Er ist ein seltsames Phänomen der deutschen Popmusik.
Andreas Dorau sang 1981 „Fred vom Jupiter“ und wurde im Nu zum Teenie-Star der Neuen Deutschen Welle. Die Meisten identifizieren ihn noch immer mit diesem ehemaligen Schulprojekt-Song, obwohl Dorau schon über 50 Jahre alt ist und im Juli 2017 sein 10. Album („Die Liebe und der Ärger der Anderen“) veröffentlicht hat. Er ist also sichtbar mehr als ein One-Hit-Wonder, bekannt aus den unzähligen, auf dem Markt existierenden NDW-Kompilationen.
Mit jeder Menge Selbstironie nennt er sich ein „Two-Hit-Wonder“, denn er landete mit „Girls in Love“ (1996) einen weiteren Top-10-Hit – sogar in Frankreich.
Ihr solltet aber uns glauben, dass in Andreas Doraus Popkunst weit mehr steckt als diese zwei oben genannten Single-Hits. Seine Werke sind voller Poesie und Ironie, (Tier)Liebe und (manchmal düsterer) Romantik, Gesellschaftskritik und Philosophie. Zu diesen vielseitigen Themen bietet er auch eine breite Palette von musikalischer Untermalung: von Postpunk über NDW bis Techno & Dance – er fühlt sich in jedem Genre zu Hause. Obwohl sein Repertoire groß genug ist, passt er trotzdem in keine Schublade. Er macht einfach elegante POP-Musik – ganz groß geschrieben – mit erfrischend klugen Songtexten. Für diejenigen, die ihn noch nicht (gut) kennen, ist es höchste Zeit, seine Kunst kennen zu lernen…
Janos Janurik, Electro-News-Redakteur hat Andreas Dorau anlässlich seines neuen Doppel-Albums, „Die Liebe und der Ärger der Anderen“ zum Interview getroffen.
Hallo Andreas! Als wir uns das letzte Mal vor etwa anderthalb Jahren in Wien getroffen haben, warst Du gerade auf Buchvorstellungstour mit Deiner Quasi-Autobiographie „Ärger mit der Unsterblichkeit“. Ist seitdem irgendein merkwürdiges Ereignis in Deinem Leben passiert, was zu diesen kleinen Geschichten noch gut passen würde?
Nein. Ich war ehrlich gesagt die ganze Zeit während der letzten drei Jahre mit der Arbeit an dem neuen Album beschäftigt. Eigentlich hatte ich bereits auf der Buchreise angefangen, Texte zu schreiben und erste Stücke im Studio aufzunehmen.
Bei unserem kurzen Bierchen-Gespräch in Wien hast Du mir so nebenbei verraten, dass Du Dich bald wieder mit neuer Musik melden wirst. Ein Gentleman hält sein Wort, Dein neues – bisher einziges – Studio-Doppelalbum („Die Liebe und der Ärger der Anderen“) kam am 7. Juli auf den Markt. Wie bist Du auf die Idee gekommen, so viele Musikstücke – ohne Remixe und Reprisen – auf einmal zu veröffentlichen? War die letzte Zeit eine so fruchtbare Periode Deines künstlerischen Schaffens? Was alles hat Dich zu diesem Album inspiriert?
Bereits während der Lesereise zum meinem Buch war ich meiner eigenen Person überdrüssig geworden, fand mich als Person überhöht, und war der Meinung, dass Biografien anderer Leute mindestens ebenso gute Geschichten hergeben würden wie mein eigenes Leben. Daraufhin beschloss ich, ein Album zu machen, dass sich um die Lebensgeschichten anderer Leute drehen und den Titel „Der Ärger der Anderen“ tragen sollte. Von dieser Idee erzählte ich Maurice von Staatsakt, er schlug vor, ein einfaches Album und ein Bonusalbum zu machen. Die Idee fand ich super und legte sofort los, arbeitete mit verschiedenen Leuten an unterschiedlichsten Stücken.
Als ich 20 Stücke zusammen hatte, stellte ich fest, dass mir von diesen leider mindestens 16 gut gefielen und ich mich nicht entschieden konnte, welche davon jetzt auf die Bonus-Album-LP sollten. Maurice schlug wiederum vor, dann doch einfach eine Doppel-LP zu machen. Die Idee behagte mir anfangs überhaupt nicht, da ich Doppelalben prätentiös finde und eigentlich nicht mag. Aber ich musste mich entscheiden – und so hab ich mich schließlich doch dazu durchgerungen. Nun war es aber auch so, dass ich während Schreibens nicht nur Stücke über den Ärger der Anderen gefunden hatte, sondern mir per Zufall – wahrscheinlich eine Übersprunghandlung – mehrere Stücke zum Thema Liebe zugefallen waren, die ich erstaunlicherweise mochte. Vermutlich, weil es nicht Liebeslieder im eigentlichen Sinn waren, sondern eher Deutungsversuche über das Thema Liebe. Somit war es klar, dass ich den Titel ändern musste, und so kam es zu „Die Liebe und der Ärger der Anderen.“
In der Werbung für Dein neues Album gab es eine Kaufaufforderung mit dem Ziel, endlich in die Album-Charts zu kommen. Die habe ich zuerst für einen typischen „dorauischen“ Witz gehalten, aber dann habe ich darüber nachgedacht: Warum denn nicht? Du hast schon viele echte Ohrwürmer in den letzten drei Jahrzehnten komponiert – und diese Doppelplatte beinhaltet wirklich einen ganzen Haufen von potentiellen Hits. Du hast aber einen ziemlich seltsamen Platz im Pop-Business: Du bist zu „Underground,“ um in den Mainstream zu kommen, aber die Alternativen können mit Deiner Musik auch nichts anfangen. Deine Texte sind dichterisch und intellektuell, das brauchen die meisten Massen-Radiosender nicht, für die Underground-Szene kann Deine Musik jedoch zu poppig, annähernd schlagermäßig klingen. Wie kann man heute unter diesen Umständen die Album-Charts erobern? Was denkst Du davon und über die heutige Popwelt?
In diesem Sinne war die Albumveröffentlichung eine echte Versuchsanordnung. Wir hatten uns vorgenommen zu charten, legten daher den Veröffentlichungstermin in den Juli, den tendenziell schwächsten Monat im Jahr, in dem man, anders als etwa zu Weihnachten, nur vergleichsweise wenig Alben verkaufen muss. Zudem haben wir aufs Packaging gesetzt, haben ein Doppelalbum gemacht und zusätzlich noch ein limitiertes Boxset inklusive 30 Minuten unveröffentlichter Musik auf Tape und einer Flexi-Disc.
Insofern könnte man sagen, dass ich mich musikalisch nicht den Charts angenähert habe. Wir sind den Weg über mehr Content gegangen, was gelungen ist. Das Album stieg auf Platz 56 ein und hielt sich zu unserer Überraschung noch eine zweite Woche in den Charts.
Das neue Album „Die Liebe und der Ärger der Anderen“ ist ganz wie eine Best Of-Kompilation von Andreas Dorau – fast wie ein ABC von allen Genres, in denen Du bisher tätig warst. Es ist nahe unmöglich, alle Stile aufzuzählen: von sanften Tönen und melodischen Liedern zum Mitsingen/-pfeifen (wie „Liebe ergibt keinen Sinn“, „Dies ist nicht real“, „Ossi mit Schwan“, „Das bist nicht du“) über Synthpop/Techno („Liebe in Dosen“, „Liebe Bürger“, „Stern mit drei Zacken“, „Du stehst auf meiner Liste“) bzw. Minimal-Pop/NDW („Du bist nicht da“, „Liebe kaputt“) und Dance/Trance („Stadt aus Musik“, „Im Laufe einer Nacht“, „Ich seh schwarz“) bis zum Punk-Pop („Ich seh Farben“, „Sibylla Maria Merian“) ist auf dieser Platte fast alles zu hören. Alles was das Ohr begehrt. Filmische Musik gibt es da auch: „Ein Pseudonym“ könnte ich mir zum Beispiel gut zur Untermalung eines David Lynch-Films vorstellen. In welchem Musikstil fühlst Du Dich am meisten zu Hause? Welches Genre bist Du?
Ehrlich gesagt, fühle ich mich keinem Genre zugehörig und fühlte mich auch nie einer Jugendbewegung zugehörig.
Als erste Videoveröffentlichung zum Album wurde der Song „Ossi mit Schwan“ auf Zelluloid gebannt. Im Text geht es um einen merkwürdigen Kriminalfall in München aus dem Jahre 2008. Gibt es noch immer – fast 30 Jahren nach der Wiedervereinigung – so große Konflikte zwischen Wessis und Ossis? Meinst Du, dass sich die beteiligten Deutschen schämen werden, wenn die den Clip anschauen/den Song anhören?
Ich glaube schon, dass es da immer noch starke Ressentiments gibt. Es gibt ja sogar einen Hamburg-Bayern-Konflikt. Und auch der West-Ost-Antagonismus ist zweifellos noch immer spürbar. Wenn ein paar Leute sich aufgrund des Stückes ein, zwei Gedanken zu diesem traurigen Thema machen und sich eventuell sogar schämen würden, es würde mich sehr freuen.
Der eine Täter vom obigen Fall hieß Istvan Z. – also war ein Mann ungarischer Abstammung. Da ich auch aus Ungarn komme, würde es mich interessieren, ob Du mit der aktuellen politischen Lage in Ungarn im Bilde bist. Dein Lied „Das bist nicht du“ könnte nämlich voll und ganz von unserem Ministerpräsidenten handeln. Was denkst Du als Künstler über diese immer zunehmende rechtspopulistische Welle in Europa – und überhaupt in der ganzen Welt?
Ich fürchte, es würde den Rahmen dieses Interviews sprengen, aufzuzählen, wie vieler Leute politische Haltung ich weltweit mehr als bedenklich finde. Die momentane politische Weltlage und die zunehmenden rechten Tendenzen sind wirklich besorgniserregend.
Zurück zum Thema Musik: Viele Produzenten haben bei der Entstehung des neuen Andreas Dorau-Albums mitgewirkt, darunter Andreas Spechtl (Ja, Panik!), Ramin Bijan (Die Türen), Zwanie Jonson, Luka Anzilotti (Snap!), Moses Schneider, T Raumschmiere, Tim Lorenz, Arian Beheshti (Arian 911), Alfredo Fiorito, Mense Reents und Stereo Total. Hast Du sie selber ausgewählt, oder haben die Dich mit dem Wunsch, zusammen zu arbeiten, aufgesucht? Hast Du mit denen gemeinsame Songideen ausgearbeitet, oder waren die nur am Fertigmischen am Studiopult beteiligt? Wie leicht – oder schwer – ist es, mit Dir zu arbeiten?
Die Auswahl der beteiligten Produzenten kam eher zufällig zustande. Ich hatte keinen Masterplan, mit wem ich wo zusammenarbeiten könnte, es ergab sich in den meisten Fällen so. Eigentlich entstehen alle meine Stücke erst im Studio. Das heißt, ich komme mit einem Fragment, meistens einem Textfragment ins Studio, und dort wird es dann mit dem jeweiligen Produzenten von Null an bearbeitet. Wie leicht oder schwer es ist mit, mit mir zu arbeiten? Das können nur Dritte beantworten.
Du warst schon bei mehreren Plattenlabels unterm Vertrag – Dein neues Album erschien beim Berliner Label Staatsakt -, in den frühen Achtzigern und dann anfangs der Zweitausender Jahre warst Du ein Mute-Künstler. Wie entstand damals die Zusammenarbeit mit dem berühmten Mute-Chef, Daniel Miller? Hast Du noch Kontakt zu ihm oder zu anderen Mute-Künstlern? So ganz nebenbei erwähnt, dein neuer Song „Liebe in Dosen“ erinnert mich an die früheren Werke von Vince Clarke und das Lied „Stern mit drei Zacken“ klingt auch ein bisschen nach Depeche Mode. Bist Du ein Fan von feinem Synth-Pop?
Daniel Miller habe ich kennengelernt, als ich 15 Jahre alt war. Ich war Fan der Silicon Teens und habe ihn als Spokesman der Band für eine Musikzeitschrift interviewt. Ich sehe ihn bis heute ab und zu in Berlin auf irgendwelchen Veranstaltungen, meistens unterhalten wir uns dann ein bisschen. Ich glaube aber nicht, dass ich ein klassischer Synth-Pop Fan bin. Das Genre Synth-Pop ist mir als solches etwas zu nostalgisch und auch zu eng. Schon das Wort ist irgendwie unschön. Es gibt aber eine Erasure-Platte – „Abba-esque“ die klanglich zum dem Schönsten zählt, was ich je gehört habe – wie dort der Modular-Synthesizer, das System 100, die Sequenzen zum Flirren bringt, beeindruckt mich zutiefst. Ich wollte mir auch mal ein System 100 kaufen, leider kam ich etwas zu spät, und ein Sammler hatte es bereits für die dreifache Summe vor mir gekauft.
Deine Albumcover waren schon immer Interesse weckend – Du hast eine Neigung dazu, Dein Gesicht als Gemälde-Portrait oder als Skulptur verewigen zu lassen. Und das ganz im Stil der Klassiker. Wer hat dieses Mal Deine Albumhülle gemalt und woher kam die Idee dazu?
Das Gemälde des Coverartworks stammt von dem in Berlin lebenden Künstler Helmut Kraus, die Idee entstand im Kontext des Titels „Die Liebe und der Ärger der Anderen“, der sich schwer bebildern lässt; daher die Idee, ein Gemälde zu nutzen.
Du feierst das Erscheinen Deines zehnten Albums mit Release-Partys. In Berlin und in Hamburg hast Du solche Events veranstaltet, mit DJ-Auftritten u.a. von Justus Koehncke und T. Raumschmiere. Mini-Konzerte von Dir gab es an beiden Orten auch. Wie verliefen diese Partys? Gibt es auch Pläne für eine Tour zum neuen Album?
Die beiden Partys waren sehr schön In Berlin war ich natürlich sozial stark überfordert, weil so viel Bekannte da waren. Das tat mir sehr leid. Was die kommenden Monate angeht, wir werden nicht auf große Tournee gehen, aber vereinzelte Shows spielen –und das in der klassischen Dreierbesetzung. Dabei werden wir alte und neue Stücke spielen.
Im Moment stehen folgende Konzerte an:
25.08. Berlin, Pop-Kultur Festival (Project: Refrain!)
30.09. Essen, Hotel Shanghai
14.10. Berlin, Festsaal (mit Stereo Total)
20.10. München – Kammerspiele
24.11. Frankfurt, Mousonturm
25.11. Stuttgart, Merlin
Ein kurzer Vorgeschmack zum zweiten Clip „Liebe ergibt keinen Sinn“ ist schon auf Deiner Facebook-Seite zu sehen. Ab wann kann man das Ganze bewundern und was steht noch auf Deiner Veröffentlichungsliste für den Rest des Jahres bzw. für das kommende Jahr? Werden weitere Singles, Remix-Versionen – vielleicht auch auf physischem Tonträger – bald erhältlich sein?
Es gibt diverse Pläne, die aber noch zu unausgegoren sind, um jetzt schon darüber zu sprechen.
Du bist weiterhin auch als Remixer tätig. Hast Du eventuelle Pläne, für andere Künstler Remixe anzufertigen? Und überhaupt, hast Du noch unverwirklichte Träume bzw. Ideen?
Im Moment bin ich gerade damit beschäftigt, ein Programm fertigzustellen, das ich am 25.08. in Berlin im Rahmen der Popkultur aufführen werde. Basierend auf einem alten Traum von mir, einen Abend ausschließlich nur mit eigens komponierten Refrains zu gestalten. Also ganz ohne Strophen auszukommen. Ich fange bei eigenen Stücken auch immer mit den Refrains an – sie sind meine Lieblingspassagen, Strophen sind für mich eher ein unnötiges Beiwerk. Mich interessiert, ob es möglich ist, ausschließlich Refrains hintereinander zu reihen – und zu hören.
Läuft bei ihm
Hallo Jonas,
ich bin auf dein interessantes Interview gestoßen. Finde ich mehr als gelungen und sehr empfehlenswert. Danke dafür. Hat mich echt inspiriert.
Liebe Grüße
Tina
Der geniale Herr Dorau zeigt wie man Mitte 50 ...
… noch frisch und kreativ wie in den Anfangsjahren klingen kann und eine Menge eingängiger, poppiger Ohrwurmmelodien schreiben und sauber elektronisch produzieren kann … bei den Herren rund um Herrn Gore ist das ja seit langem nicht mehr so, und auch gar nicht erforderlich. Entsetzliche Einfallslosigkeit a la „Going Backwards“ frei von jeglicher kompositorischer Brillianz wird ja hier weitestgehend als fantastische Musik abgefeiert …
Dorau Rules!
Andreas statt Helene, Bourani, Hosen & co in den Charts
Aber nein… :D
Danke für das interessante Interview!