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Ein musikalisches Interview

Alt oder neu? Mit Drangsal

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Gerade habt ihr ihn mit großem Abstand zum Newcomer des letzten Jahres gewählt. Am Wochenende spielt er zum 25-jährigen Intro-Jubiläum (und auch ansonsten tourt die Drangsal fleißig). Das zweite Album ist auch in Arbeit. Zeit für eine andere Art von Interview mit Max Gruber.

depechemode.de: Wir haben dich ja dieses Jahr [das war noch 2016, Anm. d. Red.] schon ausgiebig interviewt, da dachte ich, wir machen das heute mal anders.

Max Gruber: Echt? Machen wir Entweder-Oder-Fragen? Ich liebe Entweder-Oder-Fragen!

So ähnlich. Wir hören uns Musik an und spielen „Alt oder neu?“. Und du darfst natürlich auch gerne Band und Song raten.

Spitzenidee!

Survive – High Rise (2016)

[nach drei Sekunden] Ich sage auf jeden Fall: Neu!

Das ging ja schnell. Und stimmt schon mal.

Das höre ich sofort. Die Drummachine klingt zu neu, zu gut aufgenommen.

[die Musik läuft weiter] Ist jetzt nicht so megabekannt. Es bleibt auch instrumental.

Dann musst du mir weiterhelfen.

Ich kam darauf, weil wir letztes Mal über Fernsehserien sprachen. Auf Netflix…

Ah, Dingens… Stranger Things!

Genau!

Das habe ich aber nicht gesehen.

Die haben den Soundtrack dazu gemacht, das Stück ist aber nicht daraus, sondern von ihrem aktuellen Album.

Wo kommen die her?

Amerikaner.

Immer instrumental?

Ja.

Ich glaube, damit kommt man weit heutzutage, bei den Technokids. Man kann sich da schnell drin verlieren, wenn da… wenn so ein bisschen weniger drin los ist.

Ich mache mal weiter, ähnlich von der Stimmung her:

Clan Of Xymox – Masquerade (1986)

[wieder ziemlich schnell] Das ist auf jeden Fall alt.

Ja. Mitte der 80er.

Ich könnte jetzt raten, aber den Song kenne ich, glaube ich, nicht. Sag mal!

Clan Of Xymox.

Ah! Doch! Haben die denn eine Frau als Sänger(in)?

Die singen beide.

Gell? Ich kenne von denen nämlich nur Songs, wo ein Typ singt. Das klingt übrigens viel analoger und wärmer und weiter. Das hört man sogar hier übers iPad. Irgendwie echter. Du hast schon recht, das ist ähnlich, von der Stimmung und vom Tempo her. Aber wenn ich mich entscheiden müsste, wenn ich den Soundtrack für eine Serie machen würde – dann würde ich eher das hier auswählen. Das hat mehr Atmosphäre, dadurch, dass mehr Raum da ist. Es passiert irgendwie mehr. Das andere klingt hart digital und minimal, und vielleicht soll es das ja auch.

Ich kam auch auf die beiden Bands, weil beide auf dem Soundtrack zu dem Film „The Guest“ vertreten sind.

Auch nicht gesehen. Gut?

Bisschen B-Movie, etwas schräg und seltsam, aber sehr gut.

Muss ich mir mal reinziehen.

Jetzt zu einer Band, die du bestimmt kennst:

Einstürzende Neubauten – Kalte Sterne (1981)

[relativ schnell, nachdem eine Weile aufgrund von Soundchecklärm nebenan kaum etwas zu hören ist] Alt natürlich. Einstürzende Neubauten! Das ist ja fast noch hörbar. Ich finde ja die neueren Neubautensachen echt gut. So ab „Was ist ist“ und „Ende Neu“. „Let’s Do It A Da Da“, „Nagorny Karabach“, diese ganzen zurückhaltenden Sachen. Blixa schreibt so tolle Texte! Ich finde es auch toll, wenn er manisch ist und herumschreit, mag es aber mehr, wenn man merkt, dass da mehr Bedacht dabei ist.

Trentemøller – River In Me (2016)

[überlegt] Auf jeden Fall neu. Savages?

Nein. Trentemøller.

Ach, echt? Ich finde es irgendwie gut, weil der Sound einen Appeal für mich hat, aber es bockt mich nicht so richtig, weil es mir zu unspannend arrangiert ist. E-Drums und ein Bass, der nur macht, was ein Bass machen muss. Das ist natürlich ein spitzenmäßiger Popsong, aber man könnte da noch viel mehr draus machen.

Der Track war auch ein bisschen untypisch für Trentemøller. Merke: Nächstes Mal die spannender arrangierten Stücke auswählen.

Jeanne Added – A War Is Coming (2016)

Das ist auf jeden Fall auch neu. [überlegt] Ich habe das irgendwo letztens gehört. Ist auch kürzlich rausgekommen, oder?

Ja. Jeanne Added heißt die Dame.

Keine Ahnung, aber das gefällt mir sofort sehr gut. Das ist so laid back gespielt. Und das Wort „War“ kommt immer gut in einem Song. Wie heißt das nochmal? Das schreibe ich mir auf! Ist das ganze Album so, oder wird das noch „souliger“?

Souliger nicht. Abwechslungsreicher, würde ich sagen. Ein paar elektronischere Sachen, aber auch kantige Stücke.

Wenn ich jetzt so überlege – die klingt auch so ein bisschen nach den Savages.

Ach, apropos Savages: Ich springe nochmal zurück zu dem Trentemøller-Song. Da hat die Jehnny Beth von den Savages gesungen.

Ach! Siehst du! Klingt alles gleich!

Dann machen wir etwas Anderes an:

Ideal – Telephon (1980)

[sofort] Das ist Ideal! „Telephon“, vom ersten Album. Das ging schnell, oder [lacht]. Ich habe den Song tatsächlich gestern erst gehört. Ich finde den Song super, schon allein den Drumbeat. [singt mit] „Warum rufst du mich nicht an? Ich sitze hier im halben Wahn.“ Wie sie das performt – Wahnsinn! Und dann dieser Rhythmuswechsel – das ist so’ne geile Band gewesen! Ich habe mir letztens zum ersten Mal „Bi Nuu“ angehört, das dritte Album. Was ich noch nie gemacht habe, weil ich immer dachte, die hätten nur zwei Alben. Ich kannte dann aber doch viele Songs [von „Bi Nuu“], wie „Keine Heimat“. Der einzige Song, der mir da außerdem noch gefallen hat, ist „Wir zerstören unser Glück“ [singt es vor]. Der Rest des Albums ist so uninspiriert, das war schon irgendwie traurig. Dann habe ich gelesen, dass die, als das rauskam, schon aufgelöst waren bzw. kurz vor der Auflösung standen. Und das hört man der Platte extrem an.

Bei ihr [Annette Humpe] finde ich es ein bisschen schade, was musikalisch aus ihr geworden ist.

Also ich halte Annette Humpe für die wahrscheinlich talentierteste Songwriterin in Deutschland.

Kann sein. Aber dass dann so ein Mist wie Ich + Ich kommt…

Ich + Ich ist schon echt unverzeihlich. Aber sie hat so viele gute Sachen gemacht. Ich finde auch Humpe & Humpe super, ich finde die Max-Raabe-Stücke, die sie geschrieben hat, toll, auch die Sachen, die sie für Rio Reiser und Die Prinzen (teilweise) gemacht hat. An „Alles nur geklaut“ von den Prinzen ist auch ein Ideal-Song verloren gegangen. Oder ein Rio-Reiser-Song [singt den Song im Stil von Rio Reiser, verblüffend ähnlich]. Diese Frau hat einfach – unabhängig vom jeweiligen Künstler – gute Songs.

Da fiel gerade schon ein Name, der überraschend noch auf der Songliste steht:

https://www.youtube.com/watch?v=rS7dBPD6mik

Palast Orchester mit seinem Sänger Max Raabe – Rinderwahn (1997)

Manchmal, wenn ich einen Anzug anhabe, sagen die Leute, ich sähe aus wie Max Raabe. Ich glaube, das liegt an den Geheimratsecken [grinst]. Ich finde die Art, wie Max Raabe singt, so wunderschön.

Originell und Original.

Der hat ja Gesang studiert, und das merkt man halt auch. Der hat so eine Leidenschaft für diese Art des Gesangs und der Musik. Es gibt ja kaum Leute, die das auf so unironischem Level machen. Und trotzdem ist er unfreiwilligerweise und auch ein bisschen freiwillig lustig.

Der weiß genau, was er tut.

Voll. Der weiß auch damit zu kokettieren. Ich habe „In der Bar Zum Krokodil“ immer sehr gern gehört.

Jetzt bin ich in einen Zwischenbereich abgeschweift – ich dachte, ich stelle mal so ein paar Namensvetter von dir zusammen. Das sind drei sehr unterschiedliche Stücke – und das vierte gibt es zur Strafe, wenn du die anderen nicht alle errätst.

Oh Gott! Na das erste habe ich ja schon mal erraten.

Und das zweite kennst du auf jeden Fall auch:

All diese Gewalt – Stimmen (2016)

Das ist neu auf jeden Fall. Was ist das nochmal [es läuft noch das lange Instrumentalintro]? Ach, fuck, der Rieger, Max Rieger natürlich! „Kuppel“, nee, „Klang“ oder „Stimmen“, die haben alle den gleichen Namen, diese Scheißlieder [lacht]. Das beste Album, nein… [grinst] das zweitbeste Album, was dieses Jahr herausgekommen ist. Und obwohl er mein Namensvetter ist, ist er tausendmal talentierter als ich.

Das Album ist auch wunderbar atmosphärisch.

Der ist sehr lustig und auch sehr ernst, ein faszinierendes Wesen, wenn man sieht, wie er so geht und gestikuliert. Außerdem ist er ein unfassbar guter Produzent – was auch der Grund ist, warum er mit Markus [Ganter] zusammen ab Februar 2017 das zweite Drangsal produzieren wird.

Foyer Des Arts – Hubschraubereinsatz (1982)

Max Goldt. Entweder solo oder mit Foyer Des Arts.

Letzteres.

Ehre gerettet! Ich dachte eben so, Max Raabe, Max Rieger, wen haben wir denn da noch? Foyer Des Arts waren einer meiner ersten Berührungspunkte mit der frühen Neuen Deutschen Welle. As Dada as NDW gets. Bevor ich das alles in meinem Kopf gegliedert hatte, Neubauten, Dorau, bevor ich wusste, was Zick Zack und Ata Tak waren. Durch YouTube und Palais Schaumburg bin ich auf Foyer Des Arts gekommen. Da gab es einen Channel, der so alte Musikvideos gespielt hat, und dort gab es das Video zu „Wissenswertes über Erlangen“, das war natürlich ein Hit! So kam ich dann zu den Alben, völlig gaga, aber herrlich.

Auch die schriftstellerischen Tätigkeiten von Max Goldt sind sehr interessant.

Ich habe noch nie etwas von ihm gelesen.

Oder die Texte zu Katz & Goldt zum Beispiel…

Ach, das ist von ihm? Hinten im Intro? Ich wusste nicht, dass das der Max Goldt ist. Siehste, wieder einen Punkt verknüpft! Eins von meinen Lieblingscomics von Katz & Goldt ist das Bild von einem Flur, wo ganz viele Igel auf dem Boden sind. Man sieht eine alte Frau, die die Treppe hochgeht, über die Schulter nach hinten guckt und sich denkt: „Oben sind hoffentlich weniger Igel.“ Das fand ich sooo lustig. Ich habe das allen Leuten gezeigt, und die fanden das nur teilweise lustig. [kichert]

Obwohl du alle erraten hast – den hatte ich auch noch vorbereitet:

E-Rotic – Max, Don’t Have Sex With Your Ex (1995)

Max, Don’t Have Sex With Your Ex“.

Der fiel mir ein, weil du bei deinem DJ-Set zur Albumreleaseparty auch so einen wilden Mix gespielt hast, mit einigen schrägen 90er-Sachen. Wobei das hier schon ziemlich weit unten in den 90ern ist.

Wobei, der geht noch, finde ich. So was wie „Short Dick Man“, das ist eher so das Ende.

Wo wir gerade auf dem absteigenden Ast sind… Die Frage ist immer noch „Alt oder neu?“:

Hubert Kah & Joachim Witt – Terrorist der Liebe (2016)

[verzieht leicht das Gesicht] Was ist das, Unheilig?

Nicht ganz. Zwei Herren, die damals NDW-Stars waren.

Hubert Kah. Und der andere ist… Joachim Witt?

Genau.

Wie heißt denn das Lied?

Den Refrain spiele ich noch, danach bluten, glaube ich, die Ohren.

Klingt auch ein bisschen wie All diese Gewalt, oder [grinst leicht hinterhältig]? Ich habe mir das aufgeschrieben, weil ich es dem Max schicken will.

Ist aber schon schlimm, oder?

Ich finde, das ist fast noch das Akzeptabelste, was in letzter Zeit mit Hubert Kah passiert ist. Mit Promihaus [Big Brother] und was weiß ich, wo der noch alles mitgemacht hat.

Wenn man dagegen 30 Jahre zurück geht:

Hubert Kah – Wenn der Mond die Sonne berührt (1984)

Das ist auf jeden Fall alt. Klingt schön.

Er ist damals auch ein bisschen zu Unrecht in die Schlagerecke gerückt worden. Gerade die Sachen, die er mit Michael Cretu gemacht hat, auch die englischen Sachen, sind richtig gut.

Ich bin ja Riesenfan von Klaus Lage, deswegen ist Schlager bei mir… bei den Sachen, die ich gerade so für die zweite Platte schreibe, habe ich auch manchmal schon das Gefühl, das ist zu schlageresk. Vielleicht unterhalten sich ja in 30 Jahren zwei Typen drüber und sagen: „Der wurde zu Unrecht als zu schlageresk verurteilt.“

Das zweite Album von Drangsal, das damals immer in einem Atemzug mit Helene Fischer genannt wurde.“

[Gelächter] Oh Gott!

ABAY – 1997 (Exit A) (2016)

Das ist auf jeden Fall wieder neu, das hört man am Drumsound. Aber da habe ich keinen blassen Schimmer.

Das sind ABAY, kennst du Aydo Abay, den früheren Sänger von Blackmail?

Der Instrumentalteil jetzt klingt ein bisschen nach Tocotronic.

Zu denen hätte ich mal eine andere Frage. Die waren mit diesem Song und einem sehr speziellen Auftritt beim ZDF-Fernsehgarten. Mit ausgetauschter Band und „FCK NZS“-T-Shirt zum Playback vor klatschendem Publikum.

Ja, ich habe das mitbekommen, mir aber nicht angesehen, weil es mich nicht so interessiert hat. Aber ein lustiger Move.

Die Frage wäre, ob ihr so etwas auch machen würdet?

Doch, schon. Aber anders.

[Wir müssen langsam zum Ende kommen.] Tja, das nächste wäre die neue Metallica gewesen…

Doch, mach an!

Metallica – Confusion (2016)

Der erste Eindruck?

Scheiße. Aber das beste Album seit Langem. Wir haben uns lustigerweise gestern darüber unterhalten. Ich fand ja „Death Magnetic“ nicht so geil, weil das so ein Friedensangebot an die Fans war.

Da fand ich die „St. Anger“ besser.

Ich auch.

Außerdem war „Death Magnetic“ furchtbar produziert.

Ja. Das „lauteste Album, was es je gab“ – und dann war das einfach nur zu laut produziert. Das war ein einziger Soundbalken, überkomprimiert und gegen die Wand gefahren. Ich finde, auf dem neuen Album sind drei, vier gute Songs – „Atlas, Rise!“, „Hardwired“ und „Moth Into Flame“, die drei Singles. Und der beste Song ist der letzte, „Spit Out the Bone“. Leider klingt es aber an den melodischsten Stellen wie Iron Maiden in schneller und sonst etwas zu diffus. Was ich an Metallica immer gut fand, war, dass es auf so eine fast klassische Art arrangiert war. Sehr emotional und trotzdem beinhart, das floss alles so schön ineinander. Wenn ich da an Songs wie „Ride The Lightning“ oder „Fight Fire With Fire“ denke, „Master Of Puppets“, „Welcome Home (Sanitarium)“, das war alles vom Songwritinglevel her so enorm. Das hier ist nicht schlecht, klingt aber alles so aneinander gereiht. Ganz viele Riffs, wo es nicht hätte sein müssen. Hauptsache, die Songs sind kompliziert und sechs Minuten lang. Aber ich weiß auch nicht, ob Metallica hätten nochmal ein Album machen müssen.

Das denkt man ja bei so Manchem.

Hubert Kah zum Beispiel.

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www.facebook.com/frucadeodereierlikoer
www.soundcloud.com/diedrangsal

Thomas Bästlein

Thomas Bästlein schreibt (früher unter dem Spitznamen Addison) seit Anfang 2007 für depechemode.de. Hauptberuflich arbeitet er im öffentlichen Dienst. Du kannst Thomas online bei Facebook treffen.

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