Die Odyssee begann mit einem Autounfall. Wรถrtlich in ihrem intensiven Video zu „What Kind of Man“ und im รผbertragenen Sinne in ihrem Privatleben, wie sie es dem Magazin Dazed & Confused erzรคhlt: „a bit of a car crash of a year“. Florence Welch von Florence + The Machine nahm sich ein Jahr Auszeit. Ihre damalige Beziehung war zerbrochen, der รผberwรคltigende Erfolg ihrer ersten beiden Alben „Lungs“ und „Ceremonials“, die damit verbundenen Welttourneen – all das musste sortiert und verarbeitet werden. Wer war sie, wenn sie nicht als Florence + The Machine, die Gรถttin mit den flammend roten Haaren und den wallenden Roben, auf der Bรผhne stand? Ein Teil der Antwort kam in Form von „How Big, How Blue, How Beautiful“. Im Gegensatz zu ihren ersten beiden Platten, zeigt sich Florence Welch verwundbarer und zurรผckhaltender.
Wer ihre Konzerte gesehen hat, wird wissen, dass sich dies auch in ihrer Bรผhnenprรคsenz widergespiegelt hat. Die Haare nicht mehr flammend rot, sondern in einem sonnigen Kupfer. Die Roben ersetzt durch immer noch รคuรerst stilvolle 70er-Jahre Mode. Hosenanzรผge, breite Hรผte, viel weiร, aber hin und wieder noch wilde Farben und Muster. Beinahe ungeschminkt wirbelte sie barfuร รผber die Bรผhnen der Welt und brach sich dabei auch vor lauter Enthusiasmus รผber die seelische Befreiung, die ihr „How Big, How Blue, How Beautiful“ offenbar beschert hatte, auch schon mal einen Fuร (Coachella 2015).
„That original lifeline“
Nun schlieรt sich der Kreis. Mit „Third Eye“ sehen wir das Ende von Florence Welchs Odyssee: „You deserve to be loved and you deserve what you are given“ singt sie. Es ist ein Weckruf an sie selbst, dass sie aufwachen, ihr Schattendasein aufgeben und sich selbst lieben soll – zurรผck zu ihrer „original lifeline“, weg von ihrem verrรคterischen Freund. Musikalisch erhรคlt man hier eine poppige Uptempo-Nummer, mit typischen Florence + The Machine-Chรถren. Sehr energetisch, vorsichtig optimistisch: „I’m the same/ I’m the same/ I’m trying to change“ hรถrt man sie am Ende des Videos acapella singen. Sie weiร um ihre Schwรคchen, versucht diese zu bekรคmpfen und mit entsprechender Symbolkraft versehen, geschieht dies wรคhrend sie auf der Bรผhne steht und sich der Vorhang รถffnet. Interessant, wie Regisseur Vincent Haycock die Kamera an dieser Stelle einsetzt: Wir sehen sie und die Band lediglich von der Seite, stehen also selbst im Schatten, wรคhrend wir nicht sehen was sie sieht. Es ging los im Chaos und endet dort, wo Florence sich wahrscheinlich mit am wohlsten fรผhlt: auf der Bรผhne.
Eine Reise durch die Hรถlle
Insgesamt sieben Teile ergeben den am Ende 47-minรผtigen Film. Dass es so persรถnlich werden wรผrde, war vor anderthalb Jahren, als Florence Welch und Regisseur Vincent Haycock im Chateau Marmont in Los Angeles zusammen saรen, nicht klar. Sieht man alle Videoelemente nun als Ganzes, begleitet man Florence auf einer Odyssee, die kรผnstlerisch an Dantes gรถttliche Komรถdie angelehnt ist.
In Dantes Werk durchlebt der Protagonist gefรผhrt von den rรถmischen Dichtern Vergil und Statius die drei Reiche des Jenseits – die Hรถlle, das Fegefeuer und schlieรlich das Paradies, indem ewige Seligkeit herrscht. Florence Welch und Regisseur Vincent Haycock gehen jedoch tiefer: Insgesamt durchlebt man neun Zirkel der Hรถlle: In der Vorhรถlle („What Kind of Man“) leben Unglรคubige und Heiden, die auf Ewigkeit dort verdammt sind, eingesperrt in einem Schloss mit sieben Toren, welche fรผr sieben Tugenden stehen: „Sometimes you’re half in and then you’re half out/ But you never close the door/ What kind of man loves like this?“. Im zweiten Zirkel Lust („How Big, How Blue, How Beautiful“), befinden sich all jene, die Dante als „fleischliche Missetรคter“ bezeichnet: „And meanwhile a man was falling from space/ And everyday I wore your face like an atmosphere around me/ I’m happy you’re beside me“. Im dritten Zirkel („St. Jude“) harren alle aus, die der Vรถllerei frรถnten: „St Jude/ We lay in bed as she whipped around us“. Im vierten Zirkel Gier („Ship To Wreck“) kรคmpft Florence mit ihren Lastern: Did I drink too much? Am I losing touch? Did I build this ship to wreck?“. Zirkel fรผnf, indem die Bewohner in zwei sich bekriegende Gruppen eingeteilt sind, reprรคsentiert den Zorn („Queen of Peace“): „Oh what is it worth? All that’s left is hurt“. Im sechsten Zirkel Ketzerei („Long & Lost“) befinden sich alle Ketzer, die auf ewig verdammt sind, in brennenden Grรคbern zu schmoren: „I figured out where I belong/ But it’s too late to come on home“. Der siebte Zirkel reprรคsentiert die Gewalt („Mother“): „Mother make me/ Make me a bird of prey“. Im achten Zirkel werden diejenigen bestraft, die sich des bewussten Betrugs schuldig gemacht haben („Delilah“): „Now I’m dancing with Delilah and her vision is mine/ Holding on for your call/ A different kind of danger in the daylight/ I can never let go/ Took anything to cut you, I can find“. In einem frรผheren Artikel zum Video „Delilah“ lรคsst sich alles genauer nachlesen. Im finalen Zirkel Verrat „Third Eye“ befinden sich jene, die Verrat begangen haben: „‚Cause there’s a hole where your heart lies/ And I can see it with my third eye“. Diese neun Zirkel wurden in „The Odyssee“ beschrieben und es lohnt sich sehr, alles einmal in Ruhe anzusehen und nachzulesen.
Freitanzen
Besonders beeindruckend ist die kรถrperliche Intensitรคt, mit welcher sich Florence auf ihre Geschichte einlรคsst: „You can’t fake it with your body“ erzรคhlte sie Dazed & Confused im Hinblick auf die kraftvollen Choreographien, mit denen sie ihre Gefรผhlswelt preisgibt und damit eine groรe Verletzlichkeit offenbart. Wenn Worte nicht ausreichen, wird der ganze Kรถrper zur Erzรคhlung. „One important thing I learned from dance โ because Iโd never really done any dance-related videos โ was that you can express ideas that could otherwise be sort of corny. Dance allows you the freedom to really get into a magical realism, because youโre already breaking the dimension of linear narrative. Youโre way out there with this crazy expressive world with dance. It allowed us to make this film way more metaphorical“ fรผgt Regisseur Vincent Haycock hinzu.
Bleibt zu hoffen, dass wir zukรผnftig noch mehr von dieser kreativen Symbiose zu sehen bekommen werden! Seht euch das gesamte Werk oder einzelne Teile daraus unter folgenden Links an. Die Odyssee zu „How Big, How Blue, How Beautiful“ ist auf der offiziellen Homepage http://florenceandthemachine.net/ zu sehen oder in ihren Einzelteilen:
What Kind of Man (http://www.depechemode.de/florence-and-the-machine-veroeffentlichen-video-zur-ersten-single-what-kind-of-man-36303/)
Queen of Peace/ Long & Lost (http://www.depechemode.de/florence-the-machine-kurzfilm-zu-queen-of-peacelong-lost-38676/)
Delilah (http://www.depechemode.de/florence-the-machine-neues-video-zu-delilah-40378/)
Florence = Viel Gefรผhl!
Danke fรผr diesen ausfรผhrlichen Bericht! Der Zusammenhang ist wirklich sehr interessant. Auch das „How-Big“-Konzert war ein Erlebnis!