Es kommt bei der Fülle an Rezensionsmaterial ja immer wieder vor, dass Platten untergehen, die das nicht verdient haben. Darum haben wir zum Jahresende mal all das hervorgekramt, was da auch bei uns dringend noch einer Erwähnung bedarf. Teil 1: Mit Archive, Susanne Blech, Jens Friebe, Sin Cos Tan, Giana Factory, Seekae, Owen Pallett und GusGus.
Mai. Berlin. Hipsterhotel Michelberger. Die stets grandiosen Archive präsentieren ihr Album „Axiom“ in ganz besonderer Form. Nämlich als Filmvorführung. Denn dieses Mal haben sie quasi einen Soundtrack geschrieben, zu dem das spanische Filmkollektiv NYSU dann einen überaus rätselhaft-bildgewaltigen Schwarz-Weiß-Film gedreht hat, an dessen Interpretation auch Film- und Kunststudenten ihre Freude hätten. So ist das Album schwer mit anderen Archive-Platten zu vergleichen, da sich die sieben Stücke dem Gesamtscore unterordnen. Immer wieder erklingt die Schicksalsglocke, aber immer wieder erkennt man auch typische Archive-Sounds, düstere Trip-Hop-Welten, mächtige Elektronik, warmen Gesang. Gänsehaut bereitend. Und wer mehr von Archive ersehnt, darf sich freuen: Bereits am 09.01. wird das nächste „reguläre“ Album „Restriction“ erscheinen, es wird großartig sein, und Konzerte wird es ebenfalls geben. Mehr dazu in Kürze.
Wenn es um deutsche Texte geht, die den Geist verwirren, ist man bei den Jungs von Susanne Blech an der richtigen Adresse. Auf „Welt verhindern“ wird in verschiedenste Richtungen ausgeteilt, mit irren Assoziationsketten. Man sehe nur auf die Songtitel: „Killer Is A Man Who Don’t Fuck With The Music“ (mit Turbo B, ja genau dem!), „1.000 Jahre Kraftwerk“ (keineswegs eine Hommage), „Wir werden alle nicht Ernst Jünger“ (Text unter Mithilfe von Benjamin von Stuckrad-Barre) oder „Die Katzen von Beate Zschäpe“. Texte, die provozieren sollen und können, die mal dadaistisch wirken, oft aber auch ins Herz der Gesellschaft treffen. Dazu druckvoller Electropop/-punk, der ordentlich mitzureißen in der Lage ist. Nach diesem Album sind Kopf und Körper in jedem Falle hellwach und in Alarmstimmung.
Gleich noch ein heimatlicher Musiker mit starken Texten hinterher. Denn für die ist auch Jens Friebe seit geraumer Zeit bekannt. „Die einen treten auf der Stelle, die anderen sind die Stelle, auf der man tritt.“ Das bringt das manchmal ziemlich deprimierende Heute doch ziemlich auf den Punkt, oder? Und auf „Nackte Angst, zieh dich an, wir gehen aus“ (Kandidat für den Albumtitel des Jahres) gibt es noch reichlich weitere solcher zitierfähiger Stellen. Dazu sind die Songs auf Friebes fünftem Album wieder stärker geschrieben, lustwandeln elegant zwischen allerlei Stilen (so in etwa: New Wave, Indie, Disco und Chanson) und bieten ein paar wunderbar eingängige Melodien an.
Sin Cos Tan. Da musste der Autor erst auf seinen alten SR1-Taschenrechner starren, bis ihm der Sinn des Bandnamens aufging. Und die beiden Finnen, die hinter dieser Band stecken, beherrschen die Berechnung eines eingängigen Electropop-Songs mathematisch präzise. Ihr drittes Album „Blown Away“ mag inhaltlich ein wohl durchdachtes Konzeptwerk sein und von einem frustrierten US-Amerikaner (Ehe kaputt, Job öde) handeln, der auf einer Reise nach Mexiko zum Drogenkurier mutiert und ab sofort dem schnellen Geld und dem wilden Lebensstil zwischen Kolumbien und Miami (Vice) huldigt, dann aber selbst den Drogen verfällt usw.. Musikalisch hingegen ist das herrlich fluffige Popmusik, denn geschickterweise haben die Macher die Story in die 80er Jahre verlegt – und so klingt das dann auch. Also rein in den Don-Johnson-Gedächtnisanzug und mitgefeiert, mit einem der schönsten Synthiepopalben 2014!
Apropos wunderbarer Electropop. Den hatten wir auch schon vor zwei Jahren dem dänischen Damentrio Giana Factory für ihr Album „Save The Youth“ bescheinigt. Und das große Lob können wir beim Nachfolger „Lemon Moon“ gerne wiederholen. Es geht noch etwas weiter in Richtung skandinavische Düsternis, möglicherweise ist das dem Produzenten zu verdanken, keinem Geringeren als Anders Trentemøller. Der weiß auch, wie man einzelne Tracks, aber auch ein ganzes Album kohärent aufbaut, was hier ganz deutlich zu erkennen ist. Viele Stücke – wie z.B. das hervorragende „I Live At Night“ starten langsam und düster und legen später entweder an Tempo zu oder lassen erst im Refrain Sonnenstrahlen durchs Dickicht. Durchdacht und faszinierend, dieser Zitronenmond.
Und hier noch ein Geheimtipp: „The Worry“, das dritte Album des australisch-englischen Trios Seekae, unterscheidet sich stark von seinen Vorgängern und begeistert mit vielschichtigen elektronischen Sounds. Waren die drei bislang eigentlich nur instrumental mit ihrem interessanten Maschinensound aufgefallen, kommt nun auf den meisten Stücken Gesang hinzu, was die Band näher an den Pop heranbringt. Zumal die Herren auch eingängige Melodien beherrschen, die sie mit ihren intelligenten Sounds zwischen Beatgeknispel, (Post-)Dubstep und New Wave ergänzen.
Zum Schluss noch zwei Alben, die vielleicht keine Geheimtipps darstellen, die aber unbedingt vor der Jahresabrechnung noch (einmal) erwähnt werden sollten. Einmal haben wir da Owen Pallett, berühmt geworden durch seine Streicherarrangements für Arcade Fire u.v.a., aber auch solo mit ausgezeichneter Musik unterwegs. Sein diesjähriges Album „In Conflict“ stellt da wohl den bisherigen Höhepunkt dar. Wie sich die Geigen mit der Elektronik hat und Palletts sanfter, hoher Stimme verdrehen, das ist große Kunst, zu der obendrein Altmeister Brian Eno hier und da seinen Anteil leistet. Man hat mitunter das Gefühl, in einem spannenden Film gefangen zu sein, irgendwo zwischen Hirchcock und „Drive“. Eines der Alben des Jahres.
Und vielleicht noch eines der Alben des Jahres haben die Isländer von GusGus abgeliefert. Warum es „Mexico“ heißt? Egal. Musikalisch folgt die bunte Bande jedenfalls dem Pfad weiter, den sie schon auf dem Vorgänger „Arabian Horse“ eingeschlagen hatte. Es geht mittlerweile geradliniger zu als früher, der Schwerpunkt liegt auf Tanzbarkeit, der Hang zum Hymnischen wird immer stärker ausgeprägt. So finden sich eine Menge Singles („Obnoxiously Sexual“, „Crossfade“, „Airwaves“), die sich für Remixe von Kompakt-Labelkollegen und anderen Künstlern anboten, aber auch der Rest des Albums hält die Qualität hoch.
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P.S. Morgen folgt Teil 2, dann silvestergerecht mit ein paar Knallern aus der rockigeren Ecke.
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