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Neues Album und Konzert in Berlin

Thomas Azier im Interview, Teil 2: „Ich habe Musik immer über Komfort gestellt.“

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Thomas Azier hat uns im letzten Jahr mit seinem zweiten Album „Rouge“ erfreut. Nun gibt es mit „Stray“ (erst EP, bald Album) in Kürze Nachschub, außerdem kommt er am 22.11. auf ein Konzert zu Besuch in seine alte Heimat Berlin (ins Prince Charles, Tickets bekommt ihr hier). Gelegenheit für uns, euch mit Teil 2 unseres Interviews (Teil 1 könnt ihr hier nachlesen) an ihn zu erinnern:

Deine Songs klingen, als hätten sie eine Menge Luft zum Atmen.

Genau! Ich habe da so Techniken entwickelt. Computersounds, die durch einen Gitarrenverstärker geschickt werden, Dinge, wo man nicht genau weiß, was man da hört. Manches klingt wie eine Band, ist aber … bei „Talk To Me“ zum Beispiel ein Vermona, ein ostdeutscher Drumcomputer. Kühl, aber wunderschön. Ich liebe diese schrägen Dinge, die man nicht gleich erkennt und hoffe, dass die Leute das mitbekommen. Ich mag die Idee der Zeitlosigkeit, wenn man nicht genau weiß, ob etwas alt oder neu ist.

Noch ein paar Fragen zu einzelnen Songs auf „Rouge“. „Concubine“ ist ein recht kurzer Song, der gut als Intro funktioniert. Der sollte bestimmt auch immer an den Anfang?

Ja, stimmt. Da habe ich die Demoversion beibehalten. Die war so pur. Ich am Klavier, ein Mikrofon. Das hat so ein Chet-Baker-Feeling und etwas von Nick Drake, etwas wirklich Süßes und Sanftes.

Und es setzt den Ton für das Album.

Exakt.

Talk To Me“ ist dann sehr eingängig und eine offensichtliche Single. Es gibt ja so ein paar Songs, die schwer aus dem Kopf zu bekommen sind, also im positiven Sinne. „Gold“ gehört noch dazu oder „Berlin“.

Der Bass war da sehr von Bedeutung. Wie damals in den 70ern und heute im Hip Hop. Ich wollte ihn auf eine Art verwenden, die sehr präsent, aber nicht aggressiv, ist. Melodisch fast.

Ach ja, der „Water“-Part in „Sandglass“ mit dem Klavier ist auch noch so ein Fall.

Ja. Sehr 70er-mäßig. Ich hatte da plötzlich diesen riesigen Refrain. Und mein Bruder [mit dem Azier am Album gearbeitet hat, Anm. d. Red.] sagte, das ist nicht richtig so. Und er hatte recht. Also entschieden wir, es herunterzufahren und zur ursprünglichen Fassung zurückzukehren.

Der Text zu „Sandglass“ ist sehr poetisch.

Es hat ein Jahr gedauert, vorwärts, rückwärts, den so zu schreiben. Irgendwann sagten wir, wenn Zukunft und Vergangenheit sich berühren, so in der Mitte der Sanduhr, das ist das Jetzt. Wenn man dann an dieser Stelle ist und die Sanduhr bricht, steckt man in dieser Wüste fest. Ich mag dieses Bild. Man ist in dieser Wüste des Jetzt, ist durstig, sucht nach Wasser. Erzählt Lügen über einen Schatz, der in der Mitte dieser Wüste versteckt ist, will aber eigentlich nur an das Wasser heran. Der Text würde auch ohne die Musik funktionieren. Ich mag so etwas an Songs – wenn du willst, kannst du beim Hören auf den Text achten, aber du kannst auch nur auf die Musik hören. Du kannst den Abwasch machen und sagen, okay, guter Song, du kannst es aber auch vertiefen: Oh, der hat wirklich etwas zu erzählen.

In zwei Songs ist die Zeile „Just a mattress on the floor“ enthalten…

Ja [lacht], das war hier in Berlin. Ich habe Musik immer über Komfort gestellt. Die eine Matratze hatte ich sogar irgendwo draußen gefunden. Jetzt lebe ich in Paris. Da ist es eigentlich unkomfortabler zu leben, aber dafür besitze ich jetzt ein Bett. Die ganze Zeit bis ungefähr zu meinem 28. Geburtstag hatte ich nur eine Matratze. Das fand ich ganz nett so, mehr war nicht in meinem Zimmer, nur das und das Klavier. Weil ich das so wollte – heute sehe ich das als meine Spaßperiode an. Während dieser Zeit war ich allerdings sehr gestresst. Ich dachte so: Nun lebe ich in Berlin und mache Musik, aber keiner hört meine Musik. Mittlerweile bin ich da viel entspannter. Ob es an Paris liegt oder daran, dass ich etwas älter geworden bin und getourt habe…

Die Zeile funktioniert natürlich auch gut als Metapher dafür, die Dinge manchmal einfach zu halten.

Ja, ich liebe Menschen, die von dieser Mentalität herkommen. Leute, die eine Kämpfermentalität haben, die aus dem Nichts kommen oder wissen, wie es ist, mit Nichts zu leben. Oder die sich einfach nicht darum scheren und wirklich nur so um die zehn Dinge besitzen. Ich möchte an jedem Punkt meines Lebens bereit sein können alles aufzugeben.

Der Song „Call“ könnte von einer Fernbeziehung handeln, wo es nur einen Anruf braucht, um das Verhältnis aufrechtzuerhalten.

Ja, das würde passen. Ich möchte das jetzt gar nicht groß herausstellen, aber ich schrieb den Song nach den Terrorattacken in Paris. Ganz einfach: Ich versuchte jemanden anzurufen und kam nicht durch. Das sind Bilder, die du nicht aus dem Kopf bekommst, denn du beginnst, darüber nachzudenken, dass Menschen in Gefahr sein könnten, darüber, was passieren könnte oder hätte passieren können. Wir waren in einem Restaurant ganz in der Nähe, alles wurde abgeriegelt, man konnte sich die ganze Nacht da nicht wegbewegen. Ich habe beobachtet, wie alle versucht haben, ihre geliebten Menschen anzurufen, und das brachte mich zu diesem Song.

In diesen Zusammenhängen habe ich diese eine Facebook-Funktion lieben gelernt. Wir hatten ja auch einen Terroranschlag in Berlin – und diese simple Funktion, wo man angeben kann, dass es einem gut geht, kann sehr glücklich machen.

Das ist genau das, was ich ausdrücken wollte.

Ein anderer Song ist „Crucify“. Der ist etwas näher am ersten Album dran. Starker Refrain und großartiges Ende, wo man denkt, jetzt könnte der richtig in eine Dance-Richtung abgehen. Doch dann hört er einfach auf.

Das ist typisch Thomas Azier [lacht]. Dich den Song nicht richtig genießen zu lassen [lacht erneut]. Nein, ich wollte das genau so haben. Eigentlich wollte ich den mit einem anderen Song verbinden. Dazu kam es dann nicht, aber nun mag ich dieses „What the fuck“-Element. Auch beim Text. Ein bisschen over the top.

Starling“ ist eines der elektronischeren Stücke. Du hast das als Opener bei den letzten Konzerten verwendet. Bleibt es da?

Ich denke schon. Ich mag auch dieses Bild des Starenschwarms. In Paris auf dem Hinterhof fliegen die ihre Formationen jede Nacht. Ich finde das wunderschön.

Das Artwork hat diese Symbole für die einzelnen Songs.

Ja, ich benutze immer Symbole, wenn ich Songs schreibe. Manchmal habe ich da noch gar keine Songtitel.

Zum Schluss frage ich immer gern, was gerade im Tourbus rotiert. Bzw., welche Musik während der Aufnahmen oder gerade aktuell gehört wird.

Ich suche meine [Live-]Bandmitglieder immer sehr gründlich aus, weil ich dieser Theorie folge – ich glaube, sie stammt von Iggy Pop –, dass man immer Menschen von komplett unterschiedlichen Seiten finden sollte. Mein Pianist ist ein richtig klassisch studierter Pianist, der kommt von Leuten wie Ravel her. Mein Bassist dagegen kommt vom Garage Rock, der hört die schmutzigen, lärmigen Sachen, der Drummer dagegen kommt eher aus dem Jazz. Es gibt also nicht wirklich Musik, auf die wir uns alle einigen können, aber wir alle lieben gute Musik. Was bei mir derzeit rotiert, ist Perfume Genius. „Slip Away“ ist so ein druckvoller Song! Außerdem habe ich zuletzt eine Menge deutscher Musik gehört. Da gibt es eine großartige Liverversion von „Der Räuber und der Prinz“ von DAF. Oder Malaria. Außerdem einiges an Postpunk und Dark Wave. Denn nachdem es bei diesem Album vor allem ums Songwriting ging, habe ich nun wieder richtig Lust aufs Produzieren und den Computer.

Vielen Dank für das Gespräch!

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www.thomasazier.com
www.facebook.com/thomasazier

Thomas Bästlein

Thomas Bästlein schreibt (früher unter dem Spitznamen Addison) seit Anfang 2007 für depechemode.de. Hauptberuflich arbeitet er im öffentlichen Dienst. Du kannst Thomas online bei Facebook treffen.

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