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Über "Greyscale", die besondere Stadt Hamburg, Currywurst und Schaschlik

Interview: Marcus Meyn von Camouflage

Wir treffen den Sänger von Camouflage, Marcus Meyn, in Hamburg und unternehmen mit ihm einen kleinen Spaziergang in die Vergangenheit. In den 90er Jahren waren Camouflage in der Hansestadt zu Hause. Genau zwischen den zwei Ausgehvierteln, der Schanze und St. Pauli. Dort geht’s zum Mittagessen in den winzigen Kult-Imbiss „Bei Schorsch“, dann durch die Straßen St. Paulis und schließlich in den Park Fiction oberhalb der Elbe mit Blick auf den Hafen. Und das alles bei traumhaftem Frühlingswetter.

War „Bei Schorsch“ Euer Stammladen damals in den 90ern?
Wir hatten hier gleich gegenüber unser Studio. Deshalb sind wir hier Mittags und auch manchmal Abends vorbei gekommen. Wir haben hier eine Currywurst gegessen oder auch mal ein Schaschlik, was übrigens ein Traum ist. Das ist die Erinnerung an richtig tolles Essen.

Welche Erinnerungen hast Du an Hamburg und an Deine Zeit in dieser Stadt?
Hamburg ist eine Liebe von mir. Ich hab hier vier oder fünf Jahre gewohnt. Wir haben ja hier um die Ecke (am Rande des Schanzenviertels, Anm.d.Red.) unser Tonstudio gehabt. Da waren wir Tag und Nacht und natürlich auch viel auf dem Kiez. Die Familie meines Vaters kommt aus Hamburg, ich hab somit auch eine familiäre Verbundenheit mit der Stadt. Lustigerweise ist auch für das neue Album das Video in Hamburg gedreht worden und wir haben natürlich hier das Duett mit Peter Heppner aufgenommen.

Wie fühlt es sich an, wenn man gerade ein neues Album veröffentlicht hat und es quasi aus den Händen gibt?
Da ist eine totale Nervosität. Wie kommt es an? Wie empfinden die Fans das neue Album? Man möchte natürlich wissen, wohin die Reise geht. Wie erfolgreich wird die Platte? Bringt sie uns um die Welt oder bleiben wir in Deutschland? Man ist natürlich froh, dass das alles vorbei ist, was die Produktion angeht, aber damit hört die Platte ja nicht auf. Jetzt fängt sie ja erst an richtig zu leben. Das ist das spannende.

Was passiert musikalisch auf „Greyscale“?
Es ist eine inhaltliche Reise von höchsten Glücksmomenten wie „Shine“ bis zu tiefer Sprachlosigkeit und Depression wie „End of words“. Es ist eine typische Camouflage-Platte, die wieder sehr melancholisch geworden ist, die aber großartige Kompositionen bietet, die Leute, die diese Art von Musik mögen, sehr schätzen werden.

Was hat der Albumtitel „Greyscale“ zu bedeuten?
Der Albumtitel ist nicht gewählt, um eine gewisse Farbigkeit aufzuzeigen oder eine Parallelität zu finden, sondern vielmehr dass eine Farbskala aussagt, es gibt weder Schwarz noch Weiß, sondern immer irgendetwas dazwischen. Selbst wenn Du da einzelne Fragmente nimmst – hellgrau, dunkelgrau – dann ist selbst dazwischen noch eine Abstufung. Das ist etwas, was uns und unsere Musik sehr gut beschreibt. Es ist nicht wirklich greifbar. Es ist mal das eine und mal das andere. Für uns bedeutet das, dass es eine große Facettenmöglichkeit gibt.

Eure Musik war schon immer melancholisch und fernab von fröhlicher Partymusik. Warum ist das so?
Das ist Teil unseres Charakters. Vielleicht ist es auch das Erbe der 80er Jahre. Auf jeden Fall liegt das schon immer in uns, dass – wenn wir Musik machen – ins Studio gehen und es dunkel machen. Wir würden nie durch die Natur gehen, wenn die Sonne scheint und dann Songs schreiben. Die einzige wirklich rühmliche Ausnahme ist „Shine“. Der Song ist draußen entstanden beim Joggen. Das ist etwas total lebensbejahendes, wenn man sagt, dass jeder in sich dieses Leuchten trägt und es rauslässt.

Was bedeuten Euch die 80er Jahre, in denen Ihr musikalisch groß geworden seid?
Die 80er waren musikalisch gesehen ein großartiges Jahrzehnt. Was da an Songs und Künstlern groß geworden ist, ist einfach unfassbar. Bis heute ist es so, dass die Leute diese Musik lieben. Nicht umsonst gibt es nach wie vor viele dieser 80er-Jahre-Partys. Und nicht umsonst wird soviel Musik aus dieser Zeit gecovert und in einem neuen Gewand heute wiederveröffentlicht. Es war schon etwas besonderes – musikalisch wie auch politisch. Diese Zeit war ein totaler Umbruch. Die Demonstrationen gegen die Pershing-Stationierungen in Deutschland, dann war man damals auf Ostermärschen. Es war eine sehr politische Zeit, auch wenn man sagt, dass die Menschen damals sehr oberflächlich waren. Zum Beispiel die Popper, die sich nur für ihre Mode interessiert haben. Wir haben das nie so empfunden. Wir haben immer sehr bewusst gelebt und haben das in großen Teilen immer in unsere Musik aufgenommen.

War es für Camouflage von Anfang an klar, welche Art Musik Ihr machen wollt?
Die Ausrichtung war von vornherein klar. Wir haben nie etwas anderes machen wollen. Die Musik, die wir gehört haben, war die elektronische Musik aus England und teilweise aus Deutschland wie Kraftwerk und Can. Ich wollte nie etwas anderes. Ich kann nämlich gar kein Instrument spielen, deshalb war es für mich überhaupt die einzige Möglichkeit, überhaupt Musik machen zu können.

Ihr habt alle drei einen Hauptberuf und macht die Band Camouflage quasi nebenher. Wie geht das?
Ich bin der einzige, der keinen Beruf im klassischen Sinne gelernt hat. Ich hab damals Abitur gemacht, als das mit der Band anfing. Die anderen beiden (Oliver Kreyssig und Heiko Maile, Anm.d.Red.) hatten schon vorher eine Berufsausbildung. Der Eine als Druckvorlagenhersteller, der Andere als Grafiker. Ich hab versucht, neben der Karriere zu studieren, aber das hat nicht funktioniert. Ich war in Hamburg an der Universität eingeschrieben für Philosophie und Psychologie auf Magister, aber ich wurde dann irgendwann exmatrikuliert, weil die Zeit einfach abgelaufen war. Wir hatten wieder eine neue Platte gemacht und ich konnte nicht an der Uni sein. Das waren endlose Geschichten. Inzwischen können wir Camouflage nicht mehr hauptberuflich machen. Das gibt’s einfach nicht mehr her. Dann ist es ein gewisser Spagat, teilweise hat man sich Urlaub aufgespart, teilweise – so mache ich es – geht man bewusst in die Selbständigkeit, um Freiheiten zu haben für die Musik. Manchmal ist es eben so, dass die Sachzwänge durch den Job so gegeben sind, dass man eben nicht dabei sein kann und wir dann Konzerte geben, wo wir nicht zu Dritt auftreten können.

Das ist also auch der Grund für die großen Pausen zwischen den Camouflage-Alben?
Natürlich. Wenn Du das nicht mehr hauptberuflich machen kannst, dann kannst Du auch nicht ständig konzentriert Musik machen. Musik ist immer noch ein großer Bestandteil unseres Lebens, aber bei Heiko bedeutet das, dass er hauptberuflich Filmmusik macht und wenn ein neuer Film ansteht, dann muss alles rechts und links liegen gelassen werden. Erst wenn der Film fertig ist, kann er an Camouflage weiter arbeiten. Das ist bei Olli ganz genauso. Er arbeitet bei einer großen Plattenfirma und leitet dort eine Abteilung. Dort ist er so eingebunden, dass alles andere an Wochenenden oder am Feierabend stattfinden muss oder er muss Urlaub nehmen. Wenn wir auf Tour gehen, dann hat Olli Urlaub. Bei mir ist es letztendlich auch nicht anders. Ich muss auch sehen, wenn irgendetwas wichtiges ansteht, dass ich Termine hin und her schiebe, um für Camouflage zur Verfügung zu stehen. Grundsätzlich versuche ich es so einzurichten, dass ich, wenn für die Musik etwas gemacht werden muss, parat stehe.

Jetzt steht Euer Urlaub an – also die Tour mit Camouflage.
Genau. Die Band steht seit vielen Jahren. Wir sind zu Fünft auf der Bühne zusammen mit Volker Hinkel und Jochen Schmalbach. Unser Lichtingenieur überlegt sich für jede Tour etwas Neues, natürlich auf jetzt wieder. Das Gesamtbild wird wieder etwas Neues sein. Wir werden natürlich schwerpunktmäßig die neue Platte präsentieren. Das bedeutet, dass es von der Songauswahl auch eine neue Ausrichtung geben wird, worauf wir uns alle sehr freuen. Was gleich bleibt ist die Energie. Wir lieben es, live zu spielen. Dieser Elektro-Rock, den wir auf der Bühne fabrizieren, wird nach wie vor der Fall sein. Ich denke, das wird den Leuten wie immer sehr gut gefallen.

Habt Ihr live mehr Ecken und Kanten als auf den Platten?
Klar. Es gibt keine 1:1-Reproduktion der Platte. Allein die Tatsache, dass bei fast allen Stücken Gitarre und Schlagzeug dabei ist, ändert sich der Klang natürlich. Wir haben ein Grundgerüst, das aus den Klängen besteht, aus denen der Song auf der Platte ist, aber die Tatsache, dass alles live gespielt wird, verändert den Sound schon. Es wird nicht alles rockig – das nun wirklich nicht -, aber es hat schon diesen Live-Charakter, den ein Konzert auch haben soll.

Wer guckt sich eigentlich ein Camouflage-Konzert an?
Es ist eine bunte Mischung aus Fans, die uns schon seit den 80ern begleiten, aber die Szene wächst nach. Wenn Du zum Beispiel zum Wave-Gothik-Treffen nach Leipzig gehst, dann laufen da nicht nur alte Leute um die 50 rum. Der Szene gefällt diese Art von Musik. Das bedeutet: Wer bei uns auf einem Konzert ist, der sieht Leute von Anfang 20 bis Mitte 50.

Wie geht es weiter mit Camouflage? Das Musikbusiness wird ja immer schwieriger.
Wir lassen uns davon keinesfalls entmutigen. Sonst hätten wir schon längst aufhören müssen Musik zu machen. Die 90er waren schwierig für uns, aber selbst da haben wir uns durchgebissen und gesagt „Wir machen unser Ding“. So wird das auch weitergehen. Wir spielen jetzt unsere Tour, dann kommt das Ausland dran und dann schauen wir mal, was mit der Platte passiert, wohin uns der Weg führt.

Es gibt also keinen Camouflage-Langzeitplan?
Nein, den gibt’s nicht. Das wäre auch vermessen. Wir müssen uns letztendlich angucken, was passiert. Das muss man auch auf die einzelnen Leben abstimmen. Das ist sehr schwierig vorauszusagen. Wir sind für alle Optionen offen.

Machst Du Dir keine Gedanken, wie lange das mit der Band noch gehen kann?
Natürlich gibt es solche Gedanken und man fragt sich, man ist so um die 50, keine Ahnung, wie lange man das noch mitmacht. Keine Ahnung, wie lange einem das noch so gut geht, dass man das in einer Art und Weise präsentieren kann, dass es den Leuten auch Spaß macht. Ich möchte nicht auf der Bühne stehen und rein gerollt werden. So lange ich es körperlich leisten kann, werde ich auf der Bühne abspacken, wie ich es bisher getan habe. Das hoffe ich noch sehr lange tun zu können.

Der normale Radiohörer reduziert Camouflage oft auf „Great Commandment“ und „Love Is A Shield“. Sind diese Songs Fluch oder Segen?
Es ist ganz klar ein Segen. Das sind ja unsere Songs. Ich muss mich für die nicht entschuldigen. Die Leute mögen diese Songs und die sind mittlerweile völlig losgelöst von uns. Die Songs laufen, egal was wir machen. Manchmal ist es ein Fluch, wenn Du dagegen ankämpfen musst. Wenn Du eine neue Platte machst und die Fans rufen bei Radiosendern an und fragen, ob die neue Single „Shine“ gespielt werden kann und dann kommt die Antwort, diesen Song hätten sie leider nicht im Programm aber um 16.45 Uhr läuft „Love Is A Shield“. Dann denkt man sich schon manchmal, ob das nicht ein bisschen kurz gedacht ist. Aber man erfährt durch die Songs so viel. Als wir zum ersten Mal in Argentinien waren, mussten wir feststellen, dass „Love Is A Shield“ ein Hochzeitssong ist. Der wird dort von den Spatzen von den Dächern gepfiffen. Wenn Du Dir dessen bewusst wirst, ist das ein Traum. Das ist unvorstellbar für drei kleine Schwaben aus Deutschland.

War Euch beim Aufnehmen von „The Great Commandment“ und „Love Is A Shield“ gleich klar, dass das ganz große Songs werden?
Natürlich nicht. Das war auch nie unser Ziel. Unser Ziel war, dass wir eine Vinyl Maxi machen können. Dafür waren wir bei einer Plattenfirma und dafür haben wir einen Plattenvertrag gewollt. Wir hatten damals extrem große Diskussionen mit denen, weil sie unsere erste Single „The Great Commandment“ nochmal nachproduziert haben. Wir fanden das überhaupt nicht lustig. Das war ja nicht mehr unsere Version. Da haben wir protestiert und gesagt, da würden wir lieber wieder im Jugendhaus spielen, als uns von Euch verarschen zu lassen. Aber dass sie recht hatten, hat ja die Geschichte gezeigt.

Vielen Dank für das ausführliche Gespräch, Marcus.

Camouflage bei 17:30 SAT.1 REGIONAL:
http://www.hamburg.sat1regional.de/video-hh/article/synthie-pop-ikonen-camouflage-zurueck-mit-neuem-album-169027.html

Henning Kleine

Henning (Jahrgang 1976) arbeitet als TV-Journalist in Hamburg. Er ist Synthie-Pop Liebhaber und großer Fan der Pet Shop Boys.

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