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Interview mit Wiegand

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Morgen ist Heiligabend. Mit dem Schnee wird es wohl auch in diesem Jahr nur partiell was, neue Musik und ein Tee geht aber trotzdem immer. Wir haben uns drei Tage nach der Veröffentlichung des ersten Albums von Helge Wiegand (Diorama, t.o.y.) den Musiker beiseite genommen und ihm einige Fragen zu seinem Debüt „Released.“ gestellt. Wie man einen Download verpackt wisst ihr nach dem Lesen dieses Textes auch – diese Lektüre lohnt sich und zwar nicht nur wegen des Tipps im Bereich Last-Minute-Geschenk.

Hallo Helge, heute ist der 23. Dezember. Bist du schon in Weihnachtsstimmung?
Wie jedes Jahr: Nein. Diese ganze Hektik, Menschenmassen in den Einkaufspassagen, überfüllte Weihnachtsmärkte mit billigem Glühwein aus TetraPaks, Kaufrausch, hupende Autos und verregnete Straßen… Nein, Weihnachtsstimmung fühle ich gerade gar nicht.

Das klingt jetzt schon ein bisschen grinchig. Wie wäre es statt Weihnachtsmarkt mit einem Cover von „Last Christmas“?
Oh, das wäre toll. Den Song habe ich, passend zu der sich nicht einstellen wollenden Weihnachtsstimmung bereits 10 Mal in der immer gleichen Version unverhofft in die Ohren gehämmert bekommen. Ich spiele den dann rückwärts ein. Vielleicht hilft das und ich werde dadurch ent-whammed.

Wo wir gerade bei WHAM sind, muss ich natürlich nachfragen, wie viel 80-er in deinem Projekt steckt.
In den 80ern war der Musiker-Teenie-Helge natürlich extrem anfällig für richtungsweisende, prägende musikalische Impulse. Als Keyboarder waren damals sicherlich Depeche Mode, Pet Shop Boys oder auch Alphaville dafür verantwortlich, dass dieser Stil in vielen Songs von damals sowie heute noch deutlich hörbar ist.

Ich bin ja immer noch für ein Wiegand-Cover von „Last Christmas“. Warum heißt dein Projekt überhaupt „Wiegand“ und ist also einfach nur dein Nachname. Warum hast du dir nicht einen speziellen Namen dafür ausgedacht? Hast du bei SCHEUBER die Idee geklaut?

Die marketingtechnisch optimale Antwort dazu wäre vermutlich: “Weil meine Songs 100% ich sind.” Da ich aber nicht auf Marketingfloskeln stehe und der Satz auch total albern klingt, sage ich lieber: Ich hatte keinen Grund und auch keine Lust, mir stundenlang einen Künstlernamen zu suchen. Ich schreibe ja seit meinem 14. Lebensjahr Songs, erst instrumental, dann mit Gesang. Und immer war es die Aussage, “Helge hat einen neuen Song geschrieben, hör mal rein!”. Später dann gab es mal eine private Sammlung der “Wiegand The early years”. Das alles zusammen führte dann dazu, mich frühzeitig WIEGAND zu nennen. Macht es auch einfacher. Scheubi kam viel später.

Du hast ja bisher ziemlich gute Kritiken für dein erstes Album erhalten. Was war da bisher deine Lieblingsaussage eines Rezensenten? Wo hast du dich und deine Musik richtig verstanden gefühlt?
Vorab muss ich ja sagen, dass Rezensionen zu meiner Musik eine völlig neue Erfahrung für mich sind. Insofern könnte ich fast sagen, dass ich jeden Satz geniesse und mit die Rezension auch gerne mehrfach durchlese. Sätze wie “ All in all I’d say ‘Released’ demonstrates the best that can be reached within the Synth Pop Genre ” (Reflections of Darkness) oder “ Die Sinnlichkeit und Liebe zum Detail machen ‚Released.‘ zu einem absoluten Muss” (deepground) oder “ Besonders erwähnen möchte ich den ausdrucksstarken Gesang von Helge Wiegand, der in den nur mit Klavier begleiteten Versionen so viel Gefühl zum Ausdruck bringt, dass es das härteste Herz erweichen könnte. Besser geht es nicht!” (darkmusicworld) machen mich fast sprachlos. Man muss immer bedenken, dass ich zwar schon lange Musik mache, aber diese nie öffentlich und professionell dargeboten habe. Somit ein Nobody in der Szene. Ich wusste immer, dass ich Talent habe. Aber dies mit seinem eigentlichen “Erstlingswerk” voll auf den Kopf bestätigt zu bekommen, ist ein wahnsinnig gutes Gefühl und das macht mich offensichtlich sehr stolz. Ja, da fühle ich mich absolut verstanden.

Warum ist es „nur“ ein Digitalrelease und nicht die klassische CD zum in den Schrank stellen?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Ein Problem ist sicherlich die Zeit. Ich hatte davon für die Musik aufgrund meines Jobs immer sehr wenig. Es ergab sich aber beruflich eine Chance, für den Traum eines eigenen Albums Zeit zu schaffen. Diese Zeit ist ausschließlich in das Songwriting und in die Produktion investiert worden. Für mehrseitige Booklets und bürokratische Themen war dann aber zum Ende hin keine Zeit mehr vorhanden. Darüber hinaus fragt man sich bei einer sinnvollen CD Auflagengröße von beispielsweise 500 Exemplaren, wieviel ich davon realistisch verkaufen kann als Newcomer und nicht auf 389 Exemplaren im Keller sitzen bleibe oder diese für Schleuderpreise verkaufen zu müssen. Beide Schicksale hat das Album nicht verdient. Als letzten Punkt hätte ich selbst ein Problem, diese CD zwar stolz in den Händen zu halten, sie aber nicht abspielen zu können. Ich bin ein digitaler Junkie, in meiner Wohnung ist alles über einen Heimserver vernetzt und selbst das Hochzeitsvideo von meiner Schwester auf Blu-ray war zwar ein tolles Geschenk, aber der Inhalt leider außer Cover Vorder- und Rückseite nicht sichtbar. Habe es aber mittlerweile bei meinen Eltern gesehen und finde es sehr schön.

Zurück zu Weihnachten und Last-Minute-Geschenken: Wie soll ich dein Album denn verschenken, wenn ich es nur über die üblichen Portale herunterladen kann? Wie verpackt man einen Download?
In meiner Mittagspause gehe ich oft zu diversen Discountern. Im Kassenbereich hängen farbenfrohe Gutscheine von Amazon, Google etc.. Diese dann schick verpacken und mit Liebe, aber dem konkreten Hinweis “nur für den WIEGAND-Album-Download verwenden” und einem Kuss verschenken. Das ist total romantisch und top modern. Mit Foto davon auf Facebook als Story gibt es direkt einen “Daumen hoch”
oder ein “Wow”, je nach Aufwand.

Erklärst du den Leuten bitte nochmal, warum es für den Künstler nicht so toll ist, wenn die Veröffentlichung bei Amazon gekauft wird? Stichwort: Gebühren…
Ist das so? Ich beschäftige mich damit überhaupt nicht. Mir ist es wichtig, dass die Menschen meine Musik digital von den gängigen Quellen beziehen können. Da ist Amazon ein Weg. Es geht auch iTunes. Oder bandcamp. Bei bandcamp ist es gefühlt für mich am schönsten, weil ich dort immer direkt bei dem Kauf eine Info bekomme, dass wieder jemand gerade Musik von mir gekauft hat. Das zaubert jedes Mal ein Lächeln auf mein Gesicht. Die anderen Stores oder auch Spotify rechnen später ab, da fehlt mir dann dieses “Realtime” Gefühl und ich lache nicht mehr individuell, sondern gesammelt. Und jetzt, wo Du die Gebühren ansprichst, in Zukunft vielleicht sogar weniger. Verdammt.

Nachdem ich dich jetzt dazu gebracht habe, über das böse, böse Amazon zu schimpfen wegen seiner Gebühren: Wo kauft man Musik am Besten und was war dein letzter Musikkauf?
Das ist sehr subjektiv. Die einen wollen die gute alte CD, zum was “in den Händen halten, Booklet und Texte lesen”, die anderen brauchen das Album als MP3 oder höherwertige Formate und wiederum anderen streamen via Spotify. Mein letzter CD Kauf liegt lange zurück, ich streame via Spotify.

Stichwort „Veröffentlichung“ – warum heißt dein Album „Released.“? Das kann ja schon vielerlei bedeuten. Hast du mal darüber nachgedacht, wie anstrengend das für Musikschreiber ist mit diesem Titel? Da kann man nicht einfach schreiben „Wiegand released sein erstes Album ‚Released’…
Ja, da habe ich drüber nachgedacht und abgewägt. Ich wollte aber das Album genau so nennen. Es beschreibt zwei Dinge. Zum einen ging es für mich darum, Themen, die mich bewegen, freien Lauf zu lassen. Mal abgrundtief traurig, dann wieder voller Motivation, mal sarkastisch, mal wütend, mal romantisch. Zum anderen ist etwas in mir, dass über Jahre geschlummert hatte, durch meine Begegnungen und Zusammenarbeit mit anderen Musikern endlich zum Ausbruch gekommen. Nach meinen Auftritten mit DIORAMA und t.o.y. war ich immer so derart euphorisch, dass dieser Wille, endlich ein eigenes Werk herausbringen zu wollen, schlussendlich Realität geworden ist.

Was sagen denn deine Bandkollegen von Diorama und t.o.y. zu deinem Debüt?
Torben (DIORAMA) und Volker (t.o.y.) haben beide das Album, teilweise in unterschiedlichen Stadien und Situationen gehört. Ich habe ein sehr gutes Feedback bekommen, es ist von beiden (Band)Welten etwas drin. Ich muss aber auch andere Musikerkollegen erwähnen, die mir während der Entstehung sehr geholfen haben. Vasi Vallis (FrozenPlasma, FLTU, namnambulu) hat frühzeitig, auf dem Amphi Festival 2016, stetig Druck aufgebaut, ich solle unbedingt ein eigenes Album machen. Er war dann in 2018 ein ebenfalls wichtiger Motivator, mit dem ich auch meine erste “Whatsapp Sprachnachrichten größer gleich 10 Minuten”-Entdeckung machen durfte. HP (Zynic) hatte mir sehr frühzeitig geschrieben, “Down The Memory Lane” unbedingt als Piano-Version rauszubringen, weil der Song so viel Potential hat. Gesagt, getan. Mich freuen auch Facebook Kommentare von anderen Musikern, die selber wissen, wie viel Arbeit in solch einer Albumproduktion steckt. Zura (Diorama) und Hilger (Diary of dreams) habe ich damals gebeten, für drei Songs Gitarrentracks einzuspielen. Das Feedback zu den jeweiligen Songs war ebenfalls großartig und führte dazu, dass diese Songs nochmal auf ein anderes Level gehoben wurden.

Hat sich da inzwischen schon ein Lieblingssong bei denjenigen herauskristallisiert, die das Album bisher hören durften?
Sehr oft wird “Hideaway” erwähnt, obwohl dieser Song einer der Songs ist, die nicht in 2018 entstanden sind. Ich fand ihn aber thematisch passend zum Album, dachte aber nicht, dass dieser Song so herausstechen wird. Mein Gesang ist dort deutlich dunkler als in den anderen Songs, aber letztendlich habe ich durch das tausendfache Hören der Songs eh ein nicht mehr ganz neutrales Einschätzungsvermögen.

Letzte Chance dein Album anzupreisen, bevor ich dich in die Weihnachtstage entlasse: Warum muss ich mir „Released.“ unbedingt herunterladen?
Weil ich glaube, dass kein Song dem anderen gleicht. Weil ich Dir Ohrwürmer verpflanzen will, die Dich verfolgen. Weil ich Dich zum nachdenken, tanzen oder fühlen bringen will. Und: Weil jeder Song eine Geschichte erzählt. Und was gibt es schöneres, als sich gerade zur Weihnachtszeit vor dem Kamin zu setzen und sich Geschichten erzählen zu lassen, die der eine oder andere in ähnlicher Form schon mal genau so erlebt hat. Frohe Weihnachten!

Bandcamp: https://wiegandmusic.bandcamp.com
Facebook: https://www.facebook.com/wgndmusic
Spotify: https://open.spotify.com/album/12YkTNxziuZqCu4anAmlZk


Josie Leopold

Ich bin die kleine Schnatterschnute vom Dienst: bunt, glitzernd, voller verrückter Ideen. Wenn ich nicht gerade Interviews führe, Beiträge verfasse oder versuche Wordpress davon zu überzeugen doch bitte nett mit mir zu sein, versuche ich die Welt ein bisschen besser und bunter zu machen.

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