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The Twilight Sad im Interview: „Es ist wichtig, auch Traurigkeit im Leben zuzulassen, um das Glück besser schätzen zu können.“

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The Twilight Sad aus Glasgow haben mit „It Won/t Be Like This All The Time“ unser Album des Monats Januar abgeliefert. Bereits im November waren sie auf einer kurzen Tour u.a. in Berlin zu Besuch, wo wir mit Sänger James Graham und Keyboarder Brendan Smith gesprochen haben. Zur Begrüßung geht es erst einmal um den Genuss alkoholischer Getränke (über solche Themen kann man mit Schotten immer gut ins Gespräch kommen):

depechemode.de: Wie geht’s?

James Graham: Gut. Wir waren gestern noch in Prag unterwegs. Sind schön am Fluss entlang gelaufen und hatten dann eine Menge Margaritas bei einem Mexikaner.

In Prag. Bei einem Mexikaner.

James: Ja. Schräg, oder? [lacht]

Aber die haben das beste Bier der Welt!

Brendan Smith: Tschechisches Bier ist großartig, stimmt!

James: Aber wir haben Margaritas getrunken. [lacht] Man wird vom Tequila auf eine seltsame Art betrunken, so wie im Delirium. Und man bekommt Brainfreeze.

Brendan: Wie sagt man auf Deutsch dazu?

Eigentlich genau das Gleiche: Hirnfrost.

Brendan: „Hornfrost“. [lacht]

James: Ich bin natürlich früh zu Bett gegangen. Bin ja ein Profi. [grinst]

Geht ihr nach dem Konzert noch in die Bar von Barry von Mogwai? [Barry Burns von der befreundeten Glasgower Band Mogwai betreibt in Neukölln die Kneipe „Das Gift“, Anm. d. Red.]

James: Er kommt zum Konzert.

Brendan: Und er hatte gestern Geburtstag!

James: Wir werden so tun, als wäre heute sein Geburtstag. Ob ein paar von uns danach noch in die Bar gehen, weiß ich nicht, wir müssen ja bald weiter. Wie weit ist es bis nach Hamburg?

Knapp drei Stunden mit dem Auto.

James: Na mal sehen. Auf jeden Fall werden wir mit Barry einen trinken.

Nun zu den Fragen. Sorry erstmal, ich hatte noch nicht sooo viel Zeit zum Reinhören ins Album, da ich erst gestern Abend aus Liverpool wiedergekommen bin.

James: Ah, Liverpool! Was hast du da gemacht?

Ach, Kurzurlaub mit Besuch beim FC Liverpool.

James: Cool! Gegen wen ging es?

Fulham.

James: Stimmt ja. Liverpool hat 2:0 gewonnen. Salah und Shaqiri haben getroffen, oder?

Stimmt genau.

Brendan: Shaqiri kam zu Saisonbeginn von Stoke, der macht sich ganz gut, oder? Ich war nur bei einem Premier-League-Spiel, einem miesen 0:0 zwischen Chelsea und Newcastle.

James: Ich mag meinen Fußball beschissen. Deswegen gehe ich nur zu schottischem Fußball. [lacht]

Wir waren im März in Glasgow und haben da ein paar Spiele gesehen. Motherwell – Celtic. Auch so ein trauriges 0:0. Und bei einem Zweitligaspiel – wie heißt nochmal der Ort mit dem Outletcenter?

James: Livingston!

Brendan: Das ist eine gute Beschreibung für Livingston. [lacht]

James: Ihr wart also im Toni-Macaroni-Stadion? [lacht schallend]

Brendan: Die betreiben ja diverse Restaurants in Glasgow. Und da ist dieser Typ, der hat einen Ferrari mit riesiger Toni-Macaroni-Werbung drauf und fährt damit immer die Straßen rauf und runter.

James: Ich bin ja Aberdeen-Supporter. Und da Livingston aufgestiegen ist, freue ich mich drauf, auch bald das Toni-Macaroni-Stadion besuchen zu dürfen. Ist es okay da?

Ach ja. Klein, nett, freundliche Leute, und sie haben Bovril. [eine Fleischbrühe, die bei eiskaltem Wind- und Regenwetter sehr hilfreich sein kann]

[lautes Gelächter]

Nun aber zur Musik!

James: Ach, ich könnte so weiterplaudern.

Es ist euer fünftes Album. Was sind die größten Unterschiede zu vorher?

Wenn man drei, vier Alben gemacht hat, möchte man sich nicht nur noch wiederholen.

James Graham

James: Da gibt es einige. Für mich ist jedes Album ein Schnappschuss davon, wer ich an diesem Punkt in meinem Leben bin. Und ich habe mich jedes Mal ein bisschen verändert. Man wird älter, mehr Dinge sind passiert, gute und schlechte. Musikalisch haben wir gemeinsam beschlossen, uns immer weiter zu verbessern, uns zu fordern. Wenn man drei, vier Alben gemacht hat, möchte man sich nicht nur noch wiederholen. Nicht wegen anderer Leute, sondern zu deinem eigenen Besten. Und all die Erfahrungen, die wir in den letzten Jahren auf Tour gemacht haben – da waren unfassbare Erlebnisse dabei – haben wir auch mit in die Aufnahmen genommen. Plus: Andy [MacFarlane, Gitarrist und Produzent der Band] hat aus Versehen, während wir an der Musik gearbeitet haben, alles gelöscht. Normalerweise schreibe ich meine Texte zur Musik und maile die dann an Andy. Dieses Mal haben wir durch die Panne die Rollen getauscht, und er hat die Musik um meine Texte herum geschrieben.

Brendan: Die Zeit zwischen den Alben war die längste, die wir je hatten [der Vorgänger erschien 2014]. Denn man verändert sich ziemlich in der Zeit, das Leben verändert sich. Das zusammen mit den Erfahrungen, die wir auf diesen massiven Shows gemacht haben, die wir gespielt haben. Wir waren über zweieinhalb Jahre auf Tour! Wir wollten nach all den Erfahrungen auch eine Platte, wo es Spaß macht, sie live zu spielen.

James: Wir haben auch viel Zeit als Band zusammen in einem Raum verbracht, die Songs gehört, über sie gesprochen. Es war eine offenere Plattform für jeden in der Band. Eine der lohnendsten Erfahrungen, wo jeder seine Ideen und Meinungen einbringen konnte. Während Andy früher die Songs geschrieben hat und mit ins Studio brachte. Wir sind dann für zwei Wochen zum Proben ans Loch Fyne gefahren.

Brendan: Es war toll, mal so eine Menge Zeit zusammen zu verbringen, ohne müde vom langen Touren zu sein. Als wir dann im Januar ins Studio zu den finalen Aufnahmen gingen, waren wir so gut vorbereitet wie nie zuvor.

James: Dann haben wir einen neuen Drummer auf dem Album. Johnny kannte ihn aus einer anderen Band schon seit etwa 15 Jahren. Und die beiden haben die Drums für das ganze Album in ungefähr drei Stunden aufgenommen! Es war beeindruckend anzusehen. Die Platte hat mehr von unserer Live-Energie als früher.

Ja, sie klingt sehr dynamisch. Ihr habt also am Loch Fyne ein Haus gemietet?

James: Ein Cottage, ja. Und direkt daneben war ein Proberaum. Und Pfauen.

Und zum Feierabend immer ein schönes Loch Fyne Ale.

James: Ich glaube, wir haben meistens Wein getrunken.

Brendan: Und sind in der Loch Fyne Oyster Bar essen gegangen. Die ist berühmt für ihre Meeresfrüchte.

James: Ja, das ist sehr abgelegen und wunderschön. Aber wir haben tatsächlich die meiste Zeit da eingeschlossen und sehr fokussiert verbracht. Nichts anderes, was man machen konnte. Ähnlich wie in dem anderen Studio in Devon, wo wir gearbeitet haben.

Ich habe gelesen, dass ihr die berühmt-berüchtigten „Oblique Strategies“-Karten von Brian Eno benutzt habt.

James: Andy hatte die, als er an den Songs geschrieben hat. Er hat die aber nicht mit ins Studio gebracht. Er sucht immer nach Wegen, sich herauszufordern und Dinge anders zu machen. Ich denke, er hat auf diesem Album mehr experimentiert als je zuvor.

Ich habe euch ja um euer drittes Album [„No One Can Ever Know“, 2012] herum kennen gelernt , vielleicht, weil das ja eure Synthieplatte war.

James: Ja, ich denke, einige Teile davon haben eine Verbindung mit dem neuen Album. Das Album damals hatte einen recht kühlen Sound. Wir haben einiges von diesen Industrial-Sounds genommen, es nun aber etwas geöffnet. Es klingt nicht mehr so kalt.

Ja, ich habe auch Gefühl, dass viel von euren letzten beiden Alben im neuen steckt. Von der Emotionialität des letzten Albums und von den elektronischen Details des anderen.

James: Ich glaube, wir haben das ganz gut ausbalanciert. Auch ein paar neue Gitarrensounds entwickelt.

Es gibt also auch immer mal wieder Erweiterungen beim Equipment?

Brendan: Ja. Dieses Mal haben wir u.a. den Juno 106 benutzt, und es gibt immer mal neue Geräte, durch die Andy die Sounds schickt. Aber wir haben es diesbezüglich relativ einfach gehalten, haben uns verkniffen, eine Million Software-Synths zu verwenden. Wir wollten einen konsistenteren Sound auf dem Album haben. Wir haben im Studio alte Alben von The Cure und Siouxsie And The Banshees gehört, und die haben meistens einen Synthie für fast alles benutzt.

Wo wir gerade von The Cure sprechen: Ich habe euch zweimal mit ihnen gesehen, einmal in Berlin – und dann letztens bei ihrem großen Geburtstagsevent im Hyde Park. Wie war diese sehr besondere Erfahrung?

James: Die Tour … die Touren, es waren ja zwei, waren musikalisch und karrieremäßig die besten Erfahrungen meines ganzen Lebens. Diese Ehre, für The Cure eröffnen zu dürfen – davon hätten wir nie zu träumen gewagt. Aber auch, sie jeden Abend sehen zu können, jeden Abend von ihnen lernen zu können. Die haben für ihre Tour 150 Songs gelernt! Jeder Abend war anders. Bewusst und unterbewusst sind da bestimmt viele Dinge in unsere Musik durchgesickert. Auch die Größe der Bühne und die Tipps, die Robert uns gegeben hat – großartig! Und dann diese Hyde-Park-Show, die kann ich gar nicht beschreiben.

Brendan: Wir hätten auch nie mit so einem positiven Feedback der Leute gerechnet. Das gibt einem auch ein gewisses Selbstvertrauen, ebenso natürlich, dass einem Robert Smith sein Gütesiegel gibt. Es war auch einfach toll, Zeit mit ihm verbringen zu können. Neben einem musikalischen Genie ist er ja auch eine unglaublich nette Person.

So eine Gelegenheit ist keine Selbstverständlichkeit, es ist eine Chance, von den Besten zu lernen.

James Graham

James: Es gibt sicher auch Bands, die prahlerisch aus so einer Erfahrung kommen würden: ‚Ey, wir haben The Cure supportet!‘ und so. Aber wir haben das immer nur so gesehen, dass wir uns klar stolz und geehrt fühlen, aber vor allem auch, dass wir etwas dabei lernen können. So eine Gelegenheit ist keine Selbstverständlichkeit, es ist eine Chance, von den Besten zu lernen. Aber nicht falsch verstehen: Wir hatten auch viel Spaß dabei.

Hat das auch eure Art des Livespielens beeinflusst?

James: Es wäre verrückt, wenn es das nicht hätte.

Brendan: Wenn man sieht, mit welcher Sicherheit die ihre 120, 130 oder wie viele Songs auch immer beherrscht haben, gibt einem das schon auch Selbstvertrauen … wenn wir dann erstmal alle neuen Songs live beherrschen.

James: Wobei wir schon meistens nahezu das gleiche Set spielen. [lacht]

Brendan: Wenn wir die neuen Songs dann aber drauf haben und das Album draußen ist, werden wir zumindest so um die drei verschiedene Sets spielen, wo wir sagen können, ach, heute spielen wir mal dieses, morgen jenes. Das wäre gesund.

Der wachsende Songkatalog hilft da ja auch.

Brendan: Wir haben auch angefangen, uns unsere alten Songs, darunter welche, die wir ewig nicht live gespielt haben, vorzunehmen, um sie in unserer jetzigen Besetzung spielen zu können.

James: Einige der alten Songs spielen wir jetzt schon, und die klingen ziemlich anders als früher.

Ich mag das ja, wenn man Bands über die Jahre immer mal wieder live sieht und die Songs dann nicht jedes Mal gleich klingen.

James: Für uns ergibt das einfach Sinn – wir haben uns weiterentwickelt, also entwickeln sich die Songs auch weiter.

Zu den Texten: Die sind natürlich düster wie immer, aber dieses Mal vielleicht manchmal etwas direkter, oder?

James: Das stimmt. Ich habe weniger Metaphern verwendet und etwas offener gesprochen. Für mich war nach vier Alben wichtig zu überlegen: Wie kann ich mich als Texter verbessern? Wie kann ich rüberbringen, was ich fühle? In diesen Tagen empfinde ich es als wichtig, offen über Gefühle zu sprechen, über gute und schlechte Dinge. Die Leute können das ja weiterhin auf ihre eigene Art interpretieren, aber für mich war es wichtig, auch Sachen auszusprechen, über die ich sonst kaum sprechen kann, selbst mit Freunden und Familie. Auch um den Leuten, die über die Jahre gut zu uns waren und eine emotionale Verbindung mit uns haben, zu zeigen, dass es okay ist, so zu fühlen. Dass es gut ist, eine Möglichkeit zu haben, so etwas rauszulassen, sei es über Musik oder Kunst oder was auch immer. Ich wollte auch diese Balance des Lebens zeigen, aus Glück und Traurigkeit. Man kann das eine nicht ohne das andere haben. Es ist wichtig, auch Traurigkeit im Leben zuzulassen, um das Glück besser schätzen zu können. Ich bin in den letzten Jahren durch einige der schlimmsten Zeiten meines Lebens gegangen, aber auch durch einige der besten, das reflektiert auch der Albumtitel. Und ich höre jetzt von Leuten – oder sie schreiben mir sogar –, dass dieser oder jener Song eine stärkere Verbindung zu ihnen herstellt als viele andere zuvor. Also habe ich vielleicht etwas richtig gemacht.

Bei aller Düsternis kommt aber auch immer wieder der Humor durch. In den Texten, vor allem aber auch bei den Songtiteln.

James: Ja, die Leute fragen dann Dinge wie: ‚Oh, ist das ein Song über Dennis Hopper?‘ [zu „Shooting Dennis Hopper Shooting] – und ich so: ‚Nö.‘ [lacht] Ich finde es manchmal schwer zusammenzufassen, worum es in einem Song geht. Dann gebe ich ihn Andy, um ihn zu benennen. Und der hat sich da gerade diese Fotos von Dennis Hopper angesehen …

Brendan: Er war in dieser Ausstellung mit Polaroids, die Dennis Hopper geschossen hatte, glaube ich. So kam der Songtitel zustande. Das ist auch ein schöner Kreislauf, von Andys Songidee, über James‘ Text, zurück zu Andy, der den Song benennt.

James: Die Ästhetik des Artworks hat auch etwas damit zu tun. Die Songtitel spielen da mit hinein.

Und wie kam es nun zu diesem deutschen Songtitel „Auge Maschine“?

James: Das war auch Andy. Ich weiß nicht mehr, wie er drauf kam.

Brendan: Wir liebten die Art, wie es auf Englisch klang und auch, wie es geschrieben aussieht.

James: Ich denke, wir werden noch einige nette Zufälle mit diesen Songs haben. Die gab es jetzt zum Beispiel bereits zum Song „VTr“. So schließen sich manchmal Kreise.

Vielen Dank für das Gespräch!


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Thomas Bästlein

Thomas Bästlein schreibt (früher unter dem Spitznamen Addison) seit Anfang 2007 für depechemode.de. Hauptberuflich arbeitet er im öffentlichen Dienst. Du kannst Thomas online bei Facebook treffen.

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