Vorspann
Mitte Juli 2007, endlich ist wieder Melttime. Die Wochen zuvor gab es in diesem Jahr weder Sonne, noch Sommer und auch keine WM-Euphorie. Dafür jede Menge Mistwetter. Umso mehr klammerte sich die Seele an die Vorfreude auf das schönste Festival des Jahres. Egal, ob Regen oder Schnee, das würde schon großartig werden.Doch die Meltmeister müssen mit den chinesischen Olympiaorganisatoren für 2008 unter einer Decke stecken. Dort versucht man ja gerade, durch diverse obskure Experimente das Wetter zu beeinflussen. Krank eigentlich. Wie kam ich darauf? Ach ja, das Wetterwunder. Pünktlich zum Meltwochenende kehrt der Sommer zurück (um nach dem Wochenende auch baldigst wieder zu verschwinden). Es ist also angerichtet, wir sind bereit zum Schmelzen.
Teil 1: Die Melt!-Identität – Freitag
Auch in diesem Jahr tritt unser Grüppchen wieder mit vier Personen an, reicht noch nicht ganz zum 11Freunde-Bolzen-Fußball-Team, aber wir arbeiten dran. Es sind dabei: Die Salzbiermitbringerin (neu am Start, frisch aus Schottland eingeflogen, vertritt den leider verhinderten Dr. Zoidberg), die Sonntagsdurchhalterin, der Letztetaschenerwischer und der Berichterstatter himselbst. Kollege Troll fehlt leider auch, kränkelt ein wenig, der Gute.
Ankunft Freitagvormittag. Auf der Autobahnfahrt dicke Wolken beobachtet und ein paar Regentropfen von der Scheibe gewischt. Die letzten, wie gesagt. Ankunft, Parken, Sackkarre (Enorm hilfreiches Utensil!) vollgepackt, auf zum Campingplatz. Nach dem Anmarsch ein schönes Plätzchen mit netter Nachbarschaft gefunden, Zelte aufgebaut, erstes Entspannungsbier geöffnet und geleert.
Die Besichtigung des Geländes lässt Erfreuliches ahnen: Einer der wenigen Kritikpunkte des Vorjahres – die mangelnde Infrastruktur im Sanitärbereich – wurde erheblich verbessert. Es gibt WC-Container (die das ganze Festival regelmäßig gereinigt und mit den nötigen Papieren versorgt werden), Duschen und dazu eine Menge Dixies. Trotzdem bleibt hier Luft nach oben: Der Duschobolus von 1 € ist okay, aber 50 Cent für Toilettenbenutzung wären nicht nötig gewesen. Die kostenlose Dixie-Alternative ist schließlich mit fortschreitender Festivaldauer und v.a. Hitzeentwicklung keine wirkliche. Doch damit auch schon genug gemeckert. Machen wir lieber ein weiteres Bierchen auf. Prost!
So, der Haushalt ist bereitet, der Pegel pegelt sich langsam ein, Zeit fürs Wesentliche: Die Musik. Wir marschieren also am wunderschönen Gremminer See – dessen Badestelle die Besucher auch in diesem Jahr wieder ausgiebig frequentieren – entlang zum Festivalgelände. Der Einlass und die Bändchenverteilung klappen in diesem Jahr trotz der weiterhin steigenden Besucherzahlen reibungslos. Dahinter erstreckt sich die neu und wieder abwechslungsreich gestaltete Budenmeile und zur Rechten steht das neue „Böse-Braune-Zuckerlimonade“-Soundwave-Tent, in dem es noch einige schweißtreibende Auftritte zu bewundern geben wird. Doch wir streben zum Festivalguide-Stand, nach den allseits beliebten und mit spannenden Gimmicks bepackten Festivalbags gierend. Günstiges Geld dafür hingelegt, Inhalt bewundert (u.a.: „Oha, ein Stirb-Langsam-Feinripp-Hemd!“) und schnell hinüber zur Hauptbühne.
Dort gibt es den richtigen Festivalopener: Olli Schulz, der unterhaltsamste aller Hamburger Musiker, sorgt für Lockerung des Zwerchfells, beste Laune und fröhliche Gesichter ringsum. Natürlich hat er auch ein paar prima Songs dabei, aber mindestens genau so viele herrliche Geschichten aus dem bunten Rockzirkus. Und vielleicht sollten Rammstein seinen Vorschlag, die Texte für ihr nächstes Album durch ihn schreiben zu lassen, überdenken. Einen kurzen Einblick in Ollis Gedankenwelt und seinen Auftritt gewährt übrigens www.sly-fi.com, die (sehr empfehlenswerte) Seite, die für die offiziell mitgefilmte Melt!-Dokumentation zuständig ist und auf der es einige der Melt!-Auftritte in bester Qualität zu bewundern gibt.
Wir spazieren weiter zu Bühne Zwo, der Gemini Stage. Und dort geht es gleich in den Zeitreisebus. The Dance Inc., die kürzlich ihr feines Debütalbum „Legs And Arms“ veröffentlicht haben, treten an, die Ehre des Elektropop zu retten. Stilecht, ganz in Weiß, wird zu herrlichen Synthiemelodien der Popmusik gehuldigt. Sänger Jan Elbeshausen, dessen Organ live fast noch stärker an Marc Almond erinnert als auf Platte, bewegt sich dazu, äh, individuell und sammelt generell jede Menge Sympathiepunkte. Ein frühes Highlight.
Wenn man vor der Gemini Stage an einer bestimmten Stelle steht, kann man hinüberlugen zur Hauptbühne (Überschallungen von dort gibt es zum Glück nur selten, nur die zarte, akustische Musik von Final Fantasy soll wohl große Durchsetzungsprobleme gehabt haben). Dort kann man gerade viele bunte Luftballons erkennen. Dazu stehen gefühlte 50 Menschen auf der Bühne. Die schwedischen Gute-Laune-Popper I’m From Barcelona haben die ganze Familie dabei und verbreiten Sommerparty-Stimmung. Hat was von einer dieser religiösen Erweckungsorgien, bei denen am Ende immer alle singen und tanzen. Nur hier ganz unreligiös, bis auf die angedeutete „Like A Prayer“-Coverversion.
Danach gibt es eine der Entdeckungen des Jahres aus dem Mutterland der Popmusik. Jamie T. ist aus dem Großraum London angereist, hat seine Band, die Pacemakers dabei. Im Highspeedtempo geht es durch das Material seines starken Debüts „Panic Prevention“. Live deutlich punkiger als auf Konserve, verquirlt der Bursche alle möglichen Stile (Punk eben, Ska, Reggae, Dub, Grime, HipHop etc.), stets dominiert von seinem Streets-ähnlichen Sprechgesang. Dabei entdeckt man immer wieder großartige Melodien, fast versteckt inmitten der bunten Mischung. Unser Exilschottin schafft es gleichzeitig, Jamie T. zu feiern, sexy zu finden (sorry, das Hemd bleibt heute an) und ihn als „total posh“ zu bezeichnen (jaja, die lustigen Schotten, immer müssen sie die Engländer niedermachen, selbst wenn die Schotten selbst hier nur ausgewanderte Deutsche sind). Jedenfalls: Toller Auftritt!
Vom Jeans Team bekommen wir leider nur kurz etwas mit, jedenfalls gelingt den früher mehr elektronischen, heute mehr akustischen Poppern eine interessante Mischung und der Auftritt wirkt sehr dynamisch.
Einen kurzen ersten Blick werfen wir auf die Big Wheel Stage. Dort, hinter dem großen Bagger, findet man wohl das verstrahlteste Publikum, hier wird getanzt, bis die Beine abfallen. Im Moment liefern sich Mathias Kaden und Onur Özer eine erstklassige hämmernde DJ-Battle, viele weitere erstklassige Sets werden hier abgeliefert, leider reicht mal wieder die Zeit nicht, um allzu viele davon mitzunehmen. Da es mittlerweile dunkel ist, fallen jetzt besonders die fantastischen Visuals auf, mit denen die riesigen ehemaligen Tagebauutensilien ausgeleuchtet sind. Großartige Arbeit der dafür zuständigen Künstler in diesem Jahr!
Noch weiter am Rand befindet sich der neue „Muntermachendes-Gummibärchen-Gesöff“-Floor. Tolle Bühne in einem gemütlichen Hofambiente, hier könnte man nächstes Jahr ruhig ein paar größere Namen auflegen lassen.
Zeit, sich ein wenig zu stärken. Auch hier setzt das Melt! im Vergleich zu anderen Festivals Maßstäbe. Es gibt ein Festivalrestaurant mit wechselnder Tageskarte (!), indisches, chinesisches, italienisches, türkisches, deutsches Futter und auch einen ausgezeichneten Biogrill. Lecker!
Doch nun wieder zu den großen Namen: The Notwist stehen auf der Hauptbühne bereit. Ihr Meisterwerk „Neon Golden“ hat nun auch schon fünf Jahre auf dem Buckel, da lechzt der Anhänger elektronisch verstärker Indiemusik nach Neuem. Es gibt auch Andeutungen dazu auf der Bühne, aber viel mehr noch nicht. Dafür gleich früh eine wundervoll aktualisierte Version des zum Sterben schönen „Pick Up The Phone“. Die Gitarren der Acher-Brüder werden durch immer neue Sounds aus den Tiefen der Gerätschaften von Martin „Console“ Gretschmann unterstützt. Neues. Material. Bitte. Bald.
Schweren Herzens lösen wir uns von den Weilheimern, ums uns Ladytron zuzuwenden. Das Liverpooler Quartett, dessen letztes Album „Witching Hour“ zwar bereits knapp zwei Jahre alt ist, jedoch außerhalb des UK erst im Frühjahr veröffentlicht wurde. Wir freuen uns auf unterkühlte Sounds und tanzbare Hits. Die Optik stimmt, die Bühne ist den Großteil des Auftritts in dunkles Blau getaucht. Was zumindest anfangs gar nicht passt, ist der Sound. Der Mischer hat einen ordentlichen Brei angerührt, so dass es zwar mächtig viel Bass für den Magen gibt, man aber den Gesang der Damen nur schwer verorten kann. Ärgerlich. In der zweiten Konzerthälfte tritt zum Glück Besserung ein, trotzdem werden wir uns wohl beim Auftritt auf der Popkomm noch einmal ein Bild machen. Fazit hier: Gute Band, starke Songs in interessanten Live-Versionen, Abzüge in der technischen Note.
Es ist längst nach Mitternacht, es folgen noch zumeist gefeierte Auftritte von Tiefschwarz, Richie Hawtin, Lady Sovereign und einigen anderen. Wir beschließen jedoch, noch ein wenig Zeltplatzatmosphäre zu tanken und ansonsten etwas Energie zu sparen für den sicherlich v.a. in der Breite deutlich stärker besetzten Samstag, der da folgen wird. Gute Idee, wie sich noch zeigen soll…
Teil 2 folgt am Montag.
(Addison)
(Fotos: Stephan Flad, Bernard George)