Day und Weyes Blood einen spannenden Kontrast bildet. Achtet darauf, wer welche Strophe singt und ihr bekommt einen ehrlichen Einblick: „Now me, I play for fortunes“. Wer ist wirklich freier?

Chemtrails Over The Country Club“ ist Del Reys bislang introspektivstes Album. Sie bleibt ihrem selbstgeschaffenen Genre, dem Mix aus Retro und zeitgenössischer Popkultur, treu. Und das ist gut so. Sie gehört zu den Künstlerinnen, über die man nicht sagt, dass sie sich „wie XY“ anhören. Sie ist jene, die man zum Vergleich heranzieht. Jemand kann sich ähnlich wie Lana anhören, aber Lana klingt immer nach Lana.

Chemtrails Over The Country Club„-Tracklist:
 
1. White Dress
2. Chemtrails Over The Country Club
3. Tulsa Jesus Freak
4. Let Me Love You Like A Woman
5. Wild At Heart
6. Dark But Just A Game
7. Not All Who Wander Are Lost
8. Yosemite
9. Breaking Up Slowly
10. Dance Till We Die
11. For Free feat. Zella Day & Weyes Blood

Eleni Blum

"The only truth is music" (Jack Keruac)

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