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Konzertbericht: Laibach in Bochum (18.09.2012 – Matrix)

Laibach
Ein Gastbeitrag von Patrick Körner

We come in Peace. Wer sich am Abend des 18. September in die Bochumer Matrix wagte, kam kaum umhin, den ganz aktuellen Einschlag der Popkultur zu bemerken, der diese Veranstaltung der slowenischen Band LAIBACH zu bestimmen schien.

LAIBACH und ihre Geschichte benötigen wahrlich keine gesonderte Vorstellung: Renegaten, Provokateure, Avantgardisten, musikalische wie ästhetische Wegweiser. All diese Beschreibungen werden dem Gesamtkunstwerk der Formation kaum gerecht, das – ganz im Sinne Richard Wagners – als geschlossenes, einheitliches System in seiner Totalität erfahren werden muss. Diese Totalität nun wird auch durch das musikalische Schaffen und die diese einkleidende Ästhetik seit der Gründung der Band vor 32 Jahren exzessiv gepflegt und kultiviert. Ein Konzert der Slowenen ist deshalb kein reines Musikspektakel wie bei den meisten anderen Musikgruppen: Bei LAIBACH wird erst die Erfahrung am eigenen Leibe – also eben live – zum Medium des Verständnisses dieser Ausnahme-Formation, die durch reinen Plattengenuss nicht erreicht werden kann.

Der genannte Einschlag der Popkultur ist zugleich das Zeugnis LAIBACHs endgültiger Ankunft in derselben (freilich ohne sich selbst untreu zu werden, zielt doch ihr Programm auf den Weg der bewusst propagandesken Darstellung ab – und welch bessere Plattform böte sich hier, als die Popkultur?). Denn mit dem Naziploitation-Streifen Iron Sky, der im April diesen Jahres in den Kinos anlief und für den LAIBACH den gesamten Soundtrack komponierten, hat sich der Band ein neuer Aufmerksamkeits- wie Schaffenshorizont geöffnet, der gewiss nicht nur neue Bewunderer aktivieren konnte, sondern der Gruppe ebenfalls neue Spielräume der Darstellung anbot. Und so sah sich der Besucher der Matrix schon vor dem eigentlichen Konzertbeginn mit Iron Sky-Logo und dem entsprechenden Soundtrack aus der Dose konfrontiert, dessen Bespielung gnadenlos ausgereizt wurde. Als dann eine gute halbe Stunde nach eigentlichem offiziellen Beginn die Band auf die Bühne schritt und B Maschina (eigentlich von der slowenischen Rockband Siddharta) inszenierte, wurden die Erwartungen der Zuschauer just erfüllt: Stellt dieser Titel doch nicht nur den Opener der 2003er-Veröffentlichung WAT (We Are Time) sondern – in etwas überarbeitetem Gewand – eben auch von We come in Peace, dem Iron Sky-Soundtrack, der der Tour ihren Namen gab. Nun dachten sicherlich viele Gäste, die zahlreich und freilich zum Gutteil uniformiert anwesend waren, gewiss, den weiteren Verlauf des Abends absehen zu können: Ganz im Sinne des Titels würde die Band ihren Soundtrack bespielen und so erwartete man sowohl den komplett neuen Song Under the Iron Sky als auch America von ihrem Album Volk (2006). Erinnerungen an die Volk-Tour wie auch die Auftritte im Rahmen der Adaption von Bachs Kunst der Fuge drängten sich auf – allesamt sehr formale, themenfixierte Darbietungen, die wenig Freiraum für die Entfaltung des gesamten historischen Schaffens der Slowenen übrig ließen.

Umso größer die Überraschung, dass diese Erwartungen bereits mit dem zweiten Stück fulminant gebrochen wurden! Denn wenige Augenblicke später wummerte das Europe-Cover Final Countdown in einer opulenten neuen Version über die Besucher hinweg und löste alle Bedenken hinsichtlich der Absehbarkeit des Abendprogramms in Wohlgefallen auf. Nun hat der aufmerksame Fan gewiss registriert, dass vor gut zweieinhalb Wochen die Kompilation An Introduction To…LAIBACH / Reproduction Prohibited erschien, eine Zusammenstellung von 15 gecoverten Songs aus der umfangreichen Bandhistorie, mit drei völlig neuen Schmankerln (insb. einer eigenwilligen, aber gelungenen deutschsprachigen Version des The Normal-Klassikers Warm Leatherette als Warme Lederhaut). Doch auch über eine reine Kombination der beiden 2012er Erscheinungen ging das Bühnenprogramm hinaus – und das nicht nur, weil viele der bekannten Songs in moderner, sowohl orchestraler als auch vielschichtiger technoider Fassung daherkamen. An dieser Stelle sollte kurz auf das Klangerlebnis eingegangen werden: Die Bochumer Matrix ist kein einfaches Pflaster, um einen druckvollen und zugleich bekömmlich abgemischten Sound zu präsentieren. Nach leichten anfänglichen Schwierigkeiten, insbesondere hinsichtlich der Lautstärke der Vocals, überzeugte der dargebotene Sound völlig, was deutlich zum Gewinn des Abends beitrug und wohl dem Perfektionismus LAIBACHs zugerechnet werden darf. Frontmann und Sänger Milan Fras lieferte gewohnt hohe Qualität: mal besinnliche Rezitation, mal aggressive Beschwörung, mal pathetische Anrufung, mal eisige Proklamation. Als Ergänzung stand ihm Mina Špiler zur Seite, deren musikalische Heimat eigentlich die slowenische Synth-Pop Band Melodrom ist. Mit dieser Besetzung ist LAIBACH ein echter Kunstgriff gelungen; man kann ihn auch als wahren Glücksfall bezeichnen: Sowohl ihre einnehmende Bühnenpräsenz wie auch ihre beherrschte hohe, mal sanfte, mal offensiv-herausfordernde Stimme stellte den genau richtigen Kontrast und zugleich die Ergänzung zu der tiefen, raunenden Bass-Stimme Fras´ dar und bereicherte damit das musikalische Gesamterlebnis nicht nur, sondern vervollständigte es erst wirklich. Eine weitere Zusammenarbeit mit dieser Ausnahme-Sängerin wäre in jeder Hinsicht begrüßenswert!

Nach einem Ausflug auf die dunkle Seite des Mondes der Iron Sky-Gefilde (etwa mit dem ungewöhnlichen chansonartigen Take me to heaven) folgte die überraschend druckvolle Neuinszenierung des Klassikers Brat Moj, den selbst so mancher Fan kaum wiedererkannt hätte. Hier stellten sich LAIBACH von ihrer besten Seite dar: überraschend, konsequent und aggressiv kamen die elektronischen Bässe daher und kleideten das ursprüngliche Post-Industrial-Stück in ein Gewand modernen elektronischen Bombasts. Eine ähnlich geartete neue Interpretation von Drzava – ebenfalls kaum wiederzuerkennen – machte Lust auf mehr und sollte auch den größten Skeptiker unter den Fans davon überzeugt haben, dass LAIBACH auch im neuen Jahrtausend keinen Deut an Kreativität eingebüßt haben. Mit Stücken wie leben + tod vom wegweisenden 1987er Album Opus Dei oder der ebenso feinsinnigen wie unerwarteten Hommage an Bob Dylans See that my Grave kept clean marschierte die „Laibach Kunstmachine“ kraftvoll weiter, bis Mina Špiler mit dem Beatles-Opus Across the Universe für eine geradezu besinnliche Unterbrechung des Bassgewitters sorgte und dafür wohlverdienten energischen Applaus erntete. Spätestens mit dem ursprünglichen DAF-Gassenhauer Alle gegen Alle kannte das Publikum verständlicherweise kein Halten mehr und das Konzert nahm weitere Fahrt auf: Du bist unser von der technoiden WAT, das bereits erwähnte, dem Publikum anscheinend zum Gutteil noch unbekannte aber dennoch frenetisch umjubelte Warme Lederhaut sowie natürlich Tanz mit Laibach heizten die Stimmung weiter an und steuerten das Konzert auf einen würdigen Abschluss zu, bis mit der Opus-Adaption Leben heißt Leben und dem möglicherweise bekanntesten LAIBACH-Stück Geburt einer Nation (im Original One Vision von Queen) alle bombastischen Register gezogen wurden. Die pathetische Zugabe ließ nicht lange auf sich warten und nach God is God war – denn, was hätte man auch noch erwarten sollen? – klar: Das Spiel ist aus.

Dieser Abend wird jedem Fan wohl noch lange im Gedächtnis bleiben. LAIBACH sind noch immer da, möglicherweise druckvoller und vielleicht kreativer als jemals zuvor. Sie gehören weder zum alten Eisen – Totgesagte leben, wie der Volksmund bekanntlich weiß, länger – noch wurden sie von ihrer Einlassung mit der Popkultur gezähmt. Denn wie man von LAIBACH weiß:

„Pop is music for sheep and we are wolves disguised as shepherds.“

Zum Abschluss die noch ausstehenden Termine der We come in Peace-Europatour:

21.09 – Germany, Leipzig, Schauspielhaus
18.10 – Austria, Graz, Helmust List Halle

Sven Plaggemeier

Hi, ich bin Sven und betreibe als Gründer die Webseite depechemode.de. Hauptberuflich leite ich ein Team von Content-Spezialisten bei einem Telekommunikationsunternehmen. Vernetze Dich gerne mit mir bei Facebook, LinkedIn oder Xing.

5 Kommentare

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  1. Laibach geniessen sowas wie ein Sonderstatus in der Indi- szene-völlig einzigartig und brilliant-(

  2. aso: größere Bühne? weiß ich nicht, aber in Leipzig im Schauspielhaus war Optik und Sound sowas von genial! noch nie habe ich ne Band mit Schlagzeug gesehen/gehört, wo sich die Drums wirklich so eingeordnet haben , GROß!!!

    und ja, Sie kamen in Frieden … sensationell wie das Publikum danach strahlte

  3. zum thema Mina Spiler sei gesagt, das Sie bereits seit der VOLK tour das Laibach Live programm bereichert, und ich gebe zu, auf der VOLK tour hat Sie ihr Können noch eindrucksvoller zeigen können. Ansonsten: LAIBACH sind eine Klasse für sich!

  4. Toller Bericht!

    Toller Bericht zum tollen Konzert einer der faszinierendsten und komplexesten Bands überhaupt! Lediglich die Location war nicht so toll. Auf einer größeren Bühne kommt die Show sicher noch dreimal so gut!

  5. kannte Laibach bis vor 3 jahren überhaupt nicht bis ich mal rein zufällig das video „Tanz mit mir“ angesehen habe, da hats Bumm gemacht. ein richtiges juwel#

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