Nach den Irrungen und Wirrungen um das Erscheinen des Vorgängers „Witching Hour“ ging es dieses Mal ziemlich fix, und nun steht Album Nummer Vier der ehemaligen Vorreiter des Electroclash an. Ein Album, das die stetigen Weiterentwicklungen Ladytrons mit beachtlicher Klasse auf den Punkt bringt.
Von den kargen elektronischen Synthie-Sounds aus frühen Tagen ausgehend, hatte das Quartett, bestehend aus Helen Marnie, Mira Aroyo, Reuben Wu und Daniel Hunt, schon auf dem letzten Werk deutlich organischere Wege eingeschlagen. Gitarren und Schlagzeug wurden in den Bandsound integriert, ohne jedoch die elektronischen Wurzeln zu verleugnen. Genau diese Entwicklung findet auf „Velocifero“ ihre konsequente Fortsetzung. Instrumente und Maschinen sind noch besser ineinander verzahnt, das Soundbild wirkt perfekter, ohne jedoch die nötigen Ecken und Kanten abzuschleifen.
Überhaupt merkt man, dass die Tourerfahrung und die Einflüsse anderer Künstler positive Spuren hinterlassen haben. Da waren zahlreiche Remixarbeiten, u.a. für Bloc Party, Goldfrapp oder gar die brasilianischen Baile Funker Bonde do Role. Und für Nine Inch Nails, die Ladytron gleich mit auf Tour nahmen. Was sich womöglich auf den dichten, satten Sound der neuen Platte auswirkte, zumal man sich deren Elektronik-Experten Alessandro Cortini gleich für die Produktion ausborgte. Hinzu kam noch der französische Electro-Wizard Vicarious Bliss mit seiner Ed-Banger-Erfahrung.
Ein Überhit wie „Destroy Everything You Touch“ findet sich vielleicht nicht, aber den schreibt man auch nicht alle Tage. Dafür ist die Gesamtqualität auf Albumlänge noch ein Stück angestiegen, mit jedem Hören entwickelt es mehr Sogwirkung. Da ist der druckvolle Beginn mit „Black Cat“ (zwischendrin mit einer kleinen Synthie-Melodie, die man doch schon mal gehört hat…), bei dem überraschend früh die bisher auf jedem Album vertretene bulgarische Muttersprache Mira Aroyos zum Einsatz kommt (wie später noch einmal im schrägen „Kletva“). Die Single „Ghost“ klingt wie ein Rocksong mit elektronischen Mitteln und wird vom melodiösen „I’m Not Scared“ abgelöst. Dann folgt der Song, der womöglich das größte Hitpotential hat, das wunderschöne „Runaway„. Synthie-Pop at its best, getragen von der markanten Stimme von Helen Marnie.
Generell gilt: Harmonisches Klangbild, abwechslungsreiches Songwriting. Fast alles Songs haben irgendwo den Ohrwurm versteckt. Der zwischenmenschliche Protestsong „Burning Up“ ebenso wie „They Gave You A Heart, They Gave You A Name“. Hintenraus wird es fast noch besser, die Stücke zeigen ständig neue Facetten an Ladytron. Das minimalistisch wummernde „Predict The Day“ erschüttert sicher so manche Bassboxen, das dynamische „The Lovers“ stammt von den kolumbianischen Elektronikern Somekong (Vielleicht mal da probehören?). Dann ist da noch „Deep Blue„. Fünf Minuten Zauber, Elektronik, Pop und auch noch Geigen! Der gelungene Popsong „Tomorrow“ geht fast unter zwischen diesem Geniestreich und dem erneut über fünfminütigen Abschluss „Versus„, einem mehrstimmigen, sich ständig steigernden Stück, in dem erstmals einer der Herren (Daniel Hunt) mitsingt – worauf man sich fragt, warum er das nicht häufiger macht.
Na, vielleicht in Zukunft. Die leuchtet hell für Ladytron nach diesem erneut ganz starken Werk (und auch angesichts der Erfolge, zumindest im Ausland). Es wäre schön für Deutschland, wenn man das auch hier endlich mitbekäme.
(Addison)