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Über Livealben, Patreon und virtuellen Sex

IAMX im Interview: „Ich mag Mundpropaganda. Einen Kult.“

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Chris Corner alias IAMX hat vor ein paar Wochen „Echo Echo“ veröffentlicht. Eine Platte, die eine breite Auswahl seiner Songs in neuem, überwiegend akustischem Gewand enthält. Zu diesem und weiteren Themen (beispielsweise seinen Livegigs im Internet) hat er uns ein paar Fragen beantwortet.

Doch zunächst noch eine ausdrückliche Empfehlung, sich „Echo Echo“ zuzulegen. Das ist keine schnöde Unplugged-Platte mit stromlosen Versionen. Die Songs wurden mit viel Liebe zum Detail komplett neu arrangiert, teilweise gewaltig umgekrempelt – und es finden sich auch in diesen Variationen reichlich Sounddetails zum Aufhorchen. Man verliebt sich glatt neu in IAMX-Klassiker wie „I Come With Knives“, „Kiss And Swallow“, „I Salute You Christopher“ oder „Spit It Out“. Doch nun lest, was Chris selbst zu erzählen hat:

depechemode.de: Zuallererst, wie kommst du mit der aktuellen Situation in der Coronakrise zurecht? Hast du ein Rezept, um mit der Isolation und der Unsicherheit umzugehen?

Chris Corner: Natürlich ist die Welt ein surrealer, unberechenbarer Ort geworden. Angst und Stress gehen mit Einem durch. Ironischerweise könnten Künstler und Musiker damit besser zurechtkommen als andere. Wir leben immer mit massiven Veränderungen. Jahre ohne Geld, Jahre mit Geld. Das konstante Unbekannte. Es kommt mir vor, als würde ich das schon mein ganzes Leben praktizieren, also bin ich gut an Chaos und Unsicherheit angepasst. Zwischen Erfolg und Versagen zu pendeln ist normal für mich.

Außerdem lebe ich in der Mojave-Wüste, wo die Isolation ein Teil der täglichen Existenz ist, und ich liebe es so.

Natürlich ist das Touren essenziell, somit habe ich einen großen finanziellen Tiefschlag erlitten, so wie alle Kreativen. Ich fühle mit den Menschen, die ohne eine sichere Struktur zu kämpfen haben, die mit Panik und Zukunftsängsten umgehen müssen.

Ich sende Liebe und Stärke an jeden!

Da deine Akustiktour verschoben werden musste [die aktuellen Tourdaten findet ihr weiter unten, Anm. d. Red.], hältst du derzeit Onlinetreffen ab und streamst (wie so viele derzeit) ab und zu Livekonzerte [Tipp! Am morgigen 14.05. gibt es zum vorerst letzten Mal eine solche Livesession, hier findet ihr die Details.]. Wie fühlt es sich an, mit den Leuten auf diese Distanz zu sprechen und live ohne direktes Publikum zu spielen?

Es ist sowohl seltsam als auch anregend. Man hat die Chance, auf eine andere Art Interesse, Einnahmen und Onlineaktivitäten zu erzeugen, aber es ist sehr einseitig. Natürlich vermisse ich den Schweiß, die Tränen und die intensive Energie einer echten Liveperformance, dafür gibt es keinen Ersatz.

Es ist wie virtueller Sex. Wir leben von der Intimität, also müssen wir hart daran arbeiten, das derzeit zu ersetzen.

Ich versuche die Zeit dafür zu nutzen, die Definition von dem, was ich tue, zu erweitern. Ein Künstler zu sein ist heute multidimensionale Arbeit. Ich werde diese Möglichkeit nutzen, um mich in Dingen zu verbessern, die ich über die Jahre des Rausches und des Tour-Album-Kreislaufs vernachlässigt habe. Wie Geschäftliches, Social Media und Beziehungen.

Du bist einer der Künstler, die mit Patreon-Mitgliedschaften arbeiten. Bis du zufrieden mit dieser Art der Finanzierung und Verbindung zu den Fans?

Ich habe Patreon von Anfang an geliebt. Es ist ein toller Eingang in eine andere Welt für beide Seiten geworden, für IAMX und die Fans. Die schnelle Umsetzung von Inhalten ist sehr befriedigend. Es ist ein modernes Modell, welches das alte kommerzielle Musikindustriemodell wie einen Dinosaurier aussehen lässt. Es gibt dem Künstler und dem Fan die Gelegenheit, nicht nur tiefere Verbindungen zu entwickeln, sondern auch alle Teile der Kunst zu erforschen.

IAMX kann ein polarisierendes Projekt sein. Es ist eine Nische, und ich möchte, dass das so bleibt.

Chris Corner

Ich bin Musiker, aber ich interessiere mich allgemein nicht so für Musik. Es ist eine meiner Ausdrucksmöglichkeiten – wahrscheinlich meine beste –, aber da gibt es eine unendliche Menge an Themen, über die ich es liebe mich zu unterhalten. Patreon erlaubt mir, ein umfassenderes Porträt von dem, wer und was ich bin, zu zeigen.

IAMX kann ein polarisierendes Projekt sein. Es ist eine Nische, und ich möchte, dass das so bleibt. Ich bin nicht an Ruhm, Massenveranstaltungen oder Followern, die nicht leidenschaftlich dabei sind, interessiert.

Ich mag Mundpropaganda. Einen Kult.

Patreon verstärkt das.

Wann und wie kamst du auf die Idee zu „Echo Echo“? War zuerst die Idee einer Akustiktour da oder der Plan eines Akustikalbums?

Kein Konzept, nur eintauchen und experimentieren.

Ich wurde bei dieser Platte von David Bottrill geführt. Das war das erste Mal, dass ich die Produzentenrolle abgegeben habe. Meine Idee war, mich total in der Wiederentdeckung meines ersten Instrumentes, der Akustikgitarre, zu vertiefen und den Fokus voll auf die Performance zu legen. Ohne die Fesseln der Technik und der Produktion. Es war befreiend und hat Spaß gemacht. David ist ein sehr einflussreicher Produzent (Peter Gabriel, Tool, Smashing Pumpkins etc.) und könnte mit jedem arbeiten, aber er zieht gerne Gewinn aus Seltsamkeiten und einzigartigen Visonen. Er will herausgefordert werden, und so haben wir bei diesem Album eine tiefe Verbindung gefunden.

Akustikversionen sind ja oft reduziert und kürzer als die Originale. Aber auf „Echo Echo“ sind die meisten Stücke sehr lang (was ich mag!). Wie hältst du die Spannung aufrecht, wie hältst du die Songs interessant?

Ich habe viel mit Loop-Pedalen und massiven Gitarreneffekten gearbeitet, was bedeutet, dass die Tracks mehr Zeit für den Aufbau und das Arrangement brauchen. Es wird zu einem echt komplizierten Prozess, und als Nebeneffekt werden die Songs länger. Aus Zweckmäßigkeit statt aus bewusster Entscheidung dazu gezwungen zu werden, brachte mich dazu, diese Arbeitsweise zu lieben. Einfach diese alten, emotional angespannten, hochdynamischen Songs entspannen und durchatmen lassen, nach all den Jahren der Beklemmung. Meine armen Kinder!

Wie hast du die Songs ausgewählt? War es wichtig für dich, (nahezu) alle IAMX-Phasen abzudecken?

Unterbewusst wollte ich natürlich eine ausbalancierte Auswahl jeder Ära, aber das war kein Druck. Auch hier habe ich mich von David führen lassen. Er suchte Songs aus, die ich niemals für dieses Format ausgewählt hätte. Zum Beispiel schlug er vor „I Come With Knives“ zu nehmen und in einen Triplet-Rhythmus zu formen. Von High Energy zu ätherisch laid back. Ich habe es geliebt, das von einem total bizarren Winkel anzugehen.

Und ab und zu habe ich einen Song reingeworfen, wir haben eine halbe Stunde dazu gejammt, und wenn es funktioniert hat, blieb der Song drin. Das unterscheidet sich sehr von meiner sonstigen Kontrollfreak-Arbeitsweise.

Hast du ein Lieblingsstück auf „Echo Echo“?

Am meisten klingt für mich derzeit „I Salute You Christopher“ nach. Ich bin mit dem Original emotional sehr verbunden, aber für diese Version haben wir Nachrichten auf unseren Social-Media-Kanälen an die Fans geschickt und sie gebeten, uns kurze Sprachaufnahmen zu senden, auf denen sie erzählen, was IAMX für sie bedeutet. Wir haben ihre Stimmen dann zwischen meinem Gesang in den Track eingebaut. Das wurde sehr bewegend, existenziell.

Als Soloartist verliere ich mich manchmal total in mentaler Isolation, und so sind es solche Momente, die mich daran erinnern, dass da draußen andere wunderschöne Menschen sind, die ich lieben kann und mit denen ich mich verbinden kann – ohne sie je zu treffen.

Hast du dir Akustikalben von anderen Künstlern angehört, vielleicht zur Inspiration?

Nein.

Und zum Schluss, was planst du als Nächstes, nach der Akustiktour und wenn die Coronakrise hoffentlich vorbei ist?

Wie du dir vorstellen kannst, ist alles Chaos. Tourpläne zu machen, ist irrwitzig derzeit. Wir haben die Originaltour in den September geschoben und hoffen heftig, dass das passiert. In der Zwischenzeit spiele ich Akustikshows aus dem Studio online, um ein winziges Stück des Adrenalins dieser „On the road“-Erfahrung zu bekommen. Und auch um den Geist dieser Phase zu exorzieren, bevor ich meinen Kopf ins Schreiben des nächsten IAMX-Albums stecke.

Vielen Dank für das Interview, ich hoffe, wir sehen dich bald auf Tour!

Vielen Dank! Bleibt gesund und sicher, wir sehen uns auf der anderen Seite!

IAMX – Echo Echo“ herunterladen: Amazon

PS: Hier die (derzeit) aktuellen Tourdaten:

06.10. Leipzig – Haus Leipzig
07.10. München – Freiheizhalle
11.10. Mainz – Frankfurter Hof
13.10. Köln – Gloria Theater
26.10. Berlin – Kino Babylon
07.11. Hamburg – Kulturkirche Altona

http://iamxmusic.com

www.facebook.com/IAMXOFFICIAL

Thomas Bästlein

Thomas Bästlein schreibt (früher unter dem Spitznamen Addison) seit Anfang 2007 für depechemode.de. Hauptberuflich arbeitet er im öffentlichen Dienst. Du kannst Thomas online bei Facebook treffen.

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