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Warren Suicide – Requiem For A Missing Link

Die verrückte Kunstfigur ist wieder da. Warren Suicide, die seltsame krakelige Gestalt, trägt nun einen Dreizack, eine Trommel mit der Zahl 3 darauf und ein drittes Auge. Und er hat es endlich geschafft, die Musik, die seinen Hinterleuten entsprungen ist, auch auf Albumlänge in Deutschland veröffentlicht zu bekommen. Es wäre sonst auch eine Schande und ein Verlust für scheuklappenresistente Ohren.

Ein Blick zurück. Auf einer frühen Tour mit Northern Lite gesehen (noch, bevor diese allzu bekannt wurden), von der Live-Show mit den irren Visuals begeistert gewesen. Die (umfangreiche) Debüt-EP gekauft, auf mehr gehofft. Dann nicht viel gehört. 2006: Urlaub in London (nebst DM-Konzert). In einem kleinen Plattenladen in Bayswater gestöbert, Flyer und Fanzine entdeckt – huch! In England sind die Berliner eine kleine, feine Größe geworden. So erschien ihr Debütalbum „The Hello“ auch auf dem dortigen Label Fume. Und in der Heimat nicht. Nur online oder auf (zahlreichen) Konzerten erhältlich.

Jetzt aber! Shitkatapult haben 2008 einige starke Pferde im Stall: Die neue T.Raumschmiere-Platte scharrt mit den Hufen, doch vorher prescht das „Requiem For A Missing Link“ im Eiltempo auf die Zielgerade. Wobei, auf einer Gerade kann sich diese Wundertüte in keiner Sekunde halten. Dieses prächtige Tier schlägt in alle möglichen Richtungen aus. Ist es Electro? (Art-)Punk? (New) Wave? Rock? Klassik? Wieder einmal ist es das Beste, sämtliche Schubladen einfach Schubladen sein zu lassen und sich stattdessen von elf extrem vielschichtigen Songperlen davontragen zu lassen.

Die Künstler Cherie und Nackt haben viele Talente und viele Freunde. Musik, Zeichnungen, ein Großprojekt namens „Berlin String Theory“, das Mitglieder verschiedenster Bands (u.a. Tocotronic) zur Neuaufnahme und Aufführung ihrer Songs mit einem Streicherquartett bewegte. Der eine oder andere half nun auch beim neuen Album mit, das rätselhafte, gelegentlich verschollene Gründungsmitglied Fremdkörper tauchte auch mal wieder auf. Insbesondere die Streicher setzen einige höchst markante Glanzlichter auf „Requiem…“.

Los geht’s mit „Sometimes„, das den Einstieg mit geradlinigen, an Fischerspooner erinnernden Beats leicht macht. Später gesellt sich die Gitarre passend dazu. Dazu von Anfang an der reizvolle Gegensatz der männlich-markanten (Nackt) und weiblich-wohlklingenden (Cherie) Vocals. Mit „The Matter“ folgt ein deutlich komplexeres Stück, ein früher Höhepunkt des Albums. Akustikgitarre und weiblicher Gesang leiten ein, harte Beats schließn sich an, ein flotter Electropopsong mit Gitarre entwickelt sich (Strokes-Produzent Gordon Raphael spielt die Keys!). Nach knapp dreieinhalb Minuten dann ein Break, der Herr übernimmt, das Stück wächst sich zu einem bassbrummenden Geschepper aus. Stark! Anschließend wird der Fremdkörper aus „The Cage“ gelassen, spitze Streicher setzen einen Kontrapunkt zu Beats und Bass.

Dann die tanzbaren Songs mit den repetitiven Titeln. „Knock Knock“ mit den angeschrägten Sounds und die verdiente Single „Run Run“ mit Streicherintro, mitreißendem Rhythmus und Mitsingrefrain. „What Do We Do?!“ lässt den Punk seinen Iro schütteln. Stolpernde Drumbeats leiten danach den Ohrwurm „Home“ (nein, kein Cover, trotzdem toll) ein, hier singt Cherie einfach schön, und am Schluss gibt es tolle Streicher und Synthies. Dagegen leiert das schräge, fast schon verstörende „Oh, Baby“ zu eher düsteren Sounds dahin.

Mit „Land Of The Free“ läutet Warren die Schlussoffensive ein. Eine echte Hymne. Fast schon beatle-eske Pianoakkorde, beatlastige Strophe, gänsehautmachender Chor-Refrain unterstützt von Gods Of Blitz-Sänger Sebastian Gaebel. Zum Kontrast gibt es danach ein wunderschönes Streicherinstrumental („Too Old For Suicide„). Das könnte gern noch viel länger so gehen, doch der Schlussakkord wartet: „Good Morning Lord“ setzt noch ein sechsminütiges Ausrufezeichen. Viele Instrumente, und eine Entwicklung von ruhigem Lied über Zirkusmusike bis zu einem lauten (Electro-)Rocksong. Da ist noch mal fast alles drin. Die Ohren sausen, können sich beim Outro-Rauschen von „Back In 5 Minutes“ erholen und sehnen sich doch sofort nach dem nächsten Durchlauf.

Ein Requiem des positiven Wahnsinns, da könnte Deutschland gern in größerem Umfang Notiz nehmen (das geht ausdrücklich auch an die Musikmedien)! Album des Monats!

(Addison)

P.S. Warren Suicide Live: 14.07. Berlin, Zitadelle Spandau (Support für die B 52’s!), 17.07. Dessau (Melt! Pre-Show)

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www.warrensuicide.com
www.myspace.com/warrensuicide

Thomas Bästlein

Thomas Bästlein schreibt (früher unter dem Spitznamen Addison) seit Anfang 2007 für depechemode.de. Hauptberuflich arbeitet er im öffentlichen Dienst. Du kannst Thomas online bei Facebook treffen.

1 Kommentar

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  1. hallöchen!
    großartiges album-erinnert mich was positive verrücktheit und kreative agressivität angeht an den jungen phillip boa(ich weiß,vergleiche hinken immer und der voodooclub war damals eher rockig und weniger elektronisch ausgerichtet-aber trotzdem…)!
    und danke für den tip an DM.de(obwohl ich weiß gott nicht alles was eure rezensoren so „anpriesen“ toll fand-ich denke da nur an „hot chip“-das war ödes „tuckengesäusel“ mit einem bill gates-als-konfirmand-double auf ecstasy als live-performer.DAS ging gar nicht!!!)

    nichts für ungut…..

Kommentare sind geschlossen.

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