Mit diesem Bericht melde ich mich mitten aus der Krankheitsphase zurück vom M’era Luna Festival aus Hildesheim. Reden darf ich aktuell nicht, weil mein Kehlkopf entzündet ist, dafür ist schreiben umso mehr drin. Also dachte ich, ich nutze die Gunst der Stunde und packe die vielen angesammelten Worte ganz einfach in einen Festivalbericht.
Freitag
Ich glaube, das letzte M’era Luna im vergangenen Jahr führte aufgrund des Zusammentreffens mit ein paar lustigen Menschen dazu, dass ich mich nach gut acht Jahren animiert sah, wieder zelten zu wollen. So packte ich denn brav mein Zelt, Schlafsack, die obligatorischen Dosennudeln, einen Eimer, eine Kelle, ein paar Bowlezutaten und einen Kinderpool und machte mich mit meiner Kollegin von Reflections of Darkness auf den Weg nach Hildesheim. Uns entging die lange Warteschlange bis zum Öffnen des Zeltplatzes, auch die Autobahn war wundervoll frei und so hatten wir den Luxus in „unser Camp“ zu einem bereits halb aufgebautem Schlafplatz anzureisen. Die Sonne hatte wenig Erbarmen, sodass ich mich schnell der vorher laut angekündigten Baderunde im Kinderpool hingab. Okay, auch das von den Zeltkollegen angekündigte Fichtennadelbad landete im Wasser, tat dem Erfrischungserlebnis aber keinen Abbruch. Nachdem ich dann also die Bowle im Eimer angesetzt hatte, belächelt wurde wegen der Menge, ging es dann abends in den Hangar zum Tanzen.
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Dort gab es dann nicht nur die Überraschung, dass man Eintritt haben wollte (was übrigens von vielen bemängelt wurde), sondern auch die Musikauswahl ließ zu wünschen übrig. Auf dem Bühnenbereich wurde zwar ein bisschen getanzt, der Rest waberte vor sich hin, fügte sich zu Redegrüppchen zusammen oder verließ den Party-Hangar wieder, um auf dem Campingplatz nach Tanzersatz zu suchen. Gegen 2 Uhr morgens endete die nicht vorhandene Begeisterung über die Musikauswahl schließlich in lauten „Buh“-Rufen, was ich meinerseits niemandem verdenken kann.
Samstag
Nach einem netten Frühstück am Plastiktisch bei Dosenbier, Muffins, Ravioli und Toast zu der unwiderstehlichen Musik von Tomas Tulpe, fühlte man sich dann gleich viel besser. Okay, nicht nach Tomas Tulpe, aber nach dem Kaffee, den es gab. Schließlich wurde dann auch die Musik gewechselt, Klamotten gesucht und mit Entsetzen festgestellt, dass sich tatsächlich Diebe auf dem Gelände umhertrieben: Einer unserer Campkolleginnen wurde jegliches Bargeld gestohlen, was zu einem akuten Stimmungseinbruch führte. Nach weiterem Kaffee, Umarmungen und dem Weg zur Dusche wurde dann fleißig der Bandplan studiert und wer sich denn welche Bands ansehen würde. Ich meinerseits tat das, was man umringt von Hardcore-Depeche-Mode-Fans so tut und streute silbernen Glitzer auf meine Zeltgenossen… und das Camp… und in den Kaffee. Was es noch so mit Glitzer auf sich hat, werde ich später noch erzählen.
Hier möchte ich erst einmal die Konzerterlebnisse des Samstags wiedergeben:
Frozen Plasma
Gegen Mittag hatte ich mich dann doch so weit motiviert, „unsere“ Campjungs allein lassen zu wollen und bewegte mich in Richtung Hangar, um Felix Marc und Vasi Vallis lauschen zu dürfen. In der Hoffnung, dass die Sache mit den Videos an diesem Tag besser klappen würde als noch vor einigen Tagen in Köln, wartete ich dann gemeinsam mit einigen Freunden auf den Anfang der Show. Persönliches Highlight waren „Crossroads“, was nicht nur zu einem meiner Lieblingslieder zählt, sondern auch eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr live gespielt wurde und ein Felix Marc, der durch noch animateurhaftere Bewegungen und lustige Grimassen stets zum Mitklatschen anregte. Zu „Irony“ gabs dann wieder die Sache mit der Welle und irgendwie wollte keine schlechte Laune einsetzen. Ja, selbst mein persönliches Hasslied „Tanz die Revolution“ fand ich an diesem Nachmittag gut. Das kann jetzt einfach an der guten Stimmung in der Halle gelegen haben oder schlichtweg daran, dass es viel zu warm war. Sei es drum, ich fand es gut und wurde mit ziemlich guter Laune aus dem Hangar entlassen.
Aesthetic Perfection
Unsere Zeltgruppe freute sich ja schon in den frühen Morgenstunden auf Daniel Graves und seine Mannen und so war es dann auch nicht verwunderlich, dass ich diese in der Mitte im Kreis tanzend wiederfand. Daniel selbst lieferte einen seiner besten Auftritte ab und selbst wenn der Rest des Publikums doch eher stimmungsneutral den Hangar befüllte, hatte die Zeltgruppe mit den Glitzerpartikeln Spaß am Tanzen und Mitsingen – und zwar so laut, wie ich das sonst nur von „alten“ EBM-Gruppen kannte. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, wann einer der Teilnehmer sein Hemd auszog, weil es viel zu warm war. Im Grunde auch egal, denn im Nachgang des Konzerts sollte er in silbernem Glitzer enden. Nahm er mir nicht übel und fühlte sich selbst ein bisschen königlicher (so hoffe ich). Seine Freunde, die ihn auslachten wurden dann übrigens auch beglitzert.
[X]-RX
Ich mag sie und fand es daher auch weniger „schlimm“, dass sie als Ersatz für den im Krankenhaus befindlichen Johan van Roy eingesprungen sind. Hier scheiden sich dann wohl die Geister. Die einen fanden es super, der Rest war eher missmutig gestimmt. Dabei kann ich gegen diese Band nichts sagen. Klar, ich habe mich amüsiert, dass sie Lieder mit „so viel Text“ spielen würden, aber wenn [X]-RX spielen wackelt die Hütte. So war es dann auch kein Wunder, dass auch dazu wieder heiß getanzt und anschließend ins Zeltlager verschwunden wurde. Im nächsten Jahr holen Suicide Commando den in diesem Jahr verpassten Auftritt übrigens nach, also tragt es euch im Kalender ein.
Sonntag
Nach einer weiteren Tanzeinlage im Hangar am Abend zuvor zu ebenfalls merkwürdiger Musik, wurden wir dann alle spätestens durch den Gesang von Christian Steiffen geweckt. Um 7 Uhr morgens. Was mit einem lauten „Mach den Mist aus!“ kommentiert wurde. Tja, das ist wohl Festivalleben live. Schlechte Musik zu unmöglichen Uhrzeiten und absoluter Schlafmangel. Eine Stunde später wurde dann wieder gefrühstückt, über die glitzernden „Jungs“ (euphemistische Beschreibung der Altersangabe) geschmunzelt und wieder Glitzer aufeinander geworfen. So langsam fanden alle Gefallen daran und packten sich selbst welchen in die Taschen, um das M’era Luna etwas bunter zu gestalten. Schwarz ist zwar schön, düster auch – aber man sollte nicht den Spaß vergessen.
Und den gab es bei den Sonntagsbands auch reichlich:
Apoptygma Berzerk
Nicht nur ich, sondern auch eine riesige Masse an Menschen tummelte sich vor der Main Stage, um „Apop“ live zu sehen. Die Sonne brannte auf die ohnehin schon roten Schultern und jeder war dankbar, wenn ein kleines Lüftchen wehte. Der Tanzlaune – vor allem in den ersten Reihen – tat das aber keinen Abbruch. Ein Stephan Groth verbreitete gerade bei mir so etwas wie „Jugendstimmung“. Klingt albern, wenn man sich die Altersangabe auf meinem Ausweis anguckt, aber ich gebe zu bedenken, dass ich mich schon vor ziemlich vielen Jahren auf einschlägigen Parties umhergetrieben und durchgetanzt habe. Damals zählte vor allem „Kathy’s Song“, vornehmlich gespielt in der Magdeburger Factory zu meinen Partyliedern. Aber zurück zum Thema: Ich fand die Show großartig, auch wenn ich anmerken muss, dass ich die Drums viel zu laut und ohrenbetäubend fand. Ein Eindruck, der sich die komplette Festivalzeit in Bezug auf die Main Stage nicht ändern sollte.
Rotersand
Bei Rotersand war der Hangar dann so überfüllt, dass sich einige vor dem Bildschirm vor dem Hangar aufhielten, mittanzten und sogar „Macarena“ zu den Songs tanzten. Ja, auch Gruftis verstehen Spaß und Sonne macht vermutlich wirklich ein bisschen albern. Was Krischan Wesenberg und Kollegen da hinlegten, machte aber auch einfach nur beim Zuschauen schon Spaß. Selten erlebt man Bands, die die Bühne betreten und die diese Ausstrahlung aus Energie, Lebensfreude und Auftrittswille mitbringen. All das ist bei Rotersand immer der Fall. Und schon allein wegen der Ausstrahlung purer Energie, sollte man sie zumindest einmal im Leben gesehen haben. Was die Macarena-Tänzer vor der Halle anbetrifft: Ihr habt das toll gemacht und sogar im Takt. Im nächsten Jahr bitte wieder!
Nachtmahr
Auch zu Nachtmahr war der Hangar wieder ziemlich stark befüllt. Das antifaschistische Nachtmahrcamp, was im Vorfeld zu großen Aktionen gegen die Band aufgerufen hatte, ließ sich auch nicht blicken und so ergab sich ein ziemlich „normaler“ Nachtmahrauftritt. Ein gut gelaunter Thomas Rainer auf der Bühne, Bandkollege Gregor fleissig am Synthesizer und die beiden hübschen Damen ein paar schauspielerische Einlagen darbietend. Lobend ist hier zu erwähnen, dass ich nach so vielen Shows den Mädels die Gewaltszenen endlich abnehme, sie haben sich wirklich verbessert, was Mimik und Gestik anbetrifft. Ansonsten war der Auftritt wieder der Sammelpunkt für alle uniformierten und natürlich auch für die nicht-uniformierten Fans, um im Hangarstaub kräftig zu Industrialklängen zu feiern.
Mit einem gewaltigen Sonnenbrand suchte ich mir nach den Konzerten den Weg zum Zelt, um dort vor der Abreise noch ein wenig zu verharren. Auf dem Weg dorthin traf ich einen unserer Camp-Jungs, der gewaltig mit den Schweden (die Warnwesten zu Ehren von Patenbrigade:Wolff trugen, hat sich in den letzten Jahren so etabliert) und ein paar Jungs aus München, die Melonen auf den Köpfen trugen, am Abtanzen war. Mit Melonen meine ich nicht die übliche Kopfbedeckung, sondern tatsächlich die Frucht. Sah wirklich sehr erheiternd aus. Und während die Schweden neue deutsche Wörter von Tomas Tulpe lernten, der mich ja schon das komplette Festivalwochenende begleitete, kamen die Münchner und meine Zeltgesellschaft auf die Idee eine Mülltonnenrundfahrt zu starten. Befand ich für gut und fand mich in einer blauen Tonne zu „Never Trust A Klingon“ singend wieder. Die Tonne haben wir natürlich brav wieder abgestellt und mit einem optischen Klischeegrufti noch ein bisschen zu schlechter Partymusik getanzt – bevor es dann hieß: Auf Wiedersehen M’era Luna!
Fazit:
Ich habe selten so viel Spaß auf einem Festival gehabt wie auf diesem, was vornehmlich an der wirklich lustigen Gesellschaft, dem Zusammenhalt, den vielen lustigen Sprüchen und der Musikauswahl lag. Ich glaube, ich habe ein kleines Thomas-Tulpe-Trauma davon getragen, was ich auf Jahre nicht mehr loswerde. Wer nichts gegen kalte Nächte, Dosensuppen und Schweden, die mal eben einen kompletten „Straßenzug“ zum Feiern sperren hat, der sollte definitiv auch mal auf einem Festival zelten. Zu alt ist man dafür noch lange nicht und mit der richtigen Gesellschaft wird am Ende alles super. Lange Schlangen vor den Duschen gab es auch nicht wirklich und wenn, dann war man trotzdem sehr schnell unter dem Wasserstrahl. Den Tauschmarkt, bei dem man zu viel eingekaufte Lebensmittel abstellen und tauschen konnte, fand ich super. Der darf im nächsten Jahr bitte mehr beworben werden. Im Vergleich zum Vorjahr war der Hangar gut belüftet, der Bildschirm besser platziert und auch der Hangar selbst hübsch dekoriert. Ein Sonnensegel hätte vor der Main Stage gut getan, denn auch mit Lichtschutzfaktor 50 konnte man dem Sonnenbrand an diesem Wochenende kaum entgehen. Man muss nicht unbedingt in einer Warnweste umherlaufen oder mit Glitzer werfen, aber ein bisschen weniger Ernsthaftigkeit würde dieser „Szene“ gut tun. Lacht doch mal mehr über euch selber und habt Spaß. Stapft nicht immer so grimmig blickend zu den Bühnen, wir wissen, dass ihr euch innerlich gerade auf eure Lieblingsband freut und es eigentlich laut heraus schreien möchtet – also tut das in Zukunft auch. Das ist nämlich sehr befreiend! Wir sehen uns 2016!