Die Sommermonate sind längst vorbei, doch da ist noch einiges an Material aufzuarbeiten. Und wegen der Menge gilt jetzt auch: Blitzschach! 20 Platten in 60 Sätzen! Schlag auf die Uhr!
Beginnen wir gleich mal mit einem Altmeister: Gabi Delgado. Der hat ja gerade DAF in den endgültigen (?) Ruhestand geschickt, dafür bleibt er solo höchst aktiv, was das zweite Soloalbum namens, tja, „2“ vor allem mit seinem mächtigen Umfang als Doppelalbum mit gleich 32 Stücken beweist. Ob das bei den auf Dauer in ihrer Repetitivität doch etwas repetitiven und gewohnt schlichten Sounds die richtige Idee war, lassen wir mal dahingestellt, jedenfalls kann man zwischen den unterhaltsamen Texten gut neue Wunschslogans finden und zu manchem Track ordentlich den Delgado tanzen.
Das Debüt von MS MR hatten wir gelobt, mit der kleinen Einschränkung, dass das Prinzip der Songs auf Dauer ein wenig zu berechenbar war. Leider wurden die Probleme auf dem Nachfolger „How Does It Feel“ nicht gelöst, weiterhin neigt man zu übertriebener Bombastproduktion, und die Stimme von Lizzy Plapinger ist auf Dauer doch arg eindimensional. Schade, denn eingängige Songs können sie nach wie vor schreiben, dieses Mal mit noch ein paar Beats und Bässen mehr – weswegen das Album auch trotzdem okay geht (aber eben nicht mehr).
Die beiden Damen von BOY hingegen neigen nicht zur Überproduktion, das bewies schon ihr feines Debüt. Nun machen sie auf „We Were Here“ da weiter, wo sie angefangen haben, mit wunderschön eingängiger, mal schlicht akustischer, mal kräftiger instrumentierter Popmusik. Ein bisschen Abwechslung im Sound wäre fürs nächste Album trotzdem wünschenswert, einstweilen lassen wir uns aber von Perlen wie „Fear“ und „No Sleep For The Dreamer“ verwöhnen.
John Lydon gibt einfach keine Ruhe. Mit Public Image Ltd., kurz PiL, kotzt er uns erneut seine Meinung zum Thema „What The World Needs Now“ vor die Füße und macht auch stilistisch recht genau da weiter, wo er vor drei Jahren mit „This Is PiL“ schon war. Vom Sound her ist das zwar manchmal recht altbacken und ab und zu auch ermüdend, trotzdem braucht die Welt mehr Typen von dieser Sorte.
Bob Moses, bei so einem Namen hat man ja gleich so ein Bild vor Augen – doch bestimmt nicht von zwei knöpfedrehenden Kanadiern (die eigentlich Tom Howie & Jimmy Vallance heißen). Die haben mit „Days Gone By“ ein ohrenschmeichelnd entspannt dahinschlurfendes House-Pop-Album aufgenommen. Junior Boys, The Beloved… ja, diese Referenzen liegen gar nicht so weit weg.
Wir wechseln nach Neuseeland, von daher stammt Kody Nielson, der sich Silicon nennt und dem dicken Buch Electropop einen weiteren Neueintrag beschert. In den zehn schlanken, nicht einmal eine halbe Stunde langen Songs von „Personal Computer“ bringt er eine erstaunliche Menge an Ideen unter. Poppig, verträumt und auch mal funky, das macht Spaß.
Dan Bejar alias Destroyer ist ja vor vier Jahren für den eigenartig-schönen Softpoprock auf „Kaputt“ weltweit abgefeiert worden. Vier Jahre hat er sich für den Nachfolger „Poison Season“ Zeit genommen. Ob der wieder so oft in den Jahresbestenlisten auftaucht, bleibt abzuwarten, vielleicht ist manches dafür hier zu gefällig – aber an sich funktioniert die Mischung aus Streichern, Bläsern, Saxophon und watteweichen Melodien immer noch.
Zeit für ein bisschen Indierock zwischendurch? Dafür hätten wir Empire Escape mit ihrem zweiten Album „You Are Not Alone“ im Angebot. Dort hat sich etwas New Wave eingeschlichen, was dem Sound gut tut, trotzdem fehlt den anständigen Songs ebenso wie dem Gesang auf Dauer ein bisschen Druck, um dauerhaft im Gedächtnis zu bleiben.
Der Londoner Robert Logan führt auf „Flesh“, seinem dritten Album vor, wie futuristischer Sound klingen kann. Technoid, klirrend elektronisch und doch auch mit organischen Elementen und Instrumenten angereichert. Zudem klingen Logans Tracks immer wie aus einem Science-Fiction-Film, vielleicht wird es wirklich Zeit für ein Remake von „Logan’s Run“?
Wo wir gerade bei Zukunftsvisionen sind, malen wir diese doch gleich mal noch etwas düsterer aus. Dazu kommen uns die drei Engländer von The Black Dog gerade recht, die auf „Neither/Neither“ beweisen, dass man sie berechtigterweise in die Liga von Könnern wie Autechre oder Aphex Twin einordnet. Düster, knurpsend, maschinell, kalt und warm, sogerzeugend.
Wir bleiben technoid, gehen aber hinüber in den Club. Stephan Bodzin behauptet ja, sein Album „Powers Of Ten“ sei u.a. seine Hommage an den großen Erfinder Bob Moog. Wir wissen ja nicht, woran der auf seiner Wolke gerade bastelt, aber diese filigran-feinsinnige Technoplatte hätte ihm vermutlich gefallen.
Auch Mathias Kaden, sicher einer der Vorzeigekünstler des feinen Jenaer Labels Freude am Tanzen, ist einer, der die Clubs mit Eleganz beschallt. Endlich hat er nun Zeit für ein zweites Studioalbum gefunden und jenes ist nun ganz „Energetic“ geworden. Und energisch kickt es, dieses Album, auf dem ebenfalls so einige Moogs zu hören sind – und jede Menge tanzbares Clubfutter.
Rosenheims Finest sind sicherlich Chris De Luca und Michael Fakesch, alias Funkstörung. Die meldeten sich im Sommer nach zehn Jahren Pause mit dem nach der Band benannten vierten Album zurück. Das knüpft nur ab und zu an die experimentellen Häckselsounds ihrer Anfangstage an, sondern liefert größtenteils entspannte, ja sogar eingängige elektronische Musik im Downbeat-Bereich ab.
Die Monseigneurs Claude Paillot und Gaetan Collet haben ihre Band DAT Politics schon 1999 gegründet und versuchen mit ihrem ganz eigenen Synthiepop die Welt zu erobern. Auf „No Void“ werfen sie alle möglichen Einflüsse, quasi die gesammelte Synthiepop-Historie in den Mixer oder, passender, einen alten Analogsynthesizer. Heraus kommen zwar nicht nur Volltreffer, aber wenn, dann fetzt das hier so richtig.
Begeben wir uns nun in die (Un-)Tiefen deutschen Düsterpops und beginnen mit Andreas Stitz. Der ist als Leichtmatrose mit sogenanntem Elektro-Chanson unterwegs, und man braucht erst einmal eine Weile, um diesen Stil zu verdauen. Doch wenn man die zu schlagerhaften Stücke (so ca. die Hälfte) ignoriert und „du, ich und die andern“ nicht versehentlich gleich in die Unheilig-Mottenkiste wirft, kann man doch ein paar hübsche Melodien und gewitzte Texte finden.
Als Entdecker des Leichtmatrosen (und Gast auf dessen Album) fungiert übrigens Joachim Witt, der irgendwie in jeder zweiten Rezension Herbergsvater genannt werden muss. Vor seinem letztjährigen Album hatten wir ausdrücklich gewarnt, ist „Ich“ denn nun wieder erträglicher ausgefallen? Um es kurz zu machen: Leider nicht, bis auf ein, zwei Ausnahmen ist das hier wieder nur ärgerlicher Mist.
Es muss doch noch Erträglicheres von hierzulande geben, denkt man, und AB Syndrom beweisen das mit ihrem zweiten Album „Hey Herz“ auch sogleich. Die vier Jungspunde haben nämlich sehr intensiv James Blake studiert, auch mal bei den Foals reingehört und daraus mit eigenen Mitteln einen faszinierenden Sound kreiert. Da mischen sich nun Sprech- und richtiger Gesang mit einem fiebrigen elektronischen Klicker-Klackern, dass es eine wahre Freude ist: TIPP!
Und nochmal Mr. Blake als Referenz, dieses Mal beim Debütalbum eines jungen New Yorkers. Elliot Moss heißt er, und das Video zu seiner Single „Slip“ ist jetzt schon ein Klickrenner. Dabei gibt es auf „Highspeeds“ noch deutlich mehr (und gar Besseres) zu entdecken, zwischen zerbrechlicher Stimme und minimalistischen, sehr geschickt ziselierten Sounds.
Jetzt noch etwas ruhig Introspektives gegen Ende, aber (zum Dritten) auch nicht ohne James Blake im Sinn. Der Brite mit dem schön walisischen Namen Gwilym Gold lässt auf „A Paradise“ viel Klavier mit wenigen Beats verschmelzen. Dazu singt er mit unangestrengtem Falsett, und man fühlt sich wohl dabei.
Und zum Schluss nun noch moderne Klassik zum Einschlummern. Max Richter hat mit „Sleep“ mal eben ein achtstündiges Stück geschrieben, das genau dafür gedacht ist. Digital in voller Länge erhältlich, dauert der Ausschnitt in der physischen Fassung „nur“ eine Stunde, und die ist angenehm und außerdem… chrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr.
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