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Christopher von Deylen รผber das neue Album "Future"

Im Interview: Schiller

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Future“ heiรŸt das neue Album von Schiller, das am 26. Februar verรถffentlicht wird. Damit das auch jeder erfรคhrt, reist Christopher von Deylen durchs Land und stellt die neue Platte im Rahmen kleiner aber feiner Pre-Listening Partys den Medien vor. Wir hatten die Mรถglichkeit, am Rande der Veranstaltung in Hamburg, in der chinesischen Event-Location Yu Garden, ausfรผhrlich mit Christopher รผber das Album, die neue Single „Paradise“ (den Videolink gibt’s weiter unten), die Zukunft und das Leben zu sprechen.

Christopher, es ist in diesen Tagen das erste Mal, dass fremde Leute Dein neues Album hรถren. Bist Du nervรถs?

Ja, die Nervositรคt gehรถrt dazu. Das ist schon ein bisschen so wie eine Mutprobe. So frisch nach Produktionsende damit rauszugehen, auch wenn es noch ein รผberschaubarer Kreis ist, und den Menschen direkt ins Gesicht zu gucken oder ihre Kรถrpersprache zu sehen โ€“ das ist schon eine ganz spezielle Mischung aus GrรถรŸenwahn und Todesangst (lacht).

Sind Dir die ersten Reaktionen wichtig?

Das merkwรผrdige daran ist ja, dass es mir eigentlich total egal zu sein hat. Ich mรถchte natรผrlich, dass die Musik gemocht wird. Andererseits muss man sehr behutsam und sehr bedacht sein, um die eigene musikalische Freiheit zu wahren. Einfach nur nichts falsch machen zu wollen, reicht eben nicht. Damit wรผrde man sich immer weiter einengen, der musikalische Nenner wird immer kleiner. Man verlagert die Intensitรคt eher darauf, was vermeintlich effektiv ist und gemocht wird und nicht darauf, etwas Neues auszuprobieren, was vielleicht im ersten Moment fรผr Stirnrunzeln sorgt und dann will es doch jeder vorher gewusst haben, dass es ganz gut so ist.

Du hast im Vorfeld dieses Albums eine groรŸe Verรคnderung bei Dir vorgenommen und hast Deutschland verlassen. Warum?

Es ging weniger um das Verlassen, sondern vielmehr um das Hingehen. Ich habe 2013 nach einer sehr ausgedehnten Tour mit 50 Konzerten gemerkt, dass das Tourleben ein richtiges Paralleluniversum ist. Man ist in seiner ganz eigenen Welt und hat nur ganz wenig Kontakt zum wirklichen Leben. Dann bin ich seinerzeit in Berlin nach Hause gekommen und hatte plรถtzlich das Gefรผhl, dass mein Kรผhlschrank ganz beleidigt ist und generell alles, was ich zu diesem Zeitpunkt besessen habe, mich beschuldigend angeschaut hat, um mich zu fragen wo ich denn so lange geblieben wรคre. Da habe ich mich auf einmal relativ unfrei gefรผhlt, was, wenn man ein neues Projekt vor sich hat, sehr ungรผnstig ist. Wenn man sich, schon bevor es losgeht, eher verharrend fรผhlt, wie kann man da frei einen neuen Weg einschlagen? Deshalb habe meinen gesamten Besitz weggegeben und รผber Nacht meinen Hausstand aufgelรถst. Seitdem bin ich selbstgewรคhlt heimatlos, mit zwei Koffern und einem kleinen Studiocase. So kann ich im Moment ultimativ frei sein, um dahin zu gehen, wo ich Musik machen kann und meinen musikalischen Mitstreitern begegnen kann, ohne dass ich mir den Kopf zerbrechen muss, wer zu Hause die Blumen gieรŸt.

Haben Leute aus Deinem Umfeld nicht dazu gesagt: โ€žBist Du wahnsinnigโ€œ?

Ja, das haben sie vorher aber auch schon (lacht). In dem Moment, wo man sagt, ich mache nichts anderes als Musik, gibt es schon die einen oder anderen Fragezeichen, die einem begegnen. Die vermeintliche Sicherheit – nach dem Motto โ€žDas mit Schiller lรคuft dochโ€œ โ€“ die empfinde ich ja nicht. Ich habe keine Angst, aber ich bin weit davon entfernt, auch nur ernsthaft zu glauben, genau zu wissen wie das alles so geht. Es ist ja jedes Mal ein Neuanfang. Jedes Album ist eine neue Reise. Alles das, was vorher war, wird รผber Nacht bedeutungslos. Das mag von AuรŸen anders aussehen, aber das ist die eigene Wahrheit. Alles das, was man vermeintlich erreicht hat oder was andere Menschen denken, was man erreicht hรคtte, das gilt nicht mehr. Wenn ich etwas Neues mache, dann zรคhlt nur der Zukunftshorizont.

Du nennst Dein Album โ€žFutureโ€œ, hast aber im Grunde keine Ahnung, was in Deiner Zukunft passiert.

Das ist doch super. Ich verstehe durchaus, dass das fรผr viele Menschen รคuรŸerst irritierend wirkt. Das ist schwer zu verstehen und vielleicht ist es auch total unvernรผnftig, was ich mache, aber im Moment ist es scheinbar das Richtige. Das ist kein Modell, bei dem ich beschlossen habe, nur so wรผrde es gehen und bis zum Lebensende, ganz dogmatisch, will ich nie wieder irgendwo ankommen. Vielleicht musste der Aufbruch, den ich mit โ€žFutureโ€œ verbinde, erst einmal auf logistischer Ebene erzeugt werden, damit er sich musikalisch fortsetzen oder manifestieren kann, wie ich es mir vermutlich schon lรคnger gewรผnscht habe, ohne es selber zu wissen.

Du bist in Kalifornien gewesen. Wie hast Du dort gelebt und die Musik produziert?

Im Prinzip war das zweigeteilt. Ein Teil hat immer wieder temporรคr in Los Angeles stattgefunden. Das waren meistens die Begegnungen mit meinen wunderbaren Gastkรผnstlern. Fast alle kommen aus dieser Gegend oder wohnen dort. Ich konnte mir dadurch die Zeit nehmen, und mich mit ihnen im Studio oder wo auch immer einschlieรŸen. Das ist ja der groรŸe Vorteil des technischen Fortschritts, dass man nicht mehr zwangslรคufig eine groรŸe Schrankwand voller Gerรคte braucht, um Musik machen zu kรถnnen. Teilweise fanden die Aufnahmen in Hotelzimmern statt oder in anderen fรผr Audioโ€“Puristen oder den gelernten Toningenieur widrigen Umgebungen. Ich finde es aber deutlich angenehmer, in einer untypischen Umgebung, also dem Gegenteil eines Studios, zu arbeiten. Normalerweise fรคllt mir nichts mehr ein, sobald ich ein Studio betrete. Egal, wie wohnlich man es sich dort machen mรถchte, es hat trotzdem immer so eine Art Handwerksatmosphรคre, bei der man ganz schnell unter einen Ergebniszwang gerรคt. Bei diesen Aufnahmen in der Stadt also sind die Gesangstitel als eine erste Essenz entstanden. Die habe ich dann mitgenommen in die Wรผste. Ich habe mich in den letzten zwei Jahren รผberwiegend etwa drei Stunden รถstlich von Los Angeles aufgehalten am Rande der Mojave Wรผste. Dort habe ich das Aufgenommene quasi โ€žverschillerisiertโ€œ. Dafรผr habe ich mir viel Zeit genommen. Einige Stรผcke sind im Februar vergangenen Jahres entstanden und waren erst im Dezember fertig. Ich wollte anders arbeiten als frรผher. Viele der Stรผcke haben einen sehr klaren Melodiebogen und ganz viele kleine Szenen, fast schon wie in einem Film, die sich dazwischen abspielen. Man hรถrt Melodie und Text und nimmt es als das war, was es ist: ein Song. Wenn man fertig ist mit dem Hรถren, dann wรคre es mein Traum, wenn der Zuhรถrer das Bedรผrfnis hรคtte, es noch einmal hรถren zu wollen. Beim nochmaligen Hรถren wird er dann hoffentlich all die kleinen Szenen entdecken, die ich dort eingewoben habe. Es ist so wie bei einem Film, den man gesehen hat und dessen Ende man kennt, aber den man sich trotzdem noch einmal anschauen mรถchte und beim fรผnften oder sechsten Mal schwรถrt man, dass einige Details vorher noch nicht da waren. Ich habe versucht, einen homogenen Klangteppich zu weben statt ein Teppichlager anzulegen. Frรผher habe ich mehr geschichtet, so dass das Ganze etwas Sedimenthaftes bekommen hat. Diesmal habe ich versucht, eher seriell zu arbeiten.

Lag das an der kargen Umgebung?

Ich hab mich zwischendurch gefragt, ob ich mir um meinen mentalen Zustand Sorgen machen muss (lacht). Es war schon so eine Art Einsiedlerleben. Tatsรคchlich ist aber die Wรผste als Landschaft in ihrer Kargheit und Weite am ehesten die Entsprechung eines weiรŸen Blatt Papiers. So gerne ich in der Stadt gelebt habe und mich auch immer wieder gerne aufhalte, ist diese Intensitรคt von Stimulanzien und von Inspiration ein Versprechen, was nicht immer gehalten wird. Es hat letztendlich auf mich gewirkt, als sei es nur eine Simulation von Inspiration. Am Ende muss man sie aber aus sich selbst herausziehen, eine bestimmte Adresse oder Postleitzahl reicht da nicht.

War der Albumtitel โ€žFutureโ€œ dadurch naheliegend?

Tatsรคchlich ist dies der erste Albumtitel, der da war, bevor die Musik kam. Die bisherigen Schiller-Titel, so plausibel, organisch, wie mit Leichtigkeit dahingeworfen sie auch klingen mรถgen, haben mir sehr viel Mรผhe bereitet. Es war schwer, fรผr die bis dahin aufgetรผrmte Musik eine รœberschrift zu finden. Dass es dann am Ende organisch genug und unangestrengter klang als es wirklich war, ist natรผrlich schรถn (lacht). รœber โ€žFutureโ€œ habe ich gar nicht groรŸ nachgedacht. Es kam einfach. โ€žFutureโ€œ und โ€žZukunftโ€œ ist ja im Wortsinne das gleiche. Es geht mir bei โ€žFutureโ€œ mehr um das Lebensgefรผhl der Zukunft. Das hat nichts mit Science Fiction zu tun oder um das Vorhersehen von irgendetwas. Es ist die Ergรคnzung von dem, was ich als Hypergegenwart bezeichnen wรผrde. Man ist ja manchmal gefangen in dieser โ€žVerechtzeitisierungโ€œ von allem. Man kann ja, wenn man denn will, herausfinden, was der Rest der Welt zu Abend isst oder gerade im Fernsehen sieht oder wer welche Meinung zu was hat. Man kann das aber alles gar nicht verarbeiten. Das geht ja gar nicht. Man hat also stรคndig das Gefรผhl, etwas zu verpassen. Man saugt auf, saugt auf und saugt auf, was gerade in der Welt oder auch nur eine StraรŸe weiter passiert und trotzdem bleibt immer so ein schales Gefรผhl, als habe man schon wieder etwas verpasst. Was bei Schiller schon vor zehn Jahren umschrieben wurde als Chill-Out, was aber eigentlich eher eine Modebezeichnung ist fรผr ein urmenschliches Bedรผrfnis, nรคmlich auch mal zu sich zu kommen โ€“ gar nicht unter einer therapeutischen MaรŸgabe โ€“ ist in der postmodernen Bezeichnung vielleicht sowas wie โ€žMe-Timeโ€œ. Ich wรผnsche mir, dass das Album ein positivistischer Soundtrack dazu sein kรถnnte. Weniger im Sinne einer strengen Einkehr oder einer verordneten Melancholie, sondern eher als AnstoรŸ, seinen eigenen geistigen Raum aufzumachen. Ich glaube deshalb auch, dass sich das Album besonders gut eignet, es รผber Kopfhรถrer zu hรถren. Die genannten Details kann man so am besten geniessen. Musik mit Kopfhรถrern zu hรถren hat ja schon etwas vom Ausgrenzen der Umwelt. Ich kann mir eine Stunde Zeit nehmen, in der ich nur fรผr mich bin und versuche, mir รผber den Genuss der Gegenwart hinaus etwas fรผr das eigene Morgen zu wรผnschen.

Heute ist die digitale Single „Paradise“ von Schiller mit der Gastsรคngerin Arlissa erschienen. Das atmosphรคrische Video dazu kรถnnt Ihr hier sehen:

Den Song gibt’s zum sofortigen Download u.a. hier:

Paradise< Das Album „Future“ erscheint am 26. Februar in unterschiedlichen Versionen: Future (Deluxe Edition)

Future (Limited Super Deluxe Edition 3CD+DVD)< Future (Limited Ultra Deluxe Edition 4CD + DVD, mit signierter Leinwand)

Future (Limited Vinyl, inklusive MP3 Codes) [Vinyl LP]

Future

Henning Kleine

Henning (Jahrgang 1976) arbeitet als TV-Journalist in Hamburg. Er ist Synthie-Pop Liebhaber und groรŸer Fan der Pet Shop Boys.

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