Der Quartalsmusikjunkie sagt: Es wird mal wieder Zeit für eine gepflegten Sammelbesprechung. Mit Mystery Jets, Jack Garratt, Housemeister, K-X-P, Emmy The Great, Promise and The Monster, DIIV, Wild Nothing, Your Friend, Mass Gothic, Stereo Total, Nonkeen, Federico Albanese, Sarah Neufeld und Randweg.
Gleich mal etwas geradliniger Indiepop. Die Mystery Jets haben nach zehn Bandjahren und Ausflügen in verschiedene Stilrichtungen zwischen Psychedelik, Elektronik und Americana beschlossen, sich wieder ihrem Kern zu nähern: Eingängigem Gitarrenpop. Der ist auf „Curve Of The Earth“ allerdings keineswegs reduziert zu nennen, sondern durchaus farbenfroh produziert und mit so manchem Synthesizer geschmückt. Vor allem aber gibt es ein paar wunderbare Songs zu genießen.
Jack Garratt wurde ja ziemlich gehypt vorab. Top of the „BBC Sounds of 2016“-List. Tolle Stimme plus knisternde Elektronik. Man erhoffte sich nach der fabelhaften Single „Breathe Life“ vom Debütalbum etwas in der Klasse von James Blake, SOHN oder SBTRKT. Leider erfüllt „Phase“ das nur, äh, phasenhaft. Das Album und der Künstler sind empfehlenswert und talentiert, nicht, dass wir uns falsch verstehen. Aber irgendwo ist bei den Aufnahmen ein bisschen die Originalität abhanden gekommen. Wir beobachten den Mann weiter.
Wer sich noch einmal etwas auf Kassette (!) gönnen möchte, wird beim sympathischen Housemeister und dessen neuem Album „Transfer“ fündig (keine Sorge, man bekommt es auch in anderer Form, z.B. digital). Auf diesem Werk wollte der Berliner einen tiefer gehenden Sound erreichen, der durchaus auch zu Hause gehört Sinn ergibt. Das ist ihm fraglos gelungen, ebenso wie eine sehr schöne klangliche Verknüpfung von Detroit und Berlin. Ein Album, in das man sich wunderbar fallen lassen kann.
Die drei Finnen von K-X-P komplettieren mit „III, Vol. 2“ ihr aktuelles Album und beweisen auch, dass die Aufteilung in zwei Parts hier durchaus gerechtfertigt war, nicht nur aufgrund der Gesamtlaufzeit von über 80 Minuten. In Teil 2 geht der dunkel wabernde psychedelisch-elektronisch-perkussionistische Wahnsinn nämlich deutlich druckvoller und zwingender zur Sache und landet somit auch insgesamt ein dickes Ausrufezeichen.
Emmy The Great war dem Rezensenten bislang bei aller songwriterischen Begabung ja immer zu folkig. Daher ist es erfreulich, dass sie sich für ihr bisher bestes Album „Second Love“ Unterstützung von Kollegen wie Tom Fleming (Wild Beasts), Du Blonde (aka Beth Jeans Houghton), Fyfe Dangerfield (Guillemots) und weiteren geholt und sich mit den Produzenten Dave McCracken (Oh Land u.a.) und Ludwig Goransson (Haim u.a.) zu einem reichhaltigeren, auch elektronisch verstärkten Sound entschlossen hat.
Unterdessen füllt sich der Schrank mit den Popkünstlern aus Skandinavien immer weiter. Billie Lindahl heißt die junge Dame, die sich hinter Promise and The Monster verbirgt, und die einen sofort mit dem Titelsong von „Feed The Fire“ in den Bann zieht. Atmosphärischer Dreampop, der sich äußerst geschickt zwischen schummeriger 80er-Jahre-Ästhetik und warmem 60er-Jahre-Pop bewegt.
Wir bleiben gleich mal in Dreampopland. Mit Zachary Cole Smith oder auch DIIV (Dive darf er sich nicht mehr nennen, davon gibt es echt zu viele), der sich für sein zweites Album „Is The Is Are“ mal eben 65 Minuten auf 17 Stücken Zeit nimmt. Vielleicht wäre etwas weniger mehr gewesen, aber bei vielen der melancholisch (jedoch hin und wieder auch mal fast fröhlich) irgendwo zwischen The Cure und den melodischeren Sonic Youth pendelnden Songs passt das gut.
Noch mehr Dreampop. Das 2012er Album von Jack Tatum als Wild Nothing verglichen ja wir (und andere) schon mit dem Soundtrack zu einem fiktiven Film von John Hughes. Ist das auf „Life Of Pause“ dann nun „Reichpop“, wie der erste Song suggeriert? Wie auch immer, jedenfalls schimmert hier deutlich mehr Sonne zwischen den reich(!)haltigen Synthesizerschichten hervor, die sich aufs Angenehmste im Ohr festschmeicheln. TIPP!
Einen bzw. eine haben wir noch aus dieser Richtung. Taryn Blake Miller ist ab jetzt euer Freund, also Your Friend. Und die klingt auf ihrem Debüt „Gumption“ mitunter verdächtig nach den großartigen Beach House, wird aber im Verlauf der nur acht Stücke immer spukiger und hinterlässt so schließlich doch auch eine eigene Duftnote in einem zunehmend übervollen Genre.
Okay, wir geben es zu, beim nächsten Künstler haben wir schon allein wegen des Namens reingehört: Wenn der sich (und sein Album) aber auch so demonstrativ Mass Gothic nennt, der Noel Heroux! War natürlich klar, dass dann hintendran kein Klischee-Goth folgen würde. Aber hinsichtlich der dunkel-melancholischen Stimmung – zu der sich dann auch noch einige sehr hübsche Songs gesellen – passt das Ganze trotzdem sehr gut zusammen.
Françoise Cactus und Brezel Göring bezaubern (oder nerven, je nach Zustand des Hörers) auch schon seit über 20 Jahren als Stereo Total mit ihrem Do-It-Yourself-Rumpelpop. Die lösen sich bestimmt erst auf, wenn man irgendwann nicht mehr mit dem 4-Spur-Kassettenrecorder aufnehmen kann. Auch auf „Les Hormones“ surfen sie zu knatterigen Sounds und verknatterten Texten très charmant auf unseren Hörgewohnheiten herum.
Man kann mit so einem 4-Spur-Gerät aber auch ganz andere Sounds aufnehmen. Siehe Nonkeen und „The Gamble“. Das Trio – darunter der derzeit allseits gerühmte Nils Frahm –, das sich auf einem Ost-West-Schüleraustausch kennenlernte und seitdem mit längeren Pausen eine abenteuerliche Geschichte inklusive Rummelplatzkatastrophe erlebte, improvisiert (?) hier in einem gelegentlich etwas plätscherigen, mitunter aber auch hypnotischen Fluss.
Und weil wir gerade so angenehm schläfrig sind, lassen wir uns doch von Federico Albanese durch „The Blue Hour“ begleiten. Der von Mailand nach Berlin Gezogene eröffnet das neue Sublabel Neue Meister von Berlin Classics – und hier soll zukünftig zwischen Orchester und Elektronik moderne Klassik entstehen. Wenn das mehr von solcher Musik bedeutet: Sehr gern! Das Piano dominiert, das Cello setzt Akzente, die Elektronik tupft alles aus. Melancholisch und wunderbar melodiös.
Wir bleiben noch ein wenig klassisch. Sarah Neufeld ist schließlich Meisterin auf der Violine. Sonst aber bekannt als Mitglied von Arcade Fire. Auf „The Ridge“, ihrem zweiten Soloalbum zeigt Neufeld ihre vielseitige Geigenkunst, lässt aber – unterstützt vom Bandkollegen Jeremy Gara am Schlagzeug (plus dem einen oder anderen Elektronikfitzelchen) – immer wieder auch den Pop durchschimmern, insbesondere in den gesangsverstärkten Passagen.
Und jetzt noch die Klarinette? Ernsthaft? Ja, sogar Andreas Ernst. So heißt der Mann nämlich, der beweist, dass dieses doch sehr spezielle Instrument doch ganz anders einsetzbar ist, als man sonst so kennt. Zusammen mit David Baurmann und weiteren Instrumenten wie Gitarre, Bass und Cajon sowie zu erheblichem Anteil auch elektronischen Mitteln ist den beiden, die sich Randweg nennen, ein interessantes und oft überraschend zugängliches Album namens „Meanderlust“ gelungen.
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