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Das Interview der Woche

White Lies im Interview: „Wenn du einen großen Refrain schreiben kannst, dann solltest du das auch verdammtnochmal tun.“

Unser Album des Monats Februar ist „Five“ von den White Lies. In den nächsten Tagen (die Tourdaten stehen unten) touren die Herren auch in unseren Landen. Wir haben Sänger/Gitarrist Harry McVeigh und Songwriter/Bassist Charles Cave in Berlin zum Gespräch getroffen:

depechemode.de: Glückwunsch zum fünften Album! Das Nächste heißt dann „Six“?

Harry McVeigh: [lacht] Vermutlich nicht. Vielleicht nennen wir es „Nine“.

Five“ war sicher eine gute Zahl. Auch gut passend, zehn Jahre nach dem Debüt.

Harry: Genau. Und wir brauchten auch einfach unter Zeitdruck noch einen Albumtitel.

Charles Cave: In der Vergangenheit waren die Alben entweder nach Songs oder nach Textzeilen benannt. Dieses Mal fühlte es sich aber nicht so an, als ob ein bestimmter Song das ganze Album erfassen würde. Es fühlte sich nicht fair an, einen Song so herauszuheben. Sonst würden wir jetzt in den Interviews sitzen und gefragt werden: Warum dieser Song?

Das Artwork passt ja auch gut dazu. Woher kam das?

Charles: Wie Harry schon andeutete, waren wir ein bisschen unter Zeitdruck. Nachdem wir die Albumaufnahmen abgeschlossen hatten, gab es ein Meeting mit unserem Management. Wir wussten, dass für Februar bereits eine Tour gebucht war. Also sagte man uns, ihr müsst das Album im Januar veröffentlichen. Um das zu schaffen, müsst ihr das Album in acht Wochen beim Plattenlabel abliefern. Zu der Zeit hatten wir kein Plattenlabel [mittlerweile sind sie bei PIAS, Anm. d. Red.], kein Artwork, nichts. Das war mit einem Mal ziemlich beängstigend. Wir hatten von einem Designer schon ein paar Ideen, die waren aber nicht so großartig. Ich bin dann eines Tages in einen riesigen Kunstbuchladen gegangen, habe eine Menge Bücher durchgeblättert, Fotos, Gemälde, alles. Später am Abend habe ich dann gegoogelt, wie Texte in verschiedenen Sprachen aussehen. Und da fand ich dann diese Code-o-graph-Form der Brailleschrift. Ich fand das interessant, schickte es an unseren Designer, und dessen Ideen dazu sahen dann schon dem finalen Artwork sehr ähnlich. Glück gehabt! Für das Artwork muss man immer so viel Material sammeln und herumschicken. Man hat immer so seine Ideen im Kopf, wie es aussehen sollte – und der Punkt, wo alles Sinn ergibt, kommt erst, wenn man ein ganz bestimmtes Bild sieht. Wenn uns jemand während der Albumaufnahmen vorgeschlagen hätte, so ein graphisch-minimalistisches Cover zu machen, hätten wir das wohl alle abgelehnt.

Harry: Bevor wir mit dem Album angefangen haben, wollten wir aber durchaus so etwas Graphisches, so etwas wie bei den klassischen Factory Records.

Ich musste auch an Factory denken, an Peter Saville.

Harry: Genau. Und es lässt sich gut auf viele verschiedene Dinge übertragen. Poster, Tourbühne und so weiter.

War es eigentlich mehr Druck oder eher befreiend, ohne ein Label in die Aufnahmen zu starten?

Beim kreativen Prozess haben wir uns eigentlich immer wohlgefühlt.

Harry McVeigh

Harry: Da war schon ein gewisser Druck, denn, wie Charles schon sagte, unser Management hatte – irgendwie unclever – bereits Tourdaten gebucht, bevor wir überhaupt das Studio gebucht hatten und Monate, bevor wir wieder ein Label hatten. Aber beim kreativen Prozess, wenn es ins Studio geht, haben wir uns eigentlich immer wohlgefühlt. Und es hat auch im Studio nie irgendetwas gefehlt. Wir hatten unsere Zeit im Studio gut geplant.

Charles: Seit unserem dritten Album gehen wir auch immer mit Demos ins Studio, die schon ziemlich weit ausgearbeitet sind. Wenn wir dann im Studio sind, muss nur noch herausgearbeitet werden, welche Teile verändert, weggelassen oder verbessert werden müssen.

Es gab also schon Unterschiede zu den ersten Alben, in der Art, wie ihr an die Aufnahmen gegangen seid.

Harry: Ja, aber seit dem dritten Album läuft das relativ ähnlich ab.

Ich habe euch bei der Promotour zum letzten Album im Teufel-Store Berlin gesehen. Da spracht ihr davon, vielleicht auf dem nächsten Album etwas experimenteller werden zu wollen.

Beide: Stimmt!

Den Songs mehr Zeit zu geben, um sich zu entwickeln. Scheint ja geklappt zu haben.

Harry: Ich bin froh, dass wir das gesagt haben. Eine gute Vorahnung! Wir sind über die Jahre als Musiker gewachsen, haben auch mehr Selbstvertrauen in unser Können und sind bereit dazu, verschiedene Dinge auszuprobieren. Auch darum haben wir „Time To Give“ sowohl als ersten Song des Albums veröffentlicht als auch an die erste Stelle gepackt. Der ist ein gutes Beispiel dafür.

Time To Give“ hätte sicher nicht jede Band als Vorabsingle herausgebracht.

Harry: Technisch gesehen war es ja keine Single. Nur ein Vorabtrack zur Albumankündigung. Einige europäische Länder haben ihn dann aber doch wie eine Single behandelt. Vor allem die Niederlande, wo er bei Radiosendern bis zu vier-, fünfmal am Tag lief. In der vollen Version! Verrückt und toll!

Den Song kann man ja auch eigentlich nicht auf einen Edit kürzen, der hat so viele Teile.

Harry: Man würde höchstens das Outro weglassen, aber eigentlich geht das auch kaum. Der beschleunigt ja immer weiter.

Für mich ist das ja vielleicht euer bester Song bisher.

Harry: Dankeschön!

Charles: Das haben einige Leute gesagt. Auch Alan Moulder und Flood waren sehr zufrieden mit dem Song.

Ich mag auch die Backgroundchöre. Und diesen irgendwie französisch klingenden Synthie-Teil.

Harry: Ja, den haben wir mit einem echten Harpsichord aufgenommen.

Wie kamen diese verschiedenen Songteile zustande?

Harry: Ich denke, der Song hat sich mit der Zeit entwickelt. Geboren wurde er in der Zeit mit Ed [Buller, mit dem das Album prä-produziert wurde] in Los Angeles. Am Anfang war er noch sehr einfach, und nach ein paar Tagen haben wir ihn auf die Festplatte gepackt und erst mal andere Arbeiten erledigt. Wir haben ihm etwas Zeit gegeben und ihn uns später nochmal angehört. Zuerst war dann da dieses Riff aus dem Mittelteil und dem Outro, wo Ed sagte, damit könnt ihr etwas anfangen. Das Riff war seltsamerweise von Bach inspiriert. Ich bin mit meiner Frau vor zwei Jahren nach Kalifornien gezogen und habe mir die Zeit mit Klavierspielen vertrieben. Und da habe ich schnell angefangen, Bach zu spielen. Daraus entstand dann das Riff, und es sind lauter kleine Momente wie dieser, wo jeder, der am Album beteiligt war, seinen Teil in diesem Song spielt. Und jede Entscheidung, die wir trafen, machte den Song besser. Das ist ein Traum, wenn man an einem Stück Musik arbeitet.

Dann ist dieser schräge Klavierpart am Ende von „Kick Me“ …

Harry: Nee, den habe nicht ich gespielt. Charles, das war der Klavierlehrer deines Vaters, richtig?

Charles: Ja, den habe ich dafür rangeholt. Der ist ein erfolgreicher Solojazzpianist. Wir dachten, es wäre ganz nett, ein wenig Piano auf dem Album zu haben, dass mehr als nur gerade Akkorde spielt. Er spielt übrigens auch auf dem Outro von „Finish Line“. Wir baten ihn, für das Outro von „Kick Me“ zu improvisieren. Die Idee war, dass alle anderen Musiker aufhören zu spielen und er einfach weiterspielt. Er hat das dreimal gemacht, und jedes Mal war komplett unterschiedlich und immer toll. Wir haben jetzt eine gute Arbeitsweise gefunden – wir wissen, was wir zu tun haben, wir wissen, mit welchen Leuten wir arbeiten wollen, zum Beispiel mit James Brown, der ein großartiger Engineer ist. Weil wir diese Infrastruktur geschaffen haben, können wir dazu nun auch neue Dinge ergänzen. Wenn alles gut geht, können wir in den nächsten Jahren unsere besten Arbeiten abliefern.

Man hört auch ein paar interessante Kontraste, die man auf euren vorherigen Alben nicht hatte. Auch vom einen Song zum anderen. Beim erwähnten „Kick Me“ werden es im Laufe des Songs weniger Instrumente, während davor „Finish Line“ immer größer und größer wird. Gab es da einen Plan, die hintereinander zu packen?

Harry: Vom Tracklisting her? Ja, die Songs fließen gut vom einen zum nächsten. Vom Design her ist da ja keine so große Kohärenz zwischen den Songs. Oft schleift man ja die Songs noch ein bisschen ab, damit sie besser zueinander passen. Aber wir dachten, vielleicht lassen wir das dieses Mal und pushen die Demos mal in unterschiedliche Richtungen. Da ist viel individuelle Kreativität in den Tracks, die wollten wir nicht einschränken. Es sind ja für uns auch ein paar recht heftige Gitarrenparts dabei, was ich sehr mag, während andere Stellen etwas mehr laid-back und atmosphärisch sind.

Für mich ist es unser erstes Album, das ich, sobald es zu Ende ist, sofort wieder anhören möchte.

Charles Cave

Charles: Ich weiß nicht, ob sich das für unsere Fans oder die Leute, die es sich anhören, auch so anfühlt, aber für mich ist es unser erstes Album, das ich, sobald es zu Ende ist, sofort wieder anhören möchte. Wegen dieser Variationen und der Kontraste. Wie, wenn man vor einem riesigen Buffet steht. Das ist natürlich auch etwas riskant, denn es kann sein, dass so etwas dann keinen Flow hat oder klingt, als wäre es über zwei Jahre an verschiedenen Orten mit verschiedenen Produzenten entstanden.

Eine der Fragen, die ich unbedingt stellen wollte (vor allem auch hinsichtlich eines Songs wie „Tokyo“): Würdet ihr je vor einem großen Refrain zurückschrecken?

Beide [überzeugt]: Nein!

Harry: Ich habe mich immer an großen Refrains erfreut.

Und ihr seid ja mittlerweile auch dafür bekannt.

Harry: Nicht, dass wir deswegen besonders häufig im Radio gespielt würden, aber ja.

Charles: Wenn du einen großen Refrain schreiben kannst, dann solltest du das auch verdammtnochmal tun. Denn eine Menge Leute können es nicht.

Harry: Es ist schön, Dinge in der Musik zu haben, die dich aufbauen, die Euphorie auslösen können – und dafür sind große Refrains da.

Charles: Es muss ja nicht immer auf die gleiche Art groß sein. Siehe „Time To Give“. Als wir den Song schrieben, waren wir uns nicht bewusst, wie groß der Refrain auf seine Weise ist. Immer, wenn man den Refrain in diesem Song hört, hat er gar keine große Instrumentierung dahinter. Es ist irgendetwas dran an der Melodie und den Worten zu diesen bestimmten Akkorden, was ihm diese Mitsingqualität gibt. Mir geht es oft so, wenn ich Musik im Radio oder auf Spotify höre, dass ich denke: Hm, der Refrain, der könnte so viel besser sein. Ein Grund warum beispielsweise Coldplay – und ich bin gar nicht mal ein großer Fan von ihnen – so riesig sind, ist, dass sie große Refrains schreiben. Und zwar schon immer. Als das erste Coldplay-Album herauskam, war ich noch sehr jung – und ich habe es gehasst, das im Radio zu hören. Ich habe Heavy Metal und so etwas gehört, da fand ich so etwas voll öde und langweilig, aber eigentlich sind das, wie ich erst später realisiert habe, wirklich schöne Songs mit riesigen, mitsingtauglichen Refrains. So etwas ist gar nicht so einfach hinzubekommen.

Ihr habt ja den Kontrast zwischen eurer euphorischen Musik und den häufig dunklen, melancholischen Texten. Behaltet ihr da die Balance im Auge?

Charles: Ja, schon. Die Texte kommen immer aus einem Gefühl heraus, das durch die Musik ausgelöst wird, die wir machen. Wenn wir an einem besonders düster klingenden Stück arbeiten, versuche ich textlich davon abzuweichen. Um einen Kontrast zu behalten. Sonst wird es zu einseitig.

Harry: Zu klischeehaft.

Charles: Es gibt Unmengen an Beispielen. Wie „There She Goes“ [von den La’s], da ist dieser sonnige Strandsong mit diesem sehr traurigen Text. Ich habe mal ein Interview mit Paul Simon gehört, wo er sagte, dass das Klischee ein sehr wichtiger Teil der Musik ist und man es sehr gut einsetzen muss. Es gibt diese wenigen Momente, wo man das Klischee so gut eingesetzt bekommt, dass es sich irgendwie gewichtig und bedeutungsvoll anfühlt. Wenn man aber ein Stück Musik schafft, das nur schwer und bedeutungsvoll wirkt, kann man das nur selten genießen und eine Verbindung dazu herstellen. Wenn man aber eine Spur Klischee mit diesem Gefühl der Bedeutung mischt, werden die besten Songs daraus. Da gibt es, wie gesagt, so viele Beispiele in der Musikgeschichte. Wie „Bohemian Rhapsody“, das ist eigentlich der kitschigste, opernhafteste, lächerlichste Song über einen sterbenden Mann, aber alle wollen so einen Song schreiben.

Ich muss euch noch zum letzten Song auf dem Album befragen. „Fire and Wings“ ragt ja ein wenig heraus. Mir gingen da beim Hören drei sehr unterschiedliche Bands durch den Kopf: The Doors, vielleicht wegen der Orgel und der Art des Gesangs …

Beide: Ja!

dann The Screaming Trees, die 90er-Jahre-Band von Mark Lanegan …

Charles: Ich habe nie viel The Screaming Trees gehört, bin nie so bei Grunge eingestiegen. Ich mochte Soundgarden sehr, war aber nie massiver Nirvana-Fan. Zu der Zeit habe ich mehr so Sachen wie Pantera gehört. Der Song hat aber vielleicht auch ein bisschen was von Black Sabbath.

Mich hat der Synth-Rock-Mix noch an Gary Numan erinnert.

Beide wieder: Ja.

Charles: Definitiv.

Harry: Und Scott Walker in den Strophen und der Melodieführung.

Charles: Es erinnert mich tatsächlich an den Song „Black Sabbath“, obwohl der eigentlich einer der Black-Sabbath-Songs ist, die ich am wenigsten mag. Aber es ist dieser sehr langsame, doomy Bass. Hoffentlich bekommen wir den live hin.

Ganz zum Schluss muss ich natürlich als für eine Depeche-Mode-Seite Schreibender noch fragen: Wie war die Arbeit mit Flood und Alan Moulder?

Beide: Großartig!

Harry: Wir haben nicht an der ganzen Platte mit Flood gearbeitet, aber wir haben viel von ihm aufgeschnappt. Wir waren bei ihm im Studio, und er hat ein paar Synthies für uns programmiert, was großartig war. Wenn er verfügbar sein sollte, würden wir gerne in der Zukunft wieder mit ihm arbeiten. Sein Hirn funktioniert auf so eine verrückte Art.

Charles: Er hat eine gute Idee, dann fängst du an, daran zu arbeiten, da kommt er bereits mit der nächsten Idee. [beide lachen]

Harry: Und mit Alan haben wir ja schon vorher gearbeitet, er ist einfach ein großartiger Mix Engineer, vielleicht der Beste in der Welt.

Vielen Dank für das Gespräch!

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P.S. Die White Lies live: 22.02. Köln, 23.02. Bochum, 24.02. Hamburg, 03.03. Berlin, 08.03. Wien, 12.03. Lausanne, 13.03. Zürich, 15.03. München, 16.03. Leipzig, 18.03. Wiesbaden

www.whitelies.com

www.facebook.com/WhiteLies

Thomas Bästlein

Thomas Bästlein schreibt (früher unter dem Spitznamen Addison) seit Anfang 2007 für depechemode.de. Hauptberuflich arbeitet er im öffentlichen Dienst. Du kannst Thomas online bei Facebook treffen.

4 Kommentare

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  1. thomas

    2009 wurden sie richtig gepusht von MTV, VIVA und Radiosender

    doch dieser retro sound überzeugte nur mittelfristig dann wurden sie fallengelassen

  2. Gefälliger Radio tauglicher Poprock, White Lies reiht sich wie auch Coldplay oder Muse in diese Richtung ein, mir zu belanglos, ohne irgendwelche Ecken und Kanten, hat man schon x-mal so gehört.

  3. Das grenzt ja an Schlager. Der Sänger ist fürchterlich.
    It`s A No From Me!

  4. Leider keinen Wiedererkennungswert

    Hab mir Zeit genommen ins
    Album reinzuhören. Die Vorraussetzungen wären ja gut, aber zu wenig Risiko in den Songs. Da passiert absolut nix unerwartetes. Nette Popmusik aber leider nix was einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Sorry nur meine Meinung aber nicht aufgeben weithin die zündende Idee zu finden….

Kommentare sind geschlossen.

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