โDas neue Album handelt davon, die Welt, in der wir leben, lieben zu lernen, anstatt vor ihr zu fliehenโ. Florence Welch hat mit ihrer Band Florence + The Machine Groรes geschaffen. Die Welt – so wie sie ist, in all ihrer detailverliebten Schรถnheit und ebenso detailverliebten Grausamkeit – zu lieben, ist nicht die trivialste aller Aufgaben. Vor allem, wenn man schon mit 21 Jahren ( โYou Got The Loveโ) zum Weltstar emporschieรt. Dennoch – es ist den Versuch wert, wenn man Florence + The Machines drittem Studioalbum โHow Big, How Blue, How Beautiful (Limited Deluxe Edition)โย in seiner Gรคnze lauscht.
โI know you’re bleeding but you’ll be okayโ lautet eine schlichte Zeile im โVarious Storms & Saintsโ und steht doch fรผr die Essenz des ganzen Albums: Heilen. In โHow Big, How Blue, How Beautifulโ verarbeitet Florence Welch die letzten Jahre ihres turbulenten und verrรผckten Musikerlebens – und die Trennung von ihrem Freund. In ihren neuenย Songs steckt das vielbemรผhte Herzblut. Doch gehรถrt Florence Welch zu den wenigen Kรผnstlerinnen, denen man die Aufrichtigkeit auchย abnimmt.
In vorigen Beitrรคgen auf depechemode.de wurde die Thematik zu Dantes โGรถttlicher Komรถdieโ angesprochen, die sich vor allem in der visuellen Umsetzung ihrer bisher verรถffentlichten Singles wiederfindet. Knapp zusammengefasst geht es darum, zuerst durch die Hรถlle gehen zu mรผssen, bevor manย das Paradies erreicht. Egal wie groร die Tortur, Florence Welch singt sich die Seele aus dem Leib. Dabei legt sie ihre Seele nicht nur offen, sie reiรt sie wieder fรผr uns auf.
โShip To Wreckโ, der Erรถffnungstrack, ist ein in Tarnumhang gehรผlltes Stรผck schwerer Beziehungsthematik. Verspielte Gitarrenklรคnge und ein eingรคngiger Beat – scheinbar ein leichter, grooviger Popsong – stehen in scharfem Kontrast zu dรผsteren Textzeilen. Genauer hinhรถren: Die Stimmung des Songs ist angefรผllt von Resignation und Ausweglosigkeit. Es wirkt beinahe komisch, wie sehr Textzeilen und Musik zunรคchst paradox erscheinen. So singt Florence รผber eine zum Scheitern verurteilte Beziehung. Sie reflektiert und wird von quรคlenden, endlosen Gedankenschleifen heimgesucht: โDid I drink to much/ am I losing touch/ Did I build a ship to wreck?โ, fragt sie mit nagendem Selbstzweifel. Florence Welch gibt selbstkritisch zu, dass sie bei diesem Song ihre selbstzerstรถrerische Seite offenbart: โI was thinking about [โฆ] how you can make something only to tear it down. When youโre in that whirlwind, you often end up breaking the thing you love the most.โ
Trotzig, mit gefletschten Zรคhnen, erfรผllt von furchtloser Wut tobt sie hingegen in โWhat Kind of Manโ. Esย ist ein schmerzhaft wรผtender, verletzter und fast schon sakraler Abgesang auf einen Mann, der der Protagonistin das Herz geraubt, es gequรคlt und gebrochen wieder zurรผckgegeben hat. Florence Welch singt, faucht und zischt sich die Frustration mit trotziger Leidenschaft von der Seele. Wie sehr sie gekรคmpft hat und zeitgleich doch dem Untergang ihrer Liebe nur zuschauen konnte, hรถrt man in den zerbrechlich gehauchten Textzeilen. Angetrieben wird der Song von einem prรคgnanten aufwรผhlenden Gitarrenriff, das den hymnenartigen Gesang perfekt unterstรผtzt. Wie gewohnt setzen Florence + The Machine eine Vielzahl an Streichern sowie einen imposanten Chor ein.ย Der Titeltrack โHow Big, How Blue, How Beautifulโย ist eine epische Offenbarung. Zunรคchst sacht raunend, geht Florence Welch in kraftvollen Gesang รผber. Man kann sich bildhaft vorstellen, wie Florence trotz schmerzender Seele ihre Krรคfte bรผndelt und dem Leben mit all seinen Abenteuern wieder ins Gesicht blickt. Sie selbst beschreibt den Titelsong im Interview als โmelancholischen Triumphโ. Und ja, es klingt nach Neuanfang, nach das-Leben-feiern, wenn ganz am Ende des Songs die Trompeten feierlich einsetzen. Florence vergleicht dies mit dem Gefรผhl der Liebe, wie sie dichย in den Orbit abheben lรคsst und dich in eine andere Sphรคre mitreiรt: โMan will einfach nur, dass sie nie aufhรถrt, immer weiter lรคuft.โ
โQueen of Peaceโ besticht durch eine trotzige Aufbruchstimmung, zusammen mit melancholischen Streichern. โNow you have me on the run/ the damage is already doneโ singt Florence รผber die โQueen of Peaceโ, die immer versucht hat, alles richtig zu machen und letztendlich nur noch singen kann โAnd my love is no good against the fortress that it made of you.โ Die Protagonistin bricht auf Richtung Frieden, fernab ihres Beziehungswracks. Die Mitte des Albums – der Song โVarious Storms & Saintsโ – ist ein Moment des Innehaltens, des Reflektierens. โI’m teaching myself how to be freeโ, heiรt es dort. Florences Stimme tritt in den Vordergrund, begleitet von einigen wenigen Streichern und einem Nancy Sinatra-artigem Gitarrenriff, das entfernt an die Stimmung in deren Song โBang Bang (My Baby Shot Me Down)โ erinnert. โHold on to your heartโ, singt Florence weiter, damit die Zeile โI know you’re bleeding but you’ll be okayโ die Chance hat, Wirklichkeit zu werden.
โDelilahโย รผberzeugt durch Opulenz, sowohl beim Piano als auch beim treibenden Beat. โI’m gonna free and I’m gonna be fine/ but maybe not tonightโ schleudert sie uns entgegen wรคhrend sie von einer besonderen Art von Gefahr singt – natรผrlich Liebe. Dieser Song hat absolutes Potenzial fรผr sonnig goldgetauchte Festivalauftritte, zum Mitsingen und Mittanzen. โLong & Lostโ ist einer der besten Songs des Albums. Dรผster und melancholisch wirken die Zeilen wie in die blauschwarze Nacht geflรผstert. Eine zurรผckhaltende und gleichzeitig kraftvolle Basslinie, subtile jazzige E-Gitarrentรถne und mit Echo verstรคrkte Drums schaffen eine angenehm mystische Atmosphรคre. In diesem Song nimmt Florence in romantischer Dรผsternis Abschied von ihrer kaputten Beziehung, obgleich sie um den Schmerz weiร, der folgen wird: โWithout your love/ I’ll be so long and lost.โ In โCaughtโ, einem eingรคngigen Popsong, und โThird Eyeโ – einer kraftvollen Predigt, sich selbst zu lieben (โyou deserve to be lovedโ), bahnt sie sich musikalisch den Weg zur Gelassenheit und Aufgerรคumtheit des Songs โSt Judeโ: Florence wirkt als habe sie die schwere Schlacht um ihre Beziehung, die drohende Apokalypse um Haaresbreite รผberlebt.ย Ein transzendenterย Moment, ein Zu-sich-finden. Zu einer Keyboard-Orgel singt Florenceย รผber St. Jude, den โpatron of the lost causesโ. Die Musik ist ungewรถhnlich ruhig und lรคsst ihrer sanften, doch eindringlichen Stimme den Vortritt. Trotz allemย transportiert sie eine unverkennbare Wรคrme und Hoffnung. Die Wut aus โWhat Kind of Manโ weicht einer erhabenenย Nรผchternheit.
Abgerundet wird โHow Big, How Blue, How Beautifulโ von der energieerfรผlltenย Hymne โMotherโ. Psychedelische Elemente vermischen sich mit sakralen Chรถren und einem unnachahmlichen Bluesgroove, der auch gut in die spรคten 60er und die 70er ร la Jefferson Airplane und Fleetwood Mac gepasst hรคtte.
Im Interview mit dem Magazin โDazed & Confusedโ beschreibt Florence Welch ihre Arbeit am dritten Album โHow Big, How Blue, How Beautifulโ als kathartischen Prozess: โWriting the album stitched me back together.โ Nach Zeiten des Umbruchs in ihrem Leben und nachdem sie den Zusammenstoร mit der banalen Realitรคt fernab des glitzernden Showbiz-Scheins รผberlebt hat, bahnt sich Florence Welch nun mit Hilfe der Musik und ihrer lyrischen Kunstfertigkeitย einen Weg aus dem Chaos in Richtung Freiheit.ย Wenngleich es ein kraftstrotzendes Album mit satten Klรคngen ist, dienen diese in erster Linie als Mantel unter dem sich eine fragile Florence Welch offenbart.ย Produzent Markus Dravs (Bjรถrk, Arcade Fire, Coldplay) schafft es, eine Balance zwischen diesen Widersprรผchen zu kreieren.ย Ungefiltert, verbunden mit einer neuen Zurรผckhaltung – das beschreibt Album Nummer drei vielleicht besten. Wir hรถren Florence + The Machine dabei zu, wie sich ihre Frontfrauย wieder aufrafft, ihr Herz zusammenflickt und dem Leben angriffslustig ins Gesicht blickt. Ja, es ist groร, melancholisch und zugleich himmelblau – und wunderschรถn.
...eine fragile Florence Welch...
Danke fรผr den langen Bericht, den ich mir sicherlich noch รถfters durchlesen werde, wenn ich das Album nรคher kenne. Ich habe es heute direkt erstanden und werde es die nรคchsten Tage garantiert „lieb gewinnen“. Schรถner Abschluss-Spruch: “ …dem Leben angriffslustig ins Gesicht blickt. Ja, es ist groร, melancholisch und zugleich himmelblau โ und wunderschรถn.“
Sie ist eine ganz Groรe; auch Dank ihrer Aufrichtigkeit!