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Querbeats: (Fast) Vergessene Perlen 2015

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hauff_desiresAuch im Jahr 2015 waren da noch ein paar Platten, die bei uns letztlich nicht untergehen sollten โ€“ und darum hier noch eine verdiente Belobigung erfahren sollen. Mit Terranova, Frittenbude, Spector, Low, Helena Hauff, Emilie Nicolas, Georgia, Gwenno, Dave McCabe & The Ramifications, Nod One’s Head, Le Very und Algiers.

Terranova_restlessGleich zu Beginn wollen wir mal (wieder) eine Lanze fรผr Terranova brechen. Das Berliner Kรผnstlerkollektiv um das Duo Fetisch und &ME hat in den letzten Jahren eine gute Platte nach der anderen herausgebracht โ€“ und das in 2015 mit hoher Produktivitรคt untermauert. Da gab es vor allem das Album โ€žRestlessโ€œ. Das Konzept der Kollaboration wird hier erfolgreich fortgefรผhrt. Zunรคchst mit dem hypnotischen โ€žTell Me Whyโ€œ, das die Stereo MCs als neue Partner einfรผhrt. Das klappte so gut, dass man spรคter im Jahr gleich ein gemeinsames Label (Connected) grรผndete, auf dem weitere Tracks, EPs (Anspieltipp: โ€žDeeperโ€œ/โ€œTurnaroundโ€œ auf 12โ€œ) und in Kรผrze gar ein ganzes Album zusammen verรถffentlicht werden. Doch zurรผck zu โ€žRestlessโ€œ (dem auรŸerdem noch zwei schรถne Remix-EPs folgten). Da ist auf zwei Stรผcken auch noch der alte Kumpel Bon Homme von WhoMadeWho zu Gast, einmal solo und einmal mit der Kollegin Lydmor (deren gemeinsames Album empfehlen wir auch, in Kรผrze auf unseren Seiten), des weiteren schauen Cath Coffey, Mandel Turner und Studiolabrador Rocco (kein Scherz) am Mikrofon vorbei. Dazwischen gewohnt floorfillende Instrumentale โ€“ eine durchweg gelungene Sache.

Frittenbude_kuekenFrittenbude bleiben ihrem Hang zu Tieren im Albumtitel treu. โ€žNachtigallโ€œ, โ€žKatzengoldโ€œ, โ€žDelfinariumโ€œ – und nun das โ€žKรผken des Orionโ€œ. Man merkt, dass die drei Burschen mittlerweile eine Menge Erfahrung gesammelt haben, neben ihrer Hauptband auch in zahlreichen Nebenprojekten. So ausgefeilt wie hier waren sie noch nie unterwegs. Die Beats kรถnnen deichkindesk bollern, aber auch mal vertrackt stocken. Eingรคngiger Pop mit analoger Synthiepower steht direkt neben aggressiven Parolenprรผgeleien, wir sind schlieรŸlich bei Audiolith. Was heiรŸt, dass es zwischen Springen, Tanzen und Schwitzen auch immer Gelegenheiten gibt, in denen man mal รผber unser Hier und Jetzt nachdenken darf. Gut so.

Spector_mothWer die Editors mag โ€“ oder auch die White Lies โ€“ und nicht schon mehr Erben Joy Divisions kennt, als er vertragen kann, der darf in seinem Schrank und Herzen gerne noch einen Platz fรผr Spector freirรคumen. Die vier Briten haben auf ihrem zweiten Album โ€žMoth Boysโ€œ mehr Synthesizer ins Studio gerollt und schreiben Melodie und Pathos ganz groรŸ โ€“ wobei Letzteres durch die gewitzten Texte aufgewogen wird. Und wunderbare Songs wie โ€žAll The Sad Young Menโ€œ lassen vielleicht nicht nur bei den Rezensenten des Guardian die Ahnung aufkommen, ob dies eine jener Bands sein wird, bei denen man sich immer wundern wird, wieso die nicht groรŸ herausgekommen sind.

Low_onesOb groรŸ herausgekommen die richtige Bezeichnung fรผr Low ist, darรผber kann man ja nochmal in Ruhe nachdenken. In jedem Falle ist die Band aus Minnesota, die es ja schon mehr als 20 Jahre gibt, zumindest in Indiekreisen seit Lรคngerem eine feste GrรถรŸe. Das elfte Studioalbum โ€žOnes And Sixesโ€œ untermauert dies mรผhelos. Die Band um die Stimmen Mimi Parker und Alan Sparhawk entzieht sich seit jeher engerer Genreeinordnung (hat andererseits aber zwischen Dream-Pop und Slowcore jede Menge Bands beeinflusst) und stellt auch immer wieder an den eigenen Stellschrauben. Dieses Mal fรคllt beispielsweise eine gewisse elektronische Grundierung positiv auf, die den gewohnt majestรคtischen Songs eine zusรคtzliche Ebene verleiht.

hauff_desiresModerner Techno, der voll nach den 80ern mit einer gehรถrigen Portion Acid klingt. Klingt komisch, funktioniert aber. Auf dem trockeneiscoolen Debรผt von Helena Hauff aus Hamburg. Ihre โ€žDiscreet Desiresโ€œ hat sie im heimischen Schlafzimmern zwischen allerlei analogen Kisten vertont und dabei offensichtlich die Heizung ausgeschaltet gelassen. Instrumental, dรผster, hypnotisch und bei all den harten Beatschlรคgen trotzdem noch reichlich melodisch wabert der Cold Wave aus den Boxen, dass es uns alten Tรคnzern in der Gruft ein Fest ist. Unbedingte Empfehlung!

nicolas_warriorDie nรคchste Dame kommt aus Norwegen und ergรคnzt die eindrucksvolle Riege interessanter skandinavischer Kรผnstlerinnen um einen weiteren Eintrag. Emilie Nicolas mag ja Jazz studiert haben, aber ihren Master macht sie jetzt im Fach Electropop, Spezialisierung James-Blake-Schule. Auf โ€žLike I’m A Warriorโ€œ geht es dabei eher unter der Oberflรคche kriegerisch zu, obendrauf schwebt die helle Stimme der 26-jรคhrigen Sรคngerin. Die vom eingรคngigen Synthesizer-Hook bis zum tief wummernden (Post-)Dubstep-Beat eine ziemliche Bandbreite beherrscht โ€“ und ihrem Album einen schรถnen Spannungsbogen verpasst hat, vom sanft antรคuschenden Beginn zu immer mehr anwachsenden Soundwรคnden hin.

GeorgiaWir bleiben bei den Electric Ladys. Nun zu einer neuen Folge von โ€žGute Gene oder erfolgreiche musikalische Erziehung?โ€œ. Paul Barnes hatte in 2015 doppelt Grund zur Freude. Zum Einen ist ihm das Comeback mit Leftfield eindrucksvoll gelungen, und dann war da noch das Debรผt seiner Tochter. Georgia heiรŸt sie, ebenso wie das Album. Und darauf finden sich nun so ziemlich fast alle Sounds, die man in der modernen elektronischen Musik so verwenden kann. Ein absoluter Overkill, den die 21-jรคhrige, die zuvor schon als Schlagzeugerin fรผr diverse Kolleginnen unterwegs war, hier in den Siedekessel geworfen hat. Das kann einen beim Erstkontakt schon รผberfordern, aber Stรผck fรผr Stรผck kann man sich eben auch in ein faszinierendes Album hineinarbeiten.

Gwenno_olafDie nรคchste Sรคngerin verstehen wir beim besten Willen nicht. Was daran liegt, dass Gwenno ihre spannenden Geschichten auf Walisisch (und ein bisschen Kornisch) vortrรคgt. Das klingt sehr fremd und wunderschรถn. Und Literatur wird auch noch geboten, denn โ€žY Dydd Olafโ€œ ist die Vertonung eines Science-Fiction-Romans des walisischen Schriftstellers Owain Owain. Kongenial setzt die (ehemalige?) Sรคngerin der Pipettes hier die dรผstere Roboter-Mensch-Dystopie mit einer Mischung aus eingรคngigem Electropop und atmosphรคrischen Synthesizer-Zwischenspielen um. Rhagorol!

mccabe_miamiWer kennt noch The Zutons? Den nicht mehr aktiven Indie-Rocker gelangen anfangs ein paar schรถne Songs โ€“ darunter mit โ€žValerieโ€œ einer, der in der Version einer gewissen Amy Winehouse zum Riesenhit wurde. Aber das fรผhrt hier fehl, denn der Frontmann jener Band ist nun als Dave McCabe & The Ramifications in gรคnzlich anderen Sphรคren unterwegs. Er besingt die โ€žChurch Of Miamiโ€œ – und in jener wird der Synthiepop angebetet. Hemmungslos retro, aber auch herrlich eingรคngig. War als McCabes eigener GTA-Soundtrack geplant โ€“ und wer das Spiel kennt, wird nicken, das passt. Wie Crockett zu Tubbs.

nod_lavaCharlotte Bรผhler und Moritz Bommert kommen aus Berlin und sind Nod One’s Head. Auf ihrem Debรผtalbum โ€žLavaโ€œ versuchen sie, eine Menge an Spielarten elektronischer Musik unter einen Hut zu bekommen. Als รผbergeordneten Begriff kann man zwar House ausmachen, aber unter den Tracks befinden sich mit Electropop, Breakbeats, reinem (Charts-)Pop, HipHop, R’n’B so einige verschiedene Stile. Die die beiden aber gut zusammen bekommen. Erinnert ein bisschen an das Debรผt von Disclosure, und das war ja mal nicht schlecht, oder?

very_vNoch mehr Berliner Hipster gefรคllig? Na dann Neukรถlln, da boomt es ja auch (also in der einen oder anderen Ecke Neukรถllns). Zum Beispiel mit Le Very. Wer Zoot Woman supporten darf, dessen Electropop muss schon etwas hermachen. Das Debรผtalbum der fรผnf MusikerInnen und TรคnzerInnen โ€“ daher wohl auch der Titel โ€žVโ€œ – bestรคtigt das souverรคn. Geradlinig gehen die elf Songs fast schon zu einfach ins Ohr, so etwas ist ja mitunter verdรคchtig hinsichtlich der Halbwertszeit von Musik. Doch der eine oder andere unauffรคllig verstรคrkte Widerhaken sorgt geschickt dafรผr, dass die Stรผcke hรคngen bleiben, wir hoffen mal, รผber 2015 hinaus.

AlgiersAnd finally, Algiers. Das Album, das die Gahan-Soulsavers-Kombi leider nicht hinbekommen hat (okay, der Vergleich hinkt ein wenig, aber…). Diese bei Bedarf alles niederwalzende Wuchtstimme von Sรคnger Franklin James Fisher! Wie ein moderner Prediger kommt er da auf den Hรถrer hernieder. Moderner hat Gospel nie geklungen, aber auch Soul und Blues erfahren hier ein Update, doch dazu kommen eben auch Elemente von Industrial, (Dark) Wave und Postpunk, das macht es ja so spannend. Zwischen die hallenden Drums fahren immer wieder gut gereifte Synthesizer. Dazu trรคgt Fisher intensiv seine dรผsteren Inhalte vor. Lesenswerte Texte statt schwรผlstiger Erweckungsschwurbeleien, diese Band hat ein Anliegen, und man fiebert mit.

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Thomas Bรคstlein

Thomas Bรคstlein schreibt (frรผher unter dem Spitznamen Addison) seit Anfang 2007 fรผr depechemode.de. Hauptberuflich arbeitet er im รถffentlichen Dienst. Du kannst Thomas online bei Facebook treffen.

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