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Über filmreife Musik sowie die Sache mit Röyksopp

Susanne Sundfør im Interview: „Ich habe schon immer das Drama gemocht“

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sundfor_accSusanne Sundfør hat (mal wieder) eines der besten Alben des Jahres veröffentlicht. In Kürze wird sie noch einmal für ein Konzert nach Deutschland kommen (02.11. Berlin), ein neues Video (s.u.) gibt es auch zu präsentieren – da wollen wir euch doch das schöne Interview nicht verheimlichen, das wir vor einer Weile mit der Norwegerin führen durften. ungeschminkt, uneitel und unheimlich intelligent.

Vielen Dank, dass wir dieses Interview für depechemode.de führen dürfen!

Mein Traum wäre ja, mit Depeche Mode zu arbeiten.

Das wäre toll! Leider sind meine Connections zur Band nicht sooo mächtig [beide lachen]… Im letzten Interview, dass wir mit dir führen durften (via E-Mail, zum Album „The Brothel“), sagtest du, manchmal käme die Musik zuerst und manchmal die Texte. Dieses Mal plantest du ein Album über Gewalt und am Ende kamen „Ten Love Songs“ heraus – waren also die Texte dieses Mal zuerst da?

Die ersten Songs, die ich dafür geschrieben habe, hatten diesen Vibe, den ich beabsichtigt hatte. Es sollte extrem und düster werden, von den Inhalten und den Texten her. Gewehrschüsse und all das. „Accelerate“, „Delirious“, „Insects“ und „Trust Me“ waren die ersten vier Lieder, und die hatten alle diese Stimmung. Dann aber schrieb ich „Fade Away“, was wiederum ganz anders ist. Also dachte ich, vielleicht sollte das Konzept doch nicht so geschlossen bleiben. Vielleicht sollte ich die Themen etwas breiter anlegen. Womöglich sollte das, was die Songs gemeinsam haben, die Liebe sein. Der Albumtitel kam tatsächlich relativ spät im Aufnahmeprozess.

Da ist viel von Trennung, (wieder) Zusammenkommen oder zumindest der Hoffnung darauf die Rede in den Texten. Viel Kampf um die Liebe. Denkst du, die Liebe ist ein ewiges Kämpfen?

[überzeugt] Ja!

Denke ich auch.

Ich denke, das geht uns allen so [lacht]. Aber es können viele schöne Dinge aus diesen Kämpfen entstehen.

Du hast die Lieder „Love Songs“ genannt, aber es ist ja immer noch eine Menge Gewalt da. Ein Schusswaffenmord in „Silencer“, Leute, die über Klippen gestoßen werden – wo kommen diese dunklen Gedanken her?

Von verschiedenen Einflüssen. Dinge, die ich erlebt habe. Filme, die ich sehe. Musik, die ich höre. Ich habe schon immer das Drama gemocht. Dramatische Musik, dramatische Literatur. Meine Lieblingsbücher sind „Wuthering Heights“ und „Jane Eyre“. Ich liebe die romantische Ära und die Präraffaeliten. Manchmal schreibe ich über persönliche Dinge, manchmal schreibe ich die Musik, die ich selber gerne hören möchte. Nehmen wir „Delirious“, auf das du eben anspieltest mit dem Zitat „push you over the edge“ – da wollte ich den Charakter einer Femme Fatale erschaffen und was diese Frau in einem Film Noir sagen oder denken würde.

Musikalisch ist das Album wieder eine feine Mischung aus cinematischen Sounds und schnelleren Stücken, evtl. etwas direkter als zuvor…

Ja.

War das von Anfang an so geplant? Und hast du anderes Equipment als vorher benutzt?

Geplant war das so. Ich habe einiges von meinem alten Equipment benutzt, aber auch neue Sachen. Ich wollte dass es ein Popalbum wird, dass es direkter klingt, dass es zuerst einmal das Herz trifft, nicht notwendigerweise das Hirn. Hoffentlich natürlich beides. Was die Technik angeht… Ich habe u.a. einen deutschen Synthesizer verwendet, den Access Virus. Auch den Prophet… ich habe das Album in verschiedenen Studios aufgenommen, wo ich Zugang zu den unterschiedlichsten Geräten hatte. In einem Studio hatten sie eine Orgel, die ich unbedingt nutzen wollte. Woanders gab es ein Harpsichord und ein Dulcitone. Aber einen Großteil der elektronischen Bestandteile habe ich in meinem eigenen Studio aufgenommen.

Ich denke, auch die Reihenfolge der Tracks auf einem Album ist keine einfache Aufgabe. Hier mag ich ja besonders den Übergang von „Accelerate“ zu „Fade Away“. Wie bekommst du die richtige Reihenfolge, den richtigen Flow hin?

Es ist interessant, dass du diese beiden Songs ansprichst. Ich habe eine Art Skizze gemacht, das Fundament von „Accelerate“ angelegt und das Ganze dann zu Jon Bates gesandt, der in seinem Studio eine Menge der Elektronik zu diesem Song beigetragen hat. Als er ihn mir zurück schickte, war da aus irgendeinem Grund noch so ein langes Ende dran, nur mit den Drums und der Bassline. Was mich zu der Idee brachte, aus diesem Outro einen Song zu basteln. Daraus entstand dann „Fade Away“.

Wir unterbrechen an dieser Stelle kurz und präsentieren das brandneue, schicke Video zu „Accelerate“:

Es ist mutig, ein zehnminütiges Stück wie „Memorial“ – das auch noch eine Menge klassischer Elemente enthält – in der Mitte des Albums zu platzieren. Gibt es da Diskussionen mit dem Label, oder hast du freie Hand?

Ich bin sehr glücklich, dass ich mit Leuten arbeiten kann, die respektieren, was ich mache und sich da nicht einmischen. Da ich so ein bisschen aus einer Außenseiterrolle komme, fällt mir so etwas nicht besonders schwer. Das wäre vielleicht anders, wäre ich mehr ein Bestandteil der Popindustrie. Für mich ist das so: Was der Song braucht, bekommt er.

War der Song mit seinen vielen Teilen von Anfang an so geplant?

Nein. Ich schrieb ihn zuerst als Klavierballade. Dann kam da dieses Interlude dazu, ein Klaviersolo. Dann dachte ich, vielleicht sollte ich zu dem Solo Streicher ergänzen. Und das hörte irgendwie nicht mehr auf. Ich konnte den Song einfach nicht beenden, und so kam es dann zu dieser Länge.

Er ist schließlich auch sehr cinematisch geworden.

Ja, das war so beabsichtigt. In Richtung Philip Glass mit ein bisschen Hitchcock. Der Mann, der für ihn diese Soundtracks geschrieben hat… [überlegt]

Bernard Herrmann.

Genau! Der erste Teil des Songs sollte so etwas wie der ultimative Herzschmerz-Song werden, der dann in diesen Kinoteil übergeht und am Ende zum Anfang zurückkehrt. Es sollte wie eine Reise sein.

Wo wir von Filmen sprechen: Hast du da Lieblingsfilme oder Lieblingsgenres? Du erwähntest Hitchcock…

Ja, ich mag Hitchcock. Ich weiß nicht, ob ich ein bestimmtes Genre bevorzuge. Ich mag Jonathan Glazer sehr. Der hat drei hervorragende Filme gemacht: Im vorigen Jahr „Under The Skin“ mit Scarlett Johansson – das könnte mein Lieblingsfilm sein -, dann „Birth“ mit Nicole Kidman, sehr bizarr, aber sehr gut, und „Sexy Beast“…

Ah, der mit Ben Kingsley. Sehr guter Film.

Ja. Ich denke, Glazer ist mein Lieblingsregisseur. Ich mag es, wie er die Dinge sehr seltsam darstellt, aber nicht auf so eine gekünstelte Art. Ich mag Filme, die so eine Schicht haben, die man nicht unbedingt verstehen muss. Das ist auch bei „Drive“ so, einem weiteren Lieblingsfilm von mir.

Von mir auch!

Es ist diese Atmosphäre, die ich so mag.

Und der Soundtrack ist ebenfalls großartig.

Stimmt. Und bei „Under The Skin“ ist der auch toll.

Der letzte Track auf dem Album, „Insects“, hebt ab in Richtung Techno – und endet dann abrupt. Wie kam es dazu?

Ich fand das einfach cooler so, als ihn mit einem Fade Out abzuschließen. Der Mann, der den Track und große Teile des Albums abgemischt hat, hat hier auch all diese eigenartigen Sounds ergänzt, die, ja, wie Insekten klingen. Wenn ich das Album z.B. mit „Memorial“ hätte enden lassen, wäre das zwar schön gewesen, aber für mich zu gutmütig. Ich mag das intensive Ende mit diesem kleinen Peitschenschlag lieber.

Du hast zuletzt mehrmals mit Röyksopp kollaboriert. Du singst zwei Songs auf ihrem Album, sie haben „Slowly“ für dich co-produziert. Wie war die Zusammenarbeit, und was bedeutet „Healing and aura displacement“ [dafür wird Röyksopp im Booklet gedankt, Anm. d. Red.]?

Du solltest sie dazu befragen [lacht]. Es hat was mit ihrem Sinn für Humor zu tun. Es macht immer Spaß, mit ihnen zu arbeiten. Weil sie so gut sind, in dem, was sie tun, ist es fantastisch, ihnen im Studio zuzusehen, mit all ihrem historischen Wissen über Musikindustrie und -technik. Es ist auch schön mit Leuten zu arbeiten, die wissen, wie man Gesang abmischt. Sie machen mit die besten Stimmabmischungen überhaupt. Und sie sind eben auch sehr nette und lustige Typen.

Und noch eine Frage zum Thema Röyksopp, die wir als Fanpage von Depeche Mode stellen müssen: Wie kam es zu dieser großartigen Coverversion von „Ice Machine“?

Das war der erste Track, den wir zusammen aufgenommen haben. Es war tatsächlich so ein bisschen Zufall. Da gab es diese Fernsehsendung, Lydverket – eine tolle Musiksendung, die einzige in Norwegen, mittlerweile haben wir leider gar keine mehr. Die haben für ihre letzte Sendung Röyksopp angefragt. Die Band hat entschieden, eine Coverversion zu spielen – und da sie sehr große Fans von Depeche Mode sind, haben sie „Ice Machine“ ausgesucht und mich gefragt, ob ich singen möchte.

Mit sehr gelungenem Ergebnis… Vor einer Weile habe ich Karin Park interviewt und ihr eine Frage gestellt, die ich dir auch stellen möchte: Kannst du erklären, warum in den letzten Jahren so eine Menge starker elektronischer Musik oder Popmusik aus Skandinavien kommt, vor allem von Frauen wie dir, Karin Park, Robyn, Fever Ray, Jennie Abrahamson usw.?

Ich denke, dass Robyn und vor allem Fever Ray und The Knife da den Weg geebnet haben für elektronische Popkünstler. Wobei die Musik, die aus Norwegen exportiert wird, sich sehr von der aus Schweden unterscheidet. Aus Schweden kommt sehr viel Popmusik, aus Norwegen eher so alternative Musik, z.B. alternative Elektronik von Leuten wie Lindstrøm oder Todd Terje. Ich denke es ist nur natürlich, dass die Leute sehen, was erfolgreich ist und dann versuchen, das Gleiche zu machen. Man sieht, dass skandinavische elektronische Popmusik im Ausland gut ankommt, und darum machen das immer mehr Leute.

Karin Park meinte, es könnte auch damit zusammenhängen, dass Frauen in Skandinavien stärker gleichberechtigt sind als anderswo.

Ja, das kann sein. Die Musikindustrie hat im Allgemeinen unglücklicherweise mehr zu entscheiden, als wir Künstler ihnen gern zugestehen würden. Dagegen hat es eine kleine künstlerische Revolution in Schweden und Norwegen gegeben. Es geht da auch um Haltung.

Wir kommen zu den letzten Fragen. Deine Musik ist sehr vielschichtig, von Klassik bis Electropop – da wären die wichtigsten musikalischen Einflüsse interessant.

Hm, ich habe eigentlich keine speziellen Haupteinflüsse, jedenfalls keine Namen, die ich da nennen könnte. Ich bin mit Singer/Songwriter-Musik aufgewachsen, daher war und ist die Melodie immer sehr wichtig für mich. Auf das Thema Sound achte ich dagegen erst seit ein paar Jahren, seit ich selbst Musik produziere.

Okay – und welche aktuelle Musik hörst du so gerade?

Ah [springt auf]! Warte, ich hole mein Smartphone… [setzt sich wieder hin] Nein, jetzt weiß ich es wieder, vorhin war mir der Name entfallen. Ich höre da diese französische Band namens Moodoïd. Ich weiß nicht, wie bekannt die sind, weil ich auf so etwas nicht achte. Französische Elektronik trifft Krautrock, sehr, sehr gut.

Die werde ich mir mal anhören… Letztes Mal erwähntest du Hemingway als Lieblingsautor, was liest du gerade?

Aktuell lese ich „Butcher’s Crossing“ von John Williams. Der ist bekannt für „Stoner“, welches ich vor einer Weile gelesen und anschließend beschlossen habe, seine anderen Bücher auch zu lesen. Davor habe ich „Der Goldfink“ von Donna Tartt gelesen – sehr dickes Buch, aber auch sehr gut.

Allerletzte kurze Frage, vermutlich nicht zum ersten Mal während dieser Interviews: Was ist dein liebster Love Song?

Ach, und ich wollte Lieblingskuchen vorschlagen [kichert]. Ich habe heute viel über Kuchen nachgedacht… Okay, dann sage ich „Wuthering Heights“ von Kate Bush. Nicht nur mein liebster Love Song, sondern auch mein Lieblingspopsong. Der beste Popsong, der je geschrieben wurde, wenn du mich fragst.

Vielen Dank für das Gespräch!

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P.S. Für das Konzert am 02.11. im Gretchen in Berlin (unbedingt empfehlenswert!) gibt es noch Tickets.

www.susannesundfor.com
www.facebook.com/susannesundfor

Thomas Bästlein

Thomas Bästlein schreibt (früher unter dem Spitznamen Addison) seit Anfang 2007 für depechemode.de. Hauptberuflich arbeitet er im öffentlichen Dienst. Du kannst Thomas online bei Facebook treffen.

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