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Interview und Videopremiere

Nation Of Language: „Als schriebe ich einen Song für das Ende eines Films“

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In Kürze – genauer: am 15.09. – werden Nation Of Language ihr von Freunden des hochwertigen New Waves sehnsüchtig erwartetes drittes Album „Strange Disciple“ veröffentlichen. Nach einigen Vorboten gibt es heute die Videopremiere zu „Too Much, Enough“ – und dann nutzen wir doch gleich die Gelegenheit, euch unser Interview mit Frontmann Ian Richard Devaney (das noch anlässlich des Vorgängers „A Way Forward“ geführt wurde), in voller Länge zu präsentieren. Quasi, um die Vorfreude zu steigern.

Doch jetzt erstmal die Videopremiere, wer sich in der amerikanischen Indieszene auskennt, wird vielleicht das eine oder andere Gesicht (Adam Green z. B.) erkennen:

Und nun unser Gespräch mit Ian Richard, wie gesagt, noch zum Vorgängeralbum und via Zoom geführt:

depechemode.de: Wo liegt der Unterschied zwischen der Veröffentlichung dieses Albums [„A Way Forward“, Anm. d. Red.] – nun mit Label im Rücken – und der des Debüts [„Introduction, Presence“], wo ihr alles selber gemacht habt?

Ian Richard Devaney: In den Umständen. Letztes Mal konnte ich das nicht wirklich feiern, da waren nur Aidan [Noell, Keyboarderin und außerdem Aidans Frau] und ich. Denn es waren noch Lockdown-Zeiten, wir konnten also mit niemandem feiern. Das ist jetzt ganz anders. Gestern Abend haben wir eine Show für all unsere Leute gespielt, konnten ihre Geschichten hören und an welcher Stelle unsere Reise sie dazugestoßen sind.

Ist es wahr, dass ihr euer Hochzeitsgeld dafür verwendet habt, das erste Album aufzunehmen?

Ja. Einige Leute haben gesagt: Macht das nicht, ihr wollt das nicht! [lacht]
Wir haben immer noch nicht unsere Hochzeitsreise gemacht – aber wir haben unser erstes Album. Und nun ein Zweites.

Wo liegen die technischen Unterschiede zwischen den beiden Alben?

Der Hauptunterschied war, dass wir nun entspannter waren. Ich weiß nicht, ob zuversichtlich bei der Studioarbeit der richtige Ausdruck ist. Mit dem ersten Album haben viel mehr Menschen eine Verbindung gefühlt als ich dachte, zumal es in der Pandemie erschien. Mit dem Album war ich nur meinen Instinkten gefolgt – also sagten wir uns: Lasst uns wieder unseren Instinkten folgen! Es wurde während der Pandemie aufgenommen, keiner wusste, wie das Leben weitergehen würde, ob wir wieder auf Tour würden gehen können. Wir sind nur ins Studio, ohne den Druck des Debüts, konnten viel mehr ausprobieren und sehen, wie tief die verschiedenen Kaninchenbaue reichen.

Gerade hier in Berlin habt ihr möglicherweise sehr viel dem Sender radioeins zu verdanken. Die haben euch von Anfang an gespielt, wir haben da mehrmals vorm Radio gesessen, aufgehorcht und uns gefragt, oh, wer ist das denn? Nachdem ich damals „On Division St“ zweimal shazamt hatte, hatte ich euren Bandnamen aber drauf.

Ja, besonders während der Pandemie brachte insbesondere das Radio uns zu unseren Fans, ob das jetzt hier [in den USA], im UK oder in Deutschland war. Ich habe das von niemandem erwartet. Das war etwas ganz Besonderes und Surreales für uns, als radioeins und andere uns dauernd gespielt haben. „Sie spielen uns in Deutschland im Radio!“ Unglaublich.

Wie kommt eigentlich eine so junge Band zu diesen eher historischen Sounds?

[lacht] Zu der meisten Musik, der ich in meinem Leben begegnet bin, kam ich über meinen Vater. Er hat immer versucht, mit dem, was er hört, zeitgemäß zu bleiben, ob das in den Siebzigern, Achtzigern oder Neunzigern usw. war. Als ich auf die Highschool ging, kam er so an: „Ich denke, diese Bands könnten dir gefallen – das sind Arcade Fire, das sind Belle And Sebastian, das sind Interpol …“ Und davor Weezer. Wenn ich mich für etwas zu interessieren begann, hatte er immer ein Gespür dafür zu wissen, was ich dann brauchte. Als ich noch jünger war, liefen da eine Menge Synthiepop- und Post-Punk-Bands. Das habe ich irgendwie verinnerlicht, und als ich das einige Jahrzehnte später wiederhörte, versetzte mich das zurück in meine Kindheit. Das erweckte so viele Gefühle und brachte mich dazu, einen Song schreiben zu wollen, der in dieser Welt lebt. Mehr auf Synthesizern als auf Gitarren basierend. Ich hatte schon Gitarrenmusik geschrieben, aber ich war nicht sehr gut an der Gitarre. Die Songs klangen alle gleich, und ich überlegte, wie ich da rauskommen könnte. Da hörte ich diese Musik wieder, und das löste sofort all diese Ideen aus. Ursprünglich hatte ich gar nicht vor, eine Band zu gründen. Ich wollte nur diese Neugier befriedigen. Dann habe ich weitergemacht, und alles geriet außer Kontrolle. [lacht]

Gut so! Du achtest offensichtlich auch viel auf die Dinge um die Musik herum. Das Artwork wirkt sehr durchdacht, die Albumtitel bauen aufeinander auf.

Ja. Ich habe keine Ausbildung in Grafikdesign. Man kann irgendwie sehen, warum es so minimalistisch und einfach gehalten ist. Ich habe nicht die Mittel, etwas Komplizierteres zu schaffen [lacht], aber ich denke, es funktioniert sehr gut mit der Musik. Ich wollte eine visuelle Ästhetik, die sich nicht überkompliziert anfühlt. Ich fühle mich immer noch wie ein Anfänger im Bereich des Synthesizers. Ich wollte den ganzen Vibe der Band als eine Art Anfänger haben, die ihre ersten Schritte unternehmen.

Die Ästhetik erinnert in Teilen an Joy Division und New Order – was natürlich passt.

Das stimmt. New Order haben Simplizität so gut verwendet. Sehr inspirierend.

Die Sounds auf dem zweiten Album klingen zum Teil etwas tiefergehend als auf dem Debüt. Die Songs nehmen sich ihre Zeit. Mehr repetitive Synthiesounds. Wolltet ihr mehr in diese Richtung gehen?

Ja. Während das erste Album mehr in der Tradition der Frühachtziger-New-Wave-Bands stand, wollte ich mit diesem Album stärker in Richtung von deren Einflüssen gehen, wie Neu!, Kraftwerk, Cluster … Laurie Spiegel war eine Künstlerin, die mir während unserer Aufnahmen vorgestellt wurde. Wir haben dann viel ihr Album „The Expanding Universe“ gehört. Einer unserer Songs heißt „A Word & A Wave“, der war im Original sehr kurz. Als wir im Studio waren, erkannten wir, dass daraus ein etwas längere Stück daraus werden könnte. Wir wollten diese Künstler, die uns inspirierten, ehren.

Vielleicht solltet ihr es wie New Order auf ihrem letzten Album machen und später eine Fassung mit den Extended Versions der Songs veröffentlichen.

Ich würde wirklich gerne Extended Version unserer Songs aufnehmen.

Ian Richard Devaney

Lustig, dass du das sagst. Aidan und ich haben angefangen, als DJs mit Vinyl zu arbeiten. Wir haben diese ganzen Extended Versions klassischer Songs gefunden und ich habe gesagt, Mann, ich würde wirklich gerne Extended Version unserer Songs aufnehmen und die auf 10‘‘ Platten rausbringen.

Apropos Vinyl: Es ist echt schwierig, euch in Deutschland auf Vinyl zu bekommen.

Da sollte sich hoffentlich bald ändern. Das ist aber im Moment überall ein Problem mit Vinyl. Vom ersten Album hatten wir 500 Platten pressen lassen – und die waren sofort weg. Also haben wir 500 mehr pressen lassen usw. Zu Rough Trade in New York habe ich die mit meiner Tasche selber hingebracht. [lacht]

Ihr veröffentlicht ja auch viele Songs außerhalb der regulären Alben. Wann entscheidet ihr, ob ein Song ein Albumtrack ist oder nicht?

Manchmal schon, bevor ich ins Studio gehe, manchmal während des Prozesses. Wenn man das Album zusammenstellt, fühlt sich der eine oder andere Track manchmal soundmäßig anders an. Den hebt man dann vielleicht für später auf. Manche Stücke passen nicht zum Album. Dann will man das Album nicht zu lang haben. Und ich mag auch die Idee, so [zwischendurch] mit den Fans in Berührung zu bleiben.

Songs wie „This Fractured Mind“ oder „Across That Fine Line“ sind aber zu eingängig, um sie nicht sowohl als Single herauszubringen als auch aufs Album zu packen.

Das sind die Songs, die das Fundament des zweiten Albums darstellen. Dass die Leute sie eingängig finden, ist schön, aber entscheidend ist, dass ich mit ihnen einen bestimmten Klang für das Album erreichen wollte.

Die haben auch oft diese filmische Atmosphäre. Vielleicht wie in den John-Hughes-Filmen der Achtziger. Hast du so etwas mit im Hinterkopf?

Es sind weniger spezifische Momente aus Filmen. Oft fühle ich mich, als schriebe ich einen Song für das Ende eines Films. Oder die letzte Folge einer Staffel einer wirklich guten Serie. Wie kann ich diese Atmosphäre erreichen? Dieses Gefühl des Verlustes, weil es vorbei ist – aber auch die Dankbarkeit für die Reise dahin.

Wurdet ihr auch schon von Netflix & Co. angefragt?

Es gibt Gespräche, aber das sind noch ungelegte Eier.

Hast du selbst Lieblinge auf deinen Alben – oder ist das schwierig für den Künstler selbst?

Ich gehe da durch verschiedene Phasen. Es gibt nicht den einen Song, der konsistent über den anderen steht. Aber da ist einer, weiter hinten auf dem Album, „Whatever You Want“, der in vielen Phasen mein Favorit war. Dann „In Manhattan“, der Opener. Aber sie haben alle ihre Momente.

„Whatever You Want“ hat mich ein bisschen an Future Islands erinnert.

Oh, cool!

Du singst da etwas kantiger, finde ich.

Das ist lustig. Als ich die Strophen eingesungen habe, fühlte ich so eine Art Mick-Jagger-Energie. Dieses Schnelle, Abgehackte. Etwas anders, als ich sonst singe.

Zu einem meiner Favoriten hat sich „Former Self“ entwickelt. Weil der sehr intensiv ist, mit der hohen Stimme und dem langen Instrumentalpart. Ich musste da von der Atmosphäre her an „Winter Kills“ von Yazoo denken.

Oh, toll! Der wurde komplett während der Pandemie geschrieben, auf einer Nylon String Gitarre. Mit Fingerpicking [greift zur Gitarre und zupft ein paar Töne]. So hatte ich noch nie einen Song geschrieben.

„The Grey Commute“ hat – verstärkt durch das Video – sicher einen deiner düstersten Texte bisher. Sehr kapitalismuskritisch.

Ja, das Thema ist dunkel, aber auch absurd. Der Song und die Videoidee entstanden kurz nach dem Gesetz hier in Amerika, das all den reichen Leuten diese riesigen Steuerrückzahlungen bescherte. Völlig verrückt, warum sollte man so etwas tun? Ein Freund von uns hatte zu der Zeit begonnen, Videos für sein eigenes Projekt zu drehen, und die hatten alle diese surreale, lustige Ästhetik. Also sagte ich mir, das ist der Richtige für uns. Wenn ich das Video selbst gedreht hätte, wäre es nur deprimierend geworden – und das wollte ich nicht.

Zum Schluss eine Frage, die ich gerne stelle: Was rotiert gerade bei euch im Tourbus?

Wir haben zuletzt viel Dry Cleaning gehört, dann Gustaf aus Brooklyn, die sind gerade mit Idles auf Tour. Die neuen Singles von The War On Drugs. Und neue und alte Radiohead-Songs. Mit vier Leuten im Bus wird es nie langweilig.

Vielen Dank für das Gespräch!

Nation Of Language – Strange Disciple vorbestellen:

Nation Of Language live:

03.08. Haldern Pop Festival

04.08. Appletree Garden Festival

15.09. Berlin – Astra

16.09. Hamburg – Uebel & Gefährlich

20.09. Köln – Gebäude 9

www.nationoflanguage.com

www.facebook.com/nationoflanguage

Thomas Bästlein

Thomas Bästlein schreibt (früher unter dem Spitznamen Addison) seit Anfang 2007 für depechemode.de. Hauptberuflich arbeitet er im öffentlichen Dienst. Du kannst Thomas online bei Facebook treffen.

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