Ende Februar 2025. Berlin-Kreuzberg. FluxBau. Blick auf die Spree. Röyksopp sind in der Stadt, um in der kommenden Nacht ein DJ-Set abzuliefern. Vorher nehmen sie sich aber ausführlich Zeit, um mit uns über ihre jüngsten Veröffentlichungen zu sprechen. Nach ihrer „Profound Mysteries“-Trilogie haben sie sich auf zwei sehr unterschiedlichen Alben noch einmal mit dem Material beschäftigt. Zunächst gab es mit „Nebulous Nights“ eine über zweistündige Ambient-Variation der 30 Tracks. Und nun folgt nach der zugehörigen Tour mit „True Electric“ noch das Live-Album. Aber auch das sind Röyksopp anders angegangen als viele andere Künstler. So sind sie eben, die beiden eklektischen Norweger.
depechemode.de: Ist das heute der Anfang eurer aktuellen DJ-Tour?
Svein Berge: Ich persönlich weiß nicht mal genau, wann es angefangen hat, weil ich das Gefühl habe, dass es schon immer so war. Jemand sagte zu uns, ihr fangt jetzt an, das zu tun, was ihr schon seit langer Zeit macht.
Torbjørn Brundtland: Ich weiß auch nicht, ob es ein jährliches Ding ist oder wie du sagst. Seit der Veröffentlichung von „Profound Mysteries“ haben wir live gespielt und als DJs aufgelegt. Es geht seit der Veröffentlichung immer so weiter. Irgendwann werden wir es langsamer angehen, damit wir mehr Zeit haben, Musik zu machen. Wir machen immer noch Musik zwischendurch, dann aber konzentrierter.
Svein: Einer der Vorteile des Reisens und Tourens und des DJ-/Live-Dings oder was auch immer wir da tun, ist natürlich, dass man das Leben erlebt, dann nach Hause zurückkehrt und all die Eindrücke und Ideen verarbeitet, die man vielleicht aufgeschnappt hat, und sie in neue Musik umsetzt.
Bekommt man bessere Eindrücke während einer Tour oder während der Zeit dazwischen, wenn man zu sich selbst zurückkommt und sich mehr entspannt?
Torbjørn: Ich denke, dass Svein und ich uns am meisten von der Natur und dem Weltraum inspirieren lassen und – ich habe keine Angst, große Worte zu benutzen – vom Universum. Daher kommt das Hauptsignal. Es ist nicht so, dass wir in einem Club spielen und dann zurück ins Studio gehen, um über die Erfahrung in einem Club zu schreiben, denn das ist sehr langweilig für uns. Es geht darum, Menschen zu treffen, die Welt zu bereisen und andere Kulturen kennenzulernen, und wir haben das Glück, dies als Teil unseres Jobs tun zu können. Das spornt uns an.
Svein: Ja, ich denke, die nachträgliche Verarbeitung ist interessanter. Die Reaktion auf was auch immer oder einfach im eigenen Kopf zu sein. Es ist ein bisschen mehr – kein Wortspiel beabsichtigt – tiefgründig [er sagt „profound“, in Anspielung auf den Albumtitel, Anm. d. Red.]. Es ist Existenzialismus, aber in einem sehr kleinen Maßstab. Darüber zu schreiben, wie toll es auf der Tanzfläche ist, hat keinen Sinn, das wäre eine langweilige Geschichte.
Beeinflussen dieses konstante Touren und die neuen Einflüsse die Sounds, die ihr erforscht? Also vielleicht gerade jetzt, wo ihr die eher clubbigen Sachen spielt, wirkt sich das auf das neue Material aus?
Svein: Das tut es. Im Umfeld der Live-/DJ-Sache – das ist übrigens schon immer so gewesen – probieren wir neue Sachen aus, das können neue Tracks sein, die wir noch nicht veröffentlicht haben. Im Laufe der Jahre haben wir viele, viele Tracks gemacht, die wir live ausprobieren. Und entweder finden wir, dass das einfach nur Spaß gemacht hat, und werfen es weg, oder wir legen es in eine Schublade, oder wir entwickeln es weiter und machen einen Track daraus. Und ja, es wird beeinflusst durch die Umgebung, in der wir uns befinden, durch das, was wir erleben.
Es kann aber auch sein, dass ihr einige Nächte in Clubs gespielt habt und danach sagt, jetzt würden wir gerne etwas ganz anderes machen. Wie das Ambient-Album.
Torbjørn: Du hast völlig recht.
Svein: Exakt. Ich glaube, es ist einfach so: Wenn du eine Woche lang jeden Tag Fisch gegessen hast, willst du vielleicht am Montag der nächsten Woche etwas anderes haben. Wir haben viel Zeit in einer Club-Umgebung verbracht, was wir natürlich lieben und wo wir herkommen, aber gleichzeitig mögen wir die Ruhe und die Gelassenheit von Ambient-Musik. Die ist vielleicht ein bisschen mehr für den Kopf als für die Hüften. Es hat uns Spaß gemacht, dieses „Nebulous Nights“-Ding zu machen, weil wir uns gerne kleine Aufgaben stellen: „Das ist ein Problem – können wir dieses Problem lösen?“ Die Idee war also, „Profound Mysteries“ zu nehmen, was natürlich 30 Tracks sind, diese ganze Dreifach-Sache in einem Ambient-Album neu zu interpretieren und zu sehen, ob wir das in einer bestimmten Art von Ambient-Musik machen können, die wir wirklich mögen, aber mit einem Hauch von Röyksopp darauf.
Wie seid ihr diese besondere Platte angegangen? Weil die ja doch anders ist als alles, was ihr vorher gemacht habt.
Svein: Als wir angefangen haben, ernsthaft Musik zu machen, so ungefähr 1990, 1991 herum, wir waren also 14, 15, 16 zu der Zeit, und angesichts der jugendlichen Energie, die man hormonmäßig zu diesem Zeitpunkt hat, wollten wir Musik machen, die sehr energiegeladen ist. Rave, früher Jungle. Wir haben also 150 BPM gemacht, aber auch Ambient-Musik, so wie The Orb, The KLF, der frühe Aphex Twin. Das war acht Jahre vor Röyksopp. Es war also schon immer da.
Torbjørn: Und es ist, wie du schon sagtest, diese spezifische Art von Ambient, die wir für „Nebulous Nights“ machen wollten. Eine, bei der man einen Schritt zurückgeht, dahin, wo die Musik zusammengefügt wird. Wenn wir noch einmal zu The KLF zurückkommen und zu ihrem Album „Chill Out“, dann geht es in diesem Album nicht wirklich um genau das, was die Musik ist. Sondern es ist wichtig, wie der nächste Teil dazukommt. Das ist es, was es zu einer Reise macht. Und ich denke, das ist es, was wir mit „Nebulous Nights“ versucht und hoffentlich auch erreicht haben. Es ist also mehr eine Live-Sache, bei der wir nicht ein halbes Jahr an diesem kleinen Stück Musik verbringen und versuchen, es auf eine bestimmte interessante Art und Weise zu schreiben. Der Schreibanteil der Musik ist hier wirklich schnell, wie in Sekunden, mehr wie eine Live-Performance.
Svein: Ich habe es in einem Satz zusammengefasst: Es ist einfach roh, analog und immersiv. Das Element „roh“ wird von vielen Leuten als eine Art Verzerrung oder so etwas angesehen, aber „roh“ bedeutet für uns eher „Plug and go!“. Der Ambient der Zeit, auf die wir uns beziehen, die frühen 90er, späten 80er, war oft irgendein Knistern, das hat man gesampelt, eingefügt und ausgefadet. Es hat auch ein Element von frühem Dub. Es gibt dieses Knistern und Rauschen, was wir wirklich lieben. Das war die Idee von „Nebulous Nights“, das beizubehalten und es nicht zu einer Art von neuem Ambient zu machen. Moderner Ambient ist sehr clean, was okay ist, aber nicht die Art von Ambient, die wir bevorzugen. Wir mögen es ein bisschen schlammiger und wärmer und knisternder und all diese Dinge. Das Hauptziel war, es so roh zu halten, und das kann man auch hören.
Oh, ja, es gibt immer eine Art von Geräusch, irgendetwas im Hintergrund. Ich habe es mir im Bett angehört, weil man Ambient sehr gut im Bett hören kann.
Svein: Da stimme ich voll zu. Das mache ich auch gerne. Ich schlafe dabei gut ein.
Aber da sind diese Sounds, die unerwartet sind. Was nicht immer die Eigenschaft von Ambient-Musik ist, denn andere Ambient-Musik fließt oft dahin, eben um einzuschlafen.
Svein: Ich denke, das ist eine sehr wichtige Sache, auf die Torbjørn sich auch schon bezog. Das ist das, was man auch bei The KLF oder Alex Paterson und Jimmy Cauty von The Orb hat. Dass etwas Interessantes passiert, und es kann manchmal sogar ein wenig unharmonisch sein, aber es ist interessant. Es hält dich dran, es läuft nicht alles glatt durch, es ist nicht wie eine einzige große Umarmung. Da ist eine gewisse Anspannung drin, ohne dass es dir ins Gesicht schlägt.
Habt ihr davon auch etwas live oder in Clubs gespielt?
Svein: Versionen davon. Da das, wie Torbjørn sagte, zusammengefügte Liveaufnahmen sind. Wir haben ein Ambient-Set in Amsterdam gespielt, wo wir ein paar davon drin hatten. Das war eine Art Jam-Session-Live-Ding, bei dem wir die Musik anderer Leute mit Ambient-Versionen von uns selbst gemischt haben.
Torbjørn: Um ehrlich zu sein, wir wollen mehr Ambient-Sets spielen. Aber wir wollen sichergehen, dass die Leute wissen, worauf sie sich einlassen. Denn eine nicht so ideale Situation ist es, wenn es wie ein Club aussieht und die Leute stehen und wir in der DJ-Kabine sind. Wir wollen Ambient spielen, während alle so aufgedreht sind. Diese spezielle Art von Hype, wenn man so will, muss verschwinden, um ein gutes Ambient-Set zu haben. Die Leute sollen die Performer in einem Ambient-Set nicht anstarren, sie sollen tun können, was auch immer sie wollen. Diese Freiheit ist eine andere Erfahrung.
Svein: Es muss auch der richtige Veranstaltungsort sein. Man kann dafür keinen
Warehouse-Betonraum nehmen, weil es dann einfach dröhnt und furchtbar ist. Es muss ein bisschen gedämpfter sein, wenn es um den Sound geht, und die Leute müssen sitzen und entspannter sein. Das ist knifflig. Eine der Eigenschaften von Röyksopp ist unsere musikalische Diversität …
Torbjørn: … Und die kann manchmal ein zweischneidiges Schwert sein.
Svein: Denn wir machen upbeat, tanzbare elektronische Musik, aber wir machen auch Ambient-Sachen oder irgendetwas dazwischen, und wir machen Popsongs. Weil wir also verschiedene Ausdrucksformen haben, haben wir auch verschiedene Arten von Fans. Und wenn wir sagen, heute Abend spielen wir ein DJ-Set, da wollen wir einfach nur eine gute Zeit haben und Clubmusik spielen. Aber es wird immer jemanden geben, der will, dass wir etwas von, sagen wir mal, dem „Senior“-Album spielen, das mehr in Richtung der chilligen Ambient-Instrumental-Sachen geht. Was schwer unterzubringen ist, wenn man bei 125 BPM hämmernden Techno spielt. Das ist einfach etwas, womit man umgehen muss. Es wäre einfacher, wenn du ein Künstler wärst, der einfach nur sein Ding spielt. Damit wäre man sicher. Aber mit Röyksopp ist man niemals sicher [lacht].
Ich glaube, es ist heute auch schwierig, weil die DJ-Clubnächte sich im Laufe der Jahre verändert haben. Früher sind die Leute gekommen, haben getanzt und vielleicht einmal pro Stunde in Richtung des DJs geschaut. Jetzt kommen sie, und es ist wie eine Rockshow.
Svein: Yes! Und ich möchte hinzufügen, dass ich die Oldschool-Variante bevorzuge. Wenn es nach mir ginge, würde ich mich in einem anderen Raum verstecken. Es geht nicht um uns, es geht um die Musik. Ich bin einfach nur der Typ, der den Knopf drückt. Ich muss nicht gesehen oder in irgendeiner Weise gelobt werden. Wenn wir spielen, ziehen wir es vor, auf der gleichen Ebene zu sein, in einer Ecke in der Dunkelheit. Statt in der Mitte auf der Bühne.
Zurück zum Projekt „Profound Mysteries“. Glaubt ihr, dass das jetzt abgeschlossen ist? Oder wird es jemals abgeschlossen sein? Weil es ja so viele Facetten hatte.
Die Musik ist eine Zusammenfassung dessen, wo wir zu einem bestimmten Zeitpunkt in unserem jeweiligen oder kollektiven Leben stehen.
Svein Berge
Svein: Ich mag das. Wir sehen unsere Produktionen, die Dinge, die wir seit dem ersten Tag mit „Melody A.M.“ gemacht haben, als eine kontinuierliche Sache. Das klingt furchtbar prätentiös, aber so sehen wir es. Die Musik ist eine Zusammenfassung dessen, wo wir zu einem bestimmten Zeitpunkt in unserem jeweiligen oder kollektiven Leben stehen. Es ist nur ein kleiner Schnappschuss.
Torbjørn: Es wird sicherlich in dem Sinne weiterleben, dass wir, wenn wir live auftreten, unsere eigenen Versionen der Tracks in DJ-Sets spielen. Was wir spielen, entwickelt sich immer weiter. Aber jetzt haben wir das Triple-Album veröffentlicht, dann das Ambient-Album und jetzt dieses Live-Album. Und alle beziehen sich auf Versionen von Tracks von „Profound Mysteries“, also wird es eine Weile dauern, bis wir dieses Material wieder anfassen.
Svein: Bei „Profound Mysteries“ kann man Disc 1 in einer endlosen Schleife spielen, das Gleiche gilt für Disc 2 und 3. Aber du kannst auch den ganzen Weg von Disc 1 bis 3 gehen und am Ende von 3 zurück zu 1, und es wird eine Art Schleife sein. Es würde Spaß machen, zu sehen, ob man eine vierte einbinden kann. Oder mit all diesen kleinen Mustern herumspielen, die wir sehen.
Jetzt, wo ihr mit all diesen Tracks lebt, zumindest in den letzten drei Jahren, kommt ihr ja immer wieder darauf zurück. Denkt ihr da manchmal, hm, wir sollten diesen Track noch mal komplett ändern? Oder auch „Ich kann es nicht mehr hören!“?
Svein: Es ist nicht so, dass ich es nicht mehr ertrage, aber ich denke, wir genießen es, zu versuchen, es ein bisschen zu vermischen. Beispielsweise haben auf „Nebulous Nights“ einige der Tracks, auf die wir uns von „Profound Mysteries“ beziehen, andere Akkordfolgen, aber wir haben die Gesangsmelodie oder Teile davon beibehalten. Es gibt also eine Dekonstruktion der Musik. Der Vergleich, den wir oft anstellen, wenn wir Musik machen und darüber reden, ist wie Herumkritzeln. Du sitzt da und zeichnest und kritzelst einfach herum. Den Verstand benutzt man erst, nachdem man es gemacht hat. Es ist einfach so, dass wir herumspielen und versuchen, zu sehen, ob wir sagen können: „Wow, wir haben es geschafft, das mit diesem Track zu machen, und jetzt klingt er ganz anders.“ Das Original, die Ambient-Version und die tanzbare Club-Version, alle drei können nebeneinander existieren und Ausdruck derselben Idee sein, aber gleichzeitig anders klingen.
Ich habe euch auf der „True Electric Tour“ in Berlin gesehen, fast auf den Tag genau vor zwei Jahren. Es war eher am Anfang der Tour. Nachdem ich nun „True Electric“ gehört habe, habe ich die Setlist überprüft und gesehen, dass es während der Tour eine kleine Änderung gab. Der „Speed King“ ist „verlorengegangen“ und nun auch nicht auf dem Album. Warum gerade dieser Track?
Torbjørn: Das hat damit zu tun, wie wir das Konzept der Interpretation unseres musikalischen Lebens angehen. Die Version, die wir von „Speed King“ hatten, war einfach für unseren Geschmack zu nah an der Albumversion. Es fühlte sich für uns einfach nicht wie eine belohnende Erfahrung an, ihn zu performen. Wir werden diesen Track in der Zukunft definitiv wieder aufgreifen, weil wir ab und zu Anfragen von Leuten bekommen, die Fans sind und sich wünschen, dass wir ihn live spielen. Aber dann müssen wir auch etwas anbieten können, weil wir keine halben Sachen machen wollen.
Svein: Aber ich schätze es auch, dass du das erwähnt hast, denn das zeigt, wie dynamisch der Prozess ist, wenn wir live auftreten. Und dass er sich in gewissem Maße weiterentwickelt. Offensichtlich gibt es Tracks, die wir immer auf eine gewisse Weise performen, aber das Set an sich verändert sich, und die Versionen verändern sich. Ergänzend zu dem, was Torbjørn über „Speed King“ gesagt hat: „Speed King“ braucht ein bestimmtes Setup, damit es funktioniert.
Es ist ein sehr langer Track.
Svein: Genau, der ist sehr lang, und wenn du ihn nicht fühlst, werden es schmerzhafte achteinhalb Minuten. Es braucht das richtige Setup und viel Luft zum Atmen, man muss also wirklich die Aufmerksamkeit aller haben, damit es funktioniert. In seiner jetzigen Form in unserem Set hatten wir das Gefühl nicht. Wir wollen keine Dinge hineinzwängen, das funktioniert bei uns nicht, es muss ganzheitlich sein. Es war eine künstlerische Entscheidung, den rauszunehmen, aber wir wollen ihn [wieder] einbauen, weil wir ihn sehr mögen und es ein Track zu sein scheint, der auch anderen Leuten gefällt.
Wie habt ihr entschieden, welche Version von welchem Track auf der Tour die beste für „True Electric“ ist?
Svein: Es ist ein bisschen wie eine Neuinterpretation, schätze ich. Das ist das Wort, das wir benutzt haben.
Torbjørn: Oder „fortlaufend“. Weil es eine fortlaufende Sache war, um die Versionen zu finden, die wir mögen. Und „True Electric“ ist sozusagen der Höhepunkt dieses Prozesses, der seit der Veröffentlichung von „Profound Mysteries“ im Gange war.
Svein: Wir wollten, dass es so wahrhaftig ist wie das, was wir live gemacht haben. Wenn wir spielen, benutzen wir natürlich Sequenzer und Stems und all diese Dinge, also wollten wir es nicht so überproduzieren, bis man das Gefühl hat, dass es nicht mehr die Live-Version ist. Wenn es zu poliert und produziert wird und man sagt, oh, das ist nicht dasselbe. Aber es ist ein schmaler Grat, denn wenn man live spielt, will man natürlich, dass es so großartig wie möglich klingt. Es ist also ein bisschen eine gemischte Reinterpretation, wo wir natürlich im Studio nachbearbeitet haben, wenn wir etwas sauberer machen mussten, aber nicht so viel, dass es zu etwas anderem wird.
Warum habt ihr euch entschieden, es nicht wie eine klassische Live-Platte zu machen, mit Publikumsgeräuschen und so weiter?
Svein: Ohne Namen zu nennen, aber man weiß ja, dass es Live-Alben gibt, die Studioaufnahmen sind, bei denen man Leute hinzugefügt hat, die Stimmung machen.
Torbjørn: Ich denke, diese Art von Ausdruck, auf die du dich beziehst, wenn du den Raum hörst, bietet sich eher an, wenn Sänger und akustische Instrumente wie ein Schlagzeug beteiligt sind. Da ergibt das Sinn. Aber mit dieser Ausdrucksform, die für uns auf eine positive Weise trocken klingt, trockene Drums, klare Transienten und so weiter, klingt es einfach belohnender, als wenn diese Art von Aufnahme dann auch noch den Nachhall des Raumes hätte. So etwas funktioniert besser, wenn es eher songbasiert ist.
Svein: Wir nennen es „True Electric“, das ist einer der Gründe. Wenn man ein Gitarrenduo ist, versieht man den Raum mit Mikrofonen, und das ist in Ordnung, aber wenn man eine elektronische Kickdrum hat, die von Transienten angetrieben wird, will man nicht, dass der Raum darüber hallt. Das macht den Zweck der elektronischen Musik zunichte. Wir sind also der Meinung, dass das Setup mit der Mikrofonierung des Raumes und des Studios oder des Live-Publikums und all diese Dinge eher auf andere Musikstile ausgerichtet sind, während elektronische Musik nicht wirklich das Gleiche braucht.
Torbjørn: Es ist eine andere Energie.
Svein: Es ist alles genau aufeinander abgestimmt, eine gute Programmsequenz muss programmiert werden. Es ist nicht dasselbe, wenn eine Person das hier macht [klopft einen Rhythmus auf den Tisch], wie wenn ein Sequencer das ablaufen lässt. Der Trick ist natürlich, die Sequenz so zu gestalten, dass sie sich menschlich anfühlt.
„True Electric“ ist der Höhepunkt dieses Prozesses, der seit der Veröffentlichung von „Profound Mysteries“ im Gange war.
Torbjørn Brundtland
Ich bin mir nicht ganz sicher, weil ich bisher nur das Promomaterial gehört habe – stehen die Tracks für sich alleine, oder gibt es einen fortlaufenden Mix?
Svein: Es ist beides. Es ist wieder ein bisschen wie in den 90ern, wo man hier die ineinander gemischten Tracks hat und da die Solo-Tracks.
Also wie bei euren Live-Shows.
Svein: Korrekt.
Denkt ihr in der näheren Zukunft wieder über unterschiedliche Setlists nach? Ich habe gesehen, dass ihr im letzten Jahr auf ein paar Festivals auch ein paar alte Sachen gespielt habt. Wie „Poor Leno“ und so.
Svein: Ich denke, dass wir es gerne vermischen. Wenn wir als DJs auflegen, haben wir nicht wirklich einen Plan, was wir auflegen. Wir legen einfach los und haben keine Ahnung, bis wir mit dem ersten Track anfangen. Das ist das lustige Element für uns, weil es so wenig Planung gibt. Das bringt uns ein bisschen spaßige Energie. Wir können scheitern, was wir lieben, und es macht Spaß zu scheitern. Das ist der Punkt, an dem wir wirklich improvisieren können. Um auf deine Frage zurückzukommen: Wir spielen manchmal auch die älteren Stücke, weil wir verstehen, dass manche Leute das mögen. Aber andererseits sehen wir, dass wir verschiedene Arten von Fans haben. Wir haben die „Oldtimer“, die nur die alten Sachen wollen, wir haben die „Inbetweeners“ und die, die nur die neuen Sachen wollen. Man muss sich darauf einstellen … man muss es nicht, aber wir wollen uns auch um den Typen kümmern, der nur die „Melody A.M.“ will. Oder um die, die nur „Junior“ wollen, und dann gibt’s da noch die „Senior“-Fans. Und so versuchen wir, jedem ein kleines Stückchen zu geben und hoffentlich alles zusammenzufügen.
Ich war ja bei eurem Event in Oslo …
[es folgt eine angeregte und sehr heitere Diskussion über die verschiedenen Aussprachen der norwegischen Hauptstadt, je nachdem, aus welcher Gegend und Bevölkerungsschicht man in Norwegen stammt]
… es war ein sehr lustiges DJ-Set an jenem Abend.
Svein: Ja, das war ein bisschen mehr Spaß. Der Raum war so ähnlich wie dieser hier, also nicht so clubmäßig. Mehr wie ein freundlicher Ort. Es fühlte sich ein bisschen unbeschwerter an. Wenn wir früher aufgelegt haben, hatten wir so eine „Early Starter“-Set, und ich schätze, das war mehr so ein Set, um die Party in Gang zu bringen.
Was bevorzugt ihr mehr, das DJ-Ding oder das Konzert-Ding, vielleicht mit Sänger:innen?
Svein: Puh …
Torbjørn: Das ist so unterschiedlich. Wenn wir ein Konzert spielen, wissen wir, dass die Leute gekommen sind, um uns zu sehen und unsere Musik zu hören. Wenn wir auflegen, sind manche Leute da, weil sie wissen, wer wir sind. Andere Leute sind einfach nur so gekommen, sie sind mit Freunden da und wollen einfach nur ausgehen. Es ist also eine ganz andere Erfahrung. Die Performance ist eine völlig andere bei diesen beiden Dingen.
Svein: Es ist wie: Was ist besser, willst du ein Fischgericht oder willst du ein veganes? Ich mag beides, solange ich nicht jeden Tag das Gleiche esse.
Ich denke mir ja so, die Konzerte sind eher ein Adrenalin-Kick, das DJ-ing ist vielleicht eher entspannend für euch.
Svein: Ja, das stimmt. Aber gleichzeitig habe ich das Gefühl, bei der Art und Weise, wie wir auflegen, mit mehr Improvisation … Bei einem Live-Set ist man sich einig, wie die Setlist aussieht, wir haben Laser und vielleicht Tänzer und die ganzen Performer dabei. Die müssen wissen, wie die Setlist ist. Es gibt vielleicht ein paar „Mal sehen, wohin das führt“-Momente für die letzten drei Tracks oder so, aber der Hauptteil des Sets ist festgeschrieben. Während wir als DJs keinen Plan haben.
Torbjørn: Wenn wir live improvisieren, sehen wir, dass wir den Leuten um uns herum das Leben schwer machen. Das lenkt dich in eine bestimmte Richtung: Sei einfach nett zu allen und mach das, worauf du dich geeinigt hast. Wenn wir auflegen, bedeutet, nett zu allen zu sein, dass wir uns nicht auf etwas einigen müssen, sondern einfach Spaß haben und dem Flow folgen.
Svein: Da liegt es nur an uns beiden. Es gibt nicht zehn andere Leute, die auf dein Kommando warten. Und wenn du weitere 16 Takte hinzufügst, kannst du sehen, wie die Angst steigt [grinst]. Aber ja, wie ich schon sagte, es ist wie beim Essen oder bei Filmen. Ich mag einen guten Horrorfilm genauso wie eine gute Dokumentation.
Wir sind immer neidisch auf eure Konzerte in Norwegen, weil ihr dort oft die cooleren Gaststars habt. Wie Susanne Sundfør und so weiter. Wir würden es lieben, sie auch hier zu sehen.
Torbjørn: Wir schreiben ihnen einen Brief und sagen ihnen, sie sollen hierherkommen [grinst]. Nein, es ist halt ein logistisches Problem.
Svein: Ja, mit allem, mit Zeit und Ort. Und sie haben Familien und eigene Karrieren und all das Zeug. Wenn wir alle wieder 21 wären, wäre es ganz einfach gewesen, denn jeder hätte gesagt: „Ja klar! Ich kann das drei Monate am Stück machen!“
Denkt ihr für eure zukünftigen Tracks wieder über Gaststimmen nach?
Torbjørn: Jetzt, wo wir das „True Electric“-Setup gemacht haben, mit diesem Album als Kulmination, ist das ein Kapitel, das abgeschlossen ist. In der Zukunft werden wir vielleicht ein anderes Setup finden, das für uns funktioniert. Wir wollten schon immer mal ein Sitzkonzert machen. Nicht zu verwechseln mit unseren Ambient-Sets, über die wir vorhin gesprochen haben. Ein Sitzkonzert, bei dem wir eine Menge akustischer Instrumente oder Performer auf der Bühne haben. Wo wir uns wirklich Zeit nehmen können, um uns vorzubereiten, mit einem Setup, bei dem die Instrumentierung auf den Raum abgestimmt ist. Es würde eine Menge Ressourcen benötigen, um das zu machen. Aber wie bei dem Triple-Album, dessen Idee um die 20 Jahre in die Vergangenheit zurückreichte, geht uns auch das schon eine Weile im Kopf herum. Wir wollen nichts versprechen, aber wir haben das Gefühl, dass wir uns live immer noch weiterentwickeln. Alles kann passieren.
Svein: Es ist einfach eine Frage des Ausprobierens von verschiedenen Setups und so weiter. Und für zukünftige Studioveröffentlichungen werden wir natürlich weiterhin mit Vokalisten arbeiten, möglicherweise mit einigen unserer alten Freunde und möglicherweise auch mit einigen neuen, zukünftigen Freunden.
Wie kommt ihr zu den Sänger:innen? Viele von ihnen kennt ihr ja offensichtlich schon seit langer Zeit.
Svein: Es geht darum, jemanden zu finden, von dem man das Gefühl hat, dass er ein paar Kriterien erfüllt. Der in der Lage ist, die Gefühle auszudrücken, die zu der Stimmung des jeweiligen Tracks passen. Jemanden, mit dem man zusammenarbeiten kann, der eine ähnliche Herangehensweise an die Musik hat. Und hoffentlich jemanden, mit dem man sich gut versteht – und bisher hatten wir extremes Glück mit allen, die wir angesprochen haben, um mit uns Musik zu machen. Es geht um den Klang der Stimme, der natürlich an erster Stelle steht, aber ich denke, genauso wichtig ist es, jemanden zu finden, von dem du glaubst, dass er in deinem Universum arbeiten kann. Um hoffentlich etwas zu erschaffen, das interessant ist und funktioniert. Das und hoffentlich eine Menge Lacher während des Prozesses. Es sind ungefähr 10% Arbeit und 90% Herumalberei.
Zum Schluss frage ich gerne, was in eurem Tourbus rotiert. Neue oder alte Musik, Empfehlungen?
Svein: Ich kann ja mal bei Spotify schauen, was ich zuletzt gehört habe.
Torbjørn: Ich schaue auch gerade.
[beide kramen in ihren Smartphones]
Svein: Das Letzte, was ich mir angehört habe, war … [lacht] … Oh, großartig! Cherubini, der italienische Komponist. Sein Requiem. Dann die niederländische Band Ekseption. Und dieser Italiener, ich weiß nicht mal, wie man seinen Namen ausspricht … Andrea Laszlo de Simone.
Torbjørn: Hier, du kannst gerne einen Screenshot machen. [es sind u. a. The Bilinda Butchers, Highrise und Crystal Castles zu sehen]
Svein: Und dann gibt es noch diesen Podcast …
Torbjørn: Oh ja, das ist ein guter Namedrop!
Svein: Eine Podcast-Serie, die „Cautionary Tales“ heißt, zuletzt habe ich im Flugzeug eine Folge über den Zweiten Weltkrieg gehört. Und danach Ice Cube mit „You Can Do It“. [lacht]
Das ist eine gute Mischung.
Svein: Eine Playlist für Verrückte.
Vielen Dank für das Gespräch!
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