Und dann war da der erste Lockdown, Shutdown oder wie man es auch nennen mag. Andererseits: Endlich mal Zeit, sich mit dem vielleicht schönsten Hobby zu beschäftigen, oder? Allerdings verschob so mancher Künstler (bzw. die Plattenfirma) erst einmal seine Neuveröffentlichung. Trotzdem gab es noch ein paar feine, neue Platten. Mit. Maserati, Empress Of, Popnoname, Jacob Bellens, Adult., Die Wilde Jagd, Inwards, Lorenzo Senni, Rone und Douglas Greed.
Man stelle sich Kraftwerk mit zusätzlichen Gitarren vor. Nee, das trifft es auch nicht ganz, aber so erkennt man vielleicht grob die Richtung des Sounds von Maserati, die ihren E-Sportwagen nun auch schon 20 Jahre auf die Tanzfläche schieben. Wenn der aufgeladen ist, rauscht er jedenfalls schnurrend durch die sieben langen Stücke auf „Enter The Mirror“. Zackige Gitarren, herrliche Synthies, dazu ein paar Roboterstimmfetzen, fertig ist der Sound der Parallel-70er.
Lorely Rodriguez fasst sich als Empress Of gerne kurz. Die Albumtitel hießen bislang „Us“ und „Me“, und viel länger als eine halbe Stunde ging die Party auch nicht. Die Spieldauer bleibt so knackig, der Titel ist mit „I’m Your Empress Of“ fast schon schwatzhaft. Ansonsten gibt es aber wieder schönes Clubfutter, bei dem Vorbilder wie Robyn geschickt mit andersartigen Elementen wie karibischen Einflüssen vermischt werden.
„Hier ist das neue Album von Jens-Uwe Beyer.“ Klingt nach einer Radioansage aus oben erwähnten 70ern. Oder aus der DDR. Da ist es schon besser, dass der Künstler sich Popnoname genannt hat. Im Kölner Kompakt-Umfeld und mittlerweile mit diversen eigenen Labels aktiv. Das neueste nennt sich Feines Tier und wird mit Beyers „Horizons“ eröffnet. Minimal, technoid, housig, aber auch an einigen Stellen (elektro-)poppig und mit Gesang.
„Summer Sadness“ ist ein so wunderschöner Song, wie ihn fast nur die Nordeuropäer hinbekommen. Melancholiepop deluxe. Enthalten ist er auf „My Heart Is Hungry And The Days Go By So Quickly“, dem fünften Album von Jacob Bellens. Der Rest der Stücke geht nicht sofort so unwiderstehlich ins Ohr, und hintenheraus plätschert es auch mal etwas, aber Bellens‘ warme Stimme bringt auch Humpelnde über die Brücke.
Wer modernes Dark-Wave- bzw. EBM-Geschepper hören will, ist beim Label Dais Records gut aufgehoben. Hier erschien auch das neue Album von Adult. (Ja, die waren vorher bei Mute.) Für Fans von Nitzer Ebb, wie es so ähnlich gerne in Empfehlungen gewisser Onlinehändler heißt, dürfte „Perception is/as/of Deception“ eine große Freude sein. Das Ehepaar Nicola Kuperus und Adam Lee Miller hat seine trockenen Sounds gut im Griff. Klatscht in die Hände, stampft mit dem Fuß!
Doch jetzt gehen sie erst so richtig mit uns doch. Wer? Na, die Herren Sebastian Lee Philipp und Ralf Beck. Die Wilde Jagd. Für diese Musik muss man vielleicht ein bisschen irre sein. Und Geduld mitbringen. Aber das lohnt sich. Schon der Vorgänger „Uhrwald Orange“ war fabulös. Auf „Haut“ begnügen sie sich nun gleich mit nur vier Tracks – die sind aber zwischen 9:41 und 13:50 Minuten lang. Neu! in neu. Herrliche Soundschlieren und ein Groove, der nicht mehr loslässt, wenn er erstmal zugepackt hat. Krautrock lebt.
Gibt es da so eine leichte Tendenz zur Häufung instrumentaler Electronica? Vielleicht, weil das den Puls nach unten bringt, was gerade in diesem Jahr bei vielen Leuten dringend angeraten ist? Möglich. Dann wäre man bei Inwards, wie Kristian Shelley sich nicht unpassend nennt, an einer guten Adresse. Auf „Bright Serpent“, seinem zweiten Album, pluckert es hübsch unaufdringlich, aber keineswegs belanglos, vor sich hin. Anhänger von Klanglandschaften a la Pantha du Prince freuen sich.
Da machen wir doch gleich so instrumentalelektronisch weiter. Lorenzo Senni ist mit seinem fünften Album zum renommierten Warp-Label gewechselt. Man hört sofort, dass das passt. Rave Voyeurismus, Arthouse Electro – das sind so Begriffe, die im Zusammenhang mit dem Mailänder fallen. Und die treffen auf „Scacco Matto“ auch zu. Man wartet immer auf den Euphorieausbruch – doch der ist nicht das Ziel des Künstlers. Sondern der Weg dahin.
Und noch etwas Instrumentales, hier auch Chilliges, hinterher. Erwan Castex bzw. Rone hat einen berühmten Fan. Jean-Michel Jarre nämlich, der ihn adelte, indem er mit ihm an seinen „Electronica“ arbeitete. Warum, das kann man auf Castex‘ viertem Album „Room With A View“ erkennen. Rone ist in der Lage, atmosphärische Instrumentalmusik zu schaffen, die nicht langweilt. Elektronisch natürlich, aber auch mit überraschenden Einsprengseln barocker Töne.
Unser Album des Monats April kam schließlich von Douglas Greed und hieß prophetisch „Angst“. Hier findet ihr unsere Besprechung.
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