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Aus dem Archiv:

Lea Porcelain im Interview: „Wir wollen eine Band sein, die ihren eigenen Stil und Wiedererkennungswert hat.“

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Wir wollen in der nächsten Zeit versuchen, euch ein Interview pro Woche zu präsentieren. Neue Interviews natürlich, aber auch Gespräche, die wir – passend zu anstehenden bzw. aktuellen Veröffentlichungen – noch einmal aus dem Archiv holen. Oder welche, die bislang (zumindest teilweise) noch nicht erschienen sind. Den Auftakt gab es bereits mit Alphaville, heute folgen Lea Porcelain.

Unser zweites Interview mit Julien Bracht und Markus Nikolaus fand wieder in der musikalischen Heimat der beiden statt, in den prächtigen Räumen des Berliner Funkhauses. Vor einem Konzert (ihr seht, das muss ein paar Tage her sein) und in einer Zeit zwischen ihrem großartigen Debüt „Hymns For The Night“ und dem bereits geplanten Nachfolger. Jener hört mittlerweile auf den Namen „Choirs To Heaven“ und erscheint in dieser Woche. Zwischendurch gab es aber noch diverse Singles und EPs (von denen auf dem Album übrigens nur einige Songs enthalten sind, die Herren waren produktiv).

Eine Standortbestimmung von einer Zwischenstation (mehr zum neuen Album dann in Kürze):

depechemode.de: Was hat sich bei euch seit unserem letzten Gespräch verändert?

Julien Bracht: Wir machen immer noch Musik … Das erste Album ist rausgekommen, wir haben danach bestimmt 100 Konzerte gespielt.

Markus Nikolaus: Ja, so 40 bis 50 pro Jahr.

J: Dann waren wir vier Monate in Spanien, haben komplett neue Musik geschrieben und theoretisch ein neues Album ready.

Wie weit ist es denn?

J: Geschrieben ist es eigentlich, es fehlen noch Mixing, Mastering, die ganzen technischen Sachen. Wir lassen uns aber Zeit und bringen erstmal Singles raus.

M: Wir hatten eine EP angekündigt, mit fünf Songs. Das war erstmal so geplant. Dass wir dann mehr arbeiten, mehr fertig kriegen, damit hatten wir nicht geplant, um den Druck ein bisschen rauszunehmen. Das war auch gut, die Zeit war super intensiv. Im Endeffekt kam in ganz kurzer Zeit viel mehr zusammen als wir eigentlich dachten. Damit waren wir ziemlich happy.

Also kein Terminstress.

M: Genau. Es geht erstmal um neue Musik. Ein Song, noch ein Song. Erstmal gucken, wie die funktionieren, bevor wir sagen, wir machen ein großes Album, physisch und so.

Aber ihr haltet am Konzept „Album“ noch fest.

Beide [überzeugt]: Ja!

Manche verabschieden sich ja heutzutage davon.

J: Wir machen so ein bisschen beides. Viele Singles erstmal – und woraus das Album dann zustandekommt, gucken wir dann.

Da ist also noch gar nicht klar, was aufs Album kommt.

J: Theoretisch schon …

M: Aber es kommt immer was Neues dazu.

Letztes Mal habt ihr gesagt, dass der Aufnahmeprozess ein laufender Prozess war, Song um Song, so über drei Jahre hinweg. Und alles immer nachts. Ist das immer noch so?

J: Nee!

M: Wir haben in Rio angefangen, neue Songs zu schreiben. Haben da auch die neue Richtung gefunden, uns musikalisch und beim Songwriting weiterentwickelt. Das haben wir mit zurück nach Berlin genommen, haben dann „I Am Ok“ und weitere Stücke geschrieben. Irgendwann hat sich das zu einer EP akkumuliert. Dann haben wir Festivals gespielt, noch mehr getourt und irgendwann gemerkt, dass wir vielleicht doch länger wegwollen. Das haben wir vorbereitet und sind dann über Silvester und bis April [2019, Anm. d. Red.] nach Spanien gegangen. Erst mit der ganzen Band, wir haben ein Studio in dem Haus gebaut, wo Julien auch schon früher gewohnt hat. Dann ist die Band manchmal gegangen, Songwriter sind gekommen oder Freunde von uns, Produzenten oder auch ein Fotograf, ein Filmteam. Das hat sich so eingependelt, dann wurde geprobt, dann sind wir alle mit dem Schiff von Spanien nach Italien, wo wir mit Apparat auf Tour waren.

Letztes Mal habt ihr ja alles selber gemacht. Dieses Mal habt ihr auch mit externen Mitarbeitern oder Produzenten gearbeitet?

M: Schon, ja. Produzent klingt immer so komisch, weil Julien ja eigentlich der Produzent ist. Aber es war einfach jemand, dem wir sehr vertrauen, der auch hier im Funkhaus sein Studio hat und ein sehr guter Produzent ist. Der uns einfach bei manchen Songs einen anderen Blickwinkel gegeben hat. Er hat mit Cubase gearbeitet, wir arbeiten mit Ableton. Wir haben ein bisschen aufgeräumt, Gitarren, Stimmen, Drums … Das war immer so: Wie weit kann man gehen, daran feilen? Irgendwann hatten wir die Songs auf einem Stand, dass wir sie wieder näher zu uns geholt haben. Da hatten wir die perfekte Mitte zwischen etwas Neuem und dem Urkern von Lea Porcelain.

Hier im Heimstudio habt ihr dann gar nicht aufgenommen?

J: Doch, auch.

M: Fast die Hälfte sogar. In Rio haben wir zwei, drei Songs gemacht, aber hier schon auch viel aufgenommen. Oder hier produziert und in Spanien weitergemacht. Auch ganz neue Nummern geschrieben. Oder Songideen, die hier entstanden sind, aber nicht aufgenommen worden sind, dann dort aufgenommen. Zum Beispiel hatten wir hier ein Klavier, dann haben wir uns in Spanien auch noch eins geholt. Hier hatte der Song es nie geschafft, dann haben wir den dort nochmal komplett neu aufgerollt, auf einmal war der da und wir so: Wow! Früher haben wir Songideen oft weggeschmissen und halt etwas Neues gemacht. Dieses Mal war das wirklich so ein Prozess. Wenn Ideen hängengeblieben sind, haben wir uns nochmal dran gesetzt und gekämpft, dass da Songs kommen. Manche Songs kamen [pfeift] einfach so, aus dem Nichts. „I Am Ok“ kam an einem Nachmittag. Der zweite Song der EP [„Love Is Not An Empire“] kam in Spanien auch so aus dem Nichts.

Der ist auch sehr singleträchtig, sehr hymnisch.

J: Auf jeden Fall.

M: Wir haben auch noch mehr, was eher in Richtung der frühen Sachen geht, aber wir wollten auch, dass man merkt, dass sich so ein bisschen was ändert. Nicht nur die gleichen Leute abholen, sondern auch neue Ufer erobern.

Wie würdet ihr denn eure Weiterentwicklung beschreiben?

J: Es ist offener, nicht mehr ganz so schwer. Bisschen sonniger, positiver.

M: Was auch vielleicht von den Orten kommt.

J: Aber immer noch groß und episch. Vom Songwriting auf jeden Fall dynamischer. Früher hatten wir oft nur Instrumentals, und Markus hat drei, vier Minuten frei gesungen. Da hatten wir nicht wirklich Refrain und Strophe. Dieses Mal haben wir uns wirklich drangesetzt, jeden Song erstmal zu Ende geschrieben und dann ausproduziert. Da merkt man, dass viel mehr Songstruktur drin ist. Breaks, wo mal gar nichts drin ist. Was wir früher gar nicht hatten.

Songorientierter, den Eindruck hatte ich auch. Was jetzt gar nicht positiv oder negativ gemeint ist.

J: Genau.

M: Wir hatten einen Refrain, von dem wir anfangs sehr überzeugt waren. Aber mit der Zeit hatte der nicht so den Effekt. Dann hat Julien gemeint, nimm einfach mal alle Drums raus. Das hatten wir so noch nie wirklich gemacht. Da hat das dann voll gezogen. Heute spielen wir auch einen, der heißt „For The Light“, der hat sich total geöffnet, nachdem die Drums im Refrain raus waren.

Die Drums waren ja bisher auch recht prägnant. Dieses Hallige habt ihr jetzt so ein bisschen zurückgefahren, oder?

J: Ja. Bewusst.

M: Wir haben uns auch bei den Mixes für ein bisschen weniger Hall auf der Stimme entschieden, weil die Sachen viel näher sind. Wir haben uns schon so ein bisschen an Sachen wie The National oder den frühen Coldplay orientiert, wo die Stimme einfach voll da ist, und nicht wie bei The KVB oder so.

J: Wir wollen das nicht mehr so krass verstecken, wollen auch nicht in diese New-Wave- oder Synthwave-Geschichte einsortiert werden. Wir wollen auch nicht ein Post-Punk-Duo sein, das sind wir überhaupt nicht. Wir wollen eine Band sein, die ihren eigenen Stil und Wiedererkennungswert hat, die zeitlos ist und immer noch fresh. [grinst]

M: Wir waren bei Byte FM, vor oder nach unserer Hamburg-Show, morgens, live um 11. Wollten noch einen Song spielen, die neue Single. Die kündigen uns an: „Das Post-Punk-Duo aus Berlin ist hier!“ Und dann kommen wir hin, eine Ukulele, ein Bass. Yeah, voll der Post-Punk! [lacht]

Bei „I am Ok“ hört man ja schon noch, dass ihr das seid. Auch wegen der Ukulele. Nur, dass ihr die in der minimalistischen Instrumentierung noch mehr nach vorne gestellt habt. Und eine intensive Stimme.

M: Das war auch ein krasser Moment im Studio, als wir den aufgenommen haben. Einfach nur vollkommen frei. In den Versen heruntergebrochen, tief, ruhig – und dann der Aufbruch in den Chorus. Unser Grundsatz beim Musikmachen ist, dass es Sachen sein müssen, die wir wollen oder brauchen. Der Song musste einfach raus.

Zu euren Videos: Ihr steht schon ein bisschen auf diese One-Shot-Geschichten?

J: Bei den Performance-Sachen schon. Aber das Video zu „Love Is Not An Empire“ jetzt hat eher so Kurzfilmcharakter. Über so ein Mädel auf der Reise zu seinem Selbst. Meiner Meinung nach unser stärkstes Video bisher.

Ich finde das ja gut, dass ihr so viele Videos macht.

J: Ich finde das Medium einfach extrem stark.

Erstaunlich, dass Video noch so – oder sogar wieder viel mehr – wichtig ist.

J: Voll.

Vor ungefähr zehn Jahren war das fast tot, jetzt drehen wieder alle Videos.

M: Du hast Spotify oder Apple Music – und dann hast du YouTube, vielleicht noch Vimeo. Und wenn ein Video mal scheiße ist, ist das nicht so schlimm. Es gibt auch Leute, die Videos für Künstler machen, wo die Künstler gar nicht wissen, dass die existieren, und die dann auf YouTube groß sind wegen des Songs. Also das zerstört den Song nicht wirklich.

Mal passt es, mal passt es halt nicht.

M: Es hat sich abgewandt von dieser MTV-Generation, hin zu YouTube. Wir machen das schon lieber selbst, fahren nach New York, lernen Leute kennen, fragen Kameramänner, das ist schon ein bisschen spontan und DIY. Aber das macht beim Film, glaube ich, auch die Schönheit aus. Nach New York sind wir mit einem Storyboard geflogen, das haben wir nach drei Tagen weggeworfen und lieber was mit dem Kameramann ausprobiert, nachts um drei auf dem Brooklyn Broadway.

Ein anderer neuer Song ist „Smile In The Air“. Der ist schon sehr relaxt, oder?

M: Auf jeden Fall. Der hat schon eine gewisse Traurigkeit, ist aber auch super happy. So ein bisschen wie bei The Smiths, wo die Musik sehr happy ist und die Texte sehr düster. Uplifting Musik und durch die Texte eine schöne Schwere.

Bleiben Remixe ein Thema für euch?

M: Ja. Der Roman Flügel Mix [von „Loose Life“] kam extrem gut an. Und wir haben schon noch ein paar im Kopf, aber das machen wir so wie bei Roman. Dem haben wir ein paar Songs gezeigt, er hat gesagt, er will einen [Remix] machen. Er hat ihn uns auch geschenkt, was geil war.

Ihr habt Apparat angesprochen, ich habe die hier im Tempodrom gesehen …

M: Und?

Super!

M: Ich hab’s mir in Bologna angeschaut …

J: Das war krass.

M: Völlig bekifft, das war geil [lacht]. Wir haben da backstage gelegen – schlechtester Backstage ever. Die haben das von so einem geilen Club, dem Estragon, in so ein Zelt verlegt. Risotto, Basmati-Reis, mit Käse und Sahne, bah!

Und da heißt es, in Italien können alle so gut kochen.

M: Das ist ja auch so, du kannst da in jedes Restaurant gehen. Aber dieses Catering, da waren alle am Abkotzen. Aber die Konzerte mit ihm [Sascha Ring, Apparat] waren echt geil, haben super viel Spaß gemacht. Er ist auch ein Riesenfan, er schrieb gerade am Score für einen Film mit Jürgen Vogel und Martin Wuttke [der Film heißt „Stillstehen“]. Er hat uns hier besucht, ein paar Songs angehört und für den Score ausgewählt. Wir gehen auch nochmal mit ihm auf Tour. Er ist mit Moderat und Apparat auf einem Level, wo wir auch bald sein wollen. In Mailand waren da 2.000 – 3.000 Leute, das ist einfach geil für einen deutschen Künstler.

Das passt auch gut zusammen live. Er spielt seine Sachen – vor allem die älteren – ja live oft extrem anders, als sie auf Platte klingen.

M: Bei uns ist das auch so, dass wir alte Songs wie „Gotta Run“ einfach umdrehen, manche Sachen anders spielen oder ein paar Dinge dazu packen. So dass es für Künstler und Publikum interessant bleibt.

Das finde ich als Fan auch spannender.

M: Kommt auch auf das Publikum an, das du ansprichst. Ich war mal bei Rock am Ring bei den Ärzten, da haben die zwei, drei Songs anders gespielt. Und da waren einige im Publikum, die meinten so: Wie können die das machen? Wenn die Leute nicht offen für so was sind …

Letzte Frage wieder: Was läuft gerade im Tourbus?

Beide: Robert Lippok.

M: Perel läuft auch ganz oft. Und wir posten bald mal wieder eine neue Playlist bei Spotify.

Vielen Dank für das Gespräch!

www.leaporcelain.com

www.facebook.com/leaporcelainofficial

Thomas Bästlein

Thomas Bästlein schreibt (früher unter dem Spitznamen Addison) seit Anfang 2007 für depechemode.de. Hauptberuflich arbeitet er im öffentlichen Dienst. Du kannst Thomas online bei Facebook treffen.

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