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Das Interview der Woche

Apparat im Interview, Teil 1: „Das ist so ein bisschen wie Bildhauerei.“

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Apparat hat mit „5“ (unserem Album des vergangenen Monats) wieder einmal vollends überzeugt. Nun läuft bereits die Tour. Wir haben mit Sascha Ring, noch leicht im Jetlag von einem Rückflug aus Los Angeles, aber trotzdem bestens gelaunt, in Berlin gesprochen. Hier folgt Teil 1 unseres Gespräches:

depechemode.de: Glückwunsch zum Album, es gefällt wirklich sehr gut! Obwohl ich mich beim Ersthören bei zwei Dingen fast ein wenig habe in die Irre führen lassen. So hatte ich am Anfang kurz die Befürchtung, dass auch du jetzt auf diesen Autotune-Zug aufgesprungen wärst.

Sascha Ring: Ah ja, weil das so hintergründig ab und zu …

Ja, gleich der erste Track fängt ja mit Effekten auf der Stimme an.

Das ist ein anderer Effekt, aber ja klar. Kann ich verstehen.

Wie siehst du das?

Ich sehe es tatsächlich differenzierter, weil ich als Studio-Produktions-Nerd natürlich sofort höre: Okay, das ist eine Talkbox, das ist Autotune, das ist ein Harmonizer etc.. Für mich ist Autotune das größte No-Go. Aber ich kann total verstehen, dass man die Nase von Stimmeffekten komplett voll haben kann. Habe ich eigentlich auch, aber dann fängt man irgendwann an, so herumzuspielen und erlaubt sich dann doch wieder solche Sachen. So habe ich dann versucht, das in der bestmöglichen und am wenigsten cheesy klingenden Art und Weise für mich zu benutzen. Aber eine richtige Autotune-Line kann ich auf keinen Fall bringen.

Beim weiteren und wiederholten Hören hatte sich die Sorge dann ja auch relativ schnell erledigt.

Das ist ja auch unglaublich in, bei den ganzen Autotune-Hip-Hoppern gibt es eine ganze Kultur, die nur so rumleiert. Dass das nicht totzukriegen ist!

Vielleicht haben wir diesen Trend ja in ein, zwei Jahren überstanden.

Das ist ein interessantes Thema. Ich hoffe wirklich, dass ich nicht in fünf Jahren meine Platte höre und das bisschen, was ich davon verwendet habe, trotzdem schon ausreicht, um dem so einen zeitgeistigen, verjährenden Charakter zu geben.

Das Ziel ist Zeitlosigkeit.

Man versucht natürlich immer eine Platte zu machen, die man irgendwann hört und denkt, das passt immer noch.

Wie siehst du da deine bisherigen Alben?

Eigentlich klappt das ganz gut. Es gibt immer mal wieder den einen oder anderen Song … Zum Beispiel sind auf der jetzigen Platte ja auch wieder ein paar Streicher drauf, das sind die älteren Songs – und das ist etwas, was ich gerade nicht mehr hören kann. Das kommt auch durch das Neo-Klassik-Movement derzeit, da gibt es extreme Ermüdungserscheinungen. Wenn ich also derzeit meine älteren Songs höre, sind die streicherintensiven diejenigen, die mir am wenigsten am Herzen liegen. Aber das ist eher eine Momentaufnahme.

Die zweite falsche Fährte war, dass es recht ruhig wirkt. Was vielleicht an dem mittleren Teil liegt, insgesamt aber eigentlich gar nicht zutrifft.

Aber ruhig ist es trotzdem. Ich hatte das große Vorhaben, viel mehr Drums zu benutzen, mal eine Platte zu machen, die energetischer ist. Dann nimmt man sich immer solche Sachen vor, und am Ende passiert es ganz anders. Die Songs entwickeln ein Eigenleben, gehen irgendwo hin. Entweder man stellt sich ihnen in den Weg, oder man geht halt mit. Das habe ich dann halt gemacht, und am Ende sind die meisten Drumspuren wieder rausgeflogen. Aber ja, ich wollte eine Platte machen, die man dann tatsächlich über Kopfhörer hört und die sich dann so in ihrer Komplexität erschließt.

Das ist definitiv gelungen. Wann hast du mit dem Schreiben hierfür angefangen, noch während der letzten Moderat-Phase?

Tatsächlich nach dem Fertigstellen der dritten Moderat-Platte, was jetzt schon ewig lange her ist, fast drei Jahre. Da bin ich zwei, drei Monate später mit Band ins Studio gegangen und habe zwei Wochen lang Sessions gemacht. Dort habe ich gelernt, dass das nicht meine Arbeitsweise ist [lacht]. Ich dachte, ich mache mal was ganz Neues, mache endlich mal eine Platte, basierend auf Interaktionen mit anderen Menschen, auf dem Zauber des Moments. Aber dafür bin ich einfach zu schlecht. Also, was mich als Instrumentalisten angeht. Da bin ich immer das schwächste Glied in der kette. Wir haben viel Zeug aufgenommen, aber davon hat es sehr wenig auf die Platte geschafft.

Wobei man ja doch relativ viel an Instrumenten heraushört.

Aber davon ist vieles später noch dazu gekommen. Bei Sessions mit ganz anderen Leuten. Wo ich dann Leute eingeladen habe, bei denen ich dachte, dass die jetzt harmonisch etwas beisteuern, was ich nicht so machen würde. Und dann bin ich oft wieder zu dem ursprünglichen Material zurückgegangen und habe mir nur Samples herausgeholt, wodurch ich auch dieses Fragmentarische geschafft habe, was ich ja eigentlich auch machen wollte.

Was waren denn so die Grundintentionen bei diesem Album?

Irgendwann ist es immer zu viel von einer Sache, und ich freue mich total darüber, dass ich die Möglichkeit habe, viele verschiedene Dinge zu machen.

Sascha Ring

Die Motivation hat sich eigentlich daraus erschlossen, dass ich nach vier, fünf Jahren Moderat echt wieder einen Kontrast brauchte. Das soll jetzt überhaupt nicht gegen Moderat sprechen, das ist toll, wir hatten Spaß, und wir haben aufgehört, als es sensationell war. Aber irgendwann ist es immer zu viel von einer Sache, und ich freue mich total darüber, dass ich die Möglichkeit habe, viele verschiedene Dinge zu machen. Deswegen will ich auch Gebrauch davon machen, und nach vier, fünf Jahren war dieser Drang sehr groß. Eigentlich war der Plan, eine total experimentelle, krasse und sehr elektronische Platte zu machen. So ist es halt mit Konzepten, da überlegt man sich die Details, geht ins Studio, bastelt herum und es kommt nichts dabei heraus. Die nächste Idee war dann dieses Sessionhafte, was auch wieder nicht richtig geklappt hat. Und dann tastet man sich heran an das, was irgendwann deine Platte wird.

Wann hast du dann gemerkt: Ah, da geht es jetzt hin?

Erst ziemlich spät, ehrlich gesagt. Ich hatte relativ viele Songskizzen, aber die waren relativ klassich, einfach nur mit Gitarre und Stimme. Oder eine Klavierlinie und kleine Stückchen von irgendwas. Dann kann man schon anfangen herumzuspielen, wie das so zusammenpasst. Da muss man aber sehr abstrahieren können. Der springende Punkt war, als ich vier Monate vor Abgabe, im letzten Frühling, den Song „Voi_do“ gemacht habe. Da saß ich mit Philipp [Timm, Anm. d. Red.], meinem Co-Produzenten, im Studio. Der Song war eigentlich total albern, Philipp hatte am Anfang eine komische Gitarrenimprovisation, am Ende habe ich einen Part drangebaut, der so total schunkelig und happy war. Den Chorus gab es schon [summt ihn vor], dazu beschwingtes Schlagzeug und Klavier. Das war eigentlich alles Schrott, aber es war catchy. Es ging nur darum, das soweit zurückzunehmen, dass man es vertreten kann, ohne dass es einem peinlich ist. Im hinteren Teil war die Lösung, es komplett zu bereinigen und es nur auf einer locker-trockenen, funky Gitarre zu basieren, was ich [früher] nie gemacht hätte. Viel wichtiger war, dass wir vorn vier, fünf Sessions von verschiedenen Leuten hatten und dann angefangen haben, hier ein Stück von dem zu nehmen, dort von jenem, so dass die Melodie sich über verschiedene Instrumente erstreckt. Das war eine coole Arbeitsweise, und es wird dadurch ziemlich abwechslungsreich und interessant. Man hat dadurch einen wahnsinnigen Pool, wenn man das bei jedem Song macht und immer vier, fünf Leute ihren Input geben lässt. Danach dachte ich, fuck, das ist das Konzept für die Platte! Bei manchen Stücken ist dieser Effekt jetzt offensichtlicher, bei manchen weniger. Aber das war dieser Magic Moment – wo man weiß, das wird jetzt die Platte. Der Rest ist dann nur noch Arbeit. Und das ist toll.

Das muss auch eine ziemliche Frickelarbeit sein, man hört ja in den Details unglaublich viele Spuren.

Aber nicht mehr zur gleichen Zeit. Früher habe ich sie immer alle übereinander gelegt, jetzt sind sie wenigstens ein bisschen verschoben.

Wie lange bastelst du an einem Song? Bzw. wann sagst du dir: Jetzt muss aber auch mal gut sein!

[seufzt] Oh, spät. Ich habe mir auch bei dieser Platte wieder mehr Frickeln erlaubt. Der Grund, warum ich wieder richtig Bock auf Instrumente hatte, war, dass ich irgendwann müde war, immer ewig lange an einem Sound herumzudesignen. Ich habe mich gefreut, eine Gitarre zu nehmen – man spielt einen Ton, und der klingt schon geil. Zwar nicht neu, aber geil. Das geht natürlich mit Synthesizern auch, aber da hatte ich schon damals eine zehnjährige elektronische Musikhistorie, da war alles nicht mehr so exciting. Deswegen haben mich Instrumente total begeistert und meine Bereitschaft zum nerdigen Rumgeschraube gen Null gehen lassen. Es musste schnell gehen, und das war schön. Aber jetzt gerade fand ich es [andererseits] auch wieder toll, auch mal eine Nacht lang nur herumzusitzen und an einem Loop herumzufrickeln. Da ist die Nerdyness wieder ins Apparat-Universum reingekommen. Das ist aber okay, denn irgendwie ist es eine schöne Arbeit. So ein bisschen wie Bildhauerei. Man formt einen Stein, da sind so ganz viele kleine Stückchen, die man abmacht, und irgendwann hat man ein tolles Ergebnis. Genau so ist es am Ende – ich mache ja auch das ganze Mixing größtenteils alleine, was eine unglaublich zähe, kleinteilige Arbeit ist – aber auch geil, wenn man sich so pedantisch an Details aufhängt, von denen man weiß, dass man sie wirklich nur noch selbst hört. In dem Moment wird einem aber auch bewusst, das macht man nur für sich und nicht für die anderen. Und das ist schön, sich das wieder mal bewusst werden zu lassen. Denn manchmal hat man auch Angst, dass man schon zu sehr daran denkt, was mit der Platte passiert, wenn sie rauskommt und danach und die Leute, die Erwartungen …

Gibt’s denn bei den Songs, der Bauart und -weise Gemeinsamkeiten oder Unterschiede im Vergleich dazu, wenn du für andere Sachen komponierst, z.B. für Moderat oder aber auch für Soundtracks?

Man nimmt von jeder Baustelle etwas mit. Manche Sounds sind moderatig, viele Arrangements sind dagegen davon inspiriert, wie Filmmusik geschrieben wird. Weil es da nicht so eine klare Songstruktur gibt. Da geht es eher um Dramaturgie. Das kann aber auch für die Musik mal gut sein, weil man da schon so an dieses Songkorsett gewöhnt ist, dass es schön ist, jede Möglichkeit zu nutzen, da auszubrechen. Ich mache ja so viele Sachen – ich fahre ja auch noch herum und spiele DJ-Sets.

Bleibst du an der Soundtrackgeschichte auch dran? Die lief ja recht erfolgreich zuletzt, auch mit Preisen auf Filmfestivals.

Ja, wir haben schon wieder eine Nominierung für den italienischen Filmpreis bekommen. Ich finde es toll, das zu machen, weil man die Möglichkeit hat, Teil von etwas Größerem zu sein. Sonst bin ich im Studio der „Chef“, bei Moderat gibt es drei Chefs. Beim Film ist der Regisseur der Chef. Wenn er cool ist, lässt er dich das nicht spüren. Aber du weißt, du bist Teil einer Vision, die jemand anders hat, und bringst dich bestmöglich ein. Das ist auch eine kleine Lektion in Demut.

…Fortsetzung folgt…

Apparat – LP5“ bestellen: Amazon

P.S. Hier nochmal die verbleibenden Tourdaten:
26.04.2019 UK-Brighton, Acca (w/ K Á R Y Y N)
27.04.2019 UK-London, Barbican (w/ K Á R Y Y N)
28.04.2019 BE-Brüssel, AB (w/ K Á R Y Y N)
04.05.2019 AT-Krems, Donau Festival
10.05.2019 Berlin, Tempodrom (w/ K Á R Y Y N)
17.05.2019 RU-Moskau, Izvestia Hall
18.05.2019 RU-St. Petersbug, Aurora
30.05.2019 ES-Barcelona, Primavera Sound Festival
26.07.2019 CH-Lugano, Roam Festival
09.08.2019 Hannover, Fuchsbau
10.08.2019 CH-Basel, Basel Open Air
19.10.2019 Ludwigshafen, Ludwigshafen

P.P.S. Und hier noch der brandneu hereingeschneite Stimming Remix von „Brandenburg“:

www.apparat.net

www.facebook.com/apparat.official



Thomas Bästlein

Thomas Bästlein schreibt (früher unter dem Spitznamen Addison) seit Anfang 2007 für depechemode.de. Hauptberuflich arbeitet er im öffentlichen Dienst. Du kannst Thomas online bei Facebook treffen.

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