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Über den Support von Depeche Mode, Musik im Radio und politische Haltung

Algiers im Interview: „Das ist eine der größten Bands aller Zeiten, und du bist ein Gast in ihrem Haus.“

Ende Mai, es ist erstmals in diesem Jahr richtig heiß in Berlin. Die Band, die wenige Wochen später Depeche Mode supporten und ihr zweites Album „The Underside Of Power“ veröffentlichen wird, gibt Interviews und ist nach mehreren Radiointerviews im geschlossenen (und unklimatisierten) Hotelraum dankbar für einen Ortswechsel in den luftigen Innenhof. Gitarrist Lee Tesche stellt sich unseren Fragen, Frontmann Franklin James Fisher wird sich kurz darauf dazu gesellen.

depechemode.de: Ihr seid nicht zum ersten Mal hier in Berlin, oder?

Lee Tesche: Ja, wir waren schon einige Male in Berlin. Das ist schon fast so etwas wie unsere zweite oder dritte Heimat geworden. Aus irgendeinem Grund sind die Zuschauer hier wirklich empfänglich. Wir haben im letzten September hier auf dem Popkultur-Festival gespielt. Ich habe dort sogar einen Workshop zum Thema Sounddesign gegeben, und Ryan, unser Bassist, hat einen Vortrag gehalten. Und dann waren wir zu einem Neujahrskonzert in diesem beeindruckenden Theater… wie hieß es noch…?

Vielleicht in der Volksbühne?

Lee: Ja! Großartig!

Und bald kommt ihr ja wieder nach Berlin für gleich zwei Konzerte, einmal als Support für Depeche Mode und einmal solo.

Lee: Was für ein gigantischer Kontrast! Als ich auf unseren Tourplan gesehen habe, und da waren diese riesigen Stadionshows vor ca. 70.000 Leuten – und dann spielst du am nächsten Abend vor vielleicht 200 Menschen.

Was bevorzugt ihr?

Lee: Schon eher die kleineren Auftritte. Da hat man nicht diese Trennung zwischen Band und Zuschauern. Franklin mag es, in die Zuschauer einzutauchen und zwischen den Leuten zu sein. Das wird dann eine sehr gemeinschaftliche Erfahrung, die auf die alten Punkrocktage zurückgeht. Aber die große Bühne ist auch spannend, und dass wir beides direkt hintereinander machen können – da haben wir das Beste von allem.

Wie groß sind denn so eure Zuschauerzahlen in Amerika?

Lee: Ich denke, wir machen uns besser in Europa. Irgendwie verstehen die Leute hier besser, was wir machen. In Deutschland zum Beispiel sind die Reaktionen großartig, das ist eines unserer besten Länder. In Amerika läuft das alles etwas langsamer. Vielleicht hängt das auch mit einigen unserer Themen zusammen. In New York, Los Angeles oder unserer Heimatstadt Atlanta haben wir gute Zuschauerzahlen, aber wenn es dann nach St. Louis, in den mittleren Westen oder nach Texas geht, kann man auch schon mal vor zehn Leuten spielen. Wir haben so eine Tour gemacht – und kamen dann nach Berlin, wo es über 1.000 Leute waren. Da dachten wir, oh, die Leute verstehen uns ja doch vielleicht.

Das kann ja auch mit den amerikanischen Radiosendern zu tun haben, wo die meisten Stationen alle dasselbe spielen.

Lee: Ja, definitiv. Ich bin letztens zurück nach Atlanta gezogen, nachdem ich etwa sechs Jahre in London gelebt habe. Die Radiokultur ist ein komplett anderes Ding da drüben. Wir hatten auf unserer Uni einen tollen Radiosender, WRAS. Über den haben die Replacements sogar einen Song geschrieben. Und der ist kürzlich aus dem Verkehr gezogen worden.

Wir haben aber ähnliche Probleme hier in Deutschland. Berlin ist da eine Ausnahme mit ein paar großartigen Sendern wie Radio Eins oder Flux.FM. Aber in den meisten Gegenden gibt es nur noch formatierte Radioprogramme, wo am Computer kalkulierte und immergleiche Playlisten heruntergespielt werden.

Lee: Das ist das, was die meisten US-Sender machen. Ein Freund von mir war Radio-DJ in Atlanta. Er hatte immer diese Ideen, um den Computer zu umgehen, schrieb Radiohörspiele, für die ich die Musik gemacht habe. Schließlich wurde er gefeuert, und man sagte ihm, dass die Leute das nicht hören wollten. Die Leute wollten lieber immer wieder dieselben zehn Rocksongs hören.

Traurig.

Lee: Ja. Aber wenn wir in Deutschland oder anderswo unterwegs sind, hören wir immer gern in die lokalen Sender rein. Aus reiner Neugier. Was uns aufgefallen ist, vielleicht kannst du das ja bestätigen: In Deutschland haben viele Songs diesen bestimmten Beat, so ähnlich wie der Gary-Glitter-Beat. In Amerika nehmen sie einen Popsong und hauen irgendeinen Dancebeat drunter. Und hier haben die Songs oft diesen speziellen Beat, hat der einen Namen oder so?

Hm, da müsste ich mal drüber nachdenken.

Franklin James Fisher [kommt dazu, Anm. d. Red.]: Sorry für die Verspätung!

Kein Problem… Zu diesen Besonderheiten fällt mir eher das berüchtigte „German Clapping“ ein, diese Eigenart, auf jeden Beat zu klatschen.

Lee: Das bin ich, deswegen habe ich es in dieser Band so schwer. [Franklin lacht laut]

Ihr habt das Album mit Adrian Utley, der ja v.a. durch Portishead berühmt geworden ist, aufgenommen. Wie kam es dazu?

Franklin: Die Verbindung kam über die Beziehungen des Labels zustande. Er und Ali Chant [der andere Algiers-Produzent] hatten ja das letzte Album von Perfume Genius produziert.

Lee: Und wir sind auch große Fans von Adrian und Portishead. Als man uns dann bat, einen Produzenten auszuwählen, war das einer unserer ersten Wünsche.

Wolltet ihr mit dem zweiten Album in eine bestimmte Richtung gehen?

Franklin: Wir haben diverse Ideen besprochen. Ich wollte unbedingt unsere Stärken als Liveband betonen. Adrian war sehr gut darin, uns in unseren Ideen zu ermutigen. Er hat wirklich einen großen Anteil an dieser Platte.

Lee: Er spielt sogar auf einigen der Songs.

Wie kam es eigentlich zu eurem doch sehr speziellen Sound? So eine Band mit Soul, Gospel, Postpunk, Industrial, Wave… ist doch eher ungewöhnlich.

Lee: Wir sind einfach große Musikfans und mögen sehr unterschiedliche Arten von Musik.

Franklin: Jeder von uns macht das, was für ihn natürlich klingt. Am Anfang war das ein bisschen Versuch und Irrtum, dann haben wir gemerkt, ah, dies und jenes funktioniert, lasst uns das weiter erforschen.

Ihr habt also auch verschiedene Einflüsse.

Franklin: Oh ja!

Lee: Total.

Könnt ihr ein paar Namen nennen?

Franklin: Es gibt ein paar Gemeinsamkeiten, wie The Clash, die ein großer Einfluss waren. Fugazi. Gang Of Four. Donny Hathaway.

Lee: Für mich sind das unbedingt auch Einstürzende Neubauten.

Hast du die schon mal live gesehen?

Lee: Leider kaum. Ich habe sie auf der Tour mit diesem Album zum ersten Weltkrieg gesehen… „Lament“. Letztens haben sie in London gespielt, und ich habe mich für Ryan gefreut, weil er hingehen konnte. Und er war total begeistert. Er war vorher gar nicht so der Fan, aber das ist eine Band, die mancher vielleicht erst live sehen muss, bis es Klick macht.

Franklin: Kennst du eine Band namens Heimat?

Heimat?

Franklin: Ja, ein Duo mit Sängerin. Die spiele ich immer für uns. „Wilde Jahre“ ist einer der coolsten Tracks der letzten Zeit. Ich spiele die dir nachher gerne vor.

Von den Neubauten ist der nächste Schritt nicht weit. Euer Promoter erzählte mir, dass ihr immer zu Radiohead befragt werdet. Da wir aber depechemode.de sind, sollte ich natürlich eher zu Depeche Mode befragen. Wie kamt ihr dazu, sie erst zu remixen und dann zu supporten?

Lee: Auf verschiedenen Wegen. Zuerst einmal haben wir nach der Veröffentlichung unseres ersten Albums mitbekommen, dass Dave Gahan uns in verschiedenen Interviews erwähnt hat. Das hat uns echt umgehauen.

Franklin: Total!

Lee: Dann kamen diverse Leute auf Festivals auf uns zu und sagten, sie hätten Dave auf der Soulsavers-Tour gesehen und man hätte unsere Musik da vor dem Konzert gespielt, wodurch sie auf uns aufmerksam geworden seien. Und dann hatten wir das Glück, bei Mute zu sein. Daniel Miller hat uns über die Jahre sehr unterstützt. Er hat ein paar weitere gute Worte für uns eingelegt.

Also freut ihr euch auf die großen Shows?

Franklin: Yeah!

Keine Angst vor den berüchtigten Depeche-Mode-Fans?

Franklin [lacht]: Das ist etwas, von dem wir erst kürzlich gehört haben.

Lee: Kannst du uns da ein paar Geschichten erzählen?

Na ja, früher – heute weniger, die Fans sind ja auch etwas reifer geworden – war das schon manchmal krass. Beispielsweise 1993 in Berlin, da waren Miranda Sex Garden Support.

Lee: Ja, die kenne ich. So eine 90er-Alternative-Band.

Die hatten es echt schwer. Dinge wurden auf die Bühne geworfen, irgendwann haben Tausende Fans ihre Tickets in die Luft gehalten und „Depeche Mode“ gebrüllt. Während der Vorband. Nicht sehr nett.

Franklin: Als ich das erste Mal nach New York gezogen bin, war ich kurz davor, bei der Amateurnacht im Apollo aufzutreten. Ich habe mich im letzten Moment dagegen entschieden, was wohl ganz gut war. Wenn das richtig schief geht, hast du vielleicht nie wieder Lust, Musik zu machen. Aber das ist etwas, mit dem viel mehr Leute, als man denken würde, umzugehen hatten. Selbst Leute wie Hendrix. Aber man muss sich vergegenwärtigen: Wie schwierig auch die Situation in dem Moment ist, wo die Leute buchstäblich mit Scheiße nach dir werfen – die sind nicht da, um dich zu sehen, die sind da, um Depeche Mode zu sehen. Das ist eine der größten Bands aller Zeiten, und du bist ein Gast in ihrem Haus. Das ist eine großartige Erfahrung. Selbst wenn die Leute uns ausbuhen oder Zeug nach uns werfen sollten, ist das immer noch cool.

Ich denke, die Leute sind mittlerweile viel netter zu den Vorbands.

Lee: Wenn man wie wir aus einem Punkrock-Background kommt, ist man auch irgendwie auf so etwas vorbereitet.

Franklin: Es kann sein, dass wir auf unseren eigenen Shows in diesem Jahr viel mehr solcher Dinge erleben, weil wir die Leute mit unserer Musik gezielt aufrühren wollen.

Ja, ich habe mich durch die Texte gearbeitet… Das Album beginnt mit „Walk Like A Panther“, was von Anfang an sehr aggressiv ist. War es die Idee, den Hörer vom ersten Moment an zu fordern?

Franklin: Wir sehen uns da so in einer Punktradition. Unser Publikum steht auf unserer Seite – und die anderen sind der Feind, den wir bekämpfen [lacht]. Wir haben das erste Album mit „Remains“ eröffnet und mit einem Instrumentaltrack beendet. Einige Leute hatten Probleme damit, die Botschaft darin zu sehen. Und mit „…Panther“ besteht dieses Risiko nicht, hier stellen wir unsere Haltung gleich sehr klar dar. Außerdem ist das ein viel dynamischerer Opener. Es war uns wichtig, gleich hart und klar umrissen rauszukommen. Damit die Leute nicht denken, wir würden jetzt komische Sachen machen oder uns unnötig neu erfinden.

Der zweite Song „Cry Of The Martyrs“ ist sehr schnell und elektronisch und verwendet viel religiöses Vokabular. Wie seht ihr Religionen und die damit einhergehenden Probleme heutzutage?

Franklin: Schwer, so etwas schnell zu beantworten [Der Promoter hat nämlich schon auf die Uhr gedeutet, die Zeit ist leider knapp.] Das ist eine von Ryans Demos gewesen, er hat bei dem Track die meiste Musik geschrieben, und er hatte dabei Che Guevara im Kopf. Dieses Gefühl, auf den sicheren Tod hinzumarschieren. Seine Referenzpunkte sind oft sehr revolutionsbezogen und meine oft recht religionsbezogen. Also beschloss ich das zu verbinden. Er schrieb dann den Text für den Refrain. Und der „Cry Of The Martyrs“ ist eine Zeile aus der Bibel, aus der Offenbarung des Johannes. Wo die Gestorbenen fragen, wie lange es dauert, bis ihr Blut auf Erden gerächt wird. Das war ein Bild, das ich verwenden wollte. Wenn du als Märtyrer marschieren willst und auf himmlische Rache hoffst, auch wenn es diese vielleicht gar nicht gibt.

Da sind noch einige weitere düstere Texte und politische Stücke. Wie der Titelsong mit seinem Video, wo man das durchgestrichene Hakenkreuz unter dem Black-Power-Poster sieht. Es geht viel um den Kampf der Machtlosen gegen den unterdrückenden Staat. Wollt ihr die Leute aufrütteln oder auf die Straße bringen?

Franklin: Wenn die Dinge politisch so offensichtlich problematisch werden wie jetzt, wird es fast modisch, sich politisch zu äußern. Vielleicht gibt es ja nächste Woche einen politischen Song von Justin Bieber? Wir wollten klar machen, dass uns das schon immer umtreibt. Wenn man Dinge wie die Black Panthers oder antifaschistische Bildsprache verwendet, sollte man kein Marketingspiel damit betreiben. Wie in diesem Pepsi-Werbespot [mit Kendall Jenner, einfach mal youtuben, peinlich!]. Wenn Firmen auf einen fahrenden Zug aufspringen wollen und die abstrakte Idee von Protest und politischer Aktion verwenden wollen, ohne irgendjemanden damit zu beleidigen, um allen damit zu gefallen, dann ist das Bullshit. Das wollten wir verdeutlichen, und das wird mit dem nächsten Video noch explosiver werden.

Letzte Frage [wie gesagt, die Zeit drängt]. Da fragen wir immer gern, was gerade so im Tourbus rotiert.

Franklin: Ich höre im Moment sehr gerne Arvo Pärt. Wenn man in einer Band spielt, ist man es manchmal leid, Bands zu hören. Manchmal ist es schön, etwas Ruhe zu haben und dabei aber doch noch etwas Interessantes zu hören. Jemanden, der mit Stille spielt.

Das höre ich relativ oft als Antwort von Musikern.

Lee: Das ist manchmal gar nicht so leicht, wenn man gefragt wird, welches Album man zuletzt gehört hat. Ich schummele echt nicht, aber es ist „Black Celebration“, weil ich es vor ungefähr zwei Wochen günstig auf Vinyl gefunden habe. Und dann ist da noch diese tolle Liveplatte [„Emergency Ward“] von Nina Simone, die ich gerne sonntags zum Frühstück höre. Drei Songs, zwei davon sind Coverversionen von George Harrison.

Franklin: Hast du Spotify?

Ja.

Franklin: Dann hör dir das an, das ist mein Lieblingsstück derzeit… ich muss kurz nachsehen, wie der Titel heißt… er ist auf dem Album „Portrait“ [von Arvo Pärt]… „Summa“, das ist so wunderschön!

Vielen Dank für das Gespräch!

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www.algierstheband.com
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Thomas Bästlein

Thomas Bästlein schreibt (früher unter dem Spitznamen Addison) seit Anfang 2007 für depechemode.de. Hauptberuflich arbeitet er im öffentlichen Dienst. Du kannst Thomas online bei Facebook treffen.

5 Kommentare

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  1. Live fand ich die super

    Leider kommt das Studio da nicht mir, schade :(
    Und was „German Clapping“ vom Musikantenstadl bis Depeche Mode… Gefangen im 4/4-Takt. Ich hasse es, sorry.

  2. Ich habe Schandmaul ja schon immer gehört.

  3. Thanks!

    Danke für den Interview-Beitrag, Danke Algiers.
    Schöne Geschichte, wie es dazu kam, DM zu supporten. Definitiv interessant für Musikfreaks.
    Weiterhin viel Glück!
    LG
    Martina
    PS: Sorry, aber bei DM Konzerten steht uns das Adrenalin bis zum Hals plus pre-Gig-Freudentränen eine Stufe höher … kaum einer in der Lage, Vorbands mit sonst bestimmt voll angebrachter Aufmerksamkeit zuzuhören -)

    • Ich muss sagen, mir haben sie besser gefallen als ich vermutet hätte. Vor 20-30 Jahren hätte ich sie vermutlich ausgepfiffen, aber man wird älter und weiser. :-)

    • ....

      beide Vorgruppen ; in Köln und Schalke waren Lärmbelästigung , ich bin offen für alles aber nicht sowas. dass sie zusammen mit DM touren macht sie nicht sympathischer und ihre Musik nicht besser.

Kommentare sind geschlossen.

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