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Unter sechs Augen

Interview mit Black Nail Cabaret: „Martin Gore konnte mich immer musikalisch überraschen“

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Das ungarische Duo „Black Nail Cabaret“ ist unterden Electro-Fans für seinen Pop-Noir-Sound bekannt. Anlässlich der Veröffentlichung ihrer neuen E.P. „Maelstrom“ sprachen wir mit Emese und Krisztian über ihre Musik und ihren Blick auf die deutsche Szene.

Ungarn – und im weiteren Sinne der gesamte mittel- und osteuropäische Block – war schon immer ein wichtiger Aufnahmemarkt für eletronische Syntheziser-Musik. 1981 gaben bei uns Kraftwerk, die Eckpfeiler des Genres, zwei ausverkaufte Konzerte im Kisstadion, und 1985 betraten auch Depeche Mode, die bereits einer der größten Teenie-Favoriten in Westeuropa waren, die Bühne hinter dem „Eisernen Vorhang”.

Seit Ende der 80er Jahre kehrten sie schon als Stammgäste immer wieder nach Ungarn zurück, und gleichzeitig versuchten immer mehr ungarische Musiker und Bands, diesem Erfolgsrezept zu folgen. Die Besetzung von Bonanza Banzai und die anderen damaligen Genre-Hoffnungen aus Ungarn, Dr. Beat und Populär konnten jedoch – aufgrund sprachlicher Einschränkungen – nur das ungarische Publikum ansprechen.

Erst ein paar Jahre später gelang es Neo, aus dieser Szene auch im ausländischen Markt zu funktionieren und sich auf der internationalen Bühne zu agieren.

depechemode.de: Wie bewusst habt ihr vor gut zehn Jahren damit angefangen, englischsprachige Songs zu schreiben? Gab es einen bestimmten Grund, warum ihr nicht in eurer Muttersprache komponiert? Wen betrachtet ihr als eure musikalische Vorbilder?
Emese (Black Nail Cabaret): Ich habe schon von Anfang an meine Songtexte auf Englisch geschrieben und meine vorherigen Gedichte ins Englische übersetzt, die ich später als Songtexte verwenden wollte. Ich bin hauptsächlich mit englischsprachiger Musik aufgewachsen, die ich über ausländische Radio- und Musikfernsehsender kennengelernt hatte. Irgendwie war es für mich automatisch, den ganzen Songschreibvorgang auf Englisch zu versuchen, auch wenn ich nicht über perfekte Sprachkenntnisse verfügte, aber ich versuchte, Texte zu übersetzen und Phrasen zu lernen.
Ich wollte, dass unsere Musik mehr Menschen erreicht und dass viele Menschen verstehen, worüber ich singe. Meine musikalischen Vorbilder sind Künstler wie Bowie, Prince, Björk oder Madonna, die sich unabhängig vom jeweiligen Musikgenre ständig erneuert werden konnten. Unter den Zeitgenossen gibt es auch solche, mit denen ich mich identifizieren kann und oft daran denke, „was er oder sie an meiner Stelle tun würde“. Und hier denke ich nicht nur an die musikalische, sondern auch an die menschlich Seite.

Krisztian (Black Nail Cabaret): Martin Gore konnte mich immer musikalisch überraschen. Aber ich habe immer die Musiker gemocht, die in einem bestimmten Genre etwas Einzigartigeres leisten und ständig experimentieren.

dm.de: Deutschland und die skandinavischen Länder haben nach wie vor eine der stärksten und treuesten Fangemeinden für Darkwave-, Gothic-, Industrial- und EBM-Musik. Mit eurem ersten Album habt ihr es sofort geschafft, hier live auftreten zu können, und seitdem fühlen sich eure Auftritte hier fast wie Nachhausekommen an. An welches Konzert erinnert ihr euch aus dieser Zeit am liebsten? Welche Großen des Genres habt ihr getroffen? Habt ihr auch künstlerische Freundschaften geschlossen?
Emese (BNC): Ich denke, und da stimmt bestimmt auch Krisztian zu, dass das definitiv unvergesslichste Erlebnis für uns das gemeinsame Touren mit Camouflage in Deutschland war. Wir haben sehr viel auch über uns selber gelernt. Wir fühlen uns tatsächlich schon fast wie zu Hause in Leipzig und da sorgt man auch dafür, dass wir uns wie daheim fühlen können. Ich hoffe, wir können so bald wie möglich hierher zurückkommen.
Die wichtigste Freundschaft für uns ist definitiv die mit Daniel Myer, der aus den Projekten Haujobb, Architect oder Liebknecht bekannt ist. Mit ihm haben wir mehrmals zusammengearbeitet, und ich mag ihn auch als Person. Er ist großzügig und hilfsbereit.

Krisztian (BNC): Jedes Mal bin ich erstaunt, wie empfänglich das Publikum in Deutschland ist, das diese alternative elektronische Musik mag. Die Deutschen waren doch die Wegbereiter dieser Musikrichtung und wir haben noch immer Angst, unsere Musik auf ein Terrain zu bringen, das so gesättigt und „Gourmet“ ist. Da viele Künstler aus dieser Branche auf deutschem Boden repräsentiert sind, können wir nicht im Voraus wissen, wie der Empfang des Publikums aussehen wird.

dm.de: Eure Alben wurden entweder als Privatausgabe oder bei ausländischen Labels veröffentlicht. Gab es kein Interesse an euren Produktionen von Seiten der ungarischen Plattenfirmen, oder warum hat es sich so entwickelt? Welche waren eure bisher besten Platzierungen in den Charts?
Emese (BNC): In Ungarn hört eine wesentlich kleinere Gruppe Darkwave- oder Synthpop-Musik. Obwohl Depeche Mode bei uns eine riesige Fangemeinde haben, wurden bei ihren Konzerten interessante, sogar neue Support-Acts mehrmals von der Bühne ausgepfiffen, weil das Publikum nur auf DM neugierig war. Diejenige also, die nach etwas Neuem in der Darkwave und Synthpop-Szene suchen, kommen nicht in größeren Mengen vor, wie in den anderen europäischen Ländern. Und die Nachfrage beeinflusst auch die Plattenfirmen. Es gibt nur ein paar kleinere unabhängige Verlage, die hauptsächlich von Musikern betrieben werden. Ich glaube nicht, dass wir außerhalb von Self-Publishing oder über unser eigenes Plattenlabel eine große Chance gehabt hätten, Alben zu veröffentlichen.
Krisztian (BNC): Unser bisher bestes Ergebnis war der 2. Platz mit unserem „Pseudopop” Album in den Deutschen Alternativen Charts.


dm.de: Euer letztes Album, „Gods Verging On Sanity”, wurde im Mai 2020 bei Dependent Records veröffentlicht. Zu diesem Zeitpunkt waren wir bereits inmitten der Corona-Geschehnisse, von denen sich die Welt seitdem nicht mehr erholen konnte. Inwieweit beeinflusst all dies die Stimmung eurer kommenden Songs? Bezieht sich die Bildwelt des neuen BNC-Clips („Maelstrom”) auch auf die Coronavirus-Pandemie beeinflusste Welt, oder irre ich mich?
Emese (BNC): Die Songs, wie „Maelstrom”, wurden lange vor Covid geboren. Zwischen dem Songwriting-Prozess und der Veröffentlichung liegt immer eine Phasenverzögerung von 1-2 Jahren. Die Idee für „Maelstroms” Video wurde bereits 2019 geboren und es waren hauptsächlich der Klimawandel und die gleichgültigen Reaktionen darauf, die die Geschichte und ihre Umstände prägten. Wir wollten uns jedoch nicht allzu sehr darauf konzentrieren, sondern eher nur einen Hintergrund für eine Geschichte liefern, die auf menschliche Beziehungen reflektiert: die Begegnung der Extreme, weibliche und männliche Energien, Frieden und Aktivität.
Die Pandemie wird definitiv die Stimmung und die Texte des nächsten Albums beeinflussen. Eine ernsthafte Reise zur Selbsterkenntnis findet gerade statt, nach dem „Gods Verging On Sanity” Album gehe ich jetzt etwas tiefer, und das nächste Album wird dies widerspiegeln.

dm.de: Was die Inspiration zu eurer aktuellen EP anbelangt, sollte man an Poes Kurzgeschichte „Hinab in den Maelström” oder an die legendäre norwegische Mini TV-Serie 85, „Maelstrom – Eine unheimliche Erbschaft”? Oder kam die Idee für das Lied anderswoher?
Emese (BNC): Eigentlich hat die Platte mit keinen der oben genannten zu tun. Das Lied wurde noch in London geboren, wo wir ein ziemlich kompaktes Leben an einem winzigen Ort führten. In der Studio-Wohnung konnte jeweils nur einer von uns Musik schaffen, während der/die andere wartete und sich mit etwas anderem beschäftigte. Zwei Menschen verletzen sich wegen der geringsten Kleinigkeit unbedacht auf 20 Quadratmetern. Das Lied handelt von dieser verborgenen, unausgesprochenen Spannung und von änlichen Alltagssituationen, dem nutzlosen Scrollen in sozialen Medien, der Frustration, dem Vergleich mit den Anderen… Es hatte keinen Titel für einen sehr lange Zeit. Ich wollte definitiv einen solchen Titel wählen, der diesen Gedankenwirbel ausdrückt

dm.de: Eure Livestream-Konzerte konnten zwar die Fans ein wenig trösten, aber die sind doch nicht mit echten Live-Auftritten zu messen. Könnt ihr in der jetzigen Situation vorausplanen? Habt ihr in der letzten Zeit überhaupt Konzertanfragen erhalten?
Emese (BNC): Wir haben schon Konzerte gebucht. Die Covenant-Tour wurde in den Herbst 2021 verlegt, wo wir ihre Supportband mit Torul sein werden. Diese Tour wurde seit März 2020 immer wieder verschoben und ist noch immer nicht sicher, dass sie dieses Jahr stattfinden wird. Wir treiben derzeit in der Flut der Ereignisse und planen Dinge, die in der aktuellen Situation gemacht werden können. Natürlich freuen wir uns schon jetzt darauf, einmal wieder auf Tour gehen zu können, aber es ist auch sicher, dass unser Leben nicht mehr das gleiche sein wird.


dm.de: Was sollten wir über die Remixe wissen, die auf der neuen EP veröffentlicht wurden?
Emese (BNC): Das Lied „Maelstrom” ist auf unserem vorherigen Album „Gods Verging On Sanity” zu finden. Wir haben es als Maxi gewählt, weil es sentimental, aber einfach und melodisch ist. Es bildet eine Art Übergang von Pop zu Dark-Pop werden. Wir haben die Albumversion mit einem kleinen Twist, neuen Drums und zusätzlichen Synthesizern variiert, die unsere Fans von den vorherigen Gigs erkennen werden.
Der Fixation Mix wurde von Krisztián gemacht. Wir haben uns auf die Schlüsselbegriffe konzentriert und eine Version erstellt, die in den 80er Jahren irgendwo in einem Club eine BDSM-Fantasie erzählt. Für diese EP wurde auch ein Technoid Remix gemacht, mit freundlicher Genehmigung des ungarischen DJs und Produzenten Man Machine, der nicht nur die BPM erhöhte, sondern auch versuchte, den Charakter des Songs durch den Gesang zu bewahren und auch ein wenig Post-Punk-Feeling durch Gitarre dazu zu geben.
Mit dieser EP veröffentlichten wir auch einen neuen B-Side-Song, „You Lessen: I Die”. Dies hat seit 2019 geduldig darauf gewartet, dass es an die Reihe kommt, bis es im Dezember 2020 endlich aufgenommen wurde. Eine großartige Paarung mit dem A-Side-Song und in gewisser Weise dient auch als ein Outro dazu. Die Texte gehen quasi im gleichen Sinne weiter und geben wieder, wo und womit „Maelstrom” aufhört.

Black Nail Cabaret Maelstrom – EP Trackliste:

1. Maelstrom (Single Edit)
2. Maelstrom (Fixation Mix)
3. Maelstrom (Man+Machine Remix)
4. You Lessen I Die

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