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Musik gegen die Winterdepression

Auch in dieser dunklen (und normalerweise kalten) Jahreszeit findet sich wieder jede Menge guter Musik in den Regalen der Händler Ihres Vertrauens. Zu viel, um alles hier in eigentlich gebotener Breite vorzustellen. Es folgt daher mal wieder ein Rundumschlag durch den Plattenstapel, kurz, knapp und, äh, kompetent. Darunter auch die eine oder andere Perle, die uns fast durchgerutscht wäre.

Beginnen wir gleich mit so einem Durchrutscher: Schon vor ein paar Monaten erschien das Debüt „Within And Without“ von Washed Out, dem Pseudonym des Amerikaners Ernest Greene. Und dieses Album ist nicht weniger als ein Musterbeispiel für guten Chillwave oder auch Dreampop. Wunderbar „Soft“e Synthesizer, eine sanfte Stimme (im Highlight „You and I“ auch mal weiblich verstärkt) und butterweiche Melodien mit viel 80ern und ein bisschen frühen 90ern.

Wo wir gerade Dreampop hören: Vor fast genau einem Jahr hatten wir das starke Debüt von Twin Shadow alias George Lewis Jr. empfohlen. Dieser Herr hat nun Chris Taylor von Grizzly Bear bei dessen Soloprojekt namens Cant geholfen (so wie dieser vorher ihm), und die beiden lassen „Dreams Come True“. Fast schon verschlurft kommen die elektronischen Miniaturen um die Ecke, machen dann aber urplötzlich Lärm und dadurch auch einen guten Eindruck.

Eine weitere wärmstens zu empfehlende Scheibe ist „Le Danse“ von Sløve. Nein, das sind keine Skandinavier, sondern zwei Franzosen, die schon in verschiedensten Projekten mitgemischt haben und hier eine starke Sammlung von tanzbaren Popsongs gebastelt haben. Abwechslungsreicher Indie der elektronischen Sorte mit ein wenig Postpunk, der fast unauffällig startet, dann doch im Ohr bleibt und ein paar echte Hitkandidaten („Flash“, „Do We Need?“) anbietet.

Electro-Pop der eingängigen Art gibt es auch bei New Look und ihrem gleichnamigen Debüt. Die Paarung singendes Model und soundbastelnder Nerd funktioniert mal wieder prima. Es gibt kühl-minimalistische Synthiemelodien mit weiblichem Gesang. Sounds und Ästhetik bewegen sich zwischen coolen 80ern und dem Neon der 90er, unter gelegentlicher Ergänzung aktueller Klänge. Mit „Nap On The Bow“ und „The Ballad“ gibt es auch hier echte Highlights.

Ein ganz anderes Duo stellen The Opiates dar. Texte und Gesang stammen von Billie Ray Martin. Die Dame mit der souligen Stimme kennt man noch aus den späten 80ern von S’Xpress oder Electribe 101. Die Musik dagegen schreibt der Norweger Robert Solheim. Beides läuft (bewusst?) ein bisschen nebenher, so ergibt sich eine leicht strange Atmosphäre, wenn inhaltlich dramatisch „Hollywood Under The Knife“ gelegt wird, während musikalisch klassischer und eingängiger Synthiepop geboten wird.

Jetzt etwas für Liebhaber instrumentaler Maschinenmusik: Roll The Dice – das sind die Schweden Malcolm Pardon und Peder Mannefelt – begeben sich mit ihrem zweiten Album „In Dust“ ganz weit in die Tiefen fantastischer Synthesizerkompositionen. Vernebelte Krautschwaden werden auf epischer Länge aufgebaut, Melodiefetzen wabern vorbei. Monumental schichtet sich eine Soundwand auf die nächste – ein Album von zurückhaltender, aber mächtiger Schönheit.

Wir bleiben instrumental, begeben uns aber mit The Field auf das, äh, Feld des ambienten Techno. Der Schwede Axel Willner und seine Mitstreiter huldigen auf „Looping State Of Mind“ der Stärke des ewigen Loops. Klingt simpel, kann aber, wie man hier schnell merkt, eine große Kunst sein. Die Tracks ziehen ihre Bahnen, dabei tauchen aber immer wieder neue Sounddetails auf. Wer sich einmal in den über zehn Minuten des grandiosen Titelstücks verloren hat, weiß, was gemeint ist.

Gar nicht mal so weit davon entfernt sind die Sounds von Tycho. Der Kalifornier Scott Hansen, beruflich außerdem Graphik-Designer (sein Blog Iso50 ist nicht ganz unbekannt), entwirft auf „Dive“ Ambientwelten, die nicht zu Unrecht mit Größen wie Boards Of Canada verglichen werden. Wobei diese Tracks hier bei aller Elektronik ursprünglich auf der Gitarre entstanden sind, was man an den leichten Melodien hört, die zwischen all die sanften Sounds gebettet sind.

Und nochmal instrumental, jedenfalls größtenteils. Brandt Brauer Frick haben nicht nur in ihrer deutschen Heimat, sondern auch international mit ihrem Debüt und dessen Verschmelzung von Klassik und Techno aufhorchen lassen. Auf „Mr. Machine“ gehen sie nun als The Brandt Brauer Frick Ensemble einen Schritt weiter und ersetzen die Gerätschaften durch eine vielköpfige Band. Erstaunlich, wie es trotzdem gelingt, die Tracks des Originalalbums (und Emikas „Pretend“) irgendwie technoid klingen zu lassen.

Zeit, den Anspruch mal kurz etwas zurückzuschrauben – und dafür direkt auf Abfahrt zu switchen. Spank Rock ist genau der Richtige dafür. Hui, ist das jetzt nicht Ami-Billboard-Charts-Electro-Rap-Scheiß? Nö. Dafür sorgt vor allem der Mann an den Reglern: Boys Noize. Der zimmert für „Everything Is Boring & Everyone Is A Fucking Liar“ ein dermaßen amtliches Soundbrett, dass man über gelegentlich nerviges Gepose hinwegsieht und stattdessen die extrem fetten Beats feiert.

Und wo wir gerade bei Chartstauglichkeit sind, können wir auch Plushgun und ihr zweites Album „Me. Me.“ hier unterkriegen. Dan Ingala & Co. waren hierzulande schon auf dem „Keinohrhasen“-Soundtrack vertreten. Nein, das ist nicht unbedingt ein Qualitätsmerkmal. Aber die Musik, die sich an nahezu allen großen Synthiepoppern der 80er sowie ein bisschen Britpop und Collegerock anlehnt, ist dann doch ganz ordentlich. Ein paar nette Ohrwürmer, dazu einiges an Radioschmiere. Zum Highlights herauspicken.

So, jetzt aber noch mal Techno bei die Fische. Xhin ist wohl der erste Eintrag aus Singapur hier. Doch was der junge Mann, der übrigens seine Tracks auch schon seit etwa 15 Jahren produziert, auf „Sword“ abliefert, genügt allen Ansprüchen der Szene und läuft garantiert auch im Berghain. Xhin baut immer neue Sounds in seine Tracks ein, setzt die Breaks an den richtigen Stellen und ist in der Lage, sowohl Ruhepausen als auch knallige Dancefloorstücke anzubieten.

Olivier Mateu, in Brüssel lebender Franzose, hat unter seinem Solo-Alter-Ego Rodriguez Jr. mit „Bittersweet“ ein sehr kohärentes House-Album aufgenommen. Grundsätzlich minimalistisch im Sound, aber immer mit einem satten Bass in der Hinterhand. Außerdem gelingt es stets, irgendein Spannungsmoment zu setzen, bevor es eintönig zu werden droht. Ein entspanntes Album, das man vor, im und nach dem Clubbesuch hören kann.

So viel dazu, und jetzt kann es doch langsam mal Winter werden, oder?

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Thomas Bästlein

Thomas Bästlein schreibt (früher unter dem Spitznamen Addison) seit Anfang 2007 für depechemode.de. Hauptberuflich arbeitet er im öffentlichen Dienst. Du kannst Thomas online bei Facebook treffen.

3 Kommentare

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  1. Macht Depressive wieder happy

    Danke für die Tipps, hab The Field zu meinem Favoriten gekürt, mal sehen ob’s dann auch ohne Leuchte geht. ;_)

  2. die the field sachen laufen bei mir schon paar jahre immer wieder gut…und auch sonst kommt vom label KOMPAKT immer wieder tolles raus.

  3. Danke

    Da sind feine Perlen dabei. Besonders WASHED OUT klingt interessant. Aber auch das „Loopzeug“ von THE FIELD oder SPANK ROCKs Electro-Hiphop… eigentlich machen mich alle Tipps hier neugierig…..lohnt sich immer, über den DM-Tellerrand zu schauen. Dann versteht der eine oder andere vielleicht mal, was z.B. einen Herrn Gore dazu treibt, sich genrefremd mal austoben zu müssen. Danke für die Recherche :-)

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