Die Editors haben mit โIn Dreamโ ein hervorragendes fรผnftes Album verรถffentlicht. Kurz vor Erscheinen gaben sie im kuscheligen Berliner SO36 ein Releasekonzert โ und wir durften Keyboarder Elliott Williams mit ein paar Fragen lรถchern.
Ich habe da ja eine Theorie. Editors-Alben sind ein bisschen das Gegenteil von Star-Trek-Filmen. Dort gelten ja die geradzahligen Filme als die besonders guten, bei euren Alben sind, wie ich finde, die ungeraden Alben die wirklich tollen. Ein Zufall?
[lacht] Ich weiร nicht, ob ich die Star-Trek-Theorie bestรคtigen kann. Wir bzw. die Band [Williams selbst ist erst seit dem vorletzten Album dabei, Anm. d. Red.] waren eigentlich immer auf eine langfristige Karriere aus. Da gibt es Alben, wo man in Ruhe รผberlegt, was man damit erreichen will. Und es gibt Alben, die eher fรผr die (Live-)Shows gemacht sind. Das bekommt man aber oft erst im Rรผckblick mit. Beim letzten Album hatten die Editors eine schwierige Zeit, weil Chris [Urbanowicz] die Band verlassen hatte, und es darum ging, wieder zu einer richtigen Band zu werden. Darum klang das Album dann nach fรผnf Jungs in einem Raum, die Musik spielen. Beim neuen Album jetzt wussten wir, ja, wir kรถnnen zusammen spielen, wir sind eine Band, wir touren zusammen, wir mรถgen uns. Lasst uns vorwรคrts schauen, eine Platte aufnehmen, die all unsere Geschmรคcker widerspiegelt. Es ist auch mehr ein Studioalbum, wรคhrend das letzte eher ein Livealbum war. Und es ist ein bisschen wie eine Rรผckkehr zur Richtung des dritten Albums.
Ja, ihr รคndert den Sound oft sehr stark von einem Album zum nรคchsten. Was, wie ich finde, ziemlich mutig ist. Ihr hรคttet ja auch den einfachen, den Coldplay-Weg (in Richtung Mainstream) nehmen kรถnnen.
Stimmt [lacht]. Das sind so Dinge, รผber die man eigentlich erst nachdenkt, wenn man die Interviews gibt. Da รผberlegst du plรถtzlich: โWarum haben wir das getan?โ Als wir ins Studio gingen, hatten wir erst nur so eine vage Idee, wohin es gehen sollte. Wir wollten wieder zurรผck zu einem mehr elektronischen Sound. Wir fรผhlten, dass das, was mit โIn This Light And On This Eveningโ begonnen wurde, noch nicht abgeschlossen war.
โIn Dreamโ hat viele รhnlichkeiten zu โIn This Light…โ – das war also von Anfang an so beabsichtigt?
Ja, wir wollten gerne zu der Atmosphรคre dieses Albums zurรผckkehren, da wir diese sehr mรถgen und weiter erforschen wollten.
Ihr habt das Album weit weg von den groรen Stรคdten in Crear in Schottland aufgenommen. Was waren die Grรผnde dafรผr?
Wir waren lange auf Tour und somit viel in Stรคdten unterwegs. Dann kommt man nach Hause โ zwei der Jungs haben mittlerweile Familie und Kind โ und so wollten wir eher nicht in London von neun bis fรผnf Uhr aufnehmen gehen, sondern haben lieber die ersten Demos von Tom [Smith, Sรคnger] genommen und sind damit in dieses Studio, weit weg in Schottland, gefahren. Dort haben wir angefangen, an den Demos zu arbeiten und hatten bald โNo Harmโ quasi in der Version fertig, die man jetzt auch hรถrt. Und dann war es unser Manager, der, als wir รผber Produzenten, beispielsweise Flood [der โIn This Light…โ produzierte], nachdachten, sagte: โGefรคllt euch das, was ihr da aufgenommen habt? Wollt ihr da noch groร etwas รคndern?โ Uns gefiel es sehr gut, und das war der Punkt, an dem wir entschieden, das Album selber zu machen. Sollte das nicht klappen, okay, wenn aber doch, dann hรคtten wir vielleicht etwas ganz Besonderes.
https://vimeo.com/127250379
Ihr habt dann nur das Mixing an Alan Moulder abgegeben. Wรผrdet ihr ein Album nochmal auf diese Weise aufnehmen wollen?
Liebend gern! Man kann an der Instrumentierung oder an den Gerรคten immer etwas รคndern, aber vom Grundsatz des Prozesses wรผrden wir das gerne wieder so machen.
Eine Frage speziell fรผr dich, Elliott: Der elektronische Stil des Albums mรผsste dir als Keyboarder ja entgegenkommen. Wie groร war dein Einfluss dieses Mal?
Ach, wir sind eine sehr multiinstrumentale Band. Wir kรถnnen alle Keyboard spielen und haben unseren Teil beigetragen. Tatsรคchlich stammen einige der markantesten Keyboardlinien auf dem Album von Ed [Lay, Drummer der Band]. Es ist ein sehr kollaboratives Album. Aber klar, mir kommt der Sound sehr entgegen. Ich liebe Synthesizer und elektronische Musik, es macht riesigen Spaร, sich in dieser Welt zu vergraben.
Da sind einige Songs auf dem Album, die stark nach 80er-Pop klingen. Wie โLife Is A Fearโ oder โOur Loveโ, was stark an Bronski Beat und Jimmy Somerville erinnert. Wer sind die groรen 80s-Fans in der Band?
Das sind wir alle. Okay, Justin [Lockey, Gitarrist] vielleicht etwas weniger. Wir lieben diesen Sound und haben in der Garderobe auch oft diese Art von Musik laufen. Wir scheuen nicht davor zurรผck โ wรคhrend ja viele Leute โEightiesโ als Schimpfwort betrachten.
Dem kรถnnen wir als Depeche-Mode-Fanseite nicht zustimmen! [lacht]
Genau. Es gab einfach sehr viele gute Musik in der Zeit. Groรartige Songs und Melodien. Und es wurde sehr kreativ am Sound gearbeitet, da wurden Grenzen รผberschritten und erweitert. Die ganze moderne Tanzmusik stammt ja vom Synthiepop ab.
Wie kamt ihr dazu, dieses Mal drei Songs als โ mehr oder weniger โ Duette aufzunehmen? Und wie kamt ihr auf Rachel Goswell von Slowdive?
Wir haben gemeinsame Freunde. Als Slowdive wieder zu touren begannen, sahen wir sie ein paar Mal. Rachel ist ein toller und lustiger Mensch, wir haben uns รผber mรคnnlichen und weiblichen Gesang unterhalten und mรถgliche Background-Vocals. Wir haben sie dann gefragt, ob sie nicht eine Woche zu uns hoch nach Schottland kommen mรถchte โ und das funktionierte. Tom hatte einiges schon eingesungen, aber wir dachten, es kรถnnte gut mit ihrer Stimme klingen. Und zum Beispiel โThe Lawโ bot sich geradezu an, da der Song wie ein Dialog mit dem Gewissen gehalten ist, und ihre himmlische Stimme da perfekt passte.
Tom schreibt ja die Texte, aber vielleicht kannst du trotzdem etwas dazu sagen? Es gibt einige sehr interessante Zeilen auf dem Album, wie โCrush my bones into glueโ oder โThe flag in your hand don’t make you Americanโ. Die bringen einen zum Nachdenken und sind oft recht offen fรผr Interpretationen. Wie reagiert ihr als Rest der Band, wenn Tom mit so etwas um die Ecke kommt?
Tom weiร manchmal selbst nicht, wo die Texte herkommen. Deswegen heiรt das Album auch โIn Dreamโ. Wir haben viel รผber die traumรคhnliche Realitรคt gesprochen und รผber diese Momente, wo man nicht weiร, ist man schon wach oder trรคumt man noch? Was die Interpretation angeht: Ich stelle mir das immer als verschiedene Charaktere vor. Da ist eine Person, die sehr wรผtend auf die Welt ist โ und dann kommt das Unterbewusstsein und sagt โMach dich mal locker und entspann dich! Wenn du dich zu sehr aufregst, wird das die Probleme nicht lรถsen.โ Ich liebe Toms Texte, sie berรผhren viele Menschen auf unterschiedliche Art und Weise. Es ist auf Tour dann schรถn mitzuerleben, wie die Menschen darauf reagieren. Und wie sich auch Texte im Laufe der Zeit von der Bedeutung her entwickeln. Wie bei โOpen Your Armsโ vom ersten Album. Wenn man die aktuelle Flรผchtlingskrise sieht und den Text โOpen your arms and welcome people to your townโ hรถrt. Musik kann so viele Bedeutungen annehmen.
Ihr habt auch viel Aufmerksamkeit auf die optischen Aspekte gelegt. Die Videos und das Artwork von Rahi Rezvani sehen groรartig aus. Wie kamt ihr auf ihn und wird er auch an den Tour Visuals arbeiten?
Er ist ein echt interessanter und sehr cooler Typ. Wir haben ihn รผber jemanden kennengelernt, der fรผr uns Fotos gemacht hat. Der hat ihn uns empfohlen. Wir haben uns seine Arbeit und seine Website angesehen und ihn getroffen. Er war sofort sehr enthusiastisch, und wir beschlossen, dass wir etwas zusammen ausprobieren sollten. Und wenn es funktionieren wรผrde, kรถnnten wir ihm die komplette kรผnstlerische Kontrolle darรผber geben. Und so kam es. Sonst arbeiten wir ja mit vielen verschiedenen Leuten, Videoregisseuren und so, und jeder hat seine eigenen Ansichten โ doch mit ihm lรคuft das richtig gut. Rahi kommt dann mit einem Treatment an (auch fรผr die Tour), und du denkst manchmal zuerst, was soll das denn? Aber er hat dieses Auge dafรผr, und wir wissen, dass wir ihm komplett vertrauen kรถnnen.
Ihr seid auch fรผr eure zahlreichen und guten B-Seiten bekannt. Wie viele Songs wurden dieses Mal geschrieben, und wie viele sollen verรถffentlicht werden?
Wir haben etwa vier weitere Tracks. Ein Teil ist auf der Deluxe Version des Albums, an einem arbeiten wir gerade noch und รผberlegen an einer coolen Art ihn herauszubringen. Und bei einem hat es bisher nicht funktioniert, den sehen wir uns vielleicht in ein paar Wochen nochmal an.
Okay, letzte Frage: Was lรคuft derzeit im Tourbus, und hast du vielleicht Geheimtipps fรผr unsere Leser?
Wir fangen ja erst mit der Tour an, mal sehen, was dann so lรคuft. Aber wir sind Riesenfans von Jon Hopkins, seine Sachen werden immer besser und besser. Ich bin sehr gespannt, was als Nรคchstes von ihm kommt. Dann war da Nils Frahm…
โฆ der zuletzt auch viel an Soundtracks gearbeitet hat.
Stimmt. [รผberlegt] So viele neue Sachen haben wir zuletzt gar nicht gehรถrt. Interessant war das, was 2manydjs [die Jungs von Soulwax] und James Murphy mit dem Despacio Soundsystem gemacht haben. In deren (Vinyl-)Mixen lief dann viel cooler Synthiepop, oft auch tolle Platten, die es auch irgendeinem Grund nicht geschafft haben. Und da war โMagicโ, dieser Song von Olivia Newton-John dabei. An sich mรถglicherweise ein ganz furchtbarer Song [lacht], aber an der passenden Stelle brilliant.
Vielen Dank fรผr das Gesprรคch!
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P.S. Und hier nochmal die verbleibenden Tourdaten:
09.11.2015 โ Berlin, Columbiahalle
10.11.2015 โ Offenbach, Stadthalle
12.11.2015 โ Mรผnchen, Tonhalle
13.11.2015 โ Straรburg, La Laiterie
29.11.2015 โ Wien, Planet.tt Bank Austria Halle Gasometer
13.12.2015 โ Zรผrich, X-Tra
https://vimeo.com/135684019
Vielen Dank fรผr dieses groรartige Interview !
Vielleicht sieht man sich heute Abend in der ersten Reihe ;-)