Berlin. Pfefferberg. April 2018. Sascha Lange liest am Abend aus „Behind The Wall: DEPECHE MODE – Fankultur in der DDR“ – sehr unterhaltsam macht er das übrigens, wir empfehlen einen Besuch (Termine s.u.), danach gibt es den herrlichen Zwickauer Fanfilm von 1989, und natürlich geben er und Dennis Burmeister geduldig Autogramme. Doch vorher haben wir sie noch interviewt:
depechemode.de: Glückwunsch zu den Chartsplatzierungen mit „Behind The Wall“!
Beide: Danke!
Könnt ihr euch das erklären?
Sascha Lange: Ich glaube, das Buch bedient zu einem Großteil eine Personengruppe, die so zwischen Ende 30 und Mitte, vielleicht auch schon Ende 40 ist. Und ich glaube, Leute, die sich nicht so wie wir mit Geschichte und Vergangenheit beschäftigen, finden das unheimlich erfrischend, mal in einem Buch oder einer Lesung mit zurück genommen zu werden in diese Zeit, wo es kein Gestern und kein Morgen gab, wo man nur im Hier und Jetzt gelebt hat. Damit haben wir vielleicht auch einen Nerv getroffen.
Dennis Burmeister: Ein Hauptgrund, dass es sich so gut verkauft, ist sicher auch, dass wir mit „Monument“ schon einen Erfolg hatten, schon mal etwas vorgelegt hatten. Wenn du schon einmal so etwas veröffentlicht hast und die Leute wissen, womit sie rechnen können, ist das auch ein schlagendes Argument.
Sascha: Es ist jetzt auch kein Ostalgiebuch. Wir haben kein Buch gemacht, das ostalgische Klischees bedient. Der Gedanke war eben, diese Geschichte zu erzählen. Das Buch ist explizit auch für Westdeutsche gemacht. Mit dem Gedanken, den gleichaltrigen Westdeutschen, die in den 80ern keinen Kontakt mit Jemandem aus der DDR hatten, zu zeigen: Mensch, wir waren uns ja gar nicht mal so unähnlich! Schon damals, bevor die Mauer gefallen war.
Dennis: Was überraschend ist, dass es mit unserem neuen Verlag, der ja ein Independent-Verlag ist, für den wir uns bewusst entschieden haben [der ventil verlag, Anm. d. Red.], also ohne einen massiven Werbeetat, ähnlich erfolgreich läuft. Wir animieren die Käufer natürlich auch, das Buch in Buchläden zu kaufen und nicht bei amazon etc.. Das ist uns wichtig.
Darauf hatte ich in unserer Besprechung auch hingewiesen. Nochmal zur DDR, ihr habt euch ja nun ausgiebig damit beschäftigt: Was glaubt ihr, warum nun ausgerechnet dort ausgerechnet diese Band DAS Ding war?
Dennis: Künstliche Verknappung.
Man hat die Songs mental dekonstruiert und all seine Sehnsüchte hineingepackt.
Sascha: Ja, in Westdeutschland hast du, wenn du in den Plattenladen gegangen bist oder Musikzeitschriften gelesen hast, jede Woche eine neue geile Band entdeckt. Das gab es ja nun im Osten nicht so, da war das ungleich schwieriger. Wenn man dann eine neue Band entdeckt hatte, hat man sich viel intensiver mit der beschäftigt. Man hat ein Album von Depeche Mode nicht durchgehört, fand es ganz nett und hörte in der nächsten Woche The Smiths. Sondern man hatte in der nächsten Woche immer noch nur dieses eine Depeche-Mode-Album, also hat man sich unglaublich damit beschäftigt. Man hat die Songs mental dekonstruiert und all seine Sehnsüchte hineingepackt. So ist man mit dieser Musik eine viel innigere Beziehung eingegangen, als das Leute gemacht haben, die ständig neuen musikalischen Input hatten.
Dennis: Als die Medien im Osten so ab Mitte der 80er ein bisschen freizügiger wurden, so mit DT64 und Olaf [Zimmermann, Moderator der Sendung „Electronics“, heute bei radioeins Moderator der „Elektro Beats“, die in Kürze ihre 1.000. Sendung feiern!], genau in dem Moment ist die Band ja auch richtig erfolgreich geworden. Deswegen hatte sie auch noch einen anderen Status als The Cure, die ja im Osten auch in jede Bank geritzt waren. Oder Die Ärzte. Bei Depeche Mode war das aber Hit an Hit, die waren eine Hitmaschine.
Sascha: Und dann eben das Gesamtpaket: Man hat nicht nur die Musik gehört, man hat sich auch so angezogen wie die Band. Das war das adäquateste Mittel um zu zeigen: Ich bin Fan dieser Band, ich bin de facto das fünfte Mitglied. Es gab kaum eine andere Band oder Jugendkultur, die man so eindeutig in der Öffentlichkeit erkennen konnte. Das hat die Leute natürlich auch zusammengebunden, die immer schon sehr gesellig waren.
Dennis: Es gab ja durchaus bestimmte Szenen. Die Metal-Szene, die Bunten, die Blueser, die Punks. Aber dass es einen Künstler oder eine Band gab, zu der alle durchgedreht sind, waren Ausnahmen.
Mit welchem Album seid ihr zur Band gekommen?
Dennis: Bei mir war das die „Music For The Masses“.
Sascha: Ich bin so im Herbst ’84 zur Band gestoßen. Damals erst nur über die Singles, denn die Alben gab es ja im Osten nicht zu kaufen. Wann ich die ersten Alben auf Kassette hatte, weiß ich gar nicht mehr. Das erste Vinyl, was ich von Depeche Mode hatte, war [später] die „Construction Time Again“. Ich kannte keinen Song davon, ich wusste gar nicht, dass es diese Platte gibt, weil die Informationen dazu fehlten. Die habe ich wirklich rauf und runter gehört, das ist auch eines meiner liebsten Alben. Da hat sich dieser Kosmos für mich nochmal völlig neu geöffnet. Nicht nur Hitsingles, sondern auch andere Songs, die vielleicht etwas bescheidener daherkommen, aber um so spannender sind.
Das war ja auch ein ganz anderer Sound, den man woanders kaum irgendwo gehört hatte.
Dennis: Erstmal das, und man hatte ja auch noch eine ganz andere Hörgewohnheit. Wenn man eine Band geil fand und eine Platte von denen hatte… heute wartest du auf eine Platte, hörst die und wartest schon auf den Nachfolger. Damals hast du eine Platte gehabt und hast die jahrelang gehört, ohne dass du auf etwas Neues gewartet hättest, damit hast du ja gar nicht gerechnet.
Man hatte ja auch keine Ahnung, wann mal wieder etwas Neues kommen könnte. Und wann man die Möglichkeit bekäme, das zu hören. Wie habt ihr euch die Musik damals besorgt? Das war ja auch nicht so einfach.
Sascha: Netzwerkgeschichten. Als Teenager ging es zunächst ja nur darum, seine Kassetten im Rekorder mit der Hitparadenmusik zu bespielen. Einerseits gab es damals bei DT64 diese Sendung „Duett – Musik für den Rekorder“, das war eine Möglichkeit, an eine ganze Platte – zumindest auf Kassette – heranzukommen. Dann lernte man jemanden kennen, der war vielleicht ein Jahr älter und sagte, ich habe die und die Platte auf Kassette. Die hat man sich dann überspielt, und so hat sich das Stück für Stück entwickelt. Man musste ja auch erstmal an die Informationen kommen, dass es überhaupt eine Platte gibt. Ich kenne Leute in Leipzig, die wussten nur: Es gibt eine 12“ von „Get The Balance Right“. Die haben Monate gebraucht um herauszufinden, ob das jetzt ein Album oder „nur“ eine Maxi ist.
Das war ja auch bei den DDR-Oberen nicht so bekannt. Wenn man diese DDR-Platte sieht, ist die Diskografie hintendrauf ja auch falsch. Da steht ein Album namens „Get The Balance“ drauf.
Auf dem Rummel habe ich zum ersten Mal „A Question Of Time“ gehört, danach stand ich da an der Berg- und Talbahn und wollte nie wieder weg.
Dennis: Die „Greatest Hits“ war mein erstes Vinyl. Und dann gab es so Aha-Erlebnisse. 1987 war ich in Neubrandenburg beim Zahnarzt und dann auf dem Rummel, da habe ich zum ersten Mal „A Question Of Time“ gehört, danach stand ich da an der Berg- und Talbahn und wollte nie wieder weg. Das sind Erlebnisse, die man nie vergisst und die man heute nicht mehr so hat.
Sascha: Wie bei „Formel Eins“ zum ersten Mal „Strangelove“ lief. Dieses Video, dieser hymnenhafte Song, wie das alles ineinander passte.
Habt ihr das mit den Fanclubs damals denn schon mitbekommen? Ich habe von deren Existenz erst nach der Wende erfahren.
Sascha: Diese Fanclubs fingen ja erst so Anfang 1988 an, in die Netzwerke einzutreten. Bei uns in Leipzig war es Anfang 1989. Da waren zwei Fanclubs, und da gab es dann eine Vereinigung von mehreren Fanclubs. Es war ja unglaublich schwierig, an Informationen zu kommen.
Dennis: Bei uns in Meck-Pomm musste man mobil sein. Der Rose-Bowl-Fanclub entstand auch so `89/`90, glaube ich. Zu den ersten Partys sind wir noch mit dem Moped gefahren. Ohne Helm, über Schleichwege. Wegen der Frisur.
Sascha: Als ich meine Dave-Bürste hatte, bin ich im Sommer auch nicht mehr baden gegangen.
Die Idee zu diesem Buch kam schon beim ersten Buch?
Sascha: Bevor wir mit „Monument“ angefangen haben, gab es schon 2008 die Idee etwas zu diesem Depeche-Mode-Konzert in der DDR und zur Fankultur zu machen. Darüber haben wir uns auch kennengelernt.
Dennis: Wir haben uns bei Anne Haffmans im Büro kennengelernt. Da war ich ja öfter mal. Sie hat oft Anfragen zu Depeche Mode und deren Fans bekommen und mich dann manchmal angerufen. So kam das auch mit Sascha und mir. Wir haben uns dann immer in der Kaskelstraße zum Kaffee getroffen. Ich habe dann ein paar Sachen mitgebracht und gezeigt, und über „Monument“ wurden wir uns recht schnell einig. Das war ja eine Probezeit für uns, ob wir miteinander klar kommen [lacht].
Scheint ja funktioniert zu haben.
Dennis: Es ist Liebe.
Diese mdr-Doku, die letztens lief, habt ihr dann auch mit angestoßen.
Sascha: Richtig. Es gab schon seit Jahren zwei Filmschnipsel zu diesen Fanpartys in Zwickau im Internet. Wir haben viel Zeit damit verbracht zu erfahren, was es damit auf sich hat. Es gibt aber so Fans, die möchten mit ihrem Spezialwissen nicht an die Öffentlichkeit. Deswegen kamen wir da nicht weiter. Dann hat aber vor zwei Jahren der Filmemacher, Detlef Bergmann, seinen Film wieder herausgekramt und sich auf die Suche nach den Protagonisten von damals gemacht. Darüber haben wir ihn kennengelernt. Ich bin dann mit ihm zum mdr, die waren von dem Material sofort hellauf begeistert. Wir haben gesagt, 2018, zum 30-jährigen Jubiläum, muss dieser Film rauskommen. Das fanden sie plausibel.
Dennis: Wir müssen auch sagen, dass wir sehr zufrieden sind. Ich hatte so meine Befürchtungen, wenn ein Fernsehsender so eine Doku über Depeche Mode und die Fankultur macht… Aber letzten Endes war es das Beste, was da über Depeche Mode in den letzten Jahren gelaufen ist.
Wann ist eigentlich bei einem Fan die Grenze zwischen Fansein und Verrücktheit überschritten?
Sascha: Das Leben ist zu lang um nur eine Lieblingsband zu haben, finde ich.
Dennis: Oder zu kurz?
Wenn man sich für Musik interessiert, sollte man sich für viele Bands interessieren.
Sascha: Wenn Leute ihren Lebensinhalt in dieser Band sehen, ist das durchaus schön, aber wenn man sich für Musik interessiert, sollte man sich für viele Bands interessieren. Man sollte nicht sein Leben lang nur eine Band hören. Dafür gibt es viel zu viele spannende Bands zu entdecken. Soll aber jeder so machen, wie er will. Wir haben nur zwei Bücher zu diesem Thema geschrieben und sind nicht mehr Fan als andere, vielleicht sehen wir sogar manche Dinge kritischer, auch was die Entwicklung der Band angeht.
Wie seid ihr eigentlich an die ganzen Fotos gekommen?
Sascha: Viele Jahre Recherche. Einiges ist aus meinem Privatbesitz, ein, zwei Bilder habe ich sogar selber gemacht. Das Buch wäre auch nicht so bilderreich geworden, wenn wir nicht vorher „Monument“ gemacht hätten. Wir haben wirklich einen Haufen Leute getroffen, die gesagt haben, „Monument“ war gut, also wird das nächste Buch auch gut sein – so hat man uns auch Zugang zu Privatarchiven von ehemaligen Fanclub-Betreibern gewährt, wo sonst niemand herangekommen wäre. Da haben wir wirklich großes Glück gehabt.
Wie läuft bei euch so die Arbeitsteilung?
Dennis: Sascha geht meistens früh schlafen, und ich mache durch. [lacht]
Sascha: Bei „Monument“ hatte ja vor allem Dennis das Spezialwissen. Ich habe die Texte dazu gemacht, aber sonst vor allem auf ihn vertraut. Bei „Behind The Wall“ habe ich nun die Texte geschrieben, und Dennis hat das Layout gemacht. Wir hatten fast tägliche Telefonkonferenzen, wo der aktuelle Stand der Dinge besprochen wurde.
Dennis: Die meiste Zeit hat man mit Bildrechten und Recherche verbracht. Bei 30-jährigen Bildern ist das ja nicht einfach.
Mir ist das Wortspiel „Behind The Wall“ – „Behind The Wheel“ zuerst gar nicht aufgefallen…
Sascha: Das ist schon 1988 nach dem DDR-Konzert mehreren Leuten eingefallen. Ich weiß es von Karl-Marx-Städter Fans. Und ich bin im Zug mit Leipziger Fans zum Konzert gefahren, einer hatte einen großen Stereo-Kassettenrekorder dabei und hat das Konzert mitgeschnitten. Auf der Rückfahrt haben wir uns wiedergetroffen, da hat der gesagt: „Das Bootleg nenne ich ‚Behind The Wall‘!“
Nächste Projekte?
Sascha: Wir müssen auf jeden Fall noch etwas machen, weil wir uns so gut leiden und so gut miteinander arbeiten können.
Dennis: Wir haben auch noch viel Material, was noch nicht gesichtet wurde. Wir unterhalten uns ja oft mit Anne von Mute, die ist immer so ein Stück weit Ideengeberin. Da haben wir schon zwei, drei Ideen, zu denen wir aber noch nichts verraten können.
Wie hört ihr heute Musik? Früher Platten und Kassetten…
Dennis: Nur noch Vinyl, CD-Plastikschrott kommt mir nicht mehr ins Haus. Und man sieht Sachen über Facebook bei Leuten, wo man weiß, die ticken ähnlich. Als Sascha und ich „Monument“ gemacht haben, haben wir uns viel über Bands ausgetauscht und kurioserweise haben wir auch den gleichen Musikgeschmack.
Sascha: Ja, wir haben Alt-J und Nick Cave gehört.
Dennis: Alles außer Depeche Mode.
Sascha: Ich bin den 90ern zu diesen ganzen Shoegazern und Britpop gekommen. Ich kaufe relativ wenig Platten und versuche diese dann möglichst intensiv zu hören. Ich möchte ein Album dann gerne auch 30-40 mal durchgehört haben.
Eure persönlich spektakulärste Depeche-Mode-Erinnerung?
Sascha: Ganz klar der 07.03.1988. Depeche Mode in Ostberlin.
Dennis: Was kann einem Fan Größeres passieren, als seine Band zu treffen? Das ist schon was Besonderes. Wenn Dave dann im Rahmen eines Interviews anfängt, für dich Kaffee oder Tee zu kochen, das hat dann schon was sehr Intimes. Konzerttechnisch war es der 16.06.1993 in der Waldbühne, Dave barfuß.
Auch mein erstes DM-Konzert!
Dennis: Ansonsten bin ich halt ein bisschen traurig, dass Alan nicht mehr dabei ist, wir gehören beide zur „Alan come back“-Fraktion.
Ach herrje.
Sascha: Uns ist aber auch klar, dass er nie wieder zur Band zurückkommen wird. Die Band gibt es mittlerweile länger ohne ihn als mit ihm.
Was würdet ihr euch wünschen, was von der Band nochmal kommen sollte?
Dennis: Wenn sie das ’84er Hamburg-Konzert neu auf DVD auflegen würden. Oder so eine Konzertserie wie bei anderen Künstlern wie Neil Young, Bob Dylan oder U2. Mitschnitte von der „World Violation“ zum Beispiel – ich bin mir hundertprozentig sicher, dass es so etwas gibt.
Sascha: Ich persönlich habe keine Erwartungshaltung an die Band. Wenn man mich aber fragen würde, würde ich ihr nur raten, wieder zu Mute zu gehen. So ein Indielabel hilft der Band mehr.
Vielen Dank für das Gespräch!
P.S. Und hier noch die anstehenden Lesetermine:
21. September – Potsdam, Lesung & Dokfilm, Waschhaus
03. Oktober – Karlsruhe, KOHI-Kulturraum
04. Oktober – Nürnberg, tba.
25. Oktober – Greiz, Lesung & Dokfilm, Alte Papierfabrik
30. Oktober – Erfurt, Lesung & Dokfilm, Dasdie Brettl
03. November – Chemnitz, Lesung & Dokfilm, Brauclub
09. November – Wuppertal, Elbe
10. November – Wolfsburg, Lesung & Dokfilm, Hallenbad – Zentrum junge Kultur
Weitere Termine sind in Vorbereitung.
kleine Anmerkung
zum letzten Absatz – warum:
https://www.radioeins.de/programm/sendungen/freistil/aktuell/mute-records-.html
Lesetermine auf der Frankfurter Buchmesse?
Tolles Interview
In den 80ern haben wir im Westen auch viele Kassetten getauscht, da das Taschengeld nicht für jede Platte gereicht hat. Gute Netzwerke waren auch für Konzerte-Besuche unerlässlich.
Ich hoffe auf Lesetermine auf der Frankfurter Buchmesse
Super Interview
Vielen Dank für dieses schöne Interview.